Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll – Werk und Einspielungen

  • Ergänzende Entgegnung zu Dons Vorhaltungen:

    Zitat

    Ich verstehe überhaupt nicht, warum es skurill, putzig oder (wie ein Folgeposting nahelegt) nur durch Altersdemenz erklärlich sein soll, wenn man in einem musikalischen Werk den Widerschein des Göttlichen entdeckt. Jedem hier, bitte sehr, seine Gottferne, der sie für nötig hält (bis zuletzt halten eh die wenigsten sie durch), aber ich finde es unpassend, diejenigen zu beleidigen, die mit ihrem Gott auf gutem Fuße stehen.

    Es geht nicht um die Demonstration von angeblicher oder tatsächlicher Gottferne (was ist das überhaupt für ein absurder Vorwurf), sondern um Skepsis gegenüber der Instrumentalisierung von Bruckners Musik als "ästhetischen Gottesbeweis". Und wer wurde denn überhaupt beleidigt ? Vernüftiger wäre es seinen „Gott“ etwas mehr abrüsten und nicht sofort beleidigt zu reagieren, wenn seine „metaphysischen“ Vorstellungen nicht in gleicher Weise geteilt bzw. widersprochen werden.

    Zitat

    (bis zuletzt halten eh die wenigsten sie durch)

    Da hast du jetzt leider einen empfindlichen Nerv von mir getroffen. Deshalb eine harsche Entgegnung gegen diese Anmerkung: Diese Art der „Metaphysik“, die sich in diesem Zitat ausdrückt, versucht ihre ausgezehrte Leiche – weil kaum oder gar keinen eigenen Inhalts mächtig –vampirartig aus Not, Todesangst und Siechtum aufzumöbeln (anders kann ich dieses kurze Zitat nicht verstehen); entsprechend der borniert-beschränkten Stammtischparole: Not lehrt Beten ! Diese „Metaphysik“, die sich aus solch' armselig anmutenden Argumentation speist, hat sich bereits von selbst erledigt bzw. desavouiert.
    Sollte aber diese Bemerkung anders gemeint gewesen sein, nehme ich diese Vorhaltungen natürlich sofort zurück.

    Zur Wiedergabe von Bruckners 8. Sinfonie mit den Wiener Philharmonikern unter Giulini.
    Ich habe diese mir vor ein paar Monaten mir mal reingezogen und in der Erinnerung sind mir die Ecksätze daraus sehr gut hängengeblieben. Vor allem wie differenziert im 4. Satz die Streicher aufspielen, fand ich beeindruckend. Dieser wirkt auch nicht so dröhnend wie in einigen anderen Wiedergaben. Beim Mittelteil des Scherzos bevorzuge ich andere Wiedergaben, und das Adagio ist mir in den Tempi teilweise zu verschleppt, sodass in manchen Passagen eine „dröhnende“ Feierlichkeit sich einstellt, die mir nicht sonderlich behagt und mich lange Zeit vor Bruckners 8. Sinfonie abgeschreckt hatte, inzwischen ist aber ein Sinneswandel eingetreten..

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • „Rundfunk Rögner“ hieß er in der DDR und ist heute – scheint’s – nicht mehr so recht en vogue. Heinz Rögner hat den größeren Teil der Brucknerschen Symphonien mit dem RSO Berlin eingespielt und seine Aufnahmen sind mittlerweile für’n Appel und ’n Ei bei Berlin Classics zu haben.

    Wie bei allen Bruckner-Aufnahmen Rögners zeichnet sich auch seine Einspielung der Achten durch Geschwindigkeit aus, was sich aus meiner Perspektive für diese Symphonie Bruckners allerdings nicht so recht anbietet. Bei der Neunten finde ich das überzeugender (demnächst vielleicht mehr dazu in einem entsprechenden Thread). In der Achten also (speziell im ersten, zweiten und streckenweise auch im letzten Satz) führt sein „High-Voltage“-Dirigat zu einem Höchstmaß an innerer und äußerer Unruhe, was ich als grundlegenden Interpretationsansatz für diese Symphonie nicht wirklich überzeugend finde, wenngleich ich mich selbst auch ab und zu dabei erwische, dass ich beim Hören dieser Aufnahme – Grundsätze hin oder her – mit Rögner in den Rausch der Geschwindigkeit verfalle. Allerdings überschreitet Rögner doch nicht selten das für das Orchester noch Leistbare, z.B. im Finale, in denen die Trompeten ab T. 10 ihre Sechzehntel nicht mehr wirklich präzise spielen können. Das ist schlicht nicht schön. Insgesamt fallen mir aus diesem Grund am Ende zu viele Details unter den Tisch. Hinzu kommt: bestimmte Passagen klingen so flott einfach nicht.

    Wer nun aber auch ein besonders flottes Adagio erwartet, der liegt überraschenderweise falsch. Nimmt Rögner die großen langsamen Sätze der Symphonien Sieben und Neun ebenfalls deutlich zügiger als seine Kollegen, so gehört das Adagio der Achten mit 26:21 eher ins Mittelfeld. Tatsächlich ist es eine der besten Wiedergaben des Satzes, die mir bisher untergekommen ist. Insgesamt nimmt Rögner den Satz eher lastend, dunkel und grüblerisch. Schon vom ersten Ton des Streichersatzes an wird deutlich, dass er die schwebende, ein wenig transzendente Spielweise, die für diesen Satz häufig gewählt wird, nicht übernimmt. So sind auch die hellen Momente, die der Satz birgt, eher kurze Aufhellungen, die dann immer wieder im Dunklen versinken. Das wirkt wie ein musikalisches Chiaroscuro und ist sehr beeindruckend. Am besten gefällt mir die Passage N – Q (Haas) und der komplette Abgesang, der in seiner Entrücktheit schon sehr nahe an Jochums Berliner Aufnahme ist.

