STRAUSS: Der Rosenkavalier – Kommentierte Diskographie
Meine Lieben,
Schon wieder eine Lücke, die ich als Wiener und Rosenkavalier-Schätzer (bitte den Doppelsinn zu beachten) nicht ungestopft lassen kann. Ich werde allerdings nicht, wie es naheläge, mit den beiden Kleibers beginnen, sondern mit einer weniger bekannten Live-Aufnahme von Anno dazumal, die 2009 bei Walhall erschienen ist:
Fritz Busch am Pult der MET im Dezember 1946 verfügte über ein Ensemble, in dem es von berühmten Namen nur so wimmelt. Wer mit den älteren MET-Aufnahmen nicht so vertraut ist, den mag es verblüffen, daß hier praktisch akzentfrei deutsch gesungen wird, und einige Mitwirkende sogar den Wiener Dialekt perfekt beherrschen (auch wenn sie nicht alle Wiener sind). Das war natürlich auch eine Folge der Emigrationswelle, aber nicht nur.
Die Tonqualität ist, was das Orchester betrifft, mäßig. Die Stimmen kommen besser heraus, aber berauschend ist es nicht, wenn auch tolerabel und verschiedentlich recht passabel.
Fritz Busch war mit Strauss befreundet, und seine Berufung nach Wien, die nur durch seinen Tod 1951 vereitelt wurde, hochverdient, aber hier läßt er zwar die ganze Zeit spüren, daß er diese Musik verinnerlicht hat, nimmt sie aber trotzdem zu amerikanisch, spürt nicht genug den seelischen Nuancen nach, die in der Musik spürbar werden. Mag sein, daß er seinen amerikanischen Protagonisten damit die Sache erleichterte. Trotzdem ist es schade.
Irene Jessner gibt die Feldmarschallin durchaus so, daß man nichts aussetzen kann. Sie macht alles richtig, nur wird sie eben von späteren Marschallinnen wie Jurinac, Kri te Kanawa, Reining, Lott, Jones usw. übertroffen. Jessner soll eine gute Lehrerin gewesen sein. Ich kann mir das durchaus vorstellen. Im Grund entspricht sie den Vorgaben des Dirigenten.
Emanuel List (morgen jährt sich sein Todestag), ein gestandener Wiener, herrlicher Baß und bewährter Ochs, nimmt die Partie hier nicht zu schwer, singt etwas nachlässig, obwohl mit großer Routine und vielen Spaßettln. Eine Prise weniger Volkskomödie hätte gut getan, denn der Edelmann bleibt zu sehr auf der Strecke, was er ja nicht soll. Trotzdem hört man die Begeisterung des Publikums und kann sie verstehen. Bei allen Einwänden, die nicht überbewertet sein sollen: Von diesem Ochs kann mancher heutiger Sänger dieser Partie nur klein beigeben.
Rise Stevens als Octavian (dank ihrer Wien-Erfahrung klingt er sehr authentisch) ist ein bißchen überbesetzt. Die Stimme ist etwas zu unjung und kann einen ganz kleinen heroisch-dramatischen Beiklang nicht ganz verleugnen. Trotzdem beachtlich und hörenswert. Eleanor Steber als Sophie bemüht sich wirklich, keinen Fehler zu machen (und ich höre auch keinen), aber sie ist alles andere als ein unschuldiges junges Mädchen, sondern stimmlich viel zu reif für diese Rolle. Alessio de Paolis übertreibt den Valzacchi anfangs zu sehr, Frederick Lechner bemüht sich nicht ohne Erfolg um eine gute Interpretation einer Rolle, die ihm sicher schwer gefallen ist. Kurt Baum gibt den Sänger, nicht sehr elegant, aber ich habe schon schlechtere gehört. Sehr gut Lorenz Alvary als Kommissarius.
Liebe Grüße
Waldi