Bach-Kantaten: Diskographische Empfehlungen

  • Mache ihn auf, Gurnemanz! Dazu kann ich dann schon was verzapfen....

    Mal schaun: Ohne Fachkompetenz ist das nicht so einfach.

    Zitat

    ?? Natürlich kenne ich das nach BVW 1055 rekonstruierte Konzert für Oboe d´amore in a, aber BVW 1005a? Ist das das gleiche Stück?

    Weiß nicht. Mehr, wenn ich die CD besitzen sollte (vielleicht gibt das Booklet etwas her...).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • BWV 140 / 147

    Die habe ich auch von Gardiner, das sind zwei meiner Lieblingskantaten.
    Was Ruth Holton anbetrifft, kann ich euch nur zustimmen, die hat wirklich eine schöne Stimme.
    Leider gefällt mir Michael Chance nicht besonders, aber man kennt ja das Problem mit den Solisten: Irgendeiner stört fast immer ein bißchen!
    Außerdem natürlich ziemliche Geschmackssache. Bei Gardiner finde ich das immer sehr durchwacsen: Einige Solisten sind ausgezeichnet, andere dagegen ziemlich schwach.
    (meiner Ansicht nach, natürlich!)

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Das freut mich ja - ein Kantaten-Thread. Es ist schon etwas länger her, da habe ich den Anlasses halber (Bach 2000) alle Kantaten nacheinander mitgesungen (natürlich nur die, in denen ein Chor dabei ist). Aber meine Liebe zur Bachschen Kantate reicht noch weiter, schließlich bestand mein erstes Konzert als kleiner Chorist aus Orchestersuite Nr. 2 und den beiden Kantaten BWV 79 ("Gott, der Herr, ist Sonn und Schild") und BWV 100 ("Was Gott tut, das ist wohlgetan" III).

    Grundsätzlich höre ich gern - ja nach Kantate - sowohl HIP als auch unHIPe Aufnahmen. Das ist nicht konsequent, aber wer schreibt mir auch schon Konsequenz vor. Allerdings sagt mir Gardiners Bach - und da nehme ich die Kantaten jetzt einmal nicht aus - wenig. In meinen Ohren ist da sehr viel HIP-Theorie, dafür aber wenig Inhalt. Das gilt nicht für alle seiner Kantateneinspielungen, aber doch für viele, für seine früheren Aufnahmen mehr als für seine späteren. Herreweghe finde ich grundsätzlich moderater und darum besser anzuhören, von Koopman finde ich eigentlich nur die erste Einspielung der "Matthäuspassion" gelungen. Suszuki, den ich nur in Auzügen kenne, empfinde zwar als schmissig, aber er bleibt in meinen Ohren doch immer eher kühl. Leusink scheint mir so übel nicht, Bas Ramselaar empfinde ich bei ihm als durchweg gut (glänzend ist er beispielsweise in BWV 88 "Siehe, ich will viel Fischer aussenden"), allerdings mag ich seinen Altisten Sytse Buwalda vom Ton her (und auch was die Textverständlichkeit angeht) nicht. Gar nicht.

    Überhaupt habe ich bei vielen HIP-Aufnahmen der Bachschen Kantaten dieses Problem der für mich auftretenden Diskrepanz ziwschen der Umsetzung der Grundsätze der HIP und dem damit einhergehenden Mangel an Überzeugungskraft der Verkündigung. Aber das mag - das gebe ich gern zu - an mir liegen.

    Wenn wir mal auf die unHIPe Seite blicken , dann höre ich gern eine Reihe der unter Rotzsch eingespielten Kantaten, weil er oft - wie beispielsweise im Eingangschor von BWV 140 - ein Tempo trifft, das ich für mich als "natürlich" empfinde. Manches von ihm, das sich gegenwärtig ja günstig in Box-Form erwerben lässt, ist dann aber auch durch und durch mäßig (zB das Magnificat). Rilling mag ich gar nicht, wobei mir es schwerfällt zu definieren, was ich nicht mag. Mal finde ich den Chorklang irgendwie eigentümlich, dann gefallen mir die Solisten oft nicht (wobei ich auf der anderen Seite gerade an die herrliche Darstellung der Alt-Arie in BWV 42 durch die hervorragende Julia Hamari denken muss....), insgesamt ist mir vieles zu dick musiziert. Trotzdem mag ich auch einige der Richter'schen Aufnahmen, beispielsweise BWV 81 "Jesus schläft, was soll ich hoffen", deren Eingangsarie ich selten zerknrischter gehört habe.

    Die in meinen Ohren schönste Aufnahme der berühmten Kantate BWV 82 wiederum entstand unter der Leitung von Max Pommer, es singt der (nicht grundsätzlich, aber hier wirklich) glänzende Siegfried Lorenz.

    Je mehr Aufnahmen ich jedoch höre, desto mehr fühle ich mich auf jenes Problem zurückgeworfen, mit dem ich mich stets konfrontiert sehe, wenn es um Bachs Vokalmusik geht. Um endgültig zufrieden zu sein, müsste ich sie wohl selbst einspielen.

    :wink: Agravain

    'n paar Bildchen :D :

  • Zitat

    Insgesamt: .....etwas angestaubt, aber wer's romantisch mag...

    Zitat

    Wer´s braucht . . . .

    Also nu macht doch man halblang. ..... euer Verdikt mag ja für Rillings Wiedergabe der H-Moll-Messe + den Passionen zutreffen, aber bestimmt nicht z.B. für die Cembalo- Konzerte mit dem Bach-Collegium Stuttgart und Robert Levin, Mario Videