MOZART: Don Giovanni – Kommentierte Diskographie
„Bei Don Giovanni handelt es sich um jenen Kavalier, der zur Abbuße seiner erotischen Sünden zur Hölle fuhr. Es bleibt die Frage offen, ob sich für ihn die Sache nicht doch gelohnt hat.“ (Loriot)
Diese knappe, aber treffliche Einführung vorwegschickend möchte ich einen Thread zur Diskographie des Mozartschen „Don Giovanni“ beginnen und alle Opernbegeisterten (und alle andere auch) einladen, Beiträge zu formulieren und zu posten.
Ich selbst versuche gern, so viel wie möglich beizusteuern. Beginnen will ich mit meiner favorisierten Einspielung:
Gabriel Bacquier – Don Giovanni
Donald Gramm – Leoprello
Joan Sutherland – Donna Anna
Pilar Lorengar – Donne Elvira
Werner Krenn – Don Ottavio
Marilyn Horne - Zerlina
Leonardo Monreale – Masetto
Clifford Grant - Commendatore
The Ambrosian Singers
English Chamber Orchestra
Leitung: Richard Bonynge
Die GA ist gegenwärtig leider nicht auf CD zu haben, Decca bietet lediglich einen Querschnitt an. Möge es eine Wiederauflage geben.
Was mich an dieser Aufnahe fesselt? Nun, das ist zum einen das sehr gute Ensemble, zum anderen ist es Bonynges „high-voltage“-Ansatz.
Beginnen wir mit den Sängern. Grundsätzlich – das muss man wissen, um meine Vorliebe für diesen Sänger in dieser Partie nachvollziehen zu können - verstehe ich den Giovanni weniger als einen als einen an Casanova angelehnten jugendlichen und nicht so recht verantwortungsbewusst handelnden Latin-Lover-Typ, der ja bei aller kurzzeitiger Enttäuschung die Damen seiner Wahl immerhin beseligt zurücklässt. Solche Darstellung gibt es allerdings, beispielsweise klingen in meinen Ohren Wächter oder aber auch Hampson sehr danach. Sollte ich Don Giovanni inszenieren, so wäre der Hauptdarsteller das, was man ganz lax als "alten Sack" bezeichnen könnte. Erfahren mit den Damen, mehr durch eine gut gemachte, ja routine Verführung und Stand beeindruckend als durch echte Virilität, Potenz und „good looks“. Könnte Flavio Briatore singen – ich würde ihn besetzen.
In dieser Aufnahme singt Gabriel Bacquier den lüsternen Don Giovanni und er singt ihn so, wie ich es mag. Die Stimme ist nicht mehr die eines Jungspunds, hier und da etwas kratzig, schon mit einer gewissen altersbedingten Härte, der Ton etwas starr, wenig elegant, nur mit Mühe schmeichelnd. Dabei – nicht, dass noch der falsche Eindruck entsteht – kann Bacquier natürlich noch ganz flexibel singen, macht das aber nur dort, wo es die Verführungstaktik vorgibt. Daneben ist er hier ein ganz herrlicher Gestalter der Rezitative, speziell in den Dialogen mit seinem Faktotum Leporello, gesungen von Donald Gramm, einem jener Sänger, die es verdient hätten, im „Große Sänger – bei uns eher unbeachtet usw.“-Thread genannt zu werden. Gramm, der schon 1983 verstorben ist, singt einen in meinen Ohren ganz vorzüglichen Leporello, zwar mit einer dezenten, aber dadurch eher glaubhaften Komik. Ich bekenne hier schon einmal ganz fromm und frei, dass ich die berühmte, schon fast sakrosankte Giulini-Einspielung nicht besonders mag. Da gefällt mir vieles nicht so sehr, gar nicht gefällt mit jedoch Giuseppe Taddei, dessen Interpretation mir oft ein wenig zu sehr HAHA ist. Noch schlimmer – im Sinne von überzogener – sind in meinen Ohren nur der in diesem Jahre verstorbene Wladimiro Ganzarolli (Davis) oder Sir Geraint Evans (in der ziemlich unsäglichen frühen Barenboim-Aufnahme). Gramm indes schießt selten über’s Ziel hinaus, hat einen schönen Ton, artikuliert sehr gut und steht Bacquier auch in der Intelligenz und Intensität der Charakterzeichung kaum nach. Mich überzeugt das in voller Breite. Und nun die Damen. Joan Sutherland gibt eine kraftvolle Donna Anna und hat weder mit den darstellerischen noch mit den technisiche Schwierigkeiten der Rolle Probleme (lediglich im „Or sai chi l’onore“ scheint sie mir an einer Stelle ein wenig zu schleppen), sie singt großen Bogen, hier und da vielleicht artikulatorisch etwas zu konsonantenfrei. Sehr gut gefällt mir die herrliche Pilar Lorengar, die für mich eine geradezu ideale Donna Elvira gibt, leidenschaftlich, warm im Ton, mit einem gewissen Hang zur Nervosität, die jedoch nie in jene Hysterie ausartet, die uns Edda Moser in der Maazel-Einspielung bietet. Ihr „Ah fuggi“ ist schlicht berückend. Werner Krenn gibt einen Don Ottavio, wie er lange üblich war. Weich, Frauenversteher, nett, ganz Schwiegersohn, ein Bursche, vor dem sich der lendenlastige Don kaum zu fürchten braucht. Daneben singt Krenn beide seiner Arien ganz entzückend, ich hätte da aber immer gern etwas mehr Power. Die Zerlina mit Marilyn Horne zu besetzen ist etwa so, wie mit dem Jaguar zu Briefkasten um die Ecke zu fahren, also etwas viel des Guten. Die Horne singt schön, klingt schön, ist schön, aber ein Bauernmädel, das sich noch an ihrem Hochzeitstag von einem anderen Mann beflirten lässt, ist sie nicht. Dafür wirkt sie um ein Vielfaches zu pfiffig. Leonardo Monreale gibt einen mir etwas zu dicken Masetto. Clifford Grant ist ein würdiger, stimmlich nicht so mulmiger Commendatore, wie beispielsweise Burchuladze, der glatt so singt, als hätte er eine heiße Kartoffel im Mund. Grants Commendatore ist ein kraftvoller und integrer Gegner noch im Tode.
Doch mich packt nicht nur die Leistung des Sängerensembles, sondern auch ganz besonders Richard Bonynges straffer Ansatz. Da wird mit dem vergleichsweise schlank besetzten English Chamber Orchestra ein hochdramatischer, angespannter, ja fetziger Mozart musiziert, wobei es durchaus ruhige Momente gibt, die aber – wie beispielsweise das eher langsam genommene „La ci darem la mano“ – immer einen Zweck erfüllen, sei es zur Charakterisierung einzelner Figuren (Don O.) oder aber, um wie hier den Don G. so recht Süßholz raspeln zu lassen. Mich fasziniert aber – das ist im Übrigen bei Mutis Wiener Einspielung ganz ähnlich – besonders der unter jeder Note lauernde Druck. Es ist, als schimmere durch jede noch so sittliche Szene, jede noch so zarte Note immer der gruselige Abgrund, in den der Don am Ende stürzen wird. Schon das Finale des ersten Aktes bricht geradezu über alle herein, über die Teilnehmer am Fest, den Don, Leoprello, die Maskierten und nicht zuletzt über den Hörer.
Was hätte Hans Rosenthal gesagt: Das war spitze!
Mögen viele Besprechungen anderer Aufnahmen – und zwar nicht nur von mir (:D) - folgen.
Agravain