PUCCINI: Il trittico (Il tabarro - Suor Angelica - Gianni Schicchi)

  • Die Handlung ist nicht zufällig um 1700 angesiedelt (wie Il tabarro in Puccinis Gegenwart und Gianni Schicchi im Mittelalter), die Apotheose passt in diesem barocken Altarbild stilistisch perfekt und ist meiner Meinung nach sehr ökonomisch komponiert.


    Ja, aber kann man denn die Moderne (in der sich Puccini befindet, während beinahe zeitgleich Wozzeck entsteht) ignorieren? Puccini tut das im Finale, während er im gesamten Tryptichon immerhin eigene Lösungen gesucht hat.
    Ich finde, genau das ist der merkwürdige Knackpunkt: Puccini zeigt, dass er (theoretisch) auf der Höhe der Zeit ist, kultiviert dennoch mit bewundernswerter Konsequenz seinen Personalstil und macht dann aber sowas. Deiner Logik folgend, wäre etwas Historisierendes angebracht gewesen. Oder eben etwas mit doppeltem Boden.
    Aber ehrlich gesagt: Wenn ich über ein anderes Ende für Angelica nachdenke, kommt mir der Satz in den Sinn, was Eunuchen über die Liebe zu schwadronieren haben. Puccini in schwacher Form ist immer noch Längen besser als Alberich in Hochform. ;+)

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Ich bekenne mich dazu, dass mir Suor Angelica unter den Teilstücken des Trittico das liebste ist. Nix gegen Verismo-Reißer und Falstaff-Abklatsch, äh - Rezeption. Aber das Mittelstück ist eben doch das Herz des Ganzen - mit den antiklerikalen und -feudalen Akzenten, einer unverwechselbaren Klangsprache, dem liebevoll gestalteten Klosteralltag und einer der größten Puccini-Szenen überhaupt (Konfrontation Angelica-Principessa).

    Seltsam, dass der Schluss immer solche Allergien auslöst. Die Handlung ist nicht zufällig um 1700 angesiedelt (wie Il tabarro in Puccinis Gegenwart und Gianni Schicchi im Mittelalter), die Apotheose passt in diesem barocken Altarbild stilistisch perfekt und ist meiner Meinung nach sehr ökonomisch komponiert. Ein bisschen Sinn für "Camp" muss man, wie fast immer bei Puccini, natürlich mitbringen.


    Viele Grüße

    Bernd

    Same here. Es gibt auch einen bizarren Kontrast zwischen der Apotheose und dem vorherigen kreatürlichen Aufschrei der Angelica; auch das brutal-primitive Getrommel unmittelbar vor dem Einsetzen der "Vision" ist sehr verstörend... die Musik wird 'uneigentlich' für mein Empfinden, und das macht die Sache noch härter, mutatis mutandis wie bei der "Triumph"musik der Elektra am Schluss.

    ________________________________________________________________________________________________________

    Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi

  • ... die Musik wird 'uneigentlich' für mein Empfinden, und das macht die Sache noch härter, mutatis mutandis wie bei der "Triumph"musik der Elektra am Schluss.


    Das ist eine sehr interessante, bedenkenswerte Hörweise. Faszinierend. Ich muss gleich nochmal reinhören,ob ich Puccini eine kalkulierte Uneigentlichkeit abnehme...

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Letzte Woche habe ich eine Aufführung des Trittico in (der Ersatzspielstätte) der Kölner Oper erlebt. Für eine ausführliche Rezension an entsprechender Stelle fehlen mir Zeit und Lust, daher hier nur soviel: ein etwas bieder inszenierter Mantel und ein etwas sehr kölsch-klamaukiger Gianni Schicchi bekamen freundlichen Beifall, wahre Begeisterungsstürme erntete aber Suor Angelica. Das lag natürlich einerseits am Stück :P, andererseits aber an Jacquelyn Wagner in der Titelrolle, die in einer nicht uninteressanten Inszenierung mit äußerster Hingabe spielte und grandios sang, die ganze Spannweite vom Engelsgesang mit flutenden Höhen bis zu den vorgeschriebenen, extra langsam angesetzten Glissandi und den veristischen Schreien überwältigend darbietend.

    Aufgefallen ist mir wieder die Radikalität der Szene Angelica/Principessa (letztere in Köln von Dalia Schaechter sehr eindrucksvoll verkörpert). Besser und zusammengeraffter hat Puccini nie komponiert, zur Zeit erscheinen mir diese gut zehn Minuten als eine der packendsten Opernszenen überhaupt. Dazu tragen bei: der fast durchgehend rezitativische Tonfall mit nur kurzen ariosen Partien, die Interpolation weniger extrem erregter, gestischer, schneller Abschnitte bei den Verzweiflungsausbrüchen in den ansonsten durchweg langsamen bis schleppenden Kontext. Die - gerade für Puccini - enorm sparsame, aber faszinierende Instrumentation: das dissonante Leitmotiv der Fürstin in den gestopften Hörnern, von Pausen durchbrochen, über den schreitenden Basspizzicati (Mosco Carner fühlte sich hier an ein Reptil erinnert, das sich aufrichtet, um im richtigen Moment zuzuschnappen). Dann: die leisen gestopften Trompeten mit ihrem zart angedeuteten Marschrhythmus bei der ersten ariosen Antwort Angelicas, ein besonders erstaunlicher Effekt (der später bei der Apotheose etwas vergröbert wiederkehrt). Und: Wenn die Fürstin ihre Gebetspraxis schildert und dabei fast die ganze Tessitura durchmisst, erbaut das Orchester einen Klangraum von strahlender Kälte. Nur ganz kurz, bei der Ankündigung der Heirat der Schwester und Angelicas Reaktion darauf erscheint ein vertrauterer, melodiöserer Puccini-Tonfall, der aber gleich wieder wie ein Phantom verschwindet.

    Und wenn Puccini auch mit Senza mamma in etwas konventionellere Gefilde zurückkehrt, ist das doch für mich eine der bewegendsten Soloszenen des Komponisten.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Hallo,

    Habe heute frisch Il Trittico erhalten:

    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51KbeEzB3UL._PJautoripBadge,BottomRight,4,-40_OU11__.jpg]

    und wie immer bei mir, beim Auspacken die bange Frage: „Ist ein gescheites Libretto dabei?“ In diesem Falle lautet die Antwort leider nein. Ich habe den Eindruck, entweder sprecht Ihr alle fließend Italienisch oder habt Libretti, welche ich nicht finde, da ich bei den ganzen Diskographien nur äußerst selten einen Kommentar zum Libretto finde?! Natürlich bildet auch bei mir das Libretto nicht die Kaufentscheidung für eine Aufnahme, aber im Idealfall, aus meiner Sicht, kommt eine Oper im Box-Set mit Libretto in Muttersprache und deutscher Übersetzung daher. Bin ich da alleine? Im konkreten Fall, würde ich mich über Links zu Libretti in gedruckter Form sehr freuen.

    Dank im Voraus und liebe Grüße PPP

  • beim Auspacken die bange Frage: „Ist ein gescheites Libretto dabei?“


    Lieber PingPongPang,

    :D herzlichen Glückwunsch zu Deiner neuen Box! Ein Klassiker. Gobbi ist großartig, de los Angeles nicht minder.

    Nimm doch mal Dein neues Schätzchen zur Hand, Vorderseite nach oben. Dann dreh es um und lies: "Synopsis and libretto with translations to be found at http://www.emiclassics.com".

    Geh dann zu http://www.emiclassics.com. (Du wirst automatisch umgeleitet zu http://www.sinfinimusic.com.) Dort findest Du weder Synopsis noch Libretto noch Übersetzung. :D

    Schreib an eine E-Mail-Adresse unter "contacts", dass Du Dir die Box gekauft hast und nun die Libretti und Übersetzungen suchst, aber keine findest. Dann bekommst Du das Gewünschte als PDF zugesendet.

    Viel Erfolg!

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Hallo lieber/es Mauerblümchen,

    Mir schien dieses „Kleingedruckte“ auf der Rückseite nicht lesenswert, aber Du hast Recht, es ist der Schlüssel zur Lösung meines Problems, und es ist einfacher als Du dachtest: Das Libretto in PDF Form ist auf der ersten CD enthalten! :klatsch: :klatsch: :klatsch:
    Danke dass Du mir den rechten Pfad zeigtest, würde aber gerne nochmal die Frage aufwerfen, ob ich mit meiner „Sucht“ nach Libretti alleine dastehe, oder ob es auch anderen so geht??? Gibt es vielleicht einen Thread, oder wäre ein solcher sinnvoll? Auf jeden Fall danke ich Dir für die Lösung meines Problems in diesem speziellen Fall.

    Liebe Grüße PPP

  • Seit längerer Zeit mal wieder diese Einspielung von 1979 gehört, die vielen als Klassiker gilt (siehe z.B. die Rezensionen auf der Amazon-Seite). Sängerisch gibt es viel zu loben: Renata Scotto ist erwartungsgemäß eine leidenschaftliche Giorgetta und zeichnet mit der spezifischen Schärfe und Leuchtkraft ihrer Stimme die Entwicklung Angelicas von der mild-gütigen Nonne zur entfesselt Aufbegehrenden und Leidenden wie kaum eine andere Sängerin nach. In vielen Aufnahmen aus den 70ern klingt Placido Domingo (hier als Luigi und Rinuccio) besonders schön, mühelos und elegant - so auch hier. Marilyn Horne (Zia Principessa) und Ileana Cotrubas (Genovieva und Lauretta) halten jedem Verleich stand, O mio babbino caro ist eine Ohrenweide. Ingvar Wixell (Michele) gut, aber mir etwas zu phlegmatisch, Tito Gobbi (Gianni Schicchi) - wie weiter oben schon bemerkt - stimmlich nicht mehr ganz auf der Höhe, aber trotzdem ein sehr charakteristischer und charakterisierender Rollenvertreter.

    Maazel wird hier ebenfalls viel gelobt, gut hatte auch ich das Dirigat in Erinnerung. Jetzt fand ich es enttäuschend. Zwar: Exzellente Londoner Orchester, gleich im Orchestervorspiel zu Il tabarro soghafte Klangschönheit. Aber bei der Hauptsache hapert's: der schnelle Wechsel der Tonfälle, Tempi, orchestralen Gesten in allen drei Opern wirkt eingeebnet, häufig einfach durchtaktiert, bei eher gemessenen Tempi. Nur ein Beispiel: Wenn Angelica gegenüber ihrer Tante 18mal die gleiche Phrase in ständig wechselnden Tempi, Harmonisierungen und Instrumentationen herausschreit, bis am Ende nur noch ein Seufzer der Bratschen übrigbleibt, dann ist das hier alles - trotz Renata Scotto - gleichzeitig zu wenig differenziert und zu wenig entfesselt-leidenschaftlich. Das habe ich etwa von der Pappano-Aufnahme ganz anders im Ohr. Die hör ich als nächste.

    :wink:

    .

  • gleichzeitig zu wenig differenziert und zu wenig entfesselt-leidenschaftlich. Das habe ich etwa von der Pappano-Aufnahme ganz anders im Ohr. Die hör ich als nächste.

