• Michael Gielen

    Michael Gielen erhielt in diesem Jahr den Ernst von Siemens Musik Preis (legaler Link für die Lachenmann-Laudatio und Rede des Preisträgers):


    "http://www.evs-musikstiftung.ch/ernst-von-siem…-2010/laudatio/"

    Michael Gielens Bedeutung erstreckt sich vor allem auf zwei Bereiche, nämlich als Komponist ...sein 2. Streichquartett Un vieux souvenir bezeichnete er als sein bestes Werk...


    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51fwtyqbCCL._SL500_AA300_.jpg]

    ...und seine Bedeutung natürlich auch als Dirigent.

    Als Musiker sieht er nicht zuletzt auch darin seine Aufgabe, das Publikum mit den avancierten Werken der klassischen und zeitgenössischen Moderne vertraut, sowie Werke der sog,. Tradition neu erfahrbar zu machen. Seine Liebe gilt vor allem drei Komponisten: Beethoven , Mahler und Schönberg. Gielen hält Schönberg für den größten Künstler des 20. Jahrhunderts.

    Über Mahler äußerte er sich einmal in einem Gespräch: "Mahler ist die große Liebe, weil er der erste moderne Komponist ist, dessen Inhalte im Grunde schon die Schönbergs sind: das Innere des Menschen, seine Zerrissenheit und die Zerrissenheit der gesellschaftlichen Verhältnisse, in einer Musiksprache, die dem "normalen" Konzertpublikum zugänglich ist. Darin liegt, glaube ich, seine überragende Wichtigkeit: Mahler konfrontiert das Publikum mit den dissonanten Inhalten der Moderne, die es sonst vermeidet".
    Dieses Zitat verweist darauf, dass Gielens Wirken als Musiker verknüpft ist mit der Einsicht, dass Kunst sich nicht im bloßes Spiel oder schönen Schein erschöpft, sondern über diese Sphäre hinaus verweist. In den Kunstwerken (vor allem in jenen, die sich nach außen hin - mehr oder weniger "esoterisch" - versuchen völlig abzukapseln) finden sich wieder die Zwänge der Zivilisation, die Brüche bzw. das Ungelöste der Gesellschaft…..

    ..das Einleitungsposting soll nicht zu lang geraten, damit möglichst viele User sich selbst einbringen mit Beiträgen. Ich fänd’s prima, wenn bald eine ganze Menge (und in bunter Mischung) an Hinweisen, Tipps von Einspielungen, Gedanken, Konzerterlebnissen, Links, Anekdoten etc. folgen würde …

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • RE: Michael Gielen

    Seine Liebe gilt vor allem drei Komponisten: Beethoven , Mahler und Schönberg. Gielen hält Schönberg für den größten Künstler des 20. Jahrhunderts.

    Nicht falsch, aber auch nicht ganz vollständig. Wir ergänzen mal, so dass es sich nicht nur auf die eigenen Lieblinge bezieht ;+)

    Aus einem Interview mit dem Schweizer Musikwissenschaftler am 28. Januar 2010 in Baden-Baden:

    Zitat


    Ich halte Schönberg für den entscheidenden Komponisten des 20.
    Jahrhunderts.

    Also für den bedeutenden Komponisten. "Künstler" wäre auch etwas unangebracht universell.

    Weiter:

    Man findet in Gielen einen IMO eher deutschen Vertreter, der viel Wert auf Erfindung, Tiefe und thematische Entwicklung legt. Nicht verkehrt das. Aber eben eine, nämlich seine Sicht der Dinge.
    Wie er vom "Exoten Mussorgsky" redet, mutet doch etwas fremd an, auch wenn ich meine, nachvollziehen zu können, was er meint.

    :wink:

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • nee, nee, Gielen hatte ausdrücklich die Bezeichung Künstler im Zusammenhang mit Schönberg genannt. Allerdings nicht in dem Interview, worauf du dich beziehst. Das "Universelle" ist also gar nicht auszuschließen. Wenn man seine Aufführungszahlen prüfen würde, dann hätten sicherlich Beethoven, Mahler und Schönberg ein besonderes Gewicht.

    Zitat

    Man findet in Gielen einen IMO eher deutschen Vertreter, der viel Wert auf Erfindung, Tiefe und thematische Entwicklung legt.

    Für diesen Eindruck spricht sicher einiges. Das hinderte Gielen aber keineswegs sich auch für Opern wie z.B. Bellinis "Norma" oder Verdis "Falstaff" einzusetzen.

    Gielen fühlt sich eben der 2. Wiener Schule besonders verbunden. Und dafür hat er natürlich auch gute Gründe.

    Zitat

    Wie er vom "Exoten Mussorgsky" redet, mutet doch etwas fremd an, auch wenn ich meine, nachvollziehen zu können, was er meint.

    Wenn ich es recht in Erinnerung habe, sprach er einmal davon, dass Brahms, Bruckner + Wagner besonders wichtige Vertreter der 2. Hälfte des 19 Jahrhunderts wären, aber dass eben sog. Randgruppen nicht zu vernachlässigen seien. Zu diesen Randgruppen zählte er neben Verdi auch Mussorgsky u.a. ...aber ich habe diese Äußerung nicht mehr sehr deutlich im Gedächtnis...

    Jedoch ich kann dich beruhigen:
    Gielen macht sich auch für Debussy stark. Z.B. eine Studio-Konserve mit dem SWRlern von "Jeux" (die ich momentan Boulez vorziehe) und die von der Kritik sehr gelobte Wiedergabe der "Pelleas et Melisande" in Berlin (vor einigen Jahren).

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Keine Sorge, ich bin ganz ruhig. Gielen als Debussy-Interpret ist eh nicht meine erste Wahl, aber man kommt an zentrale Figuren eben nicht herum (es sei denn man heißt Brendel :rolleyes: ).

    Wie ist der Begriff "Künstler" zu verstehen? Denn in einen kunstübergreifenden Sinn wird er das wohl kaum gemeint haben - schließlich lässt sich kaum sagen, dass Schönberg bedeutender sei als Picasso oder Pollock.
    Dass dies Unfug wäre, müsste wohl selbst der treuste Schönberg-Adept einsehen.

    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)


  • Wenn ich es recht in Erinnerung habe, sprach er einmal davon, dass Brahms, Bruckner + Wagner besonders wichtige Vertreter der 2. Hälfte des 19 Jahrhunderts wären, aber dass eben sog. Randgruppen nicht zu vernachlässigen seien. Zu diesen Randgruppen zählte er neben Verdi auch Mussorgsky u.a. ...aber ich habe diese Äußerung nicht mehr sehr deutlich im Gedächtnis...

    Wenn dem so ist, empfinde ich das eine typisch deutsche, stark formorientierte Sicht mir Schwerpunkt auf Harmonik. V.a. im Zusammenhang des Randgruppen-Begriffs, der gar nicht negativ konnotiert sein muss, aber etwas über den Fokus der eigenen Betrachtung verrät.

    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • So weit ich es in Erinnerung habe, ist der Name Randgruppe in dem Gielenstatement keinesfalls negativ konnotiert.

    Zitat

    Wie ist der Begriff "Künstler" zu verstehen? Denn in einen kunstübergreifenden Sinn wird er das wohl kaum gemeint haben - schließlich lässt sich kaum sagen, dass Schönberg bedeutender sei als Picasso oder Pollock.

    Gielen nannte in diesem Zusammenhang, wenn ich mich recht erinnere, auch Picasso. Er wird den Begriff Künstler nicht im Zusammenhang mit einer Art "Olympiade" verstehen.

    Ich schätze Gielen vor allem in seinen Livemitschnitten, z.B. Schönbergesche Erwartung, die 5 Orchesterstücke und das Klavierkonzert sind die Livemitschnitten mit Gielen viel lebendiger, spannender als die etwas trockenen Studiokonserven jener Werke.

    (In einem Radiofeature sagte mal Gielen (vor vielen Jahren), seine Absicht sei es, Mozart wie Schönberg und Schönberg wie Mozart aufzuführen.. )

    Aber es gibt auch gelungene Studiokonserven von Gielen ....

    Ich nenne mal z.B. :

    die Jakobsleiter und die Glückliche Hand, die ich bisher für die besten Wiedergaben diese Werke halte:
     


    auch diese Nono-CD ist für jeden Nono-Fan ein Muss...


    :wink:

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  • Ich habe Gielen auch als spannenden Mahler-Interpreten in Erinnerung, damals noch nicht wissend, dass dieser Dirigent als bedeutender Mahler-Interpret gefeiert wird.

    Bzgl. Künstler: das ist Gielens Sicht der Dinge. In dieser Exklusivität kann ich mich dieser Aussage nicht anschließen.


    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • bei Mahler ziehe ich auch seine Livewiedergaben vor. Am stärksten beeindrucken mich momentan die Radio-Mitschnitte von M10 (Coooke-Version) und M4 (mit den NDRlern, vor ca. Jahren) und M6 (aus Berlin von 1984, die ich für viel besser halte als die "offizielle" Studiokonserve).
    Ich bin sehr gespannt auch auf den neuen Mitschnitt der M10 (mit den NDRlern von 2009, übernächste Woche, NDR-Kultur).

    Die Studioeinnspielung von M7 habe ich auch in guter Erinnerung, habe sie aber lange mir nicht mehr reingezogen. ich glaube, ich habe sie mir der Scherzowiedergabe (also der 3. Satz) wegen gekauft, so deutlich wars damals nämlich - für mich - auf keiner anderen Konserve, auch nicht mit den Chicagoboys unter Solti, obwohl ich die auch nicht schlecht finde.... Diese Gielen-CD war noch richtig billig...

    Diese M7 gibts bei Amazon. Keine Ahnung, ob die mit der billigen aus den 90zigern identisch ist ...

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Mein Verhältnis zu Michael Gielen ist etwas ambivalent: Einerseits habe ich durch ihn - im Rundfunk und im Konzertsaal - viele Werke kennengelernt; mit Mahlers Sechster habe ich ihn mehrfach erlebt. Seine klare Art, wie er musikalische Prozesse klug ausdifferenziert zu präsentieren weiß - das hat mich immer beeindruckt. Andererseits höre ich bei ihm auch die Tendenz heraus, Emotionales zu vermeiden (wahrscheinlich ganz bewußt: Bloß nicht kitschig werden! als geheime Angst?). Daher klingt für mich manches merkwürdig durchexerziert und kühl, was mich dann auch als Hörer zuweilen kühl und unbeeindruckt zurückläßt. Bei Mahler, Bruckner, Brahms und auch Beethoven ist es mir schon so ergangen.

    Gielen hat sehr viel Kluges über Musik geäußert. Möglich, daß ihm sein Wissen um das, was Musik in unserer Welt bedeutet, bei eigener Produktion bisweilen in die Quere kommt, möglich auch, daß mich mein Wissen darum, daß hier ein höchst refleklierter Künstler am Werke ist, daran hindert, seine Arbeit unvoreingenommen aufzunehmen und zu würdigen...

    Eine große Zeit mit Gielen gab es sicher 1977-87, als er die Frankfurter Oper leitete. Dadurch habe ich die Musik Franz Schrekers kennen und lieben gelernt, habe damals zweimal Die Gezeichneten erlebt - ein Jammer, daß der Hessische Rundfunk, der eine Aufführung im Rundfunk sendete, bis heute den MItschnitt hortet! Bei Schreker ist Gielen Überzeugungstäter, ebenso wohl auch bei Schönberg - und das kann man hören!

    Gerade habe ich eine Aufnahme von Bruckners Achter mit Gielen erworben - nach ersten Höreindrücken bin ich zwar nicht begeistert, finde aber einiges hochinteressant - eine Lesart, mit der ich mich möglicherweise noch durchaus anfreunden kann (an geeignetem Ort dann mehr).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • vermutlich hat es auch etwas mit der Studioatmossphäre zu tun. Ich kann mich nämlich z.B. mit Gielens Studiokonserve von Beethovens 6. Sinfonie überhaupt nicht anfreunden. Um so mehr beeindruckt mit die Intensität, ja auch Emotionalität (!!) des Livemitschnitts jenes Werkes die Gielen mit dem Orquesta Ciudad de Granada in Granada am 30.06.04 (auch wenn die Chose intonationsmäßig etwas wackelig ist) erreichte. Gielens Jakobsleiterwiedergabe wirkt auf mich auch sehr emotional...

    Und Gielens Studiokonserve von Tschaikowskis 6. Sinfonie empfinde ich auch als sehr deutliche + emotionale Wiedergabe. Allerdings nimmt er den Seitensatz nicht so schmalzig wie z.B. Mengelberg. Da ist mir Gielen viel näher. Die Reprise (die weitgehend vom Seitensatz geprägt ist) klingt mir mit dem SWRlern unter Gielen sogar emotionaler als mit dem späten Lenny. Lenny "friert" den Seitensatz in der Reprise förmlich ein...

     

    Dass Gielen der Tendenz nach sog. "direkte Emotion" eher vermeidet (das wäre aber genauer zu prüfen, ich bin mir da gar nicht so sicher), hat das möglicherweise den Grund, dass er versucht, die sog. tradionelle Musik vor der Vereinnahmung einer totalen Kulturindustrie zu schützen ?

    Zitat

    Gielen hat sehr viel Kluges über Musik geäußert. Möglich, daß ihm sein Wissen um das, was Musik in unserer Welt bedeutet, bei eigener Produktion bisweilen in die Quere kommt, möglich auch, daß mich mein Wissen darum, daß hier ein höchst refleklierter Künstler am Werke ist, daran hindert, seine Arbeit unvoreingenommen aufzunehmen und zu würdigen...

    Boulez äußert auch viel Kluges über Musik, ist auch ein sehr reflektierter Musiker und schenkt uns auch sehr viele gelungene Wiedergaben. Ich vermute mal einfach, dass es halt Komponisten bzw. Stücke gibt, die einem Musiker mehr liegen und andere eher weniger liegen.

    Zitat

    ein Jammer, daß der Hessische Rundfunk, der eine Aufführung im Rundfunk sendete, bis heute den MItschnitt hortet!

    an diesen Mitschnitt in guter Stereo-FM-Quali ranzukommen ist kein Problem (allerdings ist es ganz allgemein sehr ärgerlich, dass die Radiostationen mit ihren fetten Ärschen auf so vielen Mitschnitten sitzen, die dort vergammeln, und wir kommen an diese Schätze nicht ran)..

    Zitat

    Daher klingt für mich manches merkwürdig durchexerziert und kühl, was mich dann auch als Hörer zuweilen kühl und unbeeindruckt zurückläßt.

    das könnte (pro und contra) als spannende Frage in diesem Thread auch weiter diskutiert werden....

    :wink:

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  • Vor etwa zwei Jahren habe ich Gielen in Hamburg mit Mahlers siebster Sinfonie gehört. Es war die für meine Ohren langweiligste Mahleraufführung, die ich je gehört habe und vielleicht die größte Enttäuschung überhaupt, wenn ich Vorschusslorbeeren und im Konzert Gebotenes vergleiche. Seine Biographie habe ich letztes Jahr gelesen und je länger ich las desto mehr die Erfahrung gewonnen, dass ich diesen Mann nicht kennen möchte.

