Sehr schöne Bratschenmusik gibt es auch aus Italien:
Alessandro Rolla wurde 1757 in Pavia geboren, er studierte von 1770-1778 in Mailand bei Gian Antonio Fioroni, dem Kapellmeister des Mailänder Doms. Als 15-jähriger trat Rolla zum ersten Mal öffentlich als Bratschist auf, mit dem, wie es in einer zeitgenössischen Rezension hieß, "ersten Bratschenkonzert, dass je gehört wurde" (Telemann und Vivaldi kannte der italienische Rezensent offenbar nicht ). Von 1782 bis 1802 lebte Rolla in Parma als Konzertmeister der herzoglichen Hofkapelle, er spielte sowohl Geige als auch Bratsche und machte sich, neben seiner Orchestertätigkeit, in Italien einen Namen als Solist auf beiden Instrumenten. Rolla komponierte, dirigierte, interpretierte und unterrichtete unermüdlich, die zwanzig Jahre am Hof von Parma waren die produktivsten und vielleicht auch glücklichsten seines Lebens. Sein berühmtester Schüler in dieser zeit war übrigens der junge Niccolo Paganini, der ja nicht nur die Geige, sonder auch die Bratsche meisterhaft beherrschte.
Nach dem Tod des Herzogs von Parma 1802 wurde die Hofkapelle aufgelöst, Rolla musste sich nach einem neuen Tätigkeitsfeld umsehen. Er fand es in Mailand, der Stadt, in der er selbst studiert hatte. Er wurde dort Konzertmeister und Kapellmeister an der berühmten Scala, daneben unterrichtete er, wie die meisten Solomusiker aus dem Orchester der Scala, am neugegründeten Konservatorium. Seit 1808 war er dort Professor für Violine und Viola, er gehörte unter anderem der Prüfungskommision an, die den jungen Giuseppe Verdi als Studenten ablehnte - Rolla war der einzige Prüfer gewesen, der ein positives Urteil über den jungen Komponisten abegegebn hatte.
Bis zu seinem Tod 1841 lebte Rolla in Mailand und war einer der aktivsten und einflussreichsten Musiker der dortigen Künstlerszene. An der Scala dirigierte der Konzertmeister neben den Opern von Bellini, Rossini und Donizetti auch die ersten Mailänder Aufführungen der großen Mozart-Opern, ebenso präsentierte er dem italienischen Publikum zum ersten Mal die Symphonien Ludwig van Beethovens. Neben seiner professionellen Tätigkeit an der Scala rief Rolla auch noch ein Liebhaberorchester ins Leben, mit dem er "moderne" Musik, wie eben einen Zyklus mit allen Beethoven-Symphonien zur aufführung brachte. In dieser Liebhabergesellschaft wie auch in den Salons der Adligen und Wohlhabenden spielte Rolla viel kammermusik, vermutlich seine größte persönliche Leidenschaft. In einer Zeit, in der in Italien neben der übermächtigen Oper die Instrumentalmusik sehr vernachlässigt wurde, setzte sich Rolla für eine Pflege auch der Kammermusik ein, spielte Streichquartette von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert etc.
Ich finde den Einsatz und die offensichtliche Leidenschaft, mit der Rolla über Jahrzehnte hinweg als Professor, Dirigent, Kammer- und Orchestermusiker wirkte schlichtweg bewundernswert und halte ihn schon deshalb für absolut wert, sich an ihn zu erinnern. Erinnerung verdienen aber auch seine Kompositionen, vor allem für die Brtsche hat er einen reiches Repertoire an konzertanter Literatur hinterlassen.
Das Konzert Es-Dur op. 3 für Viola und Orchester, enstanden vermutlich zu Beginn der Parmesaner Zeit (Heißt das wirklich so? Das klingt so nach... Käse! :hide: ), ist ein großangelegtes, halbstündiges Bratschenkonzert in durch und durch klassischen Stil. Man hört Rolla an, dass er sich intensiv mit Mozart und Beethoven auseinandergesetzt hat, man hört ihm aber auch an, dass er selbst kein Beethoven ist, wenn er es auch vielleicht gerne wäre. In Form und Stil erinnert das Konzert durchaus an die großen Meister der Klassik, ich finde aber leider, dass weder die Themen noch ihre Verarbeitung wirklich stark genug sind, ein so langes Werk zu tragen.
In der kleinen, nicht ganz so ambitionierten Form gefällt Rolla mir besser. Das Divertimento F-Dur für Viola und Streicher, enenso wie das Rondo G-Dur für Viola und großes Orchester sind leichte, jeweils etwa zehnminütige Konzertstücke, deren Melodien ganz offensichtlich schon der Oper des italienischen Belcanto abgelauscht sind. Hier bewährt sich Rolla als Melodiker, das Polonaise-Thema des Divertimento ist ein wirklicher Ohrwurm, diese Stücke sind unterhaltsame, qualitätvolle Musik, formal kompakt, melodisch einfallsreich - hervorragend!
Sehr gut gefällt mir auch das Concertino Es-Dur für Viola und Streicher, dreisätzig wie das große Bratschenkonzert, die drei Sätze gehen aber fließend ineinander über. Rolla zeigt hier die gleichen Qualitäten wie in den kürzeren Konzertstücken. Eine solide formale Anlage und facettenreiche Orchesterbehandlung, die er eindeutig von den von ihm verehrten Wiener Klassikern gelernt hat, dazu ein Sinn für Melodien, der hörbar an der italienischen Belcanto-Oper geschult ist. Rolla verbindet die deutschen und italienischen Elemente der Musik um 1800 sehr überzeugend, er kann Stimmungen schaffen, zündende Melodien erfinden, vermeidet hier aber die formelhafte Erfüllung vorgegebener Formen, die das Bratschenkonzert für mich so spröde wirken lässt.
Nachhören kann man das alles hier: