STANDARDS - Jerome Kern: All the Things You Are

  • STANDARDS - Jerome Kern: All the Things You Are

    Es geschieht nicht oft, dass ein Standard aus einem Musical hervor geht, das ein totaler Flop war, aber keiner hatte einen so durchschlagenden Erfolg wie Jerome Kerns „All the Things You Are“. Folgt man der Hitliste in Jazzstandards.com, ist der Song sogar der am zweithäufigsten eingespielte Jazz-Standard nach „Body and Soul“. Es kommt aber noch extremer: der Song aus Kerns letztem Musical überhaupt, VERY WARM FÜR MAY, das im Jahr 1939 nach nur 59 Vorstellungen schließen musste, wurde bereits einem früheren, noch größeren Flop entnommen, nämlich „Cantabile“, einem Lied ohne Worte aus dem Musical GENTLEMEN UNAFRAID, das es nie nach New York schaffte.

    In dem Musical wirkten u. a. Grace McDonald, Jack Whiting und Eve Arden mit, aber dieses Lied wurde von Hollace Shaw und Ralph Stuart als Duett zweier Nebenrollen eingeführt. Einer hatte dennоch gut aufgepasst: Tommy Dorsey nahm den Song noch im gleichen Jahr auf, und schon 1940 erreichte eine Coverversion von Helen Forrest mit dem Artie Shaw Orchestra die Nr. 1 der damaligen Charts.


    Die erste maßstäbliche Aufnahme dieser Melodie ist natürlich der Original Soundtrack des Broadway-Musicals, der schon ewig vergriffen ist, den ich aber zum Glück noch in den USA gefunden habe:

    Eine sehr schöne Rekonstruktion des Originals findet sich in dieser Anthologie von John McGlinn, die, wie fast alle seine Aufnahmen, leider von der EMI gestrichen wurde:


    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/61lyi…L500_AA300_.jpg


    Der Text stammt von Jerome Kerns Stammtexter Oscar Hammerstein II, der auch die Songtexte für Jerome Kerns SHOW BOAT geschrieben hatte.

    Time and again I've longed for adventure,
    Something to make my heart beat the faster.
    What did I long for? I never really knew.
    Finding your love I've found my adventure,
    Touching your hand, my heart beats the faster,
    All that I want in all of this world is you.

    You are the promised kiss of springtime
    That makes the lonely winter seem long.
    You are the breathless hush of evening
    That trembles on the brink of a lovely song.
    You are the angel glow that lights a star,
    The dearest things I know are what you are.

    Die nur scheinbar einfache Melodie des mit 38 Takten ungewöhnlich langen Refrains hat das Format
    A1 – A2 – B1 – B2- A1 – C
    und changiert relativ frei zwischen Dur und Moll. Sie beginnt im Original in f-moll, wechselt dann zu C-Dur, G-Dur und E-Dur, bevor sie zu f-moll zuück kehrt und auf as-moll endet. (ich entnehme solche fachlichen Informationen dieser Seite, auf der man ausführliche Analysen und weiterführende Links findet, wenn man des Englischen mächtig ist: http://www.jazzstandards.com/compositions-0…hingsyouare.htm).

    Die Zahl der Einspielungen ist Legion. YouTube bietet eine Version von Keith Jarrett hier: "

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    ". Natürlich ist es auch hier unvermeidlich, auf Ella Fitzgerald und ihre Songbooks zu verweisen. Zwar ist das zu Jerome Kern, das nur noch eine LP umfasste, eines ihrer schwächeren und schon etwas zu routinierten, aber das "All the Things You Are" darin ist beste Ella:

    Dann gibt es noch eine zweite erfolgreiche Jazzkomposition auf die gleiche Melodie, die Charlie Parker unter dem Titel „Bird of Paradise“ heraus brachte. Die melodische Basis ist gegenüber der originalen Melodie kaum verändert, wie man hier nach den ersten Takten sehr gut hören kann: „http://www.youtube.com/watch?v=3WPrENorX2Y%E2%80%9C']

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    Kennen gelernt habe ich den Song übrigens, wie so viele US Standards, durch Kurt Edelhagen. Aber wer kennt den heute schon noch?

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Lieber Rideamus,

    danke für die informative Einführung zu diesem Standard, der gerne aufgenommen worden ist. Selbst in meiner bescheidenen Jazzsammlung ist er in fast einem dutzend Fassungen vertreten.