    Was inzwischen geschehen ist:
     

    1999 eingespielt. Pappano ist tatsächlich flexibler in den Tempi. Und er hat eine Vorliebe dafür, Reibungen und dissonante Klänge herauszupräparieren: Das fällt besonders in Il tabarro auf (man hör nur das Vorspiel im Vergleich zu Maazel), aber auch in den beiden anderen Opern. Bei Gianni Schicchi wird mir manchmal zu stark abgebremst, um die Details zur Geltung zu bringen, Suor Angelica fehlt die letzte Entäußerung (auch wenn die Apotheose gut gelingt). Etwas zuviel Studioneutralität, wie bei Maazel, aber insgesamt ziehe ich Pappano vor.

    Sängerisch finde ich Gianni Schicchi sehr gut besetzt, José van Dam spielt brillant mit verschiedenen Tonfällen (der alte Gobbi bei Maazel ist da doch deutlich reduzierter), Alagna tadellos und sehr engagiert, Gheorghiu klingt schön, großartig fies Felicity Palmer als Zita. Carlo Guelfi, Maria Guleghina, Neil Shicoff - das ist eine mehr als solide Besetzung für den Mantel, aber hier überzeugen mich zumindest Scotto und Domingo bei Maazel mehr. Suor Angelica ist Cristina Gallardo-Domâs: eine Sängerin, die manche Jahre an den größten Bühnen sang und doch (so zumindest mein Eindruck) nie ganz den Weg an die Spitze geschafft hat. Das Engelhafte der Angelica gelingt mit ihrer wohlklingenden, nicht allzu großen Stimme sehr schön, aber die Ausbrüche bleiben sehr zahm und unterbelichtet - an Renata Scotto darf man nicht denken. M.E. die größte Schwachstelle der insgesamt empfehlenswerten Aufnahme.

    Warum wie bei Maazel auch hier zwei Londoner Orchester (LSO im Mantel und im Schicchi, Philharmonia in der Angelica) zum Einsatz kommen, weiß ich nicht. Ich habe mir jedenfalls die allseits gepriesene DVD mit Pappano aus Covent Garden (Regie: Richard Jones) bestellt. Und der "Klassiker" der 50er aus Rom (mit Bellezza, Serafin, Santini) harrt auch noch des Hörens.

    :wink:

    .

  • Meine Empfehlung:

    Tito Gobbi ist als Charakterdarsteller nahezu unerreicht! Sein Michele im "Tabarro" ist ein leidenschaftlicher und leidender Mann; sein Gianni Schicchi bewahrt neben aller Komik auch etwas Dämonie. Daneben singen im "Tabarro" die äußerst unbekannte französische Sopranistin Margaret Mas eine großartige Giorgetta und Giacinto Prandelli einen ebenso herrlichen, sehr antiheldischen Luigi. Das Schöne an dieser Aufnahme ist, dass Verismo hier ernst genommen wird: keine Brüll- und Schluchzorgien, aber beinharte, realistische Darstellung wie in einem Thriller, wozu auch das packende Dirigat von Vincenzo Bellezza beiträgt.

    Erstmal nur zu Il tabarro: Gobbi ist der große Pluspunkt der Aufnahme. Er legt die Rolle des Michele sehr individuell an, klingt bereits zu Beginn extrem schlecht gelaunt, fast offen aggressiv, später dann aber - im zweiten Teil, als er letztmals um Giorgetta wirbt - leidenschaftlich und verzweifelt wie kein anderer mir bekannter Rollenvertreter, bringt schließlich nach der Ermordung Luigis den "calmissimo"-Tonfall ungemein suggestiv rüber. Ein Belcantist war er nie, manche Kantilene könnte man sich zarter vorstellen. Aber er ist im Vollbesitz seiner stimmlichen Mittel und lässt in puncto Charakterisierung der Rolle alle anderen hinter sich. Margaret Mai finde ich rollendeckend, nicht "großartig". Giacinto Pradelli ist gewissermaßen der Anti-Gobbi; Lebensfreude, Wut, Leidenschaft, Verzweiflung kann er mit seiner eher farblosen Stimmme nur andeutungsweise vermitteln. Man erwischt sich bei dem Gedanken, Piero di Palma (der den Tinca - und sehr apart und beweglich - den Tenor des Liebespaars am Schluss singt) wäre ein besserer Luigi gewesen.

    Vincenzo Bellezza nimmt die erste Hälfte sehr zügig, sozusagen als Präludium zur Hauptsache. Das verschenkt einiges an Wirkung, etwa beim Paris-Duett, das doch etwas mehr Leuchtkraft entfalten könnte. Auch kommen nicht alle Instrumentationsfinessen zu ihrem Recht. Aber die eher trockene Herangehensweise (unterstützt vom guten Mono-Klang) hat auch ihre Qualitäten, das Stück bekommt beachtlichen Drive und eine gewisse Härte. Die Höhepunkte im zweiten Teil werden stärker und sehr packend ausmusiziert.

    Von "Brüll- und Schluchzorgien" ist das tatsächlich sehr weit entfernt. Die habe ich allerdings noch bei keiner Tabarro-Aufnahme oder -Aufführung erlebt.

    :wink:

    .

  • Jetzt zu Suor Angelica in der gezeigten Aufnahme von 1957: Wie Gobbi beim Mantel, so dominiert hier Victoria de los Angeles. Sie hat die Klangschönheit, die Tiefe und die Höhe (letztere mit minimalen Einschränkungen), sie hat die verinnerlichte Lyrik bei I desideri sono i fiori dei vivi und die stimmliche Expansion bei den Madonna! Salvami!-Rufen, sie vermittelt Aufbegehren und Trauer. Nur Senza mamma klingt mir bei aller Schönheit zu kontrolliert, zu wenig von aller Welt verlassen. Fedora Barbieri ist natürlich stimmlich eine Bank, aber da liegt vielleicht auch das Problem, wenn ich das blasphemisch bemerken darf: sie orgelt das meiste unerschütterlich mit ihrer Bruststimme herunter und vermittelt ausschließlich Härte und Gnadenlosigkeit - die Zia Principessa kann man mit ihrem Mystizismus und vielleicht sogar ihrer Unsicherheit differenzierter gestalten. Ansonsten exzellente und charakteristische Besetzungen bis hin zur kleinsten Nebenrolle. Tullio Serafin schätze ich sehr, und er bietet auch hier prinzipiell ein gutes Dirigat. Liegt's an ihm, am Orchester, an der Aufnahmetechnik (auch hier passables Mono) - jedenfalls hat das Werk mehr Orchesterfarben als hier zu hören. Der Einsatz der Becken in der Apotheose misslingt klanglich. Gelegentlich finde ich die Tempi etwas schleppend und die zahlreichen Tempowechsel zu unentschieden. Die sieben Takte mit Streichertremolo al ponticello und den chromatischen Läufen von Harfe und Flöte, in denen Suor Angelica ihrer Todsünde gewahr wird, werden einfach gleichmäßig ohne Spannung durchtaktiert. All dies, wie gesagt, aber nur als partielle Relativierung eines guten Dirigats. Insgesamt vor allem wegen der Interpretin der Titelrolle eine sehr hörenswerte Aufnahme, aber keineswegs das Nonplusultra.

    :wink:

    .

  • Und noch ein paar Worte zu Gianni Schicchi: Gobbi brilliert auch hier mit virtuosem Wechsel zwischen verschiedenen Tonfällen, chargiert mir allerdings (wie fast alle seiner Kollegen) bei der Imitation des Buoso zu sehr. De los Angeles singt ihre Arietta wunderschön, aber bei dieser Partie habe ich mein Herz an Ileana Cotrubas (in der Maazel-Aufnahme) verloren. Ansonsten ein tadelloses Ensemble. Einschränkung: Carlo del Monte als Rinuccio klingt ziemlich glanzlos, um nicht zu sagen ledern. Bei den Ensembleszenen muss man klangtechnische Einschränkungen hinnehmen. Gutes Dirigat Santinis, aber das Orchester klingt auch hier etwas pauschal.

    :wink:

    .

  • Visuelle Aufzeichnungen des Triptychons (auf DVD oder sonstwie) gibt's ein paar. Soweit ich sie kenne, finde ich fast alle dröge routiniert-traditionell oder sonstwie misslungen. Schlimm z.B. eine Inszenierung von Luca Ronconi in Mailand (auf YT zu finden), bei der die Protagonistinnen in Suor Angelica ständig über eine riesige, liegende Madonnenstatue kraxeln (ein ziemlich gutes Dirigat von Chailly entschädigt partiell).

    Folgende DVD aus London (Covent Garden 2012) kann ich trotz kleiner Einschränkungen empfehlen:

    Regisseur Richard Jones ist für exzellente Arbeiten wie für routiniert-lustlose Inszenierungen gut. Hier liefert er eine seiner besseren Produktionen ab: Il tabarro in angemessener historischer, teils geschickt belebter Großstadtkulisse. Realistische, spannend gestaltete Personenführung, nur die Mordszene wirkt in diesem Kontext ungeschickt inszeniert. Gianni Schicchi im modernisierten, eher kleinbürgerlichen Ambiente, mit einigen guten Einfällen und den offenbar unvermeidlichen Italo-Klischees, was eine hier offenbar unwiderstehliche, aber noch akzeptable Tendenz zur Klamotte ergibt. Bei Suor Angelica haben Jones und Bühnenbildnerin Miriam Buether mehr gewagt: sie verlegen das Geschehen in die Kinderstation eines katholischen Krankenhauses (eher historisches Ambiente, schwer zu datieren). Das hat vor allem den Grund, dass die Erscheinung des Kindes am Schluss "realistisch" erklärt werden kann: ein verwirrtes Kind, durch Angelicas Verzweifelungsausbrüche geweckt, irrt umher und wird von Angelica für ihren verstorbenen Sohn gehalten - die Mitschwestern trennen die beiden relativ brutal. Sonst bereitet das verfremdete Ambiente keine Probleme, aber auch keinen Mehrwert. Bemerkenswert die Szene Angelica-Principessa, Herzstück des Werks und des ganzen Trittico: die beiden Frauen sind gleichwertige Gegnerinnen, schon am Anfang tastet sich die großgewachsene Anna Larsson als Tante spinnengleich an der Wand entlang, von der kleinen Ermonela Jaho gnadenlos fixiert - ein starkes Bild. Am Ende der Szene sind beide gebrochen, auch die Tante wirkt völlig verstört und muss von den Schwestern herausgeführt werden.

    Ermonela Jaho durchlebt die Rolle der Angelica überaus identifikatorisch, legt sie stimmlich auch veristischer an als andere Sängerinnen, z.B. wenn sie drei-, viermal gegen die Partitur den Gesangstonfall verlässt, Schluchzer und Schreie einbaut. Dabei hat sie stimmlich alles, was die Rolle braucht, etwa im sehr differenziert gestalteten Senza mamma. Ich gebe zu: für mich ist das der Rolle, vor allem dem Spektrum der Emotionen Angelicas, gemäßer als die elfenbeinerne Perfektion der de los Angeles. Anna Larsson enttäuscht dagegen milde, könnte vor allem rhythmisch präziser sein. Westbroek und Antonenko überzeugen im Mantel gesanglich (Westbroek oberhalb des a nur bedingt) und darstellerisch sehr, Lucio Gallo legt den Michele von Anfang an eher dumpf-resigniert an, was zumindest eine Möglichkeit ist. In der Titelrolle des Gianni Schicchi geht er mehr aus sich heraus, ihm zur Seite ein durchweg gutes, selten brillantes Ensemble.

    Pappanos Dirigat finde ich mit wenigen Abstrichen großartig, deutlich atmosphärischer als in seiner etwas sterilen CD-Studioaufnahme. Fantastisch im Mantel der utopische Glanz des Paris-Duetts sowie die reichen, oft verfremdeten Klangfarben. Ebenso in Suor Angelica die vielen subtilen Details, die Zwischenwerte, aber auch die Steigerungen. Nur (ausgerechnet) in der Szene Angelica-Principessa könnte ich mir noch radikalere Wechsel der Tonfälle vorstellen. Auch der Schicchi gelingt m.E. besser, schärfer als auf der CD. Als Sängerbegleiter ist Pappano eh eine Bank.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Fedora Barbieri ist natürlich stimmlich eine Bank, aber da liegt vielleicht auch das Problem, wenn ich das blasphemisch bemerken darf: sie orgelt das meiste unerschütterlich mit ihrer Bruststimme herunter und vermittelt ausschließlich Härte und Gnadenlosigkeit - die Zia Principessa kann man mit ihrem Mystizismus und vielleicht sogar ihrer Unsicherheit differenzierter gestalten.

    Ich weiß nicht, kann man das? Soll man das? Ich höre gerade auf YouTube Anna Maria Chiuri (https://www.youtube.com/watch?v=E9OpE7X0lyE, Modena 2018), die - grandios! - wie eine Stahlsäge durch das Orchester schneidet und zusätzlich noch ostentative Gleichgültigkeit zur Schau stellt, wenn sie vom Tod von Angelicas Sohn berichtet. Das ist Barbieri on steroids, wie der Engländer sagen könnte. Komplett mit Geier auf dem Hut, dank der italienischen Staubi-Inszenierung.

    Aber die Zia Principessa ist eben auch das Krokodil in dieser Oper; sie dringt singulär aus der Außenwelt in das völlig abgeschottete Kloster und was sich mir als Besonderheit unter vielen anderen Opernfiguren darstellt: Keiner der anderen Charaktere kann sie kontextualisieren, kann ihre Darstellung hinterfragen, da niemand die Außenwelt kennt. In diesem Kloster ist die Zia Principessa Gott.

    Gegenüber den Nonnen kann sie behaupten, was sie will, und vielleicht tut sie das auch. Denn auch das Publikum hat überhaupt keine Möglichkeit, ihre Aussagen zu verifizieren oder zu falsifizieren. Und das finde eigentlich ungewöhnlich: Auch wenn Puccini-Opern keine Konversationsstücke sind, bekommt man eigentlich immer mehrere Perspektiven auf zentrale Konflikte (man vergleiche etwa Madama Butterfly, wo die Titelfigur ebenfalls mittels eines Kindes in den Selbstmord getrieben wird). Die Zia Principessa hingegen und ihre Erzählungen aus der Außenwelt sind strukturell dogmatisch, weil nicht nachprüfbar. Das weiß sie (es geht implizit aus ihren einleitenden Worten hervor), und deshalb gibt es für sie eigentlich keinen Grund für differenzierte Gestaltung.

    Und ich glaube, das ist das einzige, was man über diesen Nicht-Charakter wirklich sicher sagen kann: Der Mystizismus kann vorgetäuscht sein, Angelicas Kind kann noch leben, kann auch von der Zia zu Tode gequält worden sein (glaubt eigentlich irgendwer das "Tutto fu fatto per salvarlo..."?), die Hochzeit der Schwester kann erfunden sein, die Zia Principessa kann sich das gesamte Erbteil unter den Nagel reißen wollen, etc. Sicher ist nur, dass die Zia Principessa in der abgeschlossenen Welt des Klosters uneingeschränkte Deutungshoheit und Narrationsgewalt über die Außenwelt hat und sich dieser Macht auch bewusst ist. Und es ist kein Zufall, dass sie nur dann kurz die Fassung verliert, als Angelica mit ihrem "Sorella di mia madre, voi siete inesorabile!" (vergeblich) versucht, ihr diese Deutungshoheit zu entreißen und zu hinterfragen.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!