Glasunow, Alexander: Die Sinfonien – „Hell und saftig“ oder „Zuckerbäckerware“?

  • Glasunow, Alexander: Die Sinfonien – „Hell und saftig“ oder „Zuckerbäckerware“?

    Zitat

    Die Außenseite der Glasunowschen Musik ist mit allen Eigenschaften ausgestattet, um dem Ohr zu schmeicheln, selbst dem des Liebhabers. Alles bei Glasunow ist so elegant gemacht, alles klingt so hell und saftig... Aber ihre künstlerische Würdigung kann im Grunde erst dort beginnen, wo (...) es einem gelingt, ins Herzstück der Glasunowschen Sinfonik einzudringen. Vielleicht denken Sie, es eröffnen sich nun unerwartete Tiefen eines 'pathetischen Inhalts' ...? Nichts von alldem, statt dessen: Technik, Technik und nochmals Technik. Unter der Hülle erstaunlicher Schönheiten und reiner Architektonik - eine Schicht kontrapunktischer Gebilde. (...) Sobald wir zum Kern ihrer 'technischen Inspiration' vorstoßen, sobald es uns gelingt, sozusagen von innen her ihre technische Schale zu betrachten, bemerken wir, dass dies nicht nur eine Schale, nicht nur eine Hülle ist, sondern von innen her stellt sich dasselbe dar und bildet gewissermaßen den wirklichen Inhalt dieser Musik.

    So der russische Kritiker Vjaceslav Karatygin über die Sinfonik Alexander Glasunows (zitiert nach Csampai/Holland: Der Konzertführer). So treffend das geschrieben ist, etwas wundere ich mich schon, dass er sich wundert. Wenn man in einen Motor schaut, sollte man ein Getriebe erwarten und nicht eine geheimnisvolle Inspirationskraft. Wie auch immer: ich habe Glasunows Sinfonien (die ich, soweit ich sie bisher kenne, viel interessanter finde als die bekannteren Ballettsuiten des Russen) ganz frisch für mich entdeckt und bin entzückt von ihrer Eleganz, vor allem in den Binnensätzen. Besonders die Scherzi und Variationensätze begeistern mich durch ihre spielerische Leichtigkeit und die unaufdringliche Meisterschaft der Satztechnik und Instrumentation. Die Finalsätze sind mir allerdings bisher durch die Bank zu überladen-auftrumpfend - wobei Mravinsky sie dezenter und feiner musiziert als Rozhdestvensky, in dessen Interpretation ich sie wirklich kaum ertrage.

    Mir sind bisher folgende Aufnahmen bekannt:
    Symphonie 1, 6, 7 mit Rozhdestvensky und seinem "USSR Ministry of Culture Symphony Orchestra"
    Symphonie 4 und 5 mit Mravinsky und den Leningradern
    Symphonie 5 und 7 mit Golovanov und dem Moskauer Radiosinfonieorchester
    (zu den Orchesterbezeichnungen siehe hier)

    Wie gesagt, die beiden Mravinsky-Aufnahmen empfinde ich als deutlich differenzierter als die von Rozhdestvensky. Golovanov mit seinen exzessiven Rubati ist eine Klasse für sich.

    Bestellt habe ich jetzt die vollständige Brilliant-Box:

    Und um diese geht's (auffällig, dass die Sinfonien sämtlich ziemlich früh in Glasunows Leben (er starb 1935) entstanden):

    * Sinfonie Nr. 1 E-Dur op. 5 (1880–82)
    * Sinfonie Nr. 2 fis-Moll op. 16 (1886)
    * Sinfonie Nr. 3 D-Dur op. 33 (1890)
    * Sinfonie Nr. 4 Es-Dur op. 48 (1893)
    * Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 55 (1895)
    * Sinfonie Nr. 6 c-Moll op. 58 (1896)
    * Sinfonie Nr. 7 F-Dur op. 77 (1902)
    * Sinfonie Nr. 8 Es-Dur op. 83 (1905/06)
    * Sinfonie Nr. 9 d-Moll o.op. (einsätziges Fragment, 1904–10)

    Einige Zitate zu Glasunow:

    "Jedes seiner neuen Werke wurde als ein musikalisches Ereignis erster Ordnung aufgenommen. Ich war fasziniert von der staunenswerten Meisterschaft des Könnens. Es war doch ganz natürlich, daß ich diese Symphonien zum Vorbild nahm." (Stravinsky)

    "Der würdige Fortsetzer Beethovens, objektiver, klarer, konsequenter und umfassender als Tschaikowsky". (Rostislav Hofmann, "Die Musik in Russland von den Ursprüngen bis heute" (Paris, 1956))

    "Einem mozartschen Schönheitsideal erklärtermaßen verpflichtet, hat er seine Aufgabe kaum in aufwühlenden Neuerungen, sondern mehr in einer Intensivierung der hier entwickelten Gefühlswelt gesehen" (Csampai/Holland, Der Konzertführer)

    "Die Kompositionen von Mussorgsky, Balakirev und co. sind in der Tat wesentlich rauher und expressiver als Glazunows Zuckerbäckerware." (raphaell im Tamino-Forum)

    Wie gerne hört ihr Glasunows Sinfonien? Was gefällt oder missfällt euch an seiner Musik? Welche seiner Sinfonien sind euch besonders lieb? Und welche Aufnahmen haben eure Gunst?

    Grüße,
    der Don

  • "hell und saftig"

    genau das ist es!
    ein helles Goldgelb wie Ananas-Marzipankuchen, dünn mit Schokoladenguss überzogen. schön saftig, nicht zu süß, da mit geriebener Limettenschale abgerundet. auch die unkomplizierte Philadelphia-Torte mit Kiwis könnte ich mir vorstellen, aber selbstverständlich keine Buttercremtorte und nie und nimmer Zuckerguss.

    und jetzt muss ich schnell weg: aus Richtung Kühlschrank ruft die Yogurette nach mir

    "Im Augenblick sehe ich gerade wie Scarpia / Ruggero Raimondi umgemurxt wird, und überlege ob ich einen Schokoladenkuchen essen soll?" oper337

  • Hallo Don Fatale,

    ein schöner Anfangsbeitrag für Glasunow. Aber dadurch werden die Werke auch nicht interessanter !

    :S Mit Glasunow bin ich bisher noch nie richtig warm geworden - da ist mir einfach "zu wenig los". Und dann habe ich auch noch die falschen Aufnahmen von den Glasunow-Sinfonien mit dem Moskau SO/Alexander Anissimow (NAXOS; 1996/7, DDD), bei denen ich wenig Biss vorfinde, alle eher langweilig.Ich dachte die Moskauer sollten es drauf haben - weit gefehlt, die Aufnahmen sind stinklahm ! Da sucht man den alten Biss aus Swetlanow- und Kondraschin-Zeiten vergeblich !

    Ich glaube da kann nur noch Swetlanow helfen, auf dessen Aufnahmen ich zurückgreifen sollte - aber die sind zur Zeit schwer und teuer zu haben. ;+) :D Und so viel ist mit der gute alte Glasunow einfach nicht wert !

    :?: Oder welche Aufnahmen könnten mir ein Aha-Erlebnis für Glasunow verursachen ?

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • teleton: Bei MDT Mail gibt es Svetlanov-Aufnahmen derzeit erstaunlich günstig. Aber nicht weitersagen und mir nicht alles wegkaufen. ;+)

    Ansonsten habe ich mir auch die Brilliant-Box gekauft. Bin im Moment auf dem "Russen-Trip", habe auch Borodin, Scriabin und Liapunov gekauft, jetzt erweitere ich meine Myaskovsky- und Rimsky-Bestände. Dann noch ein bisschen Arensky, Kabalevsky, Tschaikowsky... ;(

    Glazunov gefällt mir, weil da so eine "russische Weite" mitklingt. Das finde ich an der russischen Musik überhaupt so interessant und hörenswert. Das ist nicht klein, sondern mit großen Bögen ausgestattet, eine so schön romantische Vorstellung von Musik, die man selbst noch bei Schostkowitsch, Prokofieff oder Schnittke findet.
    Als ich die Schostakowitsch-Biografie gelesen habe, habe ich verstanden, wie sehr dort ein schulisch geprägter Kompositionsstil vorherrscht, wie sehr sich "an die Regeln" gehalten wird. Dadurch klingen allerdings die Werke auch vielleicht ein wenig "durchorganisiert", neudeutsch: durchgestylt. Es bricht nicht plötzlich etwas und Dynamik- oder Tempowechsel oder eine Doppelbödigkeit kommen nicht so oft vor. Selbst Schostakowitsch ist ja, wenn man sich eingehört hat, sehr klar strukturiert, windet sich wie in einer Spirale nach oben. Die Symphonien erscheinen deshalb wenig griffig. Das gilt interessanterweise auch für die Chrowerke, die sich auch in der Box finden. Trotz der russischen Sprache sind sie gut nachvollziehbar und gar nicht so weit weg von Schubert oder Haydn, obwohl man das vielleicht vermuten könnte.
    Am besten gefallen mir die Konzerte, Violine und Klavier. Das Violinkonzert habe ich mir zufällig gekauft, es fand sich auf einer Great-Recordings-Aufn. mit Heifetz. Eigentlich habe ich die CD wegen Sibelius und Tschaikowsky gekauft (trotz Aufn. von 1936 ein herausragender Solopart), aber auch Glazunov hat mir bereits damals gefallen. Das Klavierkonzert habe ich neulich aus der Hyperion-Reihe gekauft (derzeit günstig bei jpc oder Müller-Märkten). Ein sehr schönes, romantisches, schwebendes Klavierkonzert. Das Bild von Glazunov auf dem Cover zeigt jedoch ein leider weit verbreitetes Problem der russ. Komponisten: Er sieht ziemlich nach Alkoholiker aus.
    Manchmal fragt man sich ja, ob manche Komponisten zurecht oder leider vergessen wurden. Bei vielen Russen vermute ich jedoch auch Probleme durch den Kalten Krieg, weshalb die nicht so oft aufs Programm gesetzt wurden. Sonst müsste es auch mehr Aufnahmen mit West-Orchestern geben. Vielleicht werden die Russen jetzt langsam entdeckt. Sicher, Beethoven oder Bruckner sind nochmal was anderes, aber dennoch finde ich, sind Glazunovs Symph. durchaus eine hörenswerte Bereicherung einer Sammlung.

  • :?: Oder welche Aufnahmen könnten mir ein Aha-Erlebnis für Glasunow verursachen ?

    Na, du musst ja immer HiFisuperstereorauschfrei hören. Sonst tät ich sagen: Mra und Golovanov. Die Svetlanovaufnahmen kenne ich (leider!) nicht.
    Falls es doch mal einer mit Golovanov versuchen will: die Aufnahmen sind wohl nie auf CD veröffentlicht worden. Digitalisierungen von alten LPs gibt es hierals Gratisdownload.

    Grüße
    vom Don

  • Hallo,

    da ich im Moment sehr wenig Zeit habe, kann ich mich hier leider nicht allzu umfangreich zu Wort melden. Ein paar Bemerkungen will ich aber doch machen. Ich selbst habe Glasunows Sinfonien in den Naxos-Einspielungen, die vermutlich nicht unbedingt Referenz sein dürften, aber andererseits mindestens zum Kennenlernen sicherlich geeignet sind. Nach Alternativen werde ich mich bei Gelegenheit umsehen; Michaels (Don Fatales) Golowanow-Links sind da schon einmal eine gute Anregung, werde mir die Dateien herunterladen.

    Ich persönlich mag Glasunows Sinfonien sehr gerne, aus ähnlichen Gründen wie den von Michael geschilderten. Eigentlich kann man sich bei Glasunow immer sicher sein, was man bekommt: es ist auf jeden Fall sehr gut komponiert, ausgezeichnet orchestriert und oft mit gewissem Pathos. Die Musik ist von ihrem Wesen her eher "sonnig" und positiv; erderschütternde Wahrheiten und dramatische Konfliktsituationen (überspitzt formuliert) wird man in der Regel nicht vorfinden. Ich glaube, darin dürfte auch ein guter Teil von Wolfgangs Problemen mit dieser Musik begründet sein. Mir gefällt der Begriff "Objektivität" (um an den zitierten Hofmann anzuknüpfen) für diese Musik in der Tat gut, auch Eleganz, eine gewisse Noblesse. Es ist auch sicherlich richtig, diese Musik als "akademisch" zu bezeichnen, "trocken" ist sie allerdings wiederum nicht.

    Als "Zuckerbäckerware" würde ich seine Sinfonien nicht bezeichnen: ich jedenfalls kann die notwendige "Übersüße" nicht feststellen, dafür ist die Musik zu geschmackvoll und im Zweifel eher dem Pathos zugeneigt.

    Ein Wort noch zu der Entstehungszeit der Sinfonien, da Michael diesen Punkt angesprochen hat: so verwunderlich ist es nicht, dass Glasunow seine Sinfonien eher in frühen Jahren komponiert hat. Er war ein großes Talent, die Erstfassung seiner Sinfonie Nr. 1 hat er meines Wissens mit 16 Jahren komponiert; später jedoch ist seine Schaffenskraft ziemlich erlahmt. So viele Werke hat er nach der Achten jedenfalls nicht mehr komponiert. Allein schon ein Blick auf die Opuszahlen zeigt das recht deutlich: die Achte, sein Opus 83, entstand 1906, und bis zu seinem Tod 30 Jahre später ging es dann eben nur noch bis Opus 109. Es ist schon auffällig, wie stark das Komponieren bei ihm nachgelassen hat; in manchen Jahren hat er überhaupt nichts fertiggestellt – ganz im Gegensatz zu früheren Jahren (1880er, 1890er).

    Übrigens war Glasunow in der Tat sehr trinkfreudig. Ich erinnere mich gerade, dass die Uraufführung von Rachmaninows Sinfonie Nr. 1 auch deshalb ein Misserfolg wurde, weil der Dirigent, Glasunow nämlich, angeblich stark angetrunken war – wobei man solche Anekdoten natürlich immer mit etwas Vorsicht genießen sollte.

    Viele Grüße
    Holger

  • Hallo,

    um es gleich vorwegzunehmen: die 4. Sinfonie von GLASUNOV zählt zu meinen liebsten Werken dieser Gattung und steht damit für mich persönlich als eine „Lieblingssinfonie“ in einer Reihe mit Werken von SCHUBERT und SCHUMANN, BRAHMS und DVORAK.
    Aufmerksam wurde ich auf die Sinfonien von GLASUNOV durch einen Hinweis von dem von mir ausserordentlich bewunderten und verehrten Pianisten S. Richter (müsste nochmal nachsehen in welchen Buch ich das gelesen habe), der eine Reihe von ihm geschätzter russischer Musik benennt. Zu dieser Zeit kannte ich wohl auch schon seine schöne Aufnahme des 1.Klavierkonzertes mit Kondraschin (rec. 1952).

    Die Sinfonien in der GA mit Järvi fand ich dann hier in einer Bibliothek, und mein Versuch mich mit dieser Musik zu beschäftigen ( mit Nr. 4 & 7) begann gleich mit ein "Volltreffer".

    „Prousts“ Begriff von der „russischen Weite“ beschreibt es eigentlich schon sehr gut, es ist dieses lange weiche Fließen, dass mich so träumerisch stimmt.

    Weitere Sinfonien unter der Leitung von Järvi konnten mich dann bisher nicht so fesseln, aber ich besitze inzwischen auch weitere Einspielungen der 4. Sinfonien. Vorallem möchte ich da Serebrier nennen, der sich auch schon mehrfach mit GLASUNOV beschäftigt hat:

     
    (rec. 2006 & 2004)

    Und wie ich gerade sehe, gibt es da auch schon Nachschub... hmm :S


    Kürzlich habe ich mir auch die oben bereits erwähnte CD mit den beiden Klavierkonzerten aus der Reihe bei hyperion gekauft. Ich kann diese Aufnahme sowohl wegen der Werke wie auch der Interpretation wegen empfehlen. Die Stücke erinnern in ihrer Tonsprache gelegentlich an RACHMANINOVs Orchesterwerke.