    Ich habe da einmal zwei gesungene Versionen herausgesucht:

    Barbra Streisand, die sehr gerne das Musicalmaterial verwendet hat

    und

    Die Singers Unlimted, die den Acapella-Gesang im Jazz mit geprägt haben.

    Als instrumentale Versionen möchte nennen

    Baden Powell, der brasilianische Gitarrist, der auf MPS sehr schöne Platten aufgenommen hat:

    und

    Michel Petrucciani, der diesen Titel auf verschiedenen Platten interpretiert hat, unter anderem mit seinem Vater auf der folgenden Platte:

    Grüße
    Achim

  • Diese Live-Aufnahme von 1955 beginnt, für Tristano eher ungewöhnlich, relativ nah an der Melodie- und Akkordfolge des Originals mit einem langen, schönen Alt-Sax-Solo von Lee Konitz, erst im folgenden, auf Tristanos der 50er eigene Weise von Bebop orientierten Klaviersolo umspielt er stärker die Melodielinie, vor allem mit der rechten Hand, während die linke Hand nur sparsam akkordisch begleitet, die Akkordfogen aber ungewöhnlicher harmonisiert. Seine eigene Akkord-Harmonisierung hört man dann erst vollständig in Tristanos Begleitung zum folgenden Bass-Solo von Gene Ramey, dass aufnahmetechnisch leider kaum zu hören ist. Es folgt jetzt auch etwas mehr gelöst von der Grundmelodie das Alt von Konitz. Die letzten zwei Takte umspielen sehr schön gleichzeitig solistisch Konitz und Tristano noch einmal den wiederholten A 1-Teil mit variiertem Schluß. Art Taylor am Schlagzeug verlebendigt sehr durch interessante Akzente und Zwischenschläge.

    :wink: Matthias

  • :wink:

    Dieser Song ist auch einer meiner Lieblingsstandards, besonders in diesen zwei Versionen,

    wie immer wunderbar, was das Modern Jazz Quartett auch aus den Standards macht.

    Und hier eine der schönsten Jazzaufnahmen, die ich überhaupt kenne, zum Abheben schön:

    Eine Trioversion mit Duke Ellington, Piano & Jimmy Woode, Bass & Sam Woodyard, Schlagzeug.

    Gruß, Frank

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Die für mich überragende Version dieses Standards ist die Aufnahme von Art Tatum mit Ben Webster am Tenorsaxophon.
    Wie Tatum das Stück einleitet, das kommt mir vor wie die perfektesten 1,5 Minuten Klaviermusik überhaupt. Gerade die letzte Sequenz, bevor Webster dann einsetzt, das ist etwas, was mich immer wieder glücklich macht, so ein Ausschaukeln-lassen mit den leichtesten Händen. Und dann die ersten Töne des Tenors, das muss ich immer wieder hören. Herrlich!

  • Es gibt noch weitere Einspielungen dieses wunderschönen Titels, so haben auch Dizzy Gillespie/Charlie Parker das Stück eingespielt, nämlich am 29.Feb. 1945 in folgender Besetzung: Dizzy Gillespie (Trompete) - Charlie Parker (Alt-Sax) - Clyde Hart (piano) - Remo Palmieri (git.) - Cozy Cole (dm)

    Die hier empfohlenen Einspielungen aus "Ellington Indigos" kann ich auch nur empfehlen, ebenso jene mit Tatum/Webster. Ziemlich langweilig finde ich die Fassung mit Artie Shaw und Helen Forrest, auch wenn sie mal auf Nr.1 war damals. Da hatte Artie Shaw bessere Nummern im Programm. Man möge mir diese Meinung verzeihen, denn ich schätze Shaws Spiel und Band sehr.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Bei Musik von Jerome Kern habe ich eine famose Einspielung von Eric Parkin (kein Jazzer, aber er macht das sehr gut).

    Leider kann ich hier kein Bild posten, die Aufnahme ist vergriffen.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Ich "erarbeite" mir grad (Zeit wird´s) das Vol. 1 der Standards mit Keith Jarrett, Gary Peacock und Jack DeJohnette, und das heißt bei mir, ich höre mich in die Standards etwas ein. Für so etwas ist youtube schon wirklich toll. Und dann entdeckt man auch einen Thread wie diesen. Sehr interessant!