    :wink: Agravain

  • Ich traue es mich kaum zu schreiben, aber die von Dir, lieber teleton, favorisierte Aufnahme der Achten unter Karajan aus dem Jahre 1975 empfinde ich eher als durchschnittlich. Allerdings kann ich mittlerweile, da Du die Eckpunkte "Deines" Bruckners hier und andernorts ja schon recht klar umrissen hast, nachvollziehen, was Du an ihr magst, nämlich das Wuchtige, Zupackende, oft deutlich nach vorn Drängende. Ganz ähnlich verfährt ja auch Solti und Du weißt ja, da bin ich vielleicht Banause, mir liegt dessen Wiener Achte ja auch nicht (von den Aufnahmen mit dem CSO kenne ich nur die Siebte, die mir im Übrigen recht gut gefällt). Nun eine kurze Erklärung zu meiner Einschätzung.

    Ich kann mich beim Hören dieser Einspielung Karajans an unterschiedliche Dinge nur schlecht gewöhnen. Zum einen gefällt mir der Klang nicht so recht. Die Berliner sind hier unheimlich scharf, ja fast schneidend eingefangen (zB. Adagio T. 235 ff.). Ich habe immer das Gefühl, dass man mit dem Trompetenklang Glas schneiden könnte, würde man es nur versuchen. Nicht, dass ich grundsätzlicher Feind eines brillianten Sounds wäre, wahrhaftig ist es nicht an dem, aber das hier ist tontechnisch keine Glanzleistung. Zum zweiten scheint mir diese Aufnahme vom Interpretationsansatz her nicht so recht ausgereift. Während die 1957er-Aufnahme des noch einigermaßen frischgebackenen Chefs der Berliner ja – wie ich weiter oben schon sagte – etwas durch und durch Bedrohliches hat, so ist seiner späte Wiener Version ja um ein Gutteil milder, feiner zieseliert, abgeklärter, ja verklärter. Der 1975er Aufnahme fehlt in meinen Ohren ein benennbarer Charakter. Es ist, als sei Karajans Interpretation auf dem Weg von irgendwoher nach irgendwohin, also noch nicht an einem bestimmten Ort angekommen. Darum scheint er auch Dinge ausprobieren zu wollen, die er vorher (und nachher) anders bzw. nicht so macht wie hier. Es gibt stärkere Temposchwankungen und auch insgesamt größere Extreme. Beispiele: Das Trio ist mir viel zu flott, im Adagio schwankt mir das Tempo auch zu oft und Passagen im Finale sind so zügig, dass es schon fast etwas heruntergespielt wirkt. Die Frage der Dynamik führt mich zum dritten Punkt. Auch hier ist die Aufnahme ziemlich extrem, ja schon fast so extrem, dass ich Karajans Darstellung plakativ nennen könnte. Sicher, in der Haas’schen Ausgabe des Werkes steht am Höhepunkt des Adagio nicht die Bemerkung „etwas bewegter“, sodass es durchaus legitim ist, die Stelle etwas breiter zu nehmen. Karajan drosselt hier auch recht deutlich. Doch nimmt er die Stelle nicht nur recht breit, sondern auch weit lauter als fff, fffff würde ich – rein gefühlt ( :D ) - sagen. Und da scheint er mir doch etwas über’s Ziel hinaus zu schießen. Momente wie diese können manch einem HvK schon vermiesen.

    Daneben fallen immer wieder Phrasen einzelner Stimmen unter den Tisch, die ich persönlich gern gehört hätte. Nun hört sich das womöglich deutlich übler an, als es gemeint ist, gerade, wenn der eigene Favorit bekrittelt wird. Tatsächlich ist aber auch eine Menge gut anzuhören. Die anderen beiden mir vorliegende HvK-Interpretationen überzeugen mich halt mehr. Hier – um es noch einmal zu betonen – haben wir hingegen meines Empfindes nach keine Aufnahme, die ein Ergebnis formuliert, sondern eine, die mehr wie ein „work in progress“ wirkt.

    :prost: Agravain

  • RE: Bruckner 4 mit Karajan DG, 1975

    Zitat


    Allerdings kann ich mittlerweile, da Du die Eckpunkte "Deines" Bruckners hier und andernorts ja schon recht klar umrissen hast, nachvollziehen, was Du an ihr magst, nämlich das Wuchtige, Zupackende, oft deutlich nach vorn Drängende.


    Hallo Agravain,

    Danke für deine präzisen Eindrücke.

    Ja, stimmt genau und deshalb habe ich auch die von Dir so bewunderte späte Karajan-Aufnahme nie zum Kauf in Betracht gezogen, weil sie mir, genau wie Du schreibst, um ein Gutteil zu mild, feiner zieseliert, abgeklärter, ja verklärter; ich würde noch hinzufügen altersmild erschien.

    Ich war halt inzwischen von der 1975er-Aufnahme quasi geprägt. Hätte ich die 1957er(die ich gar nicht kenne) oder die 1988er zuerst kennengelernt, wäre es vielleicht anders gelaufen - ähnlich wie bei dir. Das Karajan hier DG 1975 nicht weit von Solti/Wien Decca 1966 entfernt ist kommt meinem Geschmack da halt auch sehr entgegen.


    :?: :!: Umso mehr daher auch meine Verwunderung über Tamas Ablehnung zu Karajan. Vermutlich wird ihm Krajan DG 1975 auch mehr zusagen, als seine übermäßiger Verriss der weiner Aufnahme hier zeigt !??!


    Klang der Aufnahme Karajan DG, 1975:

    Ich finde übrigens den Klang bei DG 1975 gar nicht so schlecht, wie Du es empfindest. Die Bläser kommen zwar knallhart, aber packend. Vielleicht gibt es auch Unterschiede bei den CD-Ausgaben. Ich habe nämlich nicht die von Dir abgebildete DG-Galleria-CD, sondern die CD-Erstausgabe mit den silbernen Strahlen auf dem Cover; noch bevor es die Karajan-GA gab; ohne Remastering in gutem AAD. Die Analogtechnik war doch in dieser Zeit von Mitte der 70er (bis dann 1979 die Digitaltechnik einsetzte) auf der höhe ihrer Klangmöglichkeiten !

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

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    Jascha Horensteins Interpretationen beeindrucken mich in der Regel. Wenn ich an seine seine Einspielung des „Lieds von der Erde“ denke – grandios. Das war überhaupt meine Erstbegegnung mit ihm und das Weitere, was ich mir im Anschluss erstastet habe, hat mich in der Regel fasziniert. Es war dann für mich schnell klar, dass ich seine Bruckner-Interpretationen hören musste. Mit der Achten ging es los.

    Und tatsächlich handelt es sich auch bei diesem Live-Mitschnitt um eine in weiten Teilen höchst eigenständige und mitreißende Darstellung dieser Symphonie. Dabei sind es im besonderen die Ecksätze, die ich geradezu spektakulär finde. Was Horenstein da streckenweise macht, das sucht schon seinesgleichen. Zwar kommen mir zB im ersten Satz verschiedene Passagen etwas zu leichtfüßig daher (so ab T. 67 oder ab ab T. 81 oder die Achteltriolen in T. 127), an anderen Stellen jedoch fängt Horenstein wirklich an zu zaubern. So sind sein recht langsames Tempo bei Buchstabe „D“ und das sich anschließende accelerando schon sehr spannungsvoll, T. 140 nimmt er dann fast langsamer als Celibidache, sodass ein plötzlicher Moment fast totaler Leere entsteht. Oder: in T. 217 ist p notiert, zusammen mit der Anweisung poco a poco cresc. Dies ist ohnehin eine angespannte Stelle, aber Horenstein macht etwas ganz Unorthodoxes: er lässt die Pauken kein poco a poco cresc. spielen, sondern ab 218 ein subito f. Resultat: fantastisch, sehr herb, fast gnadenlos.

    So könnte ich weiter machen. Und das mache ich dann auch einfach. ( :D )

    Mit dem Scherzo/Trio und dem Adagio geht Horenstein weniger individuell, sondern ganz traditionell um. Allerdings gelingt Horenstein – und man muss ja auch bedenken, dass das live ist – im Adagio ein Abgsang, wie er schöner kaum sein kann. Besonders die letzten drei Takte, die Horenstein ganz außergewöhnlich langsam nimmt, stoßen die Tür auf in Richtung Ende Mahler 9. Und dann das Finale. Das ist nicht solide, das ist so, wie es sein soll. So wird beispielsweise sehr genau umgesetzt, was Bruckner notiert hat, will sagen, wenn bei Buchstabe „I“ für die Streicher nicht gebunden notiert ist, dann wird nicht gebunden gespielt. Hört sich simpel an, ist es - so zeigt es die Hörerfahrung - wohl aber nicht. Ab Buchstabe „N“ wachsen Horenstein und das LSO dann über sich hinaus. Selten habe ich das martialischer gehört, besonders auch, weil die Kraft, die hier eingesetzt wird, ganz natürlich und wenig plakativ wirkt. Oder der Streicherchoral ab „Q“ – ganz langsam, ganz entrückt, ohne dass in pseudoreligiöser Weihe geschwelgt würde. Das sind Momente, die diese Einspielung unersetzlich machen.

    Rein tontechnisch gesehen, gibt es sicher perfektere Einspielungen. So gibt es ein recht starkes Bandrauschen, viele Huster und ein Publikum, dass sich am Ende kaum noch auf den Stühlen halten kann und schon einen Sturm der Begeisterung loslässt, als der letzte Ton noch klingt. Zudem scheint mir das Stimmverhältnis nicht immer ausgewogen, hier und da fallen Einzelstimmen unter den Tisch. Was mir indessen gefällt ist, dass die Trompeten den Blechbläserapparat nicht allzu stark dominieren und dass auch die tiefen Bläser gut zu hören sind. Allerdings merkt man schon einen Qualitätsunterschied - gerade im Bläserbereich -, wenn man gerade eine Aufnahme mit den Wienern gehört hat: der Ansatz, der Ton an sich, ob nun Blech (Posaunen) oder Holz (Oboe, Klarinette), da liegen einige Meter zwischen.
    Dafür ist nichts an Horensteins Einspielung (studio-) steril. Im Gegenteil: sie ist eine vor Intensität nur so strotzende.

    :wink: Agravain

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    Was für eine interessante Aufnahme. Und was für eine Schande, dass Pilz sie letztmalig 1990 aufgelegt hat, mit einem Cover, das eine Billigaufnahme à la Alfred Scholz bzw. "Best of Grabbeltisch" suggeriert. Eine Schande, wirklich. So etwas gehört in die vorderen Reihen der Bruckner-Platten und -Ausgaben oder zumindest in eine umfassende Kegel-Ausgabe, der auch hiermit wieder einmal zeigt, dass er als Dirigent einer unter den großen seiner Zunft war. Sein Bruckner ist nicht so nervös-analytisch wie viele seiner Einspielungen, sondern überraschend breit:

    15:54 / 14:49 / 24:03 / 23.50.