  • Dass Gielen der Tendenz nach sog. "direkte Emotion" eher vermeidet (das wäre aber genauer zu prüfen, ich bin mir da gar nicht so sicher), hat das möglicherweise den Grund, dass er versucht, die sog. tradionelle Musik vor der Vereinnahmung einer totalen Kulturindustrie zu schützen ?

    Wahrscheinlich sieht Gielen das so.. Wobei mich dase weniger interessiert als das Ergebnis, die konkrete Aufführung oder Aufnahme (daß die Studioatmosphäre bei Gielen eine größere Rolle spielt, glaube ich nicht: ich habe ihn oft genug live erlebt und auch von der Konserve; daß letzteres bei Gielen weniger emotional sei, ist nicht meine Erfahrung).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Seine Biographie habe ich letztes Jahr gelesen und je länger ich las desto mehr die Erfahrung gewonnen, dass ich diesen Mann nicht kennen möchte.

    Was hat Dich denn bei der Lektüre so abgestoßen, lieber Knulp?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Abgestoßen ist viel zu hart. Die Antwort, die mir gleichwohl spontan einfällt, lautet: Fehlende menschliche Wärne. Ich habe den Eindruck eines sehr preußischen, pflichtentreuen Menschen gewonnen, der seinen Anspruch, immer alles richtig zu machen, zu sehr anderen Aspekten überordnet. Aber bitte, das ist ein nur aus einem Buch heraus gewonnener Eindruck, den ich nicht zu hoch hängen möchte, weil ich mir auf der dürren Grundlage eigentlich kein Urteil anmaßen dürfte.

  • Fehlende menschliche Wärne. Ich habe den Eindruck eines sehr preußischen, pflichtentreuen Menschen gewonnen, der seinen Anspruch, immer alles richtig zu machen, zu sehr anderen Aspekten überordnet.

    Damit kann ich etwas anfangen. Einen ähnlichen Eindruck habe ich bei Gielens Interpretationen auch schon gehabt. Was nicht bedeutet, daß ich diese deswegen automatisch nicht mag: Auch Preußen treffen! 8+)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Vor etwa zwei Jahren habe ich Gielen in Hamburg mit Mahlers siebster Sinfonie gehört. Es war die für meine Ohren langweiligste Mahleraufführung, die ich je gehört habe und vielleicht die größte Enttäuschung überhaupt, wenn ich Vorschusslorbeeren und im Konzert Gebotenes vergleiche.

    meinen Mitschnitt nach zu urteilen, gehört diese Wiedergabe in der Tat leider zu den weniger gelungen Aufführungen. Das gilt auch für seine späte Live-Wiedergabe von Mahler 6. Ich denke, dass kommt aber bei vielen bedeutenden Musikern auch mal vor....

    Zitat

    daß die Studioatmosphäre bei Gielen eine größere Rolle spielt, glaube ich nicht: ich habe ihn oft genug live erlebt und auch von der Konserve;daß letzteres bei Gielen weniger emotional sei, ist nicht meine Erfahrung).

    ich möchte meinen Eindruck vieler Studioaufnahmen nicht zu sehr aufs "Emotionale" reduzieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Radiomitschnitte, vor allem die seiner Schönbergwiedergaben, gelungen sind als seine CDs. Bei der Jakobsleiter und der Glücklichen Hand handelt es sich - nebenbei - um sog. kommerzielle Live-Mitschnitte.

    Bei den gelungen Wiedergaben Gielens vermisse ich nicht das, was als das "Emotionale" bezeichnet wird...

    :wink:

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  • Auch ich vermute, dass selbst Gielens beste Studioaufnahmen bei weitem nicht an seine besten Konzerte heranreichen.
    Ich habe Gielen sehr sehr viel zu verdanken, vor allem mitreißende, ja überwältigende Erstbegegnungen mit Brucknerscher und Mahlerscher Symphonik, vor rund zwanzig Jahren als junger Student in Freiburg in den Konzerten des SWF-SO unter seiner Leitung. Abgesehen davon, dass es mir am emotionalen Gehalt dabei wirklich nicht gefehlt hat, stand etwas Anderes im Vordergrund: dass man Strukturen in der Musik tatsächlich auch erhören kann und dass es ungeheuer beglückend und bereichernd ist, so (nämlich auf das Strukturelle konzentriert) hören zu können, das hat mir Gielen durch diese Konzerterfahrungen damals beigebracht. Und das hätte man vielleicht, außer bei Szell, auch bei keinem anderen als Hörer jemals so lernen können.
    Heute ist er mir ein bisschen aus dem Fokus geraten. Fast möchte ich sagen: ich bin da etwas rausgewachsen - ohne das im Mindesten überheblich zu meinen. Ich habe gestern beim Nachschauen doch gestaunt, wie viele Aufnahmen ich von ihm habe, und noch mehr darüber, dass keine davon mir wirklich intensiv in Erinnerung geblieben ist, dass ich keine davon in den letzten Jahren besonders häufig gehört habe und besonders hoch einschätze, bis auf einiges aus dem modernen Repertoire, das ich in anderen Interpretationen gar nicht kenne, so z.B. wunderbare Sachen von Nono oder Elliott Carter. Auch seine Mahlerbox habe ich irgendwie zustimmend zur Kenntnis genommen, bin aber nicht so leidenschaftlich daran hängen geblieben wie etwa jetzt an der Sinopolischen. Trotzdem: großer Respekt und große Sympathie, weiterhin.

    Grüße
    vom Don

  • Gestern habe ich ebenfalls geschaut, welche Aufnahmen ich von ihm besitze und abgesehen von der Quantität - ich besitze nicht sehr viele CDs mit ihm - dieselbe Erfahrung gemacht: Mahler-Box: Zustimmung, aber nicht Begeisterung, besonders interessant: Carter. Deshalb bilde ich gern die CD mal ab, die ich lobe:

  • Zum Carter kurz: dieselbe meinte ich auch. Irgendwo glaube ich gelesen zu haben, Gielens frühere Aufnahme der gleichen Werke mit dem Cincinatti SO sei noch weitaus aufregender. Hat jemand damit vergleichend Erfahrung gemacht (ich ahne schon, wer)?

    Grüße
    vom Don

  • die Gielen-CD mit dem Cincinnati Symphony Orchestra beinhaltet das Piano Concerto (ebenfalls mit Ursula Oppens als Tastenquälerin) und die Orchestervariationen. Ist momentan leider nicht erhältlich. Die Orchestervariationen würden mich mit Cincinnati & Gielen sehr interessieren. (Wenn die jemand zufällig hat, dann würde ich mich über eine private Message sehr freuen.)
    Hinsichtlich der 3 Occasions for Orchestra bevorzuge ich momentan zwei Live-Mitschnitte:
    a. mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Benjamin vom 05.12.08 und
    b. mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken unter Hollliger vom 17.06.09.

    Das schmälert meine Bewunderung für Michael Gielen und sein Lebenswerk aber in keiner Weise.

    Ich denke außerdem, dass Gielen nicht nur in der BRD, sondern auch mit dem Cincinatti-Orchester in den USA eine Menge an Missionsarbeit für die Akzeptanz und den Zugang zur klassischen + zeitgenössischen Moderne geleistet hat.

    Durch "Montagewiedergaben" - z.B. Beethoven S9 mit Schönbergs Überlebenden oder Schubert und Webern versucht er auch sog. traditionelle Werke der musealen (auch ideologischen) Patina zu entwenden und diese dem Hörer neu erfahrbar zu machen

    Gielen steht der jüngeren Komponistengeneration in mancher Hinsicht eher skeptisch gegenüber (Boulez angeblich auch, müsste aber noch geklärt werden).

    In Frankreich gibt es so etwas wie "Gielenhörergemeinden", will sagen, er besitzt bei manchen Sammlern dort so etwas wie ein Kultstatus (wie z.B. C. Kleiber, Goodall, Horenstein).

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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