Alfred Hitchcock - Seine besten Filme

  • Die übrigens englischen Filme passen für mich in dieses Ranking nicht, weil sie entweder großartige visuelle Einfälle haben oder weil sie schlichtweg toll sind.

    Vielleicht ist es nicht ganz klar herausgekommen: ab 1934 hat Hitchcock keinen mittelmäßigen Film abgeliefert, bevor er in die USA ging. Sabotage und Secret Agent würd ich als die schwächsten dieser Zeit ansehen, was bedeutet, daß sehr gute Filme mit grandiosen verglichen werden. Das generelle Niveau seiner Filme ist insgesamt schwindelerregend hoch, technisch wie auch thematisch. Ich kenne keinen Regisseur in der Filmgeschichte, dem so viele wirklich gelungene Filme geglückt sind wie Hitchcock. Und die nach so langer Zeit immer noch neue Fans akquirieren... :verbeugung1:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Lange Kamerafahrten funktionieren als Mittel vielleicht nur, wenn eine 360°-Perspektive möglich ist, d.h., wenn die Kamera eine ganz andere Freiheit erhält. Aber auch dann wäre es mehr das Abfotografieren der Realität und weniger die Gestaltung innerhalb einer besonderen Kunstrichtung.

    Es kommt darauf an, wie man es verwendet, was man damit ausdrücken möchte. Generell hat der Schnitt eine wichtige Funktion in der Handlungsgestaltung und kann nicht so ohne Weiteres "ausgehebelt" werden, aber lange Einstellungen - unabhängig von ihrer Kamera-Bewegung oder nicht - sind zumeist ein besonderer dramaturgischer Moment innerhalb eines Films. Man kann da auch nicht alles über ein Kamm scheren, dafür sind die konzeptionellen Voraussetzungen häufig viel zu unterschiedlich.

    Aber so wie Hitchcock filmisch gedacht hat, wird es für ihn sicherlich gestimmt haben.

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  • Ich kenne keinen Regisseur in der Filmgeschichte, dem so viele wirklich gelungene Filme geglückt sind wie Hitchcock. Und die nach so langer Zeit immer noch neue Fans akquirieren...

    Vielleicht sollte man ergänzen, über einen solch langen Zeitraum, denn sonst schrecken wir Fellini und manch andere aus ihrem Grabe auf. ^^

    Aber grundsätzlich hast du natürlich recht.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Es kommt darauf an, wie man es verwendet, was man damit ausdrücken möchte. Generell hat der Schnitt eine wichtige Funktion in der Handlungsgestaltung und kann nicht so ohne Weiteres "ausgehebelt" werden, aber lange Einstellungen - unabhängig von ihrer Kamera-Bewegung oder nicht - sind zumeist ein besonderer dramaturgischer Moment innerhalb eines Films

    Völlig richtig. Ich bezog mich dabei auch eher auf die Idee Hitchcocks, man könnte einen Großteil eines Films mit langen Einstellungen gestalten. So wie er das bei 'Sklavin des Herzens' gemacht hat und letztlich auch bei 'Rope' sieht man v.a. einen 180°-Ausschnitt, so dass das Gefühl entsteht, einer Theateraufführung beizuwohnen. Wenn das aber z.B. als Plansequenz gemacht wird, hat das in der Tat einen ganz anderen Effekt und ist ein wichtiges Stilmittel aus einem ganzen Bündel.

    :wink: Wolfram

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  • Übrigens sah ich heute ein Selbstporträt von Katherine Hepburn gerade auch mit vielen langen Ausschnitten aus ihren Filmerfolgen der 30iger und 40iger Jahre. Eigentlich waren das alles Filme, in denen die Kamera ab und an mal die Protagonisten begleitete oder verfolgte. Ansonsten Auftritt Heldin von links oder rechts oder sonstwo, dann Gespräch mit XY. Totale von beiden, dann Großaufnahme von ihr, Großaufnahme von ihm, dann mal wieder Totale usw. Ich übertreibe jetzt, aber es erinnerte schon alles sehr an verfilmtes Theater und gleichzeitig sehr standardisiert.

    Mein Eindruck vom und meine Erinnerung an das Hollywood-Kino mag täuschen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, das Hitchcock mit seiner (Kamera-) Sicht auf Dinge und Menschen, mit der Lust Formen und Zeichen zu entwickeln und zu benutzen, da (bis 'Citizen Kane') total aus dem Rahmen fiel. Und vielleicht ein Grund, warum er so einschlug.

