Schumann, Robert: Waldszenen op. 82 (1848/49)
Die „Waldszenen“ op. 82, in Töne gesetzt in den Jahren 1848 und 1849, also in der Zeit der Revolution (was man ihnen nicht anhört), geschrieben an der Grenze zum Spätwerk Schumanns. Eine Sammlung von neun aquarellierten Piecen, jedes von ganz eigenem Reiz.
Die Nr. 1 („Eintritt“) kommt leichtfüßig fast volksliedhaft daher, nimmt aber augenblicklich gefangen. Dem Stück war ursprünglich ein Motto des Dichters Gustav Pfarrius voran gestellt: „Wir gehn auf thauumperltem Pfad / Durch schlankes Gras, durch duftges Moos / Dem grünen Dickicht in den Schoos.“
Die Nr. 4 hingegen („Verrufene Stelle“) ist von einer vertrackten Melodieführung, in die immer wieder Eis-Stückchen eingestreut sind. Auch dieses Stück hatte in der Urfassung ein Motto (von Friedrich Hebbel), das sich als einziges auch in der Druckfassung wieder findet: „Die Blumen, so hoch sie wachsen, Sind blass hier, wie der Tod; Nur eine in der Mitte Steht da im dunkeln Roth. Die hat es nicht von der Sonne; Nie traf sie deren Gluth; Sie hat es von der Erde, Und die trank Menschenblut.“
Am geläufigsten ist allerdings Nr. 7 („Vogel als Prophet“) - das Stück wurde auch eigenständig publiziert. Ich kenne kein zweites Klavierstück, das so geheimnisvoll auf mich wirkt.
Schumann hat, einigen Berichten nach, die „Waldszenen“ für einen seiner besten Zyklen gehalten. So schreibt er im Oktober 1850 an seinen Leipziger Verleger Bartholf Senff: „Sie empfangen hier die Waldszenen - ein lang und viel von mir gehegtes Stück. Möchte es Ihnen Lohn bringen, und wenn keinen ganzen Wald, so doch einen kleinen Stamm zum neuen Geschäft."
Die „Waldszenen“ werden selbstredend weit seltener eingespielt als z.B. die „Kinderszenen“ oder die „Kreislerianer“, was daran liegen mag, dass op. 82 fast schon zum Spätwerk gehört, und dieses weithin noch immer unterschätzt wird.
Ich persönlich habe etwa ein Dutzend Aufnahmen. Die bemerkenswertesten möchte ich vorstellen:
Die Einspielung von Cyprien Katsaris war die erste, die ich mir mit Anfang 20 zulegte. Mangels Alternative fand ich die Aufnahme von 1986 großartig. Beim neuerlichen Hören, gefällt sie mir immer noch gut, sie ist schwebend und volltönig, wenn auch manchmal etwas dicht gewoben, was den Klang anbelangt. Allerdings spielt Katsaris in einem teilweise geradezu rasenden Tempo. Das hat was, ist aber wenig romantisch, und war von Schumann auch nicht so gemeint. Das Eingangsstück ist mit der Anweisung „Nicht zu schnell“ überschrieben, Katsaris hastet in 1.50 durch das Stück, Demus z.B. braucht 2.19, Kempff sogar 2.23.
Auch ansonsten läßt es Demus recht ruhig angehen (im Jahr 1973), er spielt die „Waldszenen“ fast träumerisch, als Soundtrack zu Andersens Märchen. Nie agiert er maniriert oder wuchtig. Man merkt, dass er als Liedbegleiter einen großen Namen hatte; nie spielt er sich in den Vordergrund, selbst wenn er der Vordergrund ist. Ich empfinde das – insbesondere bei Schumann – als sehr angenehm.
Kempff trumpft (1974) zwar auch nicht auf, aber man spürt seinen Willen, allen zu zeigen, wie er die Romantik sieht und hört.
Da ich bis vor Kurzem mit Kempff fast ausschließlich als Beethoven-Interpret vertraut war, hatte ich anfänglich einige Schwierigkeiten mit seinen „Waldszenen“, mir kamen sie ein bißchen fad vor. Aber mit jedem Hören erschließt sich mir diese Einspielung mehr. Ruhig und klar, sehnsuchtsvoll und fern.
Eine recht neue Einspielung aus dem Jahr 1997 stammt von Czaja Sager, und sie ist ausnehmend interessant. Sager spielt mit feiner Akzentuierung, was den Stücken teils eine anregende Klarheit, fast Schärfe gibt.
Schließlich „die“ Referenzaufnahme aus dem Jahr 1953 (die für die 50er von mäßiger Tonqualität ist, Kempffs Beethoven-Sonaten aus dem Folgejahr hören sich um Lichtjahre besser an): Clara Haskil, die gerne mal mit Pranke spielt und auch ansonsten mit genialischen Verspielern glänzt. Man hört in dieser Aufnahme noch deutlich die Piano-Tradition der 20er Jahre durch, das Konzept des „Pianisten als junger Künstler“ (b.z.w. der „Pianistin als junge Künstlerin“). Damit ich nicht mißverstanden werde: es handelt sich hier um eine sehr eigene und sehr schöne Einspielung.
Die „Waldszenen“ gehören zu meinen Allzeit-Favoriten im Bereich der Klassik, ich höre sie seit 20 Jahren immer wieder, und ich kann nicht genug von diesen verhalten glitzernden Miniaturen bekommen.
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