    Die Aufnahme entstand zwischen dem 13.-19. März 1975, Kegel spielt nach Haas und das höchst eindrucksvoll. Mich begeistern besonders die ersten beiden Sätze. Der erste Satz wird sehr wuchtig und düster genommen, es werden stets sehr scharfe, bedrohlich klingende Streichertremoli gespielt, Kegel nimmt Passagen, die viele Dirigenten zum Eilen anregen eher langsam, ja gewichtig, und der Höhepunkt (T.368 ff) wirkt wie ein existenzieller Aufschrei, ganz ähnlich dem letzten Ausbruch im Adagio der Neunten.

    Der zweite Satz ist sehr "michel-mäßig". Kegel nimmt das Hauptthema nicht so leicht wie viele andere Dirigenten, die eher auf den tänzerischen Charakter abheben, sondern schwer, erdverbunden, in den Fortissimoausbrüchen gefährlich. Mich erinnert Kegels Darstellung an eine berühmte Darstellung des deutschen Michels, die kurz nach der 48er Revolution entstand und zeigt, dass dieser nicht nur der behäbig-verträumte Koloss ist, sondern eben auch ein gefährlicher, ja gewalttätiger, wenn er gereizt wird:

    [Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/97/Michel_und_seine_Kappe_im_Jahre_48.jpg/350px-Michel_und_seine_Kappe_im_Jahre_48.jpg]
    (Quelle: wikipedia)

    Beim Adagio springt für mich nicht so recht der Funke über, wenngleich Kegel, eine recht detailgenaue Wiedergabe vorlegt. Insgesamt lässt er sehr weich spielen und notierte Akzentuierungen werden eher selten deutlich umgesetzt, sodass der Satz einen für Kegel recht ungewöhnlichen wattigen Charakter hat. Hinzu kommt, dass die wichtige Tenor-Tuba in der Vorstellung eines der Themen keinen schönen, leicht wabernden Ton produziert. Hört sich ein bisschen nach Musikantenstadel an. :stumm:

    Das Finale gelingt wieder ordentlich, erreicht aber in meinen Ohren nicht die spektakuläre Vehemenz des Beginns.

    :wink: Agravain

  • Mit dieser Aufnahme geht es mir wie mit vielen, die Haitink vorlegt und vorgelegt hat. Ich traue mich kaum etwas dazu zu sagen, weil sich meine „Kritik“ höchst subjektiv ist, sich darum zugegebenermaßen nur schlecht nachvollziehen lässt und schon oft (an anderen Stellen) größten Unmut hervorgerufen hat. Doch will ich – der geneigte Leser möge dies im Hinterkopf behalten - weniger provozieren als Eindrücke beschreiben.
    Tatsächlich präsentiert uns Haitink auch in dieser Aufnahme eine ganz hervorragende Umsetzung der Partitur der Achten Bruckners. Selten hört man eine solche ausgewogene, genaue, ja buchstabengetreue Umsetzung des Werkes. Haitinks Abstufung der dynamischen Anweisungen ist vorbildlich, ein mf ist nie ein f, ein pp stets ein pp, ein fff stets ein fff. Auch die Wahl seiner Tempi ist glänzend, die Hörbarkeit solcher Anweisungen wie „zart“ oder „markig“ geradezu erschreckend gut. Man könnte meinen, dies müsse der perfekte Bruckner sein und ich bin der festen Überzeugung, dass er es für viele Hörer auch ist.
    Für mich indes nicht.
    Natürlich wird hier handwerklich herausragend gearbeitet, aber trotzdem fehlt mir etwas. Denn mit der handwerklichen Präzision schleicht sich auch eine gewisse Glätte ein, die mich am Ende immer wieder unbefriedigt zurücklässt. Was sich beispielsweise beim Hören der Interpretation Haitinks bei mir nicht einstellt, ist das Gefühl sagen zu können: Das und das ist das spezifisch Haitiksche an der Darstellung. Denke ich da beispielsweise an Horenstein, der an so vielen Stellen – bspw. im ersten Satz - ganz bewusst interpretiert, oder an Celibidache, dessen Auslegeung individueller kaum sein könnte, dann komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass dergleichen Haitink (hier?) abgeht. Sicher, auch dies ist eine Auffassung von der Rolle des Dirigenten gegenüber dem Werk, und ja, der Künstler soll dem Werk dienen, aber – so meine ganz persönliche Auffassung – er soll auch dienen, nicht nur. Er soll schon seine Spur hinterlassen. Und so bleibt diese Einspielung für mich zwar nicht farblos aber doch irgendwie ohne eigenständigen Charakter. Erschüttern kann sie mich nicht, anrühren nicht, mitreißen nicht. Als musikalisch hochklassige Aufnahme akzeptieren kann ich sie trotzdem.

    :wink: Agravain

  • Wenn ich Mravinskys Aufnahme der achten Symphonie Bruckners höre, stelle ich mir schnell eine ganz bestimmte Frage. Sie lautet: Was soll das? Mravinsky, den man ja sonst eher als Meister der strukturieren, spannungsvollen, präzisen und durchdachten Interpretation preist, liefert hier eine Deutung ab, die zwar nicht durch und durch schlecht ist, sondern - es ist viel fataler - fürchterlich medioker, ja langweilig. Wäre sie so richtig schlecht, dann könnte man wenigstens sagen, dass Mravinsky einen schlechten Tag gehabt haben muss. Doch – man muss sagen – leider eröffnet sich diese Möglichkeit nicht, denn es gibt ja keinen Totalausfall, die Noten werden immerhin gespielt.
    Was dabei herauskommt ist anscheinend interessefrei herunter gespielter, lieblos musizierter Bruckner. Statt den Höhepunkt Brucknerscher Symphonik in allen seinen Farben und Gedanken schillern zu lassen, macht der Dirigent nichts anderes als Dienst nach Vorschrift. Es wird nichts geformt, stattdessen wir recht hölzern Ton an Ton gereiht (z.B. im Finale), es wird keine Spannung aufgebaut (man muss im Vergleich mal Celibidache hören), es wird der Takt geschlagen, mal schnell mal zu schnell, selten mit einem organischen oder gar schlüssigem Effekt. Dafür ist's fast immer zu laut. Nicht mehr und nicht weniger.
    Wo aber wird die wuchtige Architektur des ersten Satzes durchleuchtet? Wo werden die unterschiedlichen Charaktere von Scherzo und Trio sinnhaft gegenübergestellt? Was macht Mravinsky aus der Metaphysik des letzten in einer Apotheose endenden Adagios Bruckners? Was aus dem auf die affirmative Überhöhung des Gesamtwerkes ausgerichteten Finale?
    Nischt.
    Dazu kommt die grauenerregende Klangqualität mit kreischigem Streicherapparat und entweder schreienden oder wabernden Blechbäsern, die immer irgendwie unsauber und unpräzise klingen. Des Weiteren hat die Aufnahme keinerlei Tiefenstaffelung, alles läuft wie auf einer Fläche ab, die eine Stimme verdrängt die andere, Durchsichtigkeit ist nicht gegben, die klangliche Dreidimensionalität Bruckners verpufft. Im „Eben-gehört-Thread“ wird die Neunte unter Mravinsky als hörenswert Aufnahme gelobt. Ich kann mir das fast nicht vorstellen.

    :wink: Agravain

  • RE. Bruckner 8 mit Mrawinsky

    Dazu kommt die grauenerregende Klangqualität mit kreischigem Streicherapparat und entweder schreienden oder wabernden Blechbäsern, die immer irgendwie unsauber und unpräzise klingen. Des Weiteren hat die Aufnahme keinerlei Tiefenstaffelung, alles läuft wie auf einer Fläche ab, die eine Stimme verdrängt die andere, Durchsichtigkeit ist nicht gegben, die klangliche Dreidimensionalität Bruckners verpufft. Im „Eben-gehört-Thread“ wird die Neunte unter Mravinsky als hörenswert Aufnahme gelobt. Ich kann mir das fast nicht vorstellen

    Hallo Agravain,

    Du hast in Deinem Betrag nichr erwähnt, das Mrawinsky´s Aufnahme der Sinfonie Nr.8 von 1959 ist. Die muss ja, gemäß deiner Worte grausam klingen. Da kann man auch klanglich nichts erwarten, denn zu diesem Zeitpunkt haben die russischen Aufnahmetechniker nicht mal gewusst was Stereo ist.

    Mrawinsky´s Aufnahme der Sinfonie Nr.9 scheinst Du nicht zu kennen - sie stammt vom 01.01.1978 LIVE (Brillant) und befindet sich in der Brillant-10CD-Mrawinsky- Box (19,90€). Nach Deiner Enttäuschung mit der Sinfonie Nr.8 kannst Du Dir gar nicht vorstellen, das diese herausragend sein soll !?! :thumbup: Sie ist es tatsächlich. Ich denke Mrawinsky hat 19Jahre später eine größere Bruckner-Erfahrung hinter sich gebracht und setzt diese Erfahrung in eine packende, umwerfende und wuchtige Interpretation um. Er bietet kein Wiener Schmäh und so mancher Wiener wird sich beim Hören unwohl fühlen, weil es so gar nicht Bruckner-typisch wie aus dem heimischen Österreich klingt. Ich finds hingegen wahnsinning !

    Die Klangqualität ist hier auch nicht ganz proffessionel, wie aus dieser Zeit bei DG und Decca gewohnt, die auf der Höhe der Analogqualität angekommen waren, aber in gutem Stereo mit klarem Panorama.

    Du solltest diese Brillant-Aufnahme unbedingt erwerben und deine Eindrücke dazu schildern. Das ist von Dir immer sehr interessant und von mir gerne gelesen. ((Die Brilli-Box hält neben klanglichem Schrott auch noch zwi andere Leckerbissen bereit - Tschaikowsky und Schostakowitsch´s Fünfte, beide von 1982 !))

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang


  • Nein, das stimmt ganz und garnicht! Obwohl ich kein Karajan-Fan bin, dennoch gibt es schon viel, was ich sehr wohl mit ihm sogar sehr mag (Rosenkavalier, Parsifal), ich finde diese ganz spezielle Aufnahme einfach ganz misslungen.

    Ich habe ja erklärt, was ich an Soltis Bruckner-Interpretationen schätze (die Nullte und die Erste sind übrigens meine liebsten mit ihm). Mein Problem mit Karajan war ja keineswegs der Lautpegel. Mir war seine Interpretation einfach zu forciert patetisch:
    nicht dass ich es nich leidenschaftlich mochte - gerade wie das Solti macht, also mit einem rauheren, trockeneren Klang (seine Aufnahme ist ja sowas von transparent, dass man denkt, hier spiele ein kleinbesetztes HIP-Orchester! Einfach wunderbar!).

    Da ich aber mir Bruckner sehr selten analytisch anhöre, kann ich schwer sagen? diese Stelle oder jene Stelle... ich kann eher nur meinen Gesamteindruck schildern. Und der war bei Karajans Achte mit den Wienern vernichtend.
    :wink:

    Lieber Tamás,
    angesichts dessen müßten wir diskutieren, was Dir an Karajanes "Parsifal"-Versuch gefällt - ich finde, es ist ein unerträgliches "Parsifal"-Zerrbild, pompös, leer, unstrukturiert und langweilig. Aber sei's drum. Wir haben etwas gemeinsam: Wir verehren Karajan nicht, sondern lassen ihn, das entnehme ich Deinen Beiträgen, punktuell gelten.
    Gerade deshalb finde ich Dein Statement zu seiner Einspielung von Bruckners "Achter" etwas befremdlich. Ich halte sie nicht für das Gelbe vom Ei, finde sie aber nicht so grottenschlecht. Karajan war zu diesem Zeitpunkt ein (relativ) alter Mann. Er hatte sich schon zuvor zum Hohepriester der Musik hochstilisiert, und daß er die Achte Bruckner sozusagen zur Weihestunde für sich selbst macht, darf aus dieser Kenntnis heraus nicht verwundern. Gestehen wir Karajan zu, daß er die Achte als ein weihrauchdampfendes Abbild des Himmels betrachtet, wo zur rechten Seite des Vaters Christus sitzt, aber nur, weil Karajan in freiwilligem Bescheiden an der linken Seite des Vaters Platz genommen hat, dann ist diese Zelebration nicht gar so übel. Der Klang ist satt und oberflächlich schön (mir wesentlich lieber als der stumpfe Celibidache-Klang), die Tempi sind insoferne gut gewählt, als daß sie die Steigerungswellen unterstützen. (Ob es ideal ist, Bruckners Steigerungswellen mit jenen Wagners gleichzusetzen, steht auf einem anderen Blatt.) Insgesamt ergibt das eine Interpretation, die weniger auf einem persönlichen Bruckner-Bild aufbaut, sondern Bruckner zum Vorwand einer Selbstverwirklichung nimmt. Das empfinde ich als eitel, Du empfindest es, denke ich, als "blöd". Nur kommt für mich unterm Strich eine akzeptable, an einigen Stellen, etwa im Adagio, sogar schöne Aufführung heraus, der ich nicht all Deine pejorativen Wörter um den Hals binden kann.
    Wenn Du Solti als Dein Ideal ins Treffen führst, wird mir allerdings einiges klarer: Du favorisierst offenbar (ich bitte um Korrektur, wenn ich mich irre) einen relativ kleinteiligen Bruckner-Stil, der den Bauplan der Werke erfahrbar macht. Dagegen habe ich nichts - aber jetzt kommt das große Aber: Solti ist mir zu kleinteilig, zu nervös. Ich habe bei ihm immer wieder das Gefühl, er mischt sich in den Fluß der Musik ein, hier eine Ecke, dort eine Kante, immer springt irgendetwas hervor. Das mag reizvoll sein, aber ich muß gestehen, daß es mich nicht wirklich befriedigt. Übertrieben gesagt: Solti präsentiert mir zuviele klappernde Knochen und zuwenig Fleisch, während Karajan mangels Skelett nur Fleischberge erkennen läßt.

    Ich finde übrigens auch Harnoncourt nicht so gut. Er hat sicherlich den gestalterischen Willen, aber die handwerkliche Umsetzung ist mitunter von eingeschränkter Sauberkeit, speziell dann, wenn die Instrumente schnelle Begleitfiguren ausführen müssen. Wie die mitunter verschwimmen, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Absicht sondern das Resultat eines eben nicht klaren Schlages, mit dem man vielleicht ein 35-Musiker-Ensemble koordinieren kann, aber keines mit 80 Musikern.

    Ich persönliche schätze Kegel sehr und auch Horenstein, die beide ein feines Gespür haben für die Modernität Bruckners, wohl aber auch seine erdgebundene Kraft spüren um umzusetzen wissen. Gerade diese Spannweite, die von Deftigkeit über Seelenqual und naive Gläubigkeit bis hin zu musikgewordener Metaphysik reicht, eröffnet mir Bruckners Symphonie besser als jene Dirigenten, die relativ eindimensional auf Weihe oder auf Kleinteiligkeit oderauf stampfende Erdverbundenheit etc setzen.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Man bedenkt ihn zwar stets mit warmen Worten, gehört wird er jedoch eher selten. So will es mir wenigstens scheinen, kann ich mich doch kaum daran erinnern, in meiner (zugegeben) kurzen Zeit hier, auch nur ein Skrowaczewski-Cover gesehen zu haben. Und dabei ist sein Bruckner doch einer der überzeugendsten auf dem breiten Bruckner-Markt. Die Achte, die 1993 in der Kongresshalle Saarbrücken mit dem RSO Saarbrücken aufgenommen wurde, macht da keine Ausnahme.
    Das ist alles klar strukturiert, was Skrowaczewski dem Hörer hier vor’s Ohr bringt, doch ohne dabei akademisch hunterbuchstabierend zu wirken. Keine überflüssigen interpretatorischen Sperenzchen, aber auch kein bloßes Taktschlagen. Kein weihevolles Wabern, kein zackiges Durchgepresche. Immer natürlicher Fluss, natürliches Anschwellen, natürliches Zurücknehmen, ein Atmen lassen der Musik selbst, keine persönlichen Manierismen, alles stets dem Werk und der Darstellung des großen Ganzen dienend.
    Skrowaczewski lässt sich Zeit das musikalische Gebäude Schicht für Schicht aufzubauen, Entwicklungen aufzuzeigen, Höhepunkte organisch und für den Hörer gut nachvollziehbar aufzubauen, sodass er eine Fähigheit offenbart, die nicht jeder Dirigent mitbringt: er ist im besten Sinne nicht nur Erzieher des Orchesters, sondern auch des Publikums.
    Fazit ist: Ich stehe hier und kann nicht anders. Es bleibt mir nichts übrig, als diese Einspielung rundheraus und rundherum loben zu müssen. Wollte ich mäkeln (was man ja bekanntlich immer kann), so würde ich sagen, dass der Streicherklang des RSO Saarbrücken etwas mehr Ton und Körper haben könnte und dass das Blech bisweilen doch sehr weit vorne ist. Aber seien wir mal ganz ehrlich: das tut der Aufnahme überhaupt keinen Abbruch.