    :wink: Wolfram

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  • Ich übertreibe jetzt, aber es erinnerte schon alles sehr an verfilmtes Theater und gleichzeitig sehr standardisiert.

    Kein falscher Eindruck: das Hollywood-Kino war bereits Konventionen unterworfen. Seit den 1920er Jahren hatte sich zunehmend ein übliches Muster an Auflösungen und Szenenübergängen herausgebildet, die sich durch den Einsatz von Ton nur leicht veränderte. Da sehr viel im Studio gedreht wurde (allein die Lichtbedingungen erforderten immensen Aufwand, der "vor Ort" erheblich werden konnte), setzte sich dann ein schneller, präziser Arbeitsablauf erst richtig durch.

    Ja, Hitchcocks Sichtweise auf die Charaktere hob sich optisch vom Standard ab, aber das kam erst allmählich in seinen Werken durch; außerdem wurde es eher deutlicher im Laufe eines Films, weil Hitchcock es als veränderte Situation inszenierte, in der der Protagonist hineingeraten war. Was Welles betrifft: er tickte so ganz anders, weil er gleich eine neue Ästhetik einführte, die er praktisch immer behielt; er war ohnehin ein Außenseiter und wurde visuell kaum kopiert.

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  • Was Welles betrifft: er tickte so ganz anders, weil er gleich eine neue Ästhetik einführte, die er praktisch immer behielt; er war ohnehin ein Außenseiter und wurde visuell kaum kopiert.

    Wohl wahr. Welles war und blieb ein Außenseiter wohl auch, weil er ein Box-Office-Hit war. Da war die 'Industrie', wie Schauspieler etc. aus Hollywood das System ja gerne und sehr aufschlussreich nennen, eben gnadenlos. Künstlerische Außenseiter ohne Kassenerfolg - :thumbdown: . (Wobei die Tiefenschärfe (ok, Welles war der nicht erste, der sie benutzte) sich schon ein wenig durchgesetzt hat.)

    Hitchcock hatte es da besser, weil er (meistens) Kassenerfolge produzierte und sich selber wohl auch geschickter vermarkten konnte. Zudem waren seine Produktionsbedingungen recht kostengünstig, weil er selten Drehzeiten überzog, Filmmaterial nicht verschwendete und der Schnitt sehr schnell und relativ problemlos vonstatten ging.

    :wink: Wolfram

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  • Mir kam gerade eine schöne Hitchcock-Anekdote unter.

    Als David O. Selznick 1944 'Since You Went Away' herausbrachte, warb er dafür mit: 'Die vier wichtigsten Worte seit 'Gone with the Wind'.
    Billy Wilder reagierte darauf in seiner Werbung: 'Double Indemnity - die zwei wichtigsten Worte seit 'Broken Blossoms'.
    Und Alfred Hitchcock dann wiederum: 'Double Indemnity' - die zwei wichtigsten Worte seit Billy Wilder.

    :wink: Wolfram

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  • Heute habe ich zum x-ten Male diesen Film gesehen:

    Und wieder einmal ging mir das besondere Verhältnis mancher Söhne zu ihren Müttern in den Hitchcock-Filmen auf. 'Die Vögel', 'Berüchtigt', 'Der Fremde im Zug', 'Die Vögel', 'Psycho' natürlich, um nur einige zu nennen. Stets sind die Mütter ganz dominante Personen, werden bei ihm in allen Schattierungen durchgespielt. Mal können sich die Söhne vordergründig von ihnen lösen, mal bleiben sie ganz eindeutig unter ihrem Einfluss, mal wird das Verhältnis eher witzig durchgespielt, mal ist es bitterer Ernst. Stets aber sind die Mütter quasi 'heilige Monster'.

    Immer wieder besprochen und untersucht wurden verschiedene Neurosen des Regisseurs, die sich in seinen Filmen offenbarten. H. und die kühlen Blonden, H. und die Polizei. Aber H. und die Mütter, darüber finde ich eigentlich nie etwas und dabei ist es doch ein wirklich ins Auge springendes Thema. Weiß jemand, wo da der biographische Ursprung liegen könnte?

    :wink: Wolfram

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  • Stets sind die Mütter ganz dominante Personen, werden bei ihm in allen Schattierungen durchgespielt. Mal können sich die Söhne vordergründig von ihnen lösen, mal bleiben sie ganz eindeutig unter ihrem Einfluss, mal wird das Verhältnis eher witzig durchgespielt, mal ist es bitterer Ernst. Stets aber sind die Mütter quasi 'heilige Monster'.

    Vielen Dank lieber Wolfram für Deine immer interessanten, oft anregenden Filmeindrücke!
    Kurz OT - wenn ich das lese, fällt mir sofort Woody Allens Filmbeitrag zu "New York Stories" ein - DIE "Mutterkomödie" schlechthin...

    Meine Hitchcock DVD Sammlung ist mir heilig, die darf nie unter die Dusche. Aber sicher demnächst "Der unsichtbare Dritte" wieder mal in den DVD Player, danke!

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • mal wird das Verhältnis eher witzig durchgespielt, mal ist es bitterer Ernst. Stets aber sind die Mütter quasi 'heilige Monster'.

    In "Der unsichtbare Dritte" ist es ja die ausgesprochen witzige Variante und Jessie Royce Landis spielt das herrlich! Einige Jahre zuvor war sie ja in "To Cath A Thief" schon mal eine anstrengende Hitchcock-Mutter, dort aber von der weiblichen Hauptfigur (Grace Kelly), die problematische Mutter kann also auch die Töchter treffen - "Marnie" fällt mir dazu natürlich noch ein.

  • Beides ist richtig. Einmal, dass Jessie Royce Landis, viel zu jung, wie sie damals war, trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb, eine herrliche Mutter von Cary Grant ist. Und auch, dass die Töchter öfter mal auch mit ihren Müttern geschlagen sind. 'Shadow of a Doubt' gehört auch noch in diese Kategorie und mit Sicherheit werden sich noch mehr Beispiele finden. Jedenfalls ist das Thema 'Mutter' eines, dass sich quasi durch sein gesamtes Werk zieht.

    :wink: Wolfram

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    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Vielen Dank lieber Wolfram für Deine immer interessanten, oft anregenden Filmeindrücke!

    Danke, lieber AlexanderK für die Rückmeldung. Das freut mich sehr.

    Meine Hitchcock DVD Sammlung ist mir heilig, die darf nie unter die Dusche.

    Marlene Dietrich zu Maximilian Schell, allerdings über Orson Welles: 'You should cross yourself before you mention his name.' Ok, so weit würde ich persönlich bei Hitchcocks Filmen nicht gehen, bin aber nahe dran. :D

    Aber sicher demnächst "Der unsichtbare Dritte" wieder mal in den DVD Player, danke!

    William Friedkin meinte in höchstwahrscheinlich typisch amerikanischer Übertreibung, dass er den Film bestimmt 100 mal gesehen hätte. Auch das finde ich ein wenig übertrieben ^^ , aber von Zeit zu Zeit ist es wirklich immer wieder ein Hochgenuss. Freu' dich drauf und hab' viel Spaß damit.

    :wink: Wolfram

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  • Lieber Agravain, dieses Buh erklärt natürlich alles und v.a. auch den Zustand der gesamten restlichen Welt.

    Das Buch klingt natürlich wirklich spannend, aber für knapp 100,-€ werde ich wohl darauf verzichten müssen. Aber es scheint ja genau dieses Problem aufzugreifen. Und es scheint auch einmal wieder so zu sein, dass für Werke, die sich auf dieser Ebene mit Film beschäftigen, kaum ein deutscher Markt vorhanden ist. Gleiches gilt allerdings auch für Bücher zur Filmtheorie oder schlichtweg für Biographien. Da schaut man dann immer neidvoll zum den englischsprachigen Raum hinüber.

    Danke jedenfalls für den Tipp.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • Heute lief bei mir ein Film, der eher im Schatten steht:

    Erneut ein Hitchcock mit einem seiner Lieblingsthemen: Der Unschuldige als Jäger und Gejagter, hier nun aus aktuellem Anlass (erste Produktionsbesprechungen fielen mit Pearl Harbor zusammen) ist der 'MacGuffin' ein faschistischer oder nationalsozialistischer Spionage- und Sabotagering in den USA, der zerschlagen werden muss.

    Natürlich kann man den Film auch als eine Art Propaganda für die amerikanischen Werte von Demokratie und Freiheit anschauen, aber das würde wohl zu kurz greifen. Hitchcock inszenierte v.a. einen temporeichen, spannenden, abwechslungsreichen Thriller mit einigen herausragenden 'Kabinettstückchen'. Legendär natürlich das Finale auf der Freiheitsstatue, exzellent und wohlüberlegt in jeder Einstellung, in jedem Schnitt. Großartig auch die Schießerei in der Radio City Music Hall, parallel zu einer gerade stattfindenden Filmvorführung.

    Was ich aber nun beim erneuten Anschauen bemerkenswert fand, waren die wirklich immer wiederkehrenden Themen und Ideen, auch Bildideen. Natürlich gibt es die Heldin, die dem Verfolgten erst feindselig gegenübersteht, ihm im Verlauf des Films glaubt und sich dann in ihn verliebt. Grant und Saint im 'Unsichtbaren Dritten' präsentieren dabei die reifste und differenzierteste Variation dieses Schemas. Dann gibt es die respektable Säule der Gesellschaft, die sich als fieser Lump erweist, der oftmals alleinlebende Exzentriker mit gutem Herzen, die furchteinflößende Matrone, entweder als Mutter, Ehefrau oder Alleinstehende präsentiert. Und es gibt natürlich immer auch Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen dem Verfolgten helfen, auch natürlich, damit die Geschichte am Laufen bleibt.

    Robert Cummings wird in einer Szene von einem hinter einem weit entfernten Vorhang auftauchenden Revolver bedroht, was natürlich sofort an beide Versionen von 'Der Mann, der zu viel wusste' erinnert. Im 'Unsichtbaren Dritten' gibt es eine technisch komplizierte und sehr beeindruckende Aufnahme senkrecht aus einem Fenster der UNO. Genau diese Einstellung verwandte Hitchcock hier, 17 Jahre zuvor, bereits. In 'Topaz' zeigt er zwei Gefolterte in einer Pietà-Haltung. Ähnliches aus der christlichen Ikonographie auch in 'Saboteure', allerdings wesentlich schwärzer und subversiver. Der Chef des Spionagerings 'verabschiedet' den gerade verhafteten Robert Cummings. Er steht dabei in der Bildmitte, hält seine kleine Enkelin in den Armen, rechts und links umrahmt von seiner Tochter und der Haushälterin. Das ist geradezu eine Negativaufnahme der Sixtinischen Madonna von Rafael. Aus Maria wird nun ein Mann und Verbrecher, der in fast identischer Pose das Jesuskind hält. Und der Papst und die Heilige verwandeln sich in zwei gefallene Engel, die ihm helfend und unterstützend zur Seite stehen. Hitchcock hatte schon einen sehr schwarzen Humor. ^^

    Und dann gibt es natürlich noch ein großes Thema, dass sich quer durch alle Epochen und Filme hindurchzieht, das Grauen vor dem Absturz und die Faszination daran, das unbewusste leichtfertige 'Spielen' damit. Gerne lässt Hitchcock seine Verbrecher ins Bodenlose stürzen, was ihn einerseits natürlich davor bewahrte, beim finalen Showdown allzu viel Blut verspritzen zu müssen. Es sind aber nicht nur die Bösewichter, die vor dem Abgrund stehen, auch die Helden wie in 'Rebekka' oder 'Verdacht' werden von der Tiefe angezogen. Und mindestens bringt er sie gerne, also die Helden, noch in eine entsprechende Gefahr, spielt er mit ihnen das Thema des Falls, der schlagartigen Vernichtung durch, lässt ihr Leben auf der Kippe stehen, bevor sie sich aus der 'Tiefe' herauswinden können.

    'Saboteure' ist also einmal mehr ein großes Sammelsurium von 'typisch Hitchcock', dabei aber virtuos gehandhabt und äußerst spannend verarbeitet. Und letzten Endes, bei wem sollte man klauen? Natürlich nur bei dem mit den besten Ideen. Und da musste Hitchcock ja nicht weit gehen. :D

    :wink: Wolfram

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  • Noch einmal dieser hier:

    Zu 'Torn Curtain' habe ich hier ja schon einmal Einiges von mir gegeben ;) und ich muss sagen, das Allermeiste würde ich heute, nach erneutem Schauen, wieder so schreiben. Einzig vielleicht, dass die Produktionsbedingungen für Hitchcock anders waren, als ich damals wusste. Nach dem finanziellen Flopp von 'Marnie' war es v.a. Universal, die ihm die technischen Einschränkungen auferlegte. Es bewahrheitete sich offensichtlich der alte Spruch, dass in Hollywood ein Regisseur nur so gut ist wie sein letzter Film. Es war wohl v.a. Universal, die all diese technisch zweifelhaften Rückprojektionen verlangte, die Aufnahmen außerhalb des Studiogeländes kaum erlaubte. So leidet der Film natürlich unter den technischen Bedingungen, ebenso wie unter den beiden Hauptdarstellern, wie auch möglicherweise unter einem völlig neuen Team, mit dem Hitchcock arbeiten musste. Wenig Vertrautes erwartete ihn also im Team, was zum Ergebnis beigetragen haben kann.

    Trotzdem würde ich sagen, dass die plakative und durchaus auch falsche Darstellung der DDR-Zustände gar nicht einmal entscheidend ist. Für Hitchcock scheint der systemimmanente Mix von Beobachtung, Unterdrückung und entlarvt werden nur das Vehikel gewesen zu sein, ein ständiges Gefühl von Bedrohung zu erzeugen. Und das gelingt ihm, meiner Meinung nach, wirklich hervorragend.

    Was den MacGuffin angeht, ist es sicherlich, verglichen mit 'Der unsichtbare Dritte' ein Rückschritt. Hier wird er ausführlich formuliert, bleibt aber trotzdem einigermaßen absurd. Diese Offensichtlichkeit gilt aber für den ganzen Film. Es gibt so wenig Geheimnis, von Witz einmal ganz abgesehen. 'Der zerrissene Vorhang' ist einer der humorlosesten Filme des Regisseurs, was sicherlich dazu beiträgt, dass er nicht in die erste Reihe gehört. Vielleicht auch nicht in die zweite. Aber er hat diese spannungsvollen Höhepunkte und dieses durchgehend lastende Gefühl von Gefahr. Und das muss man erst einmal hinkriegen!

    :wink: Wolfram

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  • Ich kann mir nicht helfen, ich liebe diesen Film.

    In 'Jung und Unschuldig' greift Hitchcock wieder das Thema des Unschuldigen auf der Flucht auf, was er schon in den 39 Stufen präsentiert hatte. Und natürlich ('Selbstplagiat ist Stil') variiert er eigentlich nur. Der unschuldig Verfolgte, die Frau, an die er gerät, die ihn zunächst verdächtigt, dann von seiner Unschuld überzeugt ist, dann sich in ihn verliebt, der einsam lebende Mann, der so unendlich hilfreich ist - all das findet sich hier auch. Es gibt zudem die nervtötende Furie, die nun allerdings weniger Furie und keine Mutter ist, den Sturz in den Abgrund und es gibt die sexuellen Anspielungen. Die allerdings zahmer, weniger eindeutig als in anderen Filmen, wie überhaupt der ganze Streifen weniger doppelbödig erscheint. Was daran liegen mag, dass jede zeitgebundene politische Ebene fehlt und das Heldenpaar (Nova Pilbeam und Derrick de Marney) dieses auch nicht anbieten. Allerdings tragen sie zu der Klasse des Films sehr viel bei. Ihr Charme und ihre durchweg sympathische Ausstrahlung sind ein absoluter Pluspunkt.

    Aber das alles würde natürlich nicht ausreichen, um diesen Film durchaus zu etwas Besonderem zu machen. Es sind die vielen Kabinettstückchen à la Hitchcock, es ist das sichere Gespür für die immer richtige Einstellung, das Gespür für das immer richtige Tempo, die gekonnte Mischung von Suspense, Romantik und Humor, die diesen Film auszeichnet. Und es ist die legendäre Kamerafahrt am Ende, direkt auf die Augen des Täters, eine technische Meisterleistung zu der Zeit, die einen grandiosen Schlusspunkt setzt und weswegen man den Film wirklich gesehen haben muss.

    :wink: Wolfram

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  • Eigentlich gehört 'Number 17' von 1932 nicht in diesen Thread, den zu seinen besten Leistungen gehört er sicherlich nicht.

    Der Versuch einer Thrillerkomödie, mit all seinen Übertreibungen fast schon eine Groteske. Unbestreitbar gibt es tolle visuelle Momente, einmal im leeren Haus, in dem Hitchcock einmal mehr tief in die Kiste expressionistischer Beleuchtung und Kameraperspektiven greift, aber auch bei der Verfolgungsjagd am Ende des Films, die zwar unübersehbar größtenteils in einem ausufernden Modell gedreht wurde, die aber schnitttechnisch schlichtweg meisterhaft ist. Und trotzdem holpert der Film 63 Minuten vor sich hin und wirkt oftmals eher wie eine Examensarbeit. Dass er v.a. mit 'The Lodger' und 'Blackmail' bereits bedeutende Filme geschaffen hatte, kann man hier eher nicht erkennen.

    Aber vielleicht tue ich dem Film auch Unrecht. Vielleicht müsste ich ihn wirklich als groteske Übertreibung gängiger Filmklischees sehen, entgeht mir der überbordende Humor. Vielleicht würde eine digital richtig gut überarbeitete Fassung noch ganz andere Einsichten bewirken. Kann alles sein, aber so richtig glaube ich nicht daran. Ich denke eher, Hitchcock wollte damals zu viel und war noch nicht in der Lage all die auseinanderstrebenden Ideen dramaturgisch logisch und konsequent zu bündeln. Einen Jux wollte er sich machen, wollte der Produktionsfirma so richtig eins auswischen und schoss dabei (leider) übers Ziel hinaus.

    Trotzdem gehört er in jede anständige Hitchcock-Sammlung, schon allein wegen der großen Momente, aber auch, weil wieder einmal bestimmte Lieblingsthemen angerissen werden. Der Sturz in den Abgrund, der MacGuffin oder auch seine Vorliebe für Züge und Zugfahrten.

    Vielleicht ein unterschätzter Film (H.-C. Blumenberg ist genau dieser Meinung.), vielleicht komme ich ach noch hinter sein Geheimnis, falls vorhanden. Bis dahin gehe ich eher d'accord mit dem Regisseur selber, wenn ich es auch nicht so hart formulieren würde. ;)

    :wink: Wolfram

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  • Zum Glück kann man sich bei Hitchcock von einem schwächeren Film sofort wieder bei einem Meisterwerk erholen.

    Und dabei ist das in manchen Belangen gar nicht einmal solch ein typischer Hitchcock. Einerseits übernahm er ein vorhandenes Drehbuch, ließ es nur geringfügig ändern und andererseits gibt es im gesamten Film kein visuelles Kabinettstückchen, wie er es eigentlich in all seinen Filmen irgendwo platziert hat. Aber vielleicht ist der ganze Film ein einziges Kabinettstück, jedenfalls ist er unglaublich dicht, folgerichtig und konsequent inszeniert. Hier ist nichts zu viel, nichts zu wenig, es stimmt einfach alles.

    Dazu ist er ein ungemein politischer Film, entstanden ein Jahr vor Ausbruch des II. WK. Nicht nur zeigt Hitchcock sehr deutlich die Bedrohung durch die Deutschen (verkörpert durch den Schurken Dr. Hartz, nicht nur dass das Geschehen auf dem Balkan angesiedelt ist (der I. WK war noch überdeutlich im Gedächtnis), er sparte auch nicht mit Hieben auf seine eigenen Landsleute. Die Appeasement-Politik scheitert (Eric Todhunter wird erschossen.) und die Vertreter typischer englischer Verhaltensweisen (die beiden skurrilen Cricket-Fans), blasiert, weltfremd, nur auf sich selber bezogen, sind alles andere als hilfreich.

    Aber es ist v.a. ein richtig witziger und gleichsam spannender Thriller, angefüllt mit Typen unterschiedlichster Manier und garniert mit den typischen Hitchcock-Vorlieben: Züge, furchterregende Frauen, sexuelle Anspielungen, unschuldig verstricktes Liebespaar und dem 'Modellbaukasten', den er jedenfalls in seinen englischen Jahren gerne und ausgiebig benutzte. Also kurz, ein Muss!!! Beste Unterhaltung, bestens präsentiert.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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