Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll – Werk und Einspielungen
Die Entstehung
Der Karajan-Biograph Richard Osborne hat es trefflich formuliert:
"Bruckners Achte ist so etwas wie der Mount Everest unter den Sinfonien des 19. Jahrhunderts." (Osborne, Richard: Karajan dirigiert Bruckner und Ouvertüren der deutschen Romantik. Begleittext zur Karajan-Aufnahme 1957, EMI 2005)
Tatsächlich ist die letzte vollendete Symphonie Bruckners von einem Umriss, wie nichts vor ihr. Ich will jetzt nicht allzu viel zur Entstehung sagen, schließlich steht das in (fast) jedem Begleitheft. Aber ein bisschen muss schon sein.[Blockierte Grafik: http://www.das-klassikforum.de/images/smilies/biggrin.gif]
Bruckner begann die Arbeit an seiner Achten im Juli 1884 und schloss die Rohfassung im August 1885 ab. Es begann die Orchestrierung, die er am 03. Juli 1887 abschloss. Inzwischen hatte er auch die Gesamtanlage verändert, indem er die Position von Scherzo und Adagio tauschte. Im September desselben Jahres schickte Bruckner eine Kopie der Partitur an Hermann Levi, wobei die erhoffte Reaktion ausblieb.
Im März 1889 begann Bruckner eine Umarbeitung der Symphonie, die er im März 1890 abschloss. Nach einigen Startschwierigkeiten wurde die Symphonie dann 1892 veröffentlicht.
Auch das Werk zur erstmaligen Aufführung zu bringen war nicht ohne Probleme. Levi gab seit 1890 keine Konzerte mehr in München und Felix Weingartner, der erst zugesagt hatte, das Werk zu dirigieren, schob immer neue Gründe vor, um die Aufführung zu umgehen. Schließlich wechselte er nach Berlin. Levi gegenüber gestand er, dass das Werk für das Orchester und für ihn zu große Schwierigkeiten mit sich gebracht hätte.
Schließlich erklärte sich Hans Richter bereit, das Werk in Wien mit den Philharmonikern aufzuführen. Am 18.12.1892 kam es dann zur Uraufführung.
Die Fassungen
Die Achte bringt ein nicht zu vernachlässigendes Fassungsproblem mit, das aus den Umarbeitungen Bruckners resultiert.
Hier ein grober Überblick
Originalfassung 1887 (hg. von Leopold Nowak 1972)
- hier endet der erste Satz im Fortissimo
- hier steht der Höhepunkt des Adagio noch in C-Dur, später dann in Es-Dur
Alternativfassung des Adagio 1888 (nicht veröffentlicht)
Fassung 1890 (hg. von Robert Haas 1939)
- Haas stellte eine Mischfassung aus den unterschiedlichen Versionen 1887/1890 zusammen, in die er auch selbst kompositorisch eingriff. Obwohl dieses Vorgehen kaum als wissenschaftlich gelten kann, wird die Version auch heute noch viel gespielt. (Georg Tintner im Begleittext zu seiner Aufnahme der Originalfassung 1887 der Achten und der „Nullten“ 1996, Naxos 1998, S. 3: „Robert Haas, the brilliant first editor of Bruckner’s original scores, claimed to know which changes were imposed on Bruckner in this symphony and which of those he himself felt the need for; his version presents the ‘best of both worlds’. He restores sections that were excised from the 1887 version which he rightly considered essential. However his method may be objected from the ‘scientific’ point of view, his is the best of the three versions.”