    :wink: Agravain

  • Lieber Agravain,

    so würde ich sagen, dass der Streicherklang des RSO Saarbrücken etwas mehr Ton und Körper haben könnte und dass das Blech bisweilen doch sehr weit vorne ist. Aber seien wir mal ganz ehrlich: das tut der Aufnahme überhaupt keinen Abbruch.


    Leider für mich schon. Ich habe bei Skrowaczewski ein ähnliches Gefühl wie bei dem ebenfalls hochgelobten Tintner auf Naxos: Das sind sehr gute Dirigenten, die ziemlich genau wissen, was sie wollen, und was sie wollen, ist grundvernünftig. Nur können es die Orchester nicht entsprechend umsetzen. Die Streicher bei Skrowaczewski sind für mich ebenso ein Problem, wie das sehr, sehr harte Blech und der irgendwie pfeifende Holzbläserklang. Das ist sicherlich auch eine gute Orchesterleistung, aber sie paßt nicht ganz zu "meinem" Bruckner. Ist schon schön, wenn die Streicher auch mal hart klingen und das Blech mal den Glanz Glanz sein läßt und die Brutalität des Klanges fühlbar macht, aber nur harte Streicher und nur brutales Blech ist mir eine Spur zuwenig, ob nun bei Skrowaczewski oder bei Tintner. Aber wir sind da sowieso bei einem fundamentalen Problem: Die meisten Dirigenten befassen sich zuwenig mit den Klangmöglichkeiten der Instrumente und lassen beispielsweise die Streicher immer völlig gleich klingen. Karajan etwa phrasiert stets zu breit (ergibt Soße), Solti stets zu eng (ergibt Hackfleisch). Harnoncourt will es anders, kann es aber nicht adäquat umsetzen. Bei Kegel und Horenstein habe ich hingegen den Eindruck, daß sie differenzieren.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Lieber Edwin,

    erst einmal freue ich mich, dass Du etwas zu diesem Thread beiträgst, wenngleich mir die etwas holzschnittartige, wohl auf Provokation ausgerichtete Beurteilung mancher Personalstile (der und der Dirigent gestaltet immer so und so, der wiederum so und so, etc. etc. etc.) fremd ist. Ich bin da meist (meist, nicht immer) Relativist ( :D ). Nichtsdestotrotz ist das interessant zu lesen und bisweilen bewegen wir uns sicher nicht so weit voneinander. Während ich Skrowczewski weiterhin grundsätzlich empfehlen würde und den schwarzen Peter eher dem Toningenieur zuschieben möchte (wenngleich Skro ja sein Ok gegeben haben muss), so liegen wir bei Tintner in der Bewertung so in etwa auf einer Linie. Zu der - wie ich ebenfalls finde - für Bruckner eher problematischen Spielkultur des National Symphony Orchestra of Ireland (das ich bei anderer Gelegenheit gar nicht so übel finde) tritt dann noch die 1887er Urfassung, mit der ich - trotz der löblichen Versuche von eben Tintner, Inbal und Frau Young - werkseits wenig anfangen kann. Ich habe ja weiter oben schon alle Hemmungen fallen gelassen und bekannt, dass ich - trotz berechtigter philologischer Bedenken - die Haas-Fassung favorisiere. Auch bei Horenstein bin ich d'accord. Einer der ganz Großen, wenn es um das symphonische Kernrepertoire der Jahrhundertewende geht. Kegels Einspielung wiederum - dessen herbe Interpretationen mich fast immer packen - finde ich nur in Teilen gelungen. Aber das hast Du ja vermutlich oben gelesen.
    Bei mir läuft jetzt wieder einmal Tennstedts Londoner Einspielung, die im Musicweb International ausgesprochen positiv, in der Grammophone hingegen eher gemischt besprochen wurde. Ich selbst werde auch nicht so ganz schlau aus dieser Scheibe. Bei Gelegenheit mehr.

    :wink: Agravain

  • Wenn Du Solti als Dein Ideal ins Treffen führst, wird mir allerdings einiges klarer: Du favorisierst offenbar (ich bitte um Korrektur, wenn ich mich irre) einen relativ kleinteiligen Bruckner-Stil, der den Bauplan der Werke erfahrbar macht. Dagegen habe ich nichts - aber jetzt kommt das große Aber: Solti ist mir zu kleinteilig, zu nervös. Ich habe bei ihm immer wieder das Gefühl, er mischt sich in den Fluß der Musik ein, hier eine Ecke, dort eine Kante, immer springt irgendetwas hervor. Das mag reizvoll sein, aber ich muß gestehen, daß es mich nicht wirklich befriedigt. Übertrieben gesagt: Solti präsentiert mir zuviele klappernde Knochen und zuwenig Fleisch, während Karajan mangels Skelett nur Fleischberge erkennen läßt.

    Ich finde übrigens auch Harnoncourt nicht so gut. Er hat sicherlich den gestalterischen Willen, aber die handwerkliche Umsetzung ist mitunter von eingeschränkter Sauberkeit, speziell dann, wenn die Instrumente schnelle Begleitfiguren ausführen müssen. Wie die mitunter verschwimmen, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Absicht sondern das Resultat eines eben nicht klaren Schlages, mit dem man vielleicht ein 35-Musiker-Ensemble koordinieren kann, aber keines mit 80 Musikern.


    :)

    Lieber Edwin,
    Also, wir wären beim Ziel: es handelt hier letztendlich um persönliche Vorlieben. Gerade Solti mit CSO, oder Harnoncourt, oder Herreweghe (es gibt eine sehr gute Konzertaufnahme, die auf dem Netz kursiert) oder Frau Young mit der Originalfassung, und nicht zuletzt Celibidache sind es, die mich bewegen können. Alle prägnantere, mehr auf Aufbau und Architektur achtende Interpretationen. Karajan macht etwas entschieden anderes und das macht er schon am Anfang klar. Und das gefällt mir garnicht. Meine ersten Bruckner-Erlebnisse hatte ich mit Inbal, Walter und Haitink (seine Siebte mit dem Concertgebouw ist zum niederknien!) - auch Dirigenten, die das Architektonische in Bruckners Werken offenlegen möchten. Bei Karajan habe ich so von den ersten Takten das Gefühl, hier wäre das Werk komplett missverstanden, und nie kommt dann eine Stelle, wo er mich dann doch fesseln könnte - genau im gegenteil ich werde schnell wütend, weil ich das Ganze protzig und oberflächlich empfinde.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • die 1887er Urfassung, mit der ich - trotz der löblichen Versuche von eben Tintner, Inbal und Frau Young - werkseits wenig anfangen kann. Ich habe ja weiter oben schon alle Hemmungen fallen gelassen und bekannt, dass ich - trotz berechtigter philologischer Bedenken - die Haas-Fassung favorisiere.


    Ich hatte eigentlich einzig und allein mit der 3. Fassung der Dritten Probleme (die ich zuerst live gehört hab), bis mich dann Celibidache auch für diese Fassung begeistern konnte. Was ich sagen will: mE muss man die verschiedenen Fassungen nicht als Konkurrenten sehen, sondern als erweiterung. Die 1887-Fassung mit Young war meine größte Bruckner-Erlebnis der vergangenen Jahre - phenomenal, was da geboten wird! Überwältigende Musik!
    Mich verwundert dass du damit "wenig anfangen" kannst. So übergroß sind die Unterschiede auch wieder nicht. Hier eine andere Überleitung, da geht's in eine andere Richtung, aber in sich beide doch recht logisch. Oder?

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Die 1887-Fassung mit Young war meine größte Bruckner-Erlebnis der vergangenen Jahre - phenomenal, was da geboten wird! Überwältigende Musik!
    Mich verwundert dass du damit "wenig anfangen" kannst. So übergroß sind die Unterschiede auch wieder nicht. Hier eine andere Überleitung, da geht's in eine andere Richtung, aber in sich beide doch recht logisch. Oder?

    LG
    Tamás
    :wink:

    Na ja, da gibt es schon gewichtigere Veränderungen als nur andere Überleitungen. Allein, dass der Kopfsatz im Fortissimo endet statt im "ppp", dass die Instrumentierung unterschiedlich ist, dass die Apotheose im Adagio in C-Dur statt in Es-Dur steht, dass sie noch länger ist, etc. etc. etc. gibt dem Werk in dieser Fassung schon einen anderen Charakter.

    Ich persönlich empfinde sie als unausgegoren, was ja nicht zwangsläufig heißen muss, dass ein anderer Hörer sie nun gerade besonders reizvoll finden mag. Dass wir unterschiedliche Vorstellungen vom Werk haben, ist ja auch nicht neu. Darum wundert mich, dass Du Dich wunderst. :D

    :wink: Agravain

  • Na ja, da gibt es schon gewichtigere Veränderungen als nur andere Überleitungen. Allein, dass der Kopfsatz im Fortissimo endet statt im "ppp", dass die Instrumentierung unterschiedlich ist, dass die Apotheose im Adagio in C-Dur statt in Es-Dur steht, dass sie noch länger ist, etc. etc. etc. gibt dem Werk in dieser Fassung schon einen anderen Charakter.

    Genau, das Ende des ersten Satzes ist in den beiden Fassungen ein Unterschied wie Tag und Nacht. Außerdem im Kopfsatz die fast vollständige Neukomposition des Endes der Durchführung und der Reprise, die Ersetzung des Trios im Scherzo durch ein komplett neues Stück, enorme Kürzungen im Adagio und Finale, Unmengen von anders gestalteten Übergängen, Streichung von Pausen, sehr verschiedene Instrumentierung...

    etc. etc. etc.

    Die erste Fassung, die ich lange nicht kannte, klingt auch mir immer noch sehr befremdlich in den Ohren (allein, um nur ein kleines Detail zu nennen, die jeweils drei Beckenschläge an den Höhepunkten des Adagio - Nagano hat das übrigens trotz Verwendung der Erstfassung nicht so spielen lassen). Ich bemühe mich aber ;+).


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich persönlich empfinde sie als unausgegoren, was ja nicht zwangsläufig heißen muss, dass ein anderer Hörer sie nun gerade besonders reizvoll finden mag. Dass wir unterschiedliche Vorstellungen vom Werk haben, ist ja auch nicht neu. Darum wundert mich, dass Du Dich wunderst. :D


    :D Mich wunderte der Ausdruck "wenig Anfangen" - wenn da statt "wenig" gestanden hätte: "weniger", dass hätte noch verkraften könnnen... :D

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Ich empfinde die Erstfassungen als wesentlich kühner, während die Zweitfassungen stets etwas von den verrücktheiten zurücknehmen. In der Erstfassung der Dritten etwa ist vieles als Dialog mit Wagner gestaltet, was in der Zweitfassung zum Zitat heruntergestuft wird.
    Bei der Achten ist in der Erstfassung sind Strukturen wie Klangbild wesentlich herber, während die Zweitfassung wagnerischer anmutet. Ich verstehe die Dirigenten, wenn sie lieber die Zweitfassung dirigieren, während die Erstfassung doch der Gestaltung über die bloße Interpretation hinaus bedarf, weil sonst das Werk zerfällt. Ich bin allerdings überzeugt, daß sich ein Dirigent entscheiden muß, welche der Fassungen er macht. Mischungen schätze ich weniger, weil sie in den Gedankengang des Komponisten eingreifen, der den Überarbeitungen zugrundeliegt. Da geht es ja nicht nur um ein paar Instrumentierungsretuschen, sondern um tiefgreifende Modifizierungen des Konzepts.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

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