    Habe nun diese Aufnahmen gehört:

    Gleich 1939 nahm ja Posaunist und Bandleader Tommy Dorsey mit Refrainsänger Jack Leonard den melodiösen Song auf, eine Melodie, die es wirklich ins allgemeine Bewusstsein geschafft hat. Noch im selben Jahr folgte der Klarinettist Artie Shaw mit seiner Bigband und der Refrainsängerin Helen Forrest. Maurice gefällt die Aufnahme nicht so. Für mich ist einfach mal reizvoll zu hören, wie sich damals die Bandleader/Solisten solcher Titel angenommen haben. 1940 dann Frankie Masters and His Orchestra mit dem Refrainsänger Harlan Rogers. Aufmerksamkeit erregte ja die Instrumentalaufnahme des improvisationsfreudigen Saxophonisten Coleman Hawkins 1944. Frank Sinatras Aufnahme – nun durchgehend gesungen - entstand 1945, für sein 1946 veröffentlichtes erstes Album „The Voice of Frank Sinatra“, und plötzlich hat die Nummer romantischen Hollywood-Schmelz. Der 1956 mit nur 25 Jahren bei einem Autounfall auf dem Weg zu einem Auftritt verstorbene Jazztrompeter Clifford Brown nahm den Standard 1953 in einer flotten Swing-Version auf, sehr improvisationsinspiriert mit seinem Mitmusikanten. Hier zeigt sich für mich das Potential so eines Standards, seine Wandlungsfähigkeit, besonders eindrucksvoll. Am 15.5.1953 spielte das All Star Quintett Charlie Parker (as), Dizzy Gillespie (tp), Bud Powell (p) , Charles Mingus (b) und Max Roach (dms) ein auch auf Schallplatte veröffentlichtes Konzert in der Massey Hall (Jazz at the Massey Hall) in Toronto (Kanada) und nahm sich dabei reichlich Zeit für seine ausgefeilten, für mich exzellent hochkarätigen Bebop-Improvisationen über den Song. Ella Fitzgerald Sings the Jerome Kern Songbook (1961) – diese für mich unvergleichliche Jahrhundertstimme, mit kräftiger Big Band! Das swingt meinem Hörempfinden nach auch unglaublich. Und Barbra Streisand auf Simply Streisand (1967)? Ich staune: Rezitativisch hollywoodeske Einleitung, dann sanfter Samba-Drive, und ihre charakteristische Singer-Chansonstimme – wieder lebt der wandlungsfähige Song völlig neu auf.

    Angekommen: Keith Jarrett – Standards, Vol. 1 (1983), mit Gary Peacock und Jack DeJohnette: Jarrett steigt mit Bebop-Kaskaden ein, er baut sperrigen Druck auf, und die beiden Kollegen sind sofort dabei, sie gehen´s komplex an, nahezu atemlos intensiv. Aus der getragenen romantischen Melodie von Dorsey und Sinatra wird hier ein Full Power Trio Feuerwerk, eine Entladung enormer musikalischer Energie. Toll, wie sich so ein Standard wandeln kann und wie man mit ihm ein Stück Musikgeschichte mitvollziehen kann.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Ja, eine erhebende Platte, wobei in meinem persönlichen (Hörer-)Leben insbesondere das Schlußstück "Good Bless The Child" einen immerwährenden Ehrenplatz eingenommen hat. Ich kriege seit Jahrzehnten nicht genug davon.

    Ist aber hier OT und gilt für "All The Things You Are" ebenso... welch ein Trio, welch ein Zusammenspiel, und wenn man auch eigentlich nix herausheben kann ohne dem Ganzen nicht mehr völlig gerecht zu werden, geht's mit doch so: daß ich Peacock/DeJohnette als Baß-Drums Fundament einfach den Wahnsinn finde, noch vor Jarrett. Gilt mir bei all den vielen Platten dieses Trios.


    :)


    "

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Das ja witzig! Justament gestern spätabens hörte ich die Paul Motian: On Broadway 2 gehört:

    Paul Motian (dr), Joe Lovano (ts), Bill Frisell (el-g), Charlie Haden (b)

    allerdings aus dieser Box:

    Darauf eine in meinen Ohren ganz entzückende Interpretation von "All the Things you are":

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    :)

    Adieu

    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

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