STANDARDS - Harold Arlen: Somewhere Over the Rainbow
Wahrscheinlich gibt es keinen zweiten Superhit, der so viel Unsicherheit überwinden musste und durchweg von Leuten geschaffen wurde, die erklärtermaßen zweite Wahl waren. Kaum ein anderer Standard musste sich gegen so viele Widerstände durchsetzen wie dieses Lied. Heute, nach einem Dreivierteljahrhundert, das seit der Uraufführung des Liedes vergangen ist, erscheint uns das völlig unglaubwürdig, so sehr hat sich das Lied im allgemeinen Bewusstsein verankert - natürlich vor allem in Amerika, aber auch weltweit.
Als die MGM sich 1938 entschloss, Frank L. Baums Kinderbuchklassiker DER ZAUBERER VON OZ als Musical zu entwickeln (es gab schon mehrere frühere Verfilmungen, unter anderem 1925 von dem Sennett-Komiker Larry Semon mit Oliver Hardy als Farmhelfer), wollte man Jerome Kern mit der Komposition betrauen, der den Auftrag auch gerne angenommen hätte, jedoch wegen eines gerade überstandenen Herzinfarktes von seinem Arzt mit einem Arbeitsverbot belegt worden war. So übertrug man die Aufgabe an Harold Arlen, der zunächst eine Reihe anderer Songs wie "We're off to see the Wizard", "Follow the yellow brick road" und "Ding Dong the witch is dead" komponierte und lange auf der Suche nach einer Melodie einer elegischen Ballade war, bis sie ihm bei einer Autofahrt zufiel. In seinen Worten: " Es war, als ob Gott gesagt hätte: 'Hier ist er, jetzt hör' auf, dir darüber Sorgen zu machen!'".
Arlen machte sich auch keine Sorgen mehr; die hatte vielmehr sein Songtexter E.Y. "Yip" Harburg, der sich nicht vorstellen konnte, dass ein kleines Mädchen eine solch groß angelegte Melodie überzeugend anbringen könnte. Erst auf Anraten Ira Gershwins, dem die Melodie gefiel, und der Arlen zu einigen Vereinfachungen der Begleitung riet, erarbeitete Harburg den bewusst kindlich gehaltenen Text, der nicht weniger als die einprägsame Melodie zum unmittelbaren Großerfolg des Liedes beitrug:
Somewhere over the rainbow,
Way up high,
There´s a land that i heard of
Once in a lullaby.
Somewhere over the rainbow
Skies are blue,
And the dreams that you dare to dream
Really do come true
Someday I´ll wish upon a star
And wake up where the clouds are far
Behind me
Where troubles melt like lemon drops
Away above the chimney tops
That´s where you´ll find me
Somewhere over the rainbow
Bluebirds fly
Birds fly over the rainbow
Why then, oh why can´t I ?
If happy little bluebirds fly
Beyond the rainbow
Why, oh why can´t I ?
Irgendwo über'm Regenbogen,
Hoch und weit
Liegt ein Land, von dem man mir
Sang stets zur Schlafenszeit.
Irgendwo über'm Regenbogen,
BIn ich da,
Wird der Traum, den ich träumte,
Einmal bestimmt noch wahr.
...
Der Refrain folgt also einem ganz einfachen Schema, nämlich A-A-B-A und schließt mit vier Takten ab, die Teile von A und B kombinieren. Die Genialität Arlens und Harburgs ist bereits in dem Oktavsprung der beiden ersten Töne erkennbar, denn mit ihm wird das weite Feld markiert, das der Song im weiteren Verlauf durchstreift. Harburgs Wahl des Wortes "Somewhere" für diesen Sprung (man vergleiche mal das ebenfalls sehr ingeniöse, weil dort angemessen unsichere "Somewhere" von Bernstein und Sondheim aus der WEST SIDE STORY) ist auch eine gute Illustration der Schweíerigkeit der Übersetzung, denn selbst, wenn man den Rhythmus und den ungefähren Wortklag erhalten kann, ist das bündige "Somewhere" doch etwas ganz anderes, nämlich viel entschlossener, kindlich definitiver, als das noch abzuschließende "Irgend-wo".
Aber selbst als der Song abgeschlossen und von dem Ersatzregisseur King Vidor (der eigentliche Regisseur Victor Fleming arbeitete bereits an VOM WINDE VERWEHT) mit der damals 16-jährigen Judy Garland (die ebenfalls ein Ersatz für die ursprünglich gewnschte Shirley Temple war) in schwarzweiß abgedreht und geschnitten war, entfernten die Bosse der MGM den Song dreimal, weil ihnen der Film für Kinder zu lang erschien. Erst der legendäre Leiter der Musicalabteilung der MGM, Arthur Freed, musste bei dem obersten Chef der MGM, Louis B. Mayer, durchsetzen, dass das Lied erhalten blieb.
Sofort nach seiner Premiere im August 1939 wurde das Lied auf Platten gepresst, und bereits im nächsten Monat waren geschlagene vier Versionen, darunter das Original mit Judy Garland, eine Coverversion von Bing Crosby und Glenn Millers Version mit Ray Eberle, unter den Top Ten, ein wohl nie wiederholter Beweis dafür, wie sehr die Sehnsucht nach einer besseren Welt, die in diesem Lied zum Ausdruck kam, die Stimmung des Publikums im Jahr des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs traf. Nicht zuletzt deswegen wurde der Song im Jahr 2004 vom American Film Institute zum besten Filmsong aller Zeiten gewählt, nachdem ihn vier Jahre zuvor schon die amerikanische Plattenindustrie zum besten Song überhaupt gekürt hatte.
Die Zahl der späteren Aufnahmen des Liedes ist Legion, auch wenn viele Sängerinnen lange zögerten, dieses Erkennungslied von Judy Garland zu singen oder gar einzuspielen. Zu ihnen gehörte lange Zeit Judys Tochter Liza Minnelli, bis die beiden in einem gemeinsamen Fernsehauftritt den Bann brachen - beinahe jedenfalls: "
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Wiederum eine der besten Versionen, trotz starker Konkurrenz u. a. durch Aretha Franklin oder Jane Monheit, stammt von Ella Fitzgerald aus ihrem Harold Arlen Songbook, für das sie auch die selten aufgenommenen Verse des Liedes aufnahm:
When all the world is a hopeless jumble
And the raindrops tumble all around
Heaven opens a magic lane
When all the clouds darken up the skyway
There's a rainbow highway to be found
Leading from your windowpane
To a place behind the sun
Just a step beyond the rain
Somewhere over the rainbow...
Hier könnt Ihr ihn hören: "
Instrumentale Versionen gibt es ebenfalls viele, etwa von Glenn Miller und Stan Kenton, aber die zu sammeln und zu würdigen, überlasse ich gerne Euch.
Letztlich führt kein Weg an dem Film selbst vorbei, den man immer wieder mal ansehen sollte um sich in das zauberhafte Land am anderen Ende des Regenbogens versetzen zu lassen, in dem es kluge Heuschrecken, mitfühlende Büchsenmänner und ängstliche Löwen gibt, und wo ein großer Zauberer sich als ein grotesker Schwindler herausstellt, aber eine Weisheit beherrscht: um etwas zu erreichen, muss man es zuallererst ganz fest wollen.
Rideamus