Glasunow, Alexander: Die Sinfonien – „Hell und saftig“ oder „Zuckerbäckerware“?
ZitatDie Außenseite der Glasunowschen Musik ist mit allen Eigenschaften ausgestattet, um dem Ohr zu schmeicheln, selbst dem des Liebhabers. Alles bei Glasunow ist so elegant gemacht, alles klingt so hell und saftig... Aber ihre künstlerische Würdigung kann im Grunde erst dort beginnen, wo (...) es einem gelingt, ins Herzstück der Glasunowschen Sinfonik einzudringen. Vielleicht denken Sie, es eröffnen sich nun unerwartete Tiefen eines 'pathetischen Inhalts' ...? Nichts von alldem, statt dessen: Technik, Technik und nochmals Technik. Unter der Hülle erstaunlicher Schönheiten und reiner Architektonik - eine Schicht kontrapunktischer Gebilde. (...) Sobald wir zum Kern ihrer 'technischen Inspiration' vorstoßen, sobald es uns gelingt, sozusagen von innen her ihre technische Schale zu betrachten, bemerken wir, dass dies nicht nur eine Schale, nicht nur eine Hülle ist, sondern von innen her stellt sich dasselbe dar und bildet gewissermaßen den wirklichen Inhalt dieser Musik.
So der russische Kritiker Vjaceslav Karatygin über die Sinfonik Alexander Glasunows (zitiert nach Csampai/Holland: Der Konzertführer). So treffend das geschrieben ist, etwas wundere ich mich schon, dass er sich wundert. Wenn man in einen Motor schaut, sollte man ein Getriebe erwarten und nicht eine geheimnisvolle Inspirationskraft. Wie auch immer: ich habe Glasunows Sinfonien (die ich, soweit ich sie bisher kenne, viel interessanter finde als die bekannteren Ballettsuiten des Russen) ganz frisch für mich entdeckt und bin entzückt von ihrer Eleganz, vor allem in den Binnensätzen. Besonders die Scherzi und Variationensätze begeistern mich durch ihre spielerische Leichtigkeit und die unaufdringliche Meisterschaft der Satztechnik und Instrumentation. Die Finalsätze sind mir allerdings bisher durch die Bank zu überladen-auftrumpfend - wobei Mravinsky sie dezenter und feiner musiziert als Rozhdestvensky, in dessen Interpretation ich sie wirklich kaum ertrage.
Mir sind bisher folgende Aufnahmen bekannt:
Symphonie 1, 6, 7 mit Rozhdestvensky und seinem "USSR Ministry of Culture Symphony Orchestra"
Symphonie 4 und 5 mit Mravinsky und den Leningradern
Symphonie 5 und 7 mit Golovanov und dem Moskauer Radiosinfonieorchester
(zu den Orchesterbezeichnungen siehe hier)
Wie gesagt, die beiden Mravinsky-Aufnahmen empfinde ich als deutlich differenzierter als die von Rozhdestvensky. Golovanov mit seinen exzessiven Rubati ist eine Klasse für sich.
Bestellt habe ich jetzt die vollständige Brilliant-Box:
Und um diese geht's (auffällig, dass die Sinfonien sämtlich ziemlich früh in Glasunows Leben (er starb 1935) entstanden):
* Sinfonie Nr. 1 E-Dur op. 5 (1880–82)
* Sinfonie Nr. 2 fis-Moll op. 16 (1886)
* Sinfonie Nr. 3 D-Dur op. 33 (1890)
* Sinfonie Nr. 4 Es-Dur op. 48 (1893)
* Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 55 (1895)
* Sinfonie Nr. 6 c-Moll op. 58 (1896)
* Sinfonie Nr. 7 F-Dur op. 77 (1902)
* Sinfonie Nr. 8 Es-Dur op. 83 (1905/06)
* Sinfonie Nr. 9 d-Moll o.op. (einsätziges Fragment, 1904–10)
Einige Zitate zu Glasunow:
"Jedes seiner neuen Werke wurde als ein musikalisches Ereignis erster Ordnung aufgenommen. Ich war fasziniert von der staunenswerten Meisterschaft des Könnens. Es war doch ganz natürlich, daß ich diese Symphonien zum Vorbild nahm." (Stravinsky)
"Der würdige Fortsetzer Beethovens, objektiver, klarer, konsequenter und umfassender als Tschaikowsky". (Rostislav Hofmann, "Die Musik in Russland von den Ursprüngen bis heute" (Paris, 1956))
"Einem mozartschen Schönheitsideal erklärtermaßen verpflichtet, hat er seine Aufgabe kaum in aufwühlenden Neuerungen, sondern mehr in einer Intensivierung der hier entwickelten Gefühlswelt gesehen" (Csampai/Holland, Der Konzertführer)
"Die Kompositionen von Mussorgsky, Balakirev und co. sind in der Tat wesentlich rauher und expressiver als Glazunows Zuckerbäckerware." (raphaell im Tamino-Forum)
Wie gerne hört ihr Glasunows Sinfonien? Was gefällt oder missfällt euch an seiner Musik? Welche seiner Sinfonien sind euch besonders lieb? Und welche Aufnahmen haben eure Gunst?
Grüße,
der Don