Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll – Werk und Einspielungen

  • Ich empfinde die Erstfassungen als wesentlich kühner, während die Zweitfassungen stets etwas von den Verrücktheiten zurücknehmen.

    Das ist zweifellos richtig. Aber bei der Achten gibt es eine Stelle,die ich in der Zweitfassung nicht nur überzeugender, sondern auch "kühner" finde: den verlöschenden Totenuhr-Schluss des ersten Satzes, der so vollständig aus dem von Bruckner in den anderen Sinfonien konsequent beibehaltenen Schema herausfällt. Und gibt's jemanden, der das Trio der Erstfassung lieber hört als das später komponierte, das zudem so schön auf den dritten Satz vorausweist? Bestimmt, aber ich gehöre nicht dazu... :D (Bei der dritten Fassung der Dritten, die ja nicht nur im Finale äußerst problematisch ist, hat Bruckner im Kopfsatz der Durchführung eine dissonante Passage im Stil der neunten Sinfonie hinzugefügt, die ich auch sehr ungern misse...)

    Das Problem der verschiedenen Fassungen (insb. bei 3, 4 und 8, auch bei 1) ist bei mir, und wahrscheinlich nicht nur bei mir ein seltsames Phänomen der "Hörbiographie": Ich habe diese Werke alle in den Letztfassungen kennengelernt, so sind sie mir vertraut geworden. Klar, die Partituren der Erstfassungen gab es und spätestens seit Anfang der 80er lagen sie auch auf Tonträgern (Inbal) vor. Das wurde von mir lange ignoriert, erst Ende der 90er habe ich mich dann um die Erstfassungen bemüht. Und ich kann bis heute nicht die Erstfassungen hören, ohne fast permanent mit der Letztfassung zu vergleichen - umgekehrt dagegen schon. Am besten gelingt mir das inzwischen bei der Dritten. Aber wie gesagt, ich bemühe mich. Heute gibt es ja wahrscheinlich nicht wenige, die die genannten Werke zuerst in den Erstfassungen kennenlernen.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich würde sagen, bei der "Achten" ist die Zweitfassung über weite Strecken keine Fassung sondern ein neu gedachtes Werk basierend auf dem alten Material. Insoferne ist der (grandiose) Schluß des Ersten Satzes natürlich ein Teil dieses neuen Durchdenkens - und, ich gebe es zu, er ist wesentlich kühner, aber auch etwas, nun ja, eben unbrucknerisch. Das ist nichts Schlechtes. Und ich muß gestehen, daß ich bei der Achten die Erstfassung und die Zweitfassung gleich liebe. Beim Trio bin ich mir indessen nicht so sicher. Es ist seltsam: Höre ich das der Erstfassung, denke ich, das aus der Zweiten ist besser, höre ich das aus der Zweitfassung, gebe ich dem der Erstfassung den Vorzug. Wirklich mögen tu' ich sie, ich muß es gestehen, beide nicht. Aber im Zusammenhang ist wohl das der Zweitfassung überlegen.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Insoferne ist der (grandiose) Schluß des Ersten Satzes natürlich ein Teil dieses neuen Durchdenkens - und, ich gebe es zu, er ist wesentlich kühner, aber auch etwas, nun ja, eben unbrucknerisch.


    Lieber Edwin, ich bin gerade bei der Lektüre dieses Threads auf diese Aussage von Dir gestoßen. Könntest D, oder gerne auch ein anderer ;+), einmal näher erläutern, wie diese Aussage zu verstehen ist?

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • gerne auch ein anderer

    Ich denke mal, es geht um die Singularität des Kopfsatzschlusses: Bruckner hat seine Kopfsätze immer mit einer nachdrücklichen Bestätigung, um nicht zu sagen: Apotheose des thematischen Materials in höchster Lautstärke beendet - so auch in der Erstfassung der Achten. Die "Totenuhr" an der entsprechenden Stelle der Zweitfassung steht dazu völlig quer: das Hauptthema wird zerlegt und am Schluss auf eine einzige, monoton wiederholte rythmische Floskel reduziert - das alles ganz leise und sparsam instrumentiert, zum Schluss verlöschend.

    Ein mögliches Vorbild könnte man in dem thematischen Zerfall sehen, in dem der Trauermarsch aus Beethovens Eroica endet (ganz entfernt vielleicht auch das Ende des Kopfsatzes der Symphonie fantastique, Bruckner war ja erstaunlicherweise ein Berlioz-Bewunderer).

    Ich kann durchaus verstehen, dass man diesen prä-mahlerischen Schluss des Kopfsatzes der Achten als "unbrucknerisch", nichtsdestotrotz grandios empfindet. Im Kopfsatz der Neunten ist Bruckner, trotz aller sonstigen Neuerungen, wieder zu seinem Standardkonzept zurückgekehrt.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Da hat Bruckner mal einmal in elfeinhalb Sinfonien eine neue und überzeugende Idee für den Satzschluss und schon ist es "unbrucknerisch".

    Soll denn alles noch gleicher klingen als es das ohnehin schon tut? Ist die langsame Einleitung in der 5. auch "unbrucknerisch"? Ich finde Bruckner anscheinend oft am besten, wenn er unbrucknerisch über seinen Schatten springt... :thumbup:

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Soll denn alles noch gleicher klingen als es das ohnehin schon tut?

    Für echte Brucknerianer schon :thumbup:. Nur so kann das Welträtsel entschleiert werden! ;+)

    Es gibt wohl niemand, der den Kopfsatzschluss der zweiten Fassung nicht als grandios empfindet. Die Skepsis, die aus dem Wort "unbrucknerisch" spricht, entspringt wohl der Vermutung, dass Bruckners Freunde, Berater etc. ihn zu diesem Schluss (wie zu der ganzen Zweitfassung) gedrängt haben könnten.

    Ist die langsame Einleitung in der 5. auch "unbrucknerisch"?

    Im Prinzip schon, aber nicht ganz so stark, würde ich sagen. Ist natürlich auch ein Einzelfall, der aber dem Prinzip des Sich-Entfaltens und Bereitstellens von thematischem Material nicht entgegensteht (zumal die Einleitung am Anfang der Durchführung wieder aufgegriffen wird).


    Ich finde Bruckner anscheinend oft am besten, wenn er unbrucknerisch über seinen Schatten springt... :thumbup:

    Ich mag ja auch diesen kleinen Teufel in Bruckner, diese unzüchtigen Gedanken an Becken, Triangeln und Tanzlokale... :D


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • [Kopie aus "Eben gehört". Wär' schad', wenn diese Anmerkungen dort untergingen - der Verfasser wird's mir hoffentlich nicht verübeln. ;+)
    :wink:
    Gurnemanz]


    Gerade gehört:

    A. Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-moll

    Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester
    Günter Wand
    Mai/Juni 1979

    Zunächst mal: Ich habe großen Respekt vor den Beiträgen im Thread zu diesem Werk! Geballte hörende und schreibende Kompetenz, Agravain und Teleton (kenne ich den lykos-artigen Namen?) und andere.

    Im Beiheft steht "Originalfassung". Das kann nicht sein - in Originalfassung endet der erste Satz im Fortissimo, bei Wand ist es das gewohnte Verklingen mit der chromatisch abrollenden Schlussfloskel.

    Nun habe ich mir das Vergnügen gemacht, die Aufnahme in der Studienpartitur des Musikwissenschaftlichen Verlages der Internationalen Bruckner-Gesellschaft Wien (welch köstliches Oxymoron) mitzulesen - Fassung von 1890 nach Nowak. Wand lässt Töne spielen, die da nicht drin stehen, am gewichtigsten ist vielleicht der aufgemachte Schluss im Finale vor Ziffer Oo´. Also klar die Haas-Fassung, die ja nun am wenigsten für sich in Anspruch nehmen kann, eine "Originalfassung" zu sein.

    Etikettenschwindel? Bei Wand?? Wie das?

    Davon abgesehen macht diese Aufnahme verständlich, warum Wand als Bruckner-Dirigent so erfolgreich werden konnte. Tempi eher auf der schnelleren Seite, Verzicht auf Rubato-Orgien, das klngt schon geradliniger als bei Furtwängler und Jochum. Sozusagen eine Bultmannsche Entmythologisierung.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Im Beiheft steht "Originalfassung". Das kann nicht sein - in Originalfassung endet der erste Satz im Fortissimo, bei Wand ist es das gewohnte Verklingen mit der chromatisch abrollenden Schlussfloskel.

    Man spricht m.W. eher von "Erst-" und "Zweitfassung". Der Terminus "Originalfassung" dient doch, lieber MB, bei Bruckner traditionell der Unterscheidung zwischen Bruckners eigenhändigen Versionen und den Bearbeitungen seiner Freunde/Schüler/Berater. Er besagt also in diesem Fall nur, dass Wand nicht die Bearbeitung von Schalk und Oberleithner spielen lässt, wie noch beispielsweise Knappertsbusch das getan hat, sondern die originale Zweitfassung des Komponisten (dass er diese wiederum nach der Haas-Ausgabe dirigiert, ist natürlich nicht konsequent). Früher - noch zur Zeit von Wands Kölner Aufnahmen - spielte man eh nur die Zweitfassung, deshalb hat man damals selten extra darauf hingewiesen.

    (Eine ähnliche Terminologie hat sich im Deutschen ja auch für Mussorgskys Boris eingebürgert: Mussorgskys Zweitfassung wird als "Original"-Boris bezeichnet, um sie von der Rimsky-Bearbeitung zu unterscheiden. Die noch später ins Repertoire eingedrungene Erstfassung Mussorgskys von 1869 titulierte man dann als "Ur"-Boris.)


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Gestern habe ich es mal wieder mit Bruckners Achter probiert - und ich habe wieder nicht bis zum Ende durchgehalten (gehört habe ich die Chailly-Aufnahme aus der Box).

    In meinen nicht Bruckner-geschulten bzw. -affinen Ohren hörte sich das Mount Everest-hafte der Sinfonie unangenehm pompös und machtversessen an. Hellhörig geworden bin ich dann besonders, als ich begleitend zum Hören des Scherzos, in dem sich in meinen Ohren dasselbe Motiv viel zu häufig wiederholte - das hätte er noch mehr kürzen sollen, habe ich gedacht - im Konzertführer vom Deutschen Michel las. Agravain hat dazu oben geschrieben: "Scherzo: Hpth.: Deutscher Michel genannt; in der 2. Abtheilung will der Kerl schlafen, u. träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um."

    Das Schlafende, Träumerische stand nicht im Konzertführer. Den Deutschen Michel (dazu der Wikipedia-Artikel: "http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Michel") sehe ich nicht unkritisch, sondern in meiner SIchtweise wohnt dem betulich Beschränkten die Großmannssucht und der Schrecken inne. Prototyp des Deutschen Michels in diesem Verständnis wäre z. B. Wilhelm II, ein dummer, großmannssüchtiger Verderber. Dazu passte dann auch diese ständige Wiederholung desselben Motivs, die dazu führte, dass ich nach dem Scherzo den Eindruck gewann - er mag täuschen, ich bin, wie gesagt, in dem Werk alles andere als zuhause -, diese Musik ist inhaltsloser, selbstgenügsamer Pomp, Musik passend zum Zeitalter des Imperialismus, dachte ich mit Bezug auf Wilhelm II.

    Wie ist eure Meinung zu meinem Eindruck? Könnt ihr sie nachvollziehen? Und: Wie haltet ihr das mit dem Deutschen Michel? Ist dieses Wort für euer Hörverständnis von Relevanz, ggf. inwiefern?

    Herzlichst
    Thomas

  • Agravain hat dazu oben geschrieben: "Scherzo: Hpth.: Deutscher Michel genannt; in der 2. Abtheilung will der Kerl schlafen, u. träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um."

    Nur zur Orientierung: Das hat nicht der Agravain geschrieben, sondern Bruckner. Der Agravain hat's "nur" zitiert. :D

    Prototyp des Deutschen Michels in diesem Verständnis wäre z. B. Wilhelm II, ein dummer, großmannssüchtiger Verderber.

    Finde ich eher schwierig, weil der Michel in erster Linie eben eine Figur des Vormärz ist, eine Karikatur des schläfrigen Deutschen, der, so denn Gutzkow, Heine oder Börne Bezug auf ihn nehmen, in der Regel die biedermeierliche deutsche Betulichkeit und Bequemlichkeit, den Unwillen zur persönlichen und gerade zur politischen Bewegung im Kontext der Restauration persifliert. Dein wilhelminischer Michel trägt mir da zuviel großdeutschen politischen Impetus, um noch der typische, vielleicht am ehesten von Bruckner anvisierte Michel zu sein.

    Ob man diese Hinweise Bruckners überhaupt als Höranleitung nehmen sollte, ist ja - wie immer in einem solchen Fall - ohnehin fraglich.

    :wink: Agravain

  • Ob man diese Hinweise Bruckners überhaupt als Höranleitung nehmen sollte, ist ja - wie immer in einem solchen Fall - ohnehin fraglich.

    Schwieriges Thema. Die inoffiziellen und disparaten Hinweise Bruckners sind kaum als kohärentes Programm im Sinne von Berlioz oder Liszt zu verstehen, aber gänzlich ignorieren kann man sie m.E. auch nicht. Während der vielzitierte "deutsche Michel" noch auf einer eher allgemeinen Ebene bleibt, sind Bruckners (von Agravain im Einführungsbeitrag zitierten) Hinweise auf das Dreikaisertreffen in Olmütz ziemlich konkret. Die Finalapotheose kann man in diesem Sinne semantisch nicht nur auf den christlichen Gott, sondern auch auf das Gottesgnadentum der drei beteiligten Herrscher verstehen. Gerade das teils bewusst primitive Fanfarengeschmetter in diesem Satz ist auch ein Topos von Herrschermusik, Herrschereinzügen usw. Ich kenne die Quellen nicht gut, aber nach dem Ausweis solcher Kompositionen wie Germanenzug und Helgoland könnte Bruckner der deutschnationalen Bewegung in Österreich durchaus nahegestanden haben.

    Ich bewundere Bruckners Achte sehr, aber der zweite Teil der Finalcoda erregt bei mir dann doch ein Unbehagen in der Art, wie Thomas es geschildert hat.

    Das Scherzo dagegen nicht: Die ständige (wenn auch sehr unterschiedlich instrumentierte) Wiederholung des Motivs empfinde ich eher als eine Art grotesker Komik, ein etwas tölpelhaftes Stampfen, das sich dann in dem vom Bruckner angesprochenen Mittelteil (in der 2. Abtheilung will der Kerl schlafen, u. träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um) in eine irisierend-zarte Sphäre getaucht wird. Zusammen mit dem "romantischen" Trio könnte man das als eine Darstellung verschiedener Topoi des "Deutschen" verstehen, aber m.E. noch ohne den imperialen oder gar imperialistischen Gestus des Finales.


    Viele Grüße

    Bernd

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  • Den Deutschen Michel (dazu der Wikipedia-Artikel: "http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Michel") sehe ich nicht unkritisch, sondern in meiner SIchtweise wohnt dem betulich Beschränkten die Großmannssucht und der Schrecken inne. Prototyp des Deutschen Michels in diesem Verständnis wäre z. B. Wilhelm II, ein dummer, großmannssüchtiger Verderber. Dazu passte dann auch diese ständige Wiederholung desselben Motivs, die dazu führte, dass ich nach dem Scherzo den Eindruck gewann - er mag täuschen, ich bin, wie gesagt, in dem Werk alles andere als zuhause -, diese Musik ist inhaltsloser, selbstgenügsamer Pomp, Musik passend zum Zeitalter des Imperialismus, dachte ich mit Bezug auf Wilhelm II.

    Dein wilhelminischer Michel trägt mir da zuviel großdeutschen politischen Impetus, um noch der typische, vielleicht am ehesten von Bruckner anvisierte Michel zu sein.

    mir fehlt ein wenig die Phantasie, mir bei Bruckner Sympathien für die demokatischen Bestrebungen des Vormärz
    vorzustellen...

    Aber mir gingen solche Gedanken an Bruckners "reaktionäre" Schlagseite heute beim Hören der Achten auch durch den Kopf, zumal ich die in meiner Jugend, wo ich die symphonie rauf und runter gehört hab, komplett ignoriert habe.

    Und war doch erstaunt, welch aufregende Harmonik und schon avanciert zu nennende Gestaltung sich dieser Quadratschädel erschaffen hat... Gerade das Scherzo hat mich wieder begeistert, von den Akkordketten der schwirrenden dreistimmigen Geigen an. Und wie der Rhythmus dieser Ketten durchgehend das besagte; immergleiche Motiv antreibt, mal von den Geigen, mal von fast wiehernden Hörnern, mal vom tiefen Blech eingeworfen.

    ich hatte mir die Aufnahme von Eugen Jochum mit der Staatskapelle Dresden vorgenommen, nachdem ich von seiner Aufnahme mit den berliner Philharmonikern geprägt bin.
    und entdecke einen Zuwachs an Beweglichkeit vor allem in den Tempi, der dem Werk gut tut. Vor Allem kommt er nach seinen accelerandi immer so organisch zurück, daß die die meisten Steigerungen krönende Blechmanifestation niemals verhuscht klingt, sondern immer liebevoll ausgespielt wird - das ist schon großes Kino..

    Ich muß ja zugeben, daß ich ein Anhänger der bewährten Spätfassung bin...
    und auch des Finales mit seinen voll dröhnenden 8 Hörnern..
    Für mich kommt an dieses Finale von den andern Bruckner-Finalsätzen höchstens das der Vierten ran, da empfinde ich den Schluß als organischer, gefühlter.
    Naja, dieser 3-Kaiser-Schluß ist wohl das einzige, was ich an dem Werk nicht mehr recht schätzen kann.
    die Takte davor gehören für mich zu den ganz erhabenen Momenten, die auch in der Berliner Aufnahme wuchtiger kommen, die Steigerung eher drohend auflaufend, wo in der Dresdner Aufnahme das forte eher reinknallt.

    Ja, der Klang der Berliner ist allerdings etwas, wogegen die Staatskapelle für mich etwas schwächer klingt, die Holzbläser deutlicher, die Streicher etwas dünn.

    dafür kommt die Polyphonie mehr raus, und ich habe auch das Gefühl, die thematischen Metamorphosen werden deutlicher: vom Seufzer, mit dem das erste Motiv ausklingt, zur Totenuhr, zum Seitenthema des Adagios, bei dem nur der Sextsprung des ersten Satzes umgedreht erscheint.. zur Coda des Adagios, wo die Streicher aus dem hier diatonisch intonierten Seufzer heraus eine ganz verlorene, aber völlig entspannte Betrachtung spinnen.

    endlich überzeugt hat mich mit den Dresdnern auch das Seitenthema-Geflecht des Finales, da höre ich plötzlich eine Linie, einen melodischen Faden, in der Reprise noch deutlicher.

    Und die Verarbeitung des dritten Themas in der Durchführung kommt durch die deutlicheren Holzbläser auch mehr zur Geltung, die hatte ich früher fast überhört.
    Da klingt die archaisierende Fugen-Ästhetik an, ohne daß wie in der Fünften exzessiv und für mich anstrengend fugiert würde....

    es ist ja nach wie vor die zeitlich und klanglich expansive Art Bruckners - man könnte sie auch unbescheiuden nennen - nicht jedermanns Sache... aber jedem, der sich am "bombastischen" Klang reibt, kann ich nur empfehlen, den Fokus auf die Harmonik zu richten.. Diese unbekümmerten, wie organischen Medianten, die nie - wie bei Strauss manchmal - gesucht klingen, sondern immer der Melodie folgen, eins mit ihr sind, erzeugen einen Klangstrom, der für mich eine sehr ausdrucksvolle Stimmigkeit hat - vielleicht liegt darin das religiöse Element, daß so viele hier hören: diese spannungsreichen, durchaus auch häßliche Klänge streifenden Akkordwellen nehmen das Gemüt mit wie ähnliche Steigerungen bei Wagner, enden aber immer, manchmal nach mehreren Anläufen, in einer Art Rundung oder Lösung.
    Insofern fehlt den ebenso haltlos schweifenden Modulationen anders als bei bei Wagner der gewissermaßen nihilistische Zug - Bruckner kann die Ursprungstonika loslassen, weil er dem harmonischen Strom vertraut und dem Vermögen, in einer großformalen Rundung wie einem Gottessymbol geborgen zu sein, wo Wagner eigentlich die durch die Harmonik evozierte Gefühlsintensität immer in seinem Handlungsverlauf verrät, dem Scheitern aussetzt. Man könnte natürlich angesichts des zurechtgebogenen Jubels am Ende der Achten schon fragen, was es denn mit der Erlösung hier wohl seltsames auf sich hat - der Intensität und Entrücktheit des Seitenthemas im Adagio kann alles, was kommen mag, nichts nehmen - das ist wie tiefe Meditation für mich - das sind die Momente, wo man mal kurz mit einem Michael Schlechtriem tauschen möchte und diese Melodie spielen, so verloren und gefühlt in Klage sich versteigen - auch hier wieder der Sextsprung aus dem ersten Satz an exponierter Stelle, als gewagter Aufsprung zum höchsten Ton dieser Cellokantilene, die in den jetzt aufwiegenden Seufzern ausläuft....
    Und dann die Wagnertuben mit ihrem purpurnen, vertrauenerweckenden Klang - zum ersten Mal habe ich die Streicher gehört, die über dem zweiten Akkord noch Reste der Tonika halten und dadurch eine zauberhafte Major7-Subdominante erzeugen, hinter dem klaren Dreiklang der Tuben fast unmerklich... über Subdominantenparallele mit chromatischen Durchgangstönen (Seufzermotiv?) in einen Plagalschluß auf der Subdominante mündend - herrlich, so einfach und so unklassisch... (na gut, Beethoven hat da schon vorgearbeitet in manchen Anfängen...)

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ein schöner Text, danke!


    Ich muß ja zugeben, daß ich ein Anhänger der bewährten Spätfassung bin...

    Ich auch!

    Naja, dieser 3-Kaiser-Schluß ist wohl das einzige, was ich an dem Werk nicht mehr recht schätzen kann.
    die Takte davor gehören für mich zu den ganz erhabenen Momenten

    Auch das kann ich beides voll und ganz unterschreiben.


    wo Wagner eigentlich die durch die Harmonik evozierte Gefühlsintensität immer in seinem Handlungsverlauf verrät, dem Scheitern aussetzt

    Nur da kommen wir wohl nie zusammen... :D


    Und dann die Wagnertuben mit ihrem purpurnen, vertrauenerweckenden Klang - zum ersten Mal habe ich die Streicher gehört, die über dem zweiten Akkord noch Reste der Tonika halten und dadurch eine zauberhafte Major7-Subdominante erzeugen, hinter dem klaren Dreiklang der Tuben fast unmerklich... über Subdominantenparallele mit chromatischen Durchgangstönen (Seufzermotiv?) in einen Plagalschluß auf der Subdominante mündend - herrlich, so einfach und so unklassisch... (na gut, Beethoven hat da schon vorgearbeitet in manchen Anfängen...)

    Eine der Stellen, bei denen ich davonfließe... Wunderschön! Und auch schön beschrieben! :)

    Ich hab bis vor kurzem eine vielleicht halbjährige Bruckner-8-Abstinenz geübt, weil ich bei mir einen - wenngleich nur andeutungsweisen - Widerwillen gegen das Werk bemerkt hatte. Neulich gab's die Achte dann wieder im Konzert und ich war begeistert wie am ersten Tag, sogar der Schluss hat mir nichts ausgemacht.

    (Ich gebe noch ganz entfernt zu bedenken, dass es jenseits von Jochum andere Facetten der Bruckner-Interpretation zu entdecken gibt...)


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Es gibt jede Menge außer Jochum, das hat auch niemand in Frage gestellt. Wand, Skrowaczewski, Tintner, Haitink, Mehta, Boulez, Celibidache, Bosch, Klemperer,Maazel,von Beinum, Thielemann, Solti, Schuricht, Welser-Möst, von Karajan, Harnoncourt, Barenboim, Paternostro, Dennis Russell Davies...Die Auswahl ist durchaus vorhanden. Von Karajan und Wand gibt es mindestens drei Einspielungen, welche hier die "Beste" ist, soll jeder für sich selbst entscheiden.


    VG,Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Es gibt jede Menge außer Jochum, das hat auch niemand in Frage gestellt.

    Das war mehr als persönlicher Hinweis an philmus gedacht (der ja einen forenuntypisch sympathisch geringen Hang zu Interpretationsvergleichen hat ;+)), sicher nicht als allgemeine Belehrung. Über die verschiedenen Interpretationen der Achten auf Tonträgern ist hier ja bereits ausführlich diskutiert worden und kann natürlich auch weiter diskutiert werden.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich weiß nicht, ich weiß nicht; spielt uns hier die Tontechnik einen interpretatorischen Streich?

     

    Das klingt bei Bosch unglaublich gut und fein und man hört jeden einzelnen Aspekt differenziert (nur vielleicht etwas zu hallig); aber beim Furtwängler setzt ab ca. 1.00 eine Spannung ein und eine verzweifelte Härte, die mir bei den Aachenern fehlt. Ist das nun subjektiv ein Problem der chronologischen Hörerfahrung oder gar eins der Mono-Aufnahme, das wie bei den alten Russen-Platten eine Schroffheit vorspiegelt, die lediglich der Aufnahme- und Wiedergabetechnik geschuldet ist? Oder deutet der Ahn doch anders als der Spund?

  • Antwort nach ca. 4 Jahren (weil erst jetzt entdeckt)

    Hallo,
    ganz oben wurde gefragt, warum Wand seine Liveaufnahme von 1987 im Lübecker Dom aufgenommen hat (aufnehmen musste).
    Ganz einfach. Das Schleswig Holstein Musikfestival hatte es sich zur Aufgabe gemacht, diverse Spielstätten im Land auszuwählen. Dazu gehörte auch Lübeck.
    Nur gab es die Muk (Musikhalle und Kongresshalle) noch nicht, sie wurde 1994 eröffnet.
    So musste man notgedrungen in den Dom ausweichen, denn es musste ja Lübeck sein.
    Wand hat im Dom, wenn ich micht nicht irre, 4, 5, 7, 8 und 9 von Bruckner aufgeführt und ich konnte jedes Mal dabei sein.

    Es waren tolle Abende.
    Und wenn man bedenkt, was das für ne Sch... Akkustik war, das Finale der 5. dröhnte einem mehrfach durch den Hall in den Ohren, war es sehr sehr anständig. DIe CD Wiedergaben (es gibt mind. noch ne 9.te), haben nur einen Bruchteil des Halls eingefangen, den es Live gab.
    Es waren wohl sehr gute Toningenieure und "Old Günni" hat wohl auch das Tempo der Halle, ähem, dem Dom angepasst. Aber auf manchen Plätzen, den unsrigen, den billigen war es, besonders wenns laut wurde, doch arg grenzwertig, auch wenn der Gesamteindruck natürlich erhebend war.

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Echt oder nicht echt, das ist hier die Frage!

    Hallo allerseits,
    in der Klemperer Diskografie wird eine Aufnahme vom 2.2.1964 mit Bruckner 8 vermerkt. Neuerdings auch auf Youtube zu bekommen. (Einfach mal suchen)
    In der von Werner Unger verantworteten Diskografie steht, dass Lotte Klemperer an diesem Tag eine Aufführung der 7. vermerkt hat.
    Das dürfte inzwischen überholt sein, da in einer Rezension des Observers vom 9.2.1964 Peter Heyworth ein Konzert Klemperers aus der Woche mit Bruckner 8 rezensiert hat.
    (Dazu Konzerte mit Hvk und den Berlinern mit allen vier von Brahms, Ansermet (LPO) mit Ravel sowie Klemp mit Schubert9! Oh, glückliches London!)
    Insofern dürfte relativ klar sein, dass OK (Otto Klemperer) am 2.2.1964 eine Bruckner 8 zu Gehör gab.

    Das Problem geht aber nun erst los: Denn auf der DoppelCD, die das Konzert wiedergeben soll, wird die Haas Fassung gespielt, die er weder 1957 noch 1970 (Striche von ihm ) benutzt hat. Dort legte er Wert auf die Novak Version.
    Auch fehlt jegliches Geräusch aus den Publikum, wenn man die Aufnahme abhört. Ist es Live, war es OK? Wenn nein, was ist es dann?

    Hat er die Haas-Version mal ausprobiert, weil er mit dem Adagio und dem Finale nach Novak nicht einverstanden war? (1970 hat er dann ja Novaks Version im Finale erheblich umgearbeitet, so dass Alfred Beaujean in der HiFi Stereophonie sich zu der "steilen These" hinreissen lies, der alte Klemperer könne die riesigen Formen dieser Sinfonie nicht mehr zusammenhalten)
    Oder hören wir etwas ganz anderes, was einfach als OK ausgegeben wird?

    Ein paar Hinweise.
    - Das Scherzo ist etwas zu flott für OKs sonstige Aufnahmen,
    - Ebenso der Beginn des Finales, den geht er sonst schleppend und beschleunigend an.
    - Das Adagio hat das typisch flotte Tempo.
    - Die Betonung einzelner Stellen, ohne den Gesamtzusammenhang zu verlieren, ist klar wie sonst
    - Die Schärfung der Konturen, das teilweise unerbittliche Tempo kennt man von ihm zur Genüge.
    - Leider Mono, daher wird die Aufstellung nicht klar.

    Hinweise, die zur restlosen Aufklärung führen, sind willkommen.

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Du meinst diese?

    "

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    "

    Zu der CD habe ich Folgendes gefunden:

    "http://www.abruckner.com/recordings/Rar…r/notestest.htm"

    Es wird erwähnt:

    Zitat

    Doubtful - Possibly a 1959 BBC S.O. studio recording

    Aber die scheint nicht von Klemperer dirigiert zu sein, denn in seiner Diskographie taucht keine BBC-Aufnahme dieser Symphonie auf.

    Vorausgesetzt, die Diskographie liegt nicht falsch... 8+)

    Nichts Genaues weiß man nicht... ;(


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Schade, dass die diese Diskussion schon vorbei ist - da war ich noch nicht Mitglied im Forum. Habe aber alle Beiträge mit Vergnügen gelesen.

    Anscheinend bevorzugen fast alle die zweite, an den Zeitgeschmack mehr angepasste Fassung der Achten. Ist keiner im Forum ein Fan der Urfassung? Die finde ich zumindest besser! Der ganz ursprüngliche Bruckner.

    Was heißt hier modern? Betonen Sie das Wort mal anders! Richard Strauss

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