Hallo liebe Diskutanten,
mit großem Interesse habe ich die leider schon verjährte Diskussion in diesem Forum verfolgt, da ich diesen Sommer während meiner Masterarbeitsrecherche hin und wieder auch nach Internetquellengesucht habe. Zufällig beinhaltet das Thema meiner Masterarbeit den Vergleich zwischen Filmmusik und Oper am Fallbeispiel "Star Wars".
Da die Diskussion teilweise ins bodenlos Unsachliche abdriftete, versuche ich mich einmal tatsächlich objektiv an das Thema heranzuwagen bzw. über rhetorische Fragen meine Gedanken während des Verlauf-Lesens zu äußern.
Viele Beiträge weisen ihre Berechtigung auf, vor allem, wenn es um musikalische Verwandtschaft der "Star Wars"-Leitmotive zu präexistenter Musik gibt. Musikalische Relationen (Wagner, Korngold, Prokofjew, Chopin, Tschaikowski) sind definitiv nachweisbar, aber handelt es sich da gleich um einen Fall von Kopie, Plagiat oder Einfallslosigkeit? Mein erstes Empfinden beim Lesen der ein oder anderen Meinung war, dass es manchen Leuten tatsächlich nur darum geht bzw. ging, ob die Musik eine wahrhaftige Einzigartigkeit besitzt, um somit Williams/Shore/usw. in ihrer subjektiven Hierarchie zu etablieren.
...
Es ist tatsächlich eine Sache der Recherche, denn wenn man sich einmal etwas intensiver mit Filmmusik beschäftigt hat, so erfährt man recht früh, dass das Filmmusik-Genre aus der Oper heraus entstand, indem zumeist exilierte Opernkomponisten in Hollywood die Filmmusik als neue Arbeitsstelle außerhalb Europas annahmen (Korngold, Eisler, Wachsmann, im entferntesten auch Steiner). Fast alle Genannten hatten zu diesem Zeitpunkt auch Opern geschrieben, Korngold galt neben R. Strauss in den 1920er und frühen 1930er Jahren sogar als erfolgreichster Opernkomponist jener Zeit. Williams - das ist mittlerweile in mehreren Büchern nachzulesen - zielte genau darauf ab, in Absprache mit George Lucas eine sinfonische Filmmusik im Sinne des 1930er-Jahre-Films zu erschaffen und besann sich damit hauptsächlich auf Korngold. Dass dann eine gewisse Ähnlichkeit, wie die Intervall- und Instrumentalgleichheit zu Korngolds "Kings Row" zustande kam, erscheint daher weniger zufällig. Alles das ist nachzulesen, ebenso wie die Ballett-Parodie der Ewoks oder die musikalische Konstellation des "Imperial March".
Meiner Meinung nach sollte man mit Vorwürfen des musikalischen Plagiats oder der Kopie äußerst vorsichtig sein, da sich die Filmmusik (vor allem bei Williams) sehr häufig konzeptionell auf eine präexistente Musik bezieht. Deswegen ist sie aber nicht weniger gut oder schlecht.
Sowohl John Williams als auch der oft in diesem Chat deklassierte Howard Shore haben sich ihre Erhabenheit im Filmmusik-Genre definitiv verdient. Wer glaubt, das Werk Shores mit "Der Herr der Ringe" zu kennen, erscheint mir etwas bemitleidenswert. Fakt ist, dass beide Komponisten musikalisch nicht vergleichbar sind, vor allem aufgrund ihrer unterschiedlichen musikalischen Sozialisation. Zur teils vergleichbaren Anwendung der Leitmotivtechnik ist zu sagen, dass Shores Score wesentlich motivisch verstrickter ist, Williams' Score hingegen ist motivisch transparenter und die "Star Wars"-Filme, vor allem die frühen (1977-1983), besitzen einen wesentlich höheren non-musikalischen Bildanteil als "De Herr der Ringe". Hierbei ist allerdings auch festzuhalten, dass sowohl Shore als auch Williams völlig unterschiedliche musikalische und dramaturgische Vorbilder benutzen, ganz abgesehen von der sehr unterschiedlichen Entstehungszeit der Scores.
Meines Erachtens, um vorerst zum Abschluss zu gelangen, ist es doch gar nicht notwendig, Williams' (in Bezug auf Wagner) oder Shores (in Bezug auf Williams) Leistungen infragezustellen oder gar zu beleidigen, nur weil man einmal in einem Orchester ein Stück gespielt hat. Für solche leichtfertigen Vergleiche wird mir wohl immer das Verständnis fehlen. Ich freue mich allerdings, eine Auseinandersetzung über Filmmusik dergestalt (wie dieser Chat begann) gefunden zu haben und wollte mich deshalb auch nicht lumpen lassen, einen Beitrag hierunter zu setzen.
Ich würde mich freuen, diesen Chat in sachlicher Hinsicht noch einmal etwas belebt haben zu können.
Beste Grüße