Ähnliche Gründe führt laut Ewald Markl Pierre Boulez an, um zu begründen, warum seine Wahl auf die Haas-Version fiel: "Natürlich stellt sich bei der Wiedergabe einer Bruckner-Symphonie stets die Frage, welche Fassung zu bevorzugen sei. Eine Frage mit der sich auch Pierre Boulez konfrontiert sah. Er entschied sich für die Haas-Fassung, weil ihm die Striche der Nowak-Version unnötig erscheinen. 'Das stört manchmal die Symmetrie, die Logik und die Konstruktion.'" )
-ganz besonders relevant sind seine Änderungen das Adagio und das Finalebetreffend
Fassung 1890 (hg. von Leopold Nowak 1955)
- setzt sich von Haas deutlich ab: „Der in der 1. Auflage 1939 von Robert Haas eingeschlagene Weg, an einzelnen Stellen auf die erste
Fassung zurückzugreifen, konnte nicht beibehalten werden, weil er irreführende Folgen nach sich zog. Man darf nach den Grundsätzen einer kritischen Gesamtausgabe nicht verschiedene Quellen vermischen; eine so entstandene Partitur entspricht weder der einen noch der anderen Fassung und damit auf keinen Fall dem Willen Bruckners. Es wurden daher alle von Bruckners Hand im Adagio und im Finale verfügten Kürzungen, soweit sie Haas in der 1. Auflage ‚aufgemacht’ hatte, wieder eingeführt. [...] Die Mischungen konnten gleichfalls nicht stehen bleiben, zumal ja alle Korrekturen im Autograph von Bruckner herrühren und keinerlei fremde Hände nachweisbar sind. Daß der Meister hierin den Ratschlägen seiner Freunde folgte, ist hier wie anderwärts eine Tatsache, mit der man sich abfinden muß, die man aber, sobald Bruckner eigene Handschrift vorliegt, nicht abändern darf.“ (Leopold Nowak im Vowort zu: Anton Bruckner Gesamtausgabe. VIII. Symphonie c-moll. Fassung 1890. Wien 1955.)
Fassung 1892 (Schalk/von Oberleithner/Bruckner; Edition Haslinger-Schlesinger-Linau)
- Aufführungsversion, die im Wesentlichen Änderungen in Instrumentation und wenige Kürzungen vornahm.
The 1892 version contains some slight revisions made by Josef Schalk andMax von Oberleithner that may have been subsequently approved by Bruckner. Also, some of the revisions could have been made by Bruckner. Among the changes are alterations in length in the Finale: measures 93-98 of the 1890 Finale are cut, and measures 519-520 of the 1890 Finale are repeated. There are also some changes in orchestration and dynamics. But at least one modification suggested by Schalk and Oberleithner--a large cut in the Finale--was rejected by Bruckner. The cut in the Finale's exposition (measures 93-98) is similar to, but not identical to, a cut that Bruckner made in the recapitulation. If the cut in the 1892 printing corresponded to measures 89-98, then the cuts in the exposition and recapitulation would be identical. "http://www.bruckner.webs.com/versions.html#sym8" Quelle
Und:
Revised version of 1892, prepared for the publication of the First Edition by Robert Lienau, in that same year. Further cuts were made at the suggestion of Schalk, who also introduced changes of dynamics, phrasing, and orchestration. This was the version played in the first performance, by Hans Richter, in Vienna on December 18, 1892. "http://www.unicamp.br/%7Ejmarques/mus/bruckner-e.htm#8" Quelle
Ein Programm?
Bruckner hat Aussagen bezüglich eines den einzelnen Sätzen unterliegendes Programms gemacht. Natürlich gibt es nicht nur unter Bruckner-Freunden, sondern auch in der Fachwelt immer wieder die Diskussion, ob dieses „Programm“ ernst zu nehmen sei. Die Diskussion gleich hier in der Eröffnung aufzurollen, würde den Rahmen sprengen, darum hier nur die programmatischen Aussagen selbst:
„Im 1. Satze ist der Trop. – und Cornisatz aus dem Rhythmus des Thema: die Todesverkündigung, die immer sporadisch stärker endlich sehr stark auftritt, am Schluß: die Ergebung.
Scherzo: Hpth.: Deutscher Michel genannt; in der 2. Abtheilung will der Kerl schlafen, u. träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um.
Finale. Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaraen in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfare, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; (komisch), wie bei Thannhäuser im 2. Akt der König kommend, so als der deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist alles schon im Glanze. Im Finale auch der Totenmarsch u. dann (Blech) Verklärung.“ (Brief Bruckners an Weingartner vom 27. Januar 1891)
Bezüglich des Adagios:
„Über das 1. Thema des 3. Satzes, des mit über 26 Minuten Aufführungsdauer wohl längsten Adagio der Musikgeschichte, soll der Meister gesagt haben, da habe er ‚einem Mädchen tief in die Augen geblickt.’“ (Martin Geck: Von Beethoven zu Mahler. Hamburg 2000. 397.)
Die Einspielungen
Ich besitze - selbst wenn es nicht so aussieht - "nur" einen kleinen der "http://www.abruckner.com/discography/symphony8incminor/" Diskographie und es gibt noch immer die ein oder andere Aufnahme, die mich wahrhaftig interessiert. Folgende Einspielungen liegen mir vor, wobei alle für mich ganz unterschiedliche Qualitäten haben.
Furtwängler (1949) 15.17 / 14.14 / 25.13 /22.22 (Ed. 1890, Ed Furtwängler/Haas)
Karajan (1957) 17.05 / 16.04 / 27.31 7 26.17 (Version 1890, Ed. Haas)
Mravinsky (1959): 14.57 / 13.11 / 23.07 /22.25 (Version 1890, Ed. Haas)
Jochum (1964): 13:36 / 13:54 / 26:35 / 19:49 (Version 1890, Ed. Nowak)
Solti (1966): 15:25 / 14:53 / 25:13 / 21:10 (Version 1890, Ed. Nowak)
Horenstein (1970): 15.41 / 14.47 / 25.30 / 25.11 (Version 1890, Ed. Haas)
Kegel (1975): 15:54 / 14:49 / 24:03 / 23.50 (Version 1890, Ed. Haas)
Böhm (1976): 14.51 / 14.23 / 27.47 / 23.00 (Version 1890, Ed. Nowak)
Wand (1979) 15.44 / 15.04 / 26.10 / 24.24 (Version 1890, Ed. Haas)
Inbal (1982): 14:01 / 13:26 / 26:47 / 21:09 (Version 1887, Ed. Nowak)
Tennstedt (1983): 14.16 / 14.01 / 26.02 / 21.03 (Version 1890, Ed. Nowak)
Giulini (1984): 17.07 / 16.25 / 29.24 / 24.36 (Version 1890, Ed. Nowak)
Rögner (1985): 12:34 / 13:19 / 26:21 / 22:45 (Version 1890, Ed. Haas)
Karajan (1988): 16:56 / 16:25 / 25:13 / 23:59 (Version 1890, Ed. Haas)
Maazel (1989): 16:05 / 14:09 / 25.53 / 23:24 (Version 1890, Ed. Nowak)
Celibidache (1993): 20:56 / 16:05 / 35:04 / 32:08 (Version 1890, Ed. Nowak)
Skrowaczewski (1993) 15:30 / 16:02 / 28:14 / 22.23 (Version 1890, Ed. Nowak)
Sinopoli (1994): 17:19 / 15:19 / 27:52 / 25:20 (Version 1890, Ed. Nowak)
Haitink (1995) 16.48 / 15.04 / 27.26 / 23.47 (Version 1890, Ed. Haas)
Boulez (1996): 15.08 / 13.39 / 24.52 / 22.19 (Version 1890, Ed. Haas)
Tintner (1996) 17.41 / 15.14 / 31.10 / 25.10 (Version 1887, Ed. Nowak)
Meinen Favoriten gebe ich hier (noch) nicht preis. Allerdings bin ich insgesamt eher ein Freund der ruhigen Herangehensweise, besonders wenn der Dirigent in der Lage ist, die ruhigen Tempi durchzuhalten (besonders im Scherzo und im Adagio). Des Weiteren bin auch ich – trotz der editorischen Bedenklichkeit - eher ein Freund der Haas-Version, die ich besonders im Adagio als ausgesprochen ausgewogen empfinde.
So, vielleicht entspinnt sich ja eine interessante Diskussion!
Agravain