    (rec. 1996)

    Eine weitere Aufnahem mit dem 1. Klavierkonzert hat auch schon mein Interesse erregt:

    Man sieht: GLASUNOV gibt es sehr wohl in neuen und westlichen Aufnahmen.

    Gruß pt_concours

    W o h n z i m m e r w e t t b e w e r b:
    Petit concours à la maison... (S. Richter, 1976)

  • Ich bin ganz überrascht, dass auch andere sich sehr umfassend mit den russischen Komponisten beschäftigen. Die Serebrier-Aufnahmen habe ich schon gesehen, wusste aber nicht, ob sie gut sind. Aber ich werde mal sehen, ob ich sie mal hören kann.
    Ich persönlich finde es gut und richtig, dass die russischen Komponisten "entdeckt" werden. Die angesprochenen Aufnahmen sind ein erster Schritt, aber ich hoffe, dass die Werke auch Einzug in die Konzerthäuser und die Programme der großen Orchester halten. Die schottischen Orchester (BBC, Royal) haben schon eine recht lange Liste mit Aufnahmen der "Russen". Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich hoffe aber, dass die Alternativen sich vermehren.

  • Glasunow - Klavierkonzerte

    Die Glasunow-Klavierkonzerte Nr. 1 und 2 und die Variationen über russsische Themen habe ich passend zu meiner Sinfonien - GA (alle auf Einzel-CD) auch von NAXOS.

    Die KK sind Spätwerke von Glasunow. Das KK Nr.1 und entstanden erst während Glasunow seine 9.Sinfonie schrieb im Jahre 1910; Fertigstellung 1911.

    Das KK Nr. 2 aus dem Jahre 1917, wirkt noch reifer und ist virtuoser angelegt. 8+) Beide ganz nett !


    NAXOS; 1996, DDD

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Ich habe den Polyansky-Zyklus, kenne aber bisher eigentlich nur die Vierte und Fünfte. Als Zuckerbäckerware würde ich Glasunow keinesfalls bezeichenen (eher die Rimsky-Korsakow-Sinfonien, die mich bisher langweilen, aber vielleicht werde ich da auch nochmal bekehrt).

    Poljanskij zählt zwar seit einigen Monaten zur Riege meiner Lieblingsdirigenten, aber seine klangschöne, elegant fliessende Aufnahme der fünften Glasunow-Sinfonie ist im Vergleich zu Mrawinskij doch etwas unspektakulär. Was Glasunow mit dem Thema im ersten Satz alles anstellt, das arbeitet Mra perfekt heraus. Da staunt man, welch vielfältige Gestalt das Thema annehmen kann. Bei Poljanskij fliesst der Satz relativ gleichförmig an einem vorbei und man wird eventuell unaufmerksam, Mra setzt Ausrufezeichen und gestaltet so, dass man die musikalische Struktur besser erfassen kann.

    Glasunow. 5. Sinfonie. Leningrad, 28.9.1968

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Obacht: Beim Werbepartner können ab dem 26. Juli die Glasunov-Sinfonien mit Svetlanov bestellt werden!

    Und bei deezer.com steht eine Gesamtaufnahme kostenlos zur Verfügung, die nicht die Schlechteste sein dürfte: Vladimir Fedossejev leitet das "Moscow Radio Symphony Orchestra".

    Aufnahmen mit dem m.E. genialen Dirigenten José Serebrier kann man stets bedenkenlos kaufen.

    Hm, schon erstaunlich, dass man letztlich bei diesem recht unbekannten Zyklus doch die Qual der Wahl hat.

    Zufällig hörte ich vor gut einer Woche die 1. Sinfonie - ein Jugendwerk - i Radio und war sehr überrascht, wie sehr mir diese Musik gefiel. Angeregt durch diesen Thread werde ich demnäx gewiß mehr Glasunov hören. Sein Violinkonzert hat mich nie sehr begeistert, aber da gibt es doch noch viel mehr zu entdecken.

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Ich hatte einfach vergessen, dass ich diese CD besitze - heute habe ich sie eher zufällig wiedergefunden:

    Golovanov mit der Sechsten. Gar nicht teuer übrigens. Überhaupt nicht teuer. (Und die Liszts auf dieser CD - auch nicht zu verachten...)

    In dieser Aufnahme hört man besonders gut, was diesen Dirigenten wirklich unverwechselbar und für mich absolut faszinierend macht: wie das Orchester unter seiner Leitung wie selbstverständlich und ganz organisch permanent das Binnentempo zu modifizieren vermag, einen Grundpuls gleichwohl beibehaltend, wie ein Pianist, der extremste rubati spielt - wie der späte Horowitz etwa. Wer diese Aufnahme hat, achte mal auf das zweite Thema des ersten Satzes, dort wird das besonders deutlich. Das ist eines dieser typisch russischen, elegisch weit ausgespannten Themen, stark an Tschaikowsky erinnernd. Durch das ständige An- und Abschwellen des Tempos gewinnt es in dieser Aufnahme eine ungeheure, geradezu hypnotische Kraft. Trotzdem verliert man nie den Grundrhythmus.

    Aber hier geht's nicht um Golovanov (hatte TB nicht mal einen Thread über ihn versprochen? Schreib, bitte, Lieber, du wirst nicht allein bleiben!), sondern um Glasunov.

    Beim Wiederhören heute der sechsten Symphonie, die allmählich zu meinem Liebling avanciert, diesmal mit Partitur (dank der örtlichen Stadtbibliothek), fiel mir stärker als bisher auf, mit welcher Akribie Glasunov hier im ersten Satz die klassische Sonatenhauptsatzform bedient. Ich glaube, ich kenne überhaupt keinen Hauptsatz nach Haydn, in dem so mustergültig erstes (c-moll) und zweites (Es-Dur) Thema voneinander abgesetzt werden, so deutlich die Durchführung und die Reprise einsetzen (in der Partitur ist das auch noch schön mit Doppelstrichen markiert - unnötig, man hört's, selbst als ungeübter Hörer). Trotzdem wirkt gerade dieser erste Satz der Sechsten Symphonie keinen Moment akademisch, uninspiriert, neoklassizistisch, anachronistisch auf mich. Vielmehr gehört er, so weit ich Golovanovs Werk bisher kenne, zum Leidenschaftlichsten, Aufwühlendsten, das er komponiert hat. Es scheint mir, als habe Glasunov geradezu demonstrieren wollen, dass er in der Lage ist, auch unter peinlichster Beachtung der überkommenen Formensprache Tiefstes und Innerlichstes, Modernstes und Zeitgemäßestes auszudrücken. Was für eine Schelmerei ist das letztlich, was für eine Meisterschaft und was für eine Arroganz in dieser Meisterschaft - denn wäre es nicht viel einfacher gewesen, die durch andere längst errungene größere Freiheit in der formalen Anlage zu nutzen? Einfacher sicher - aber nicht befriedigend für einen vom Schlage Glasunovs. Er musste sich selbst schon eine besonders schwere Aufgabe stellen und diese triumphal bestehen, um mit sich und seinem Werk glücklich zu werden. Ein Angeber, freilich, aber ein äußerst liebenswerter, denn man hört in jedem Moment dieser Komposition den tiefen Ausdruckswillen heraus - und ist mit- und hingerissen.

    Ein fabelhafter, ein anbetungswürdiger erster Satz, dem ein ebenso meisterhafter Variationensatz folgt - der noch tiefer in die Vergangenheit führt. Das Thema gemahnt mit seinem charakteristischen Eine-lang-zwei-kurz-Rhythmus einerseits an eine barocke Pavane, andererseits in seiner harmonischen Unbestimmtheit an slawische Kirchentonarten. Es wird in sieben ineinander übergehenden Variationen, die u.a. "Scherzino", "Fugato" und "Notturno" betitelt sind, aufs Kunstvollste durchgeführt, wobei die einzelnen Instrumentengruppen so prima gefeatured werden, dass ich diesen Satz Musiklehrern, die von Brittens "Young Person's Guide" allmählich angenervt sind, nur ans Herz legen kann. Auch hier: perfekte Versöhnung von ältester Formenlehre mit (damals) modernstem Ausdruck. Fabelhaft.
    Der dritte Satz ist ein kurzes "Intermezzo", das zu vernachlässigen, der vierte ein lärmendes Finale, das nur ärgerlich ist. Schade. Aber was soll's. Freuen wir uns über die ersten beiden.

    Grüße
    vom Don

  • RE: Glasunow mit Swetlanow

    Zitat


    Zitat von Holger:

    Die Musik ist von ihrem Wesen her eher "sonnig" und positiv; erderschütternde Wahrheiten und dramatische Konfliktsituationen (überspitzt formuliert) wird man in der Regel nicht vorfinden. Ich glaube, darin dürfte auch ein guter Teil von Wolfgangs Problemen mit dieser Musik begründet sein.


    Hallo Holger,

    ich bin mir dieser Tatsache ja seit langem bewust, finde aber das die Sinfonien (schon gar nicht in den Anissimow-Naxox-Aufnahmen) richtig zu begeistern vermögen.

    Thomas Bernhard hat es angesprochen: Auch die Rimsky-Korsakow-Sinfonien Nr.1 -3 gehen nicht so richtig aus sich heraus und sind streckenweise wirklich langamtmig. Das liegt hier auch nicht an den Interpretationen meiner wirklich guten Aufnahmen mit Järvi (DG) und für Antar Ansermet (Decca), sondern tatsächlich, wei bei Glasunow an den Werken selbst.

    :thumbup: Die Borodin-Sinfonien Nr.1 -3 finde ich ungleich spannender und absolut hörenswert - dieser Komponist (der eigendlich Arzt war) kann mich begeistern, der hat es auch angemessen mit wunderbarer Melodik und seiner zupackenden Art auch ohne einkomponierte dramatische Konfliktsitioationen geschafft, etwas fabelhaft sinfonisches hinzubekommen. Die Dritte wurde von Borodin nicht vollendet und gar von Glasunow vertont - eine fabelhafte Arbeit, die mich bisher mehr anspricht, als seine eigenen Sinfonien !

    Dann kommt noch dazu, das meine Aufnahmen mit Swetlanow (Melodiya, 1966/1983) wirklich alles aus den Partituren herauskitzeln. Voller spannender Momente mit gesetzten Ausrufungszeichen ! Die GA mit Roshdestwensky /Royal Stockhoilm PO (Brillant) ist auch sehr gut und mit fabelhafter Klangtechnik ausgestettet. Aber so packend wie Swetlanow schafft es Roschdestwensky nicht .... alle Anderen wären für mich ohnehin "kalter Kaffee".

    Zurück zu Thema Glasunow-Sinfonien:
    :!: Lavine hat auf die ab 26.07.2010 bei jpc bestellbare Swetlanow - GA (6CD) der Glasunow-Sinfonien hingewiesen. Ich denke dass ich dadurch vielleicht doch noch zu Glasunow finden werde. Diese WARNER-CD´s sind mit dem Aufnahmedatum 1989/90 teils in DDD angegeben (es gab diese CD´s bisher auch als Warner-Einzel-CD´s). Vor vielen Jahren hatte mich mal im Rundfunk eine dieser Aufnahmen wirklich positiv überrascht. Ich kann nur hoffen, dass diese GA mit mehr Biss ausgestattet sind als die Rachmaninow-Sinfonien Nr.2 und 3 mit Swetlanow in seinen Aufnahmen von 1995 (Warner); denn bei Rach sind Swetlanows Aufnahmen aus 1968 - 1970 (Melodiya) diesen "langezogenen Schwachmaten von 1995" nicht nur weit überlegen, sondern absolute Referenz. Auch Swetlanow wurde im Alter; als er im Westen war, oftmals zu beseelt in seiner Aussagekraft ....

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • (Nur kurz, muss gleich weg)

    Wie das Hauptthema der Sinfonie (des ersten Satzes) in Glasunows Fünfter geboren und entwickelt wird, das erinnert mich stark an Scriabins Zweite. Gehts euch auch so? Vielleicht ein Ansatz für Teleton, sich mit Glasunow anzufreunden?

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Ich bin sehr enttäuscht von der gezeigten Brilliant-Gesamtbox mit den Aufnahmen der Symphonien unter Polyansky. Die Interpretationen sind okay, aber der klang ist fürchterlich dumpf, breiig, unspezifisch; teilweise klingen die Holzbläserpassagen wie mit nem schlechten Synthesizer eingespielt. Wie kann denn sowas passieren bei Aufnahmen, die in den 90er und nuller Jahren entstanden sind? Ich bin wirklich kein Klangfetischist, aber das hier ist eine Zumutung.

    Grüße
    vom Don

  • Bin gerade zufällig über diese neue Wiederveröffentlichung gestolpert. Kennt schon jemand?

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Wie das Hauptthema der Sinfonie (des ersten Satzes) in Glasunows Fünfter geboren und entwickelt wird, das erinnert mich stark an Scriabins Zweite. Gehts euch auch so?

    hm, naja, hängt dieser Eindruck nicht von der Interpretation ab? Skriabins 2. habe ich mit Dimitri Kitaenko, der sich recht bedeutungsschwanger und nicht sehr geradlinig auf das Thema hinbewegt. Im Vergleich dazu ist Glasunov rhythmisch viel klarer und zielstrebig.

    "Im Augenblick sehe ich gerade wie Scarpia / Ruggero Raimondi umgemurxt wird, und überlege ob ich einen Schokoladenkuchen essen soll?" oper337

  • Vielleicht ein Ansatz für Teleton, sich mit Glasunow anzufreunden?


    kann das hier stehen bleiben oder verschieben wir in den Missionierungsthread???

    wer sich mit den Sinfonien nicht anfreunden kann, koste mal die sinfonischen Dichtungen "Stenka Rasin", "Aus dem Mittelalter" usw. Toll ist imO die Musik zu Raymonda, da sind etliche "Gänsehautstellen" drin :yes:

    "Im Augenblick sehe ich gerade wie Scarpia / Ruggero Raimondi umgemurxt wird, und überlege ob ich einen Schokoladenkuchen essen soll?" oper337

  • wer sich mit den Sinfonien nicht anfreunden kann, koste mal die sinfonischen Dichtungen "Stenka Rasin", "Aus dem Mittelalter" usw. Toll ist imO die Musik zu Raymonda, da sind etliche "Gänsehautstellen" drin :yes:


    Bezüglich der (in den 1880er- / 90er-Jahren entstandenen) Symphonischen Dichtungen, Fantasien, Suiten usw. für Orchester kann ich Alexa nur zustimmen!
    Was vor allem 'Das Meer' oder 'Stanka Rasin' an heftiger Dramatik und überbordender Energie bieten, wird man in den - im Vergleich dazu doch etwas akademisch wirkenden - Symphonien Glasunows vergeblich suchen.

    Eine, wie so oft im russischen Repertoire, erste Adresse ist für mich die hoch spannende Järvi-Einspielung:

    Alexander Glasunow (1865-1936):
    Morye (Das Meer) - Fantasie E-dur für Orchester, opus 28 1889
    Stenka Rasin - Symphonische Dichtung h-moll für Orchester, opus 13 1885
    Vesna (Der Frühling) - Tongemälde D-dur für Orchester, opus 34 1891
    Is Srednich Wekow (Aus dem Mittelalter) - Suite E-dur für Orchester, opus 79 1902
    Royal Scottish National Orchestra, Neeme Järvi
    Chandos, 1987, 1 CD

    :wink:
    Johannes

  • Glasunov dirigiert Glasunov

    Hallo,

    es scheint auch eine Aufnahme zu geben, wo GLASUNOV selber seine Werke dirigiert. Eben folgende CD gefunden:

    Glazunov Conducts The Seasons
    +Sym No.7 in F, Op.77?

    Kennt jemand diese CD, die wohl schon länger nicht mehr erhältlich ist?
    Und daraus folgend natürlich die Frage: Wie dirigiert er seine Werke? Aufgrund der alten Aufnahmen sicher in erster Linie im Hinblick auf das Tempo interessant.

    Gruß pt_concours

    W o h n z i m m e r w e t t b e w e r b:
    Petit concours à la maison... (S. Richter, 1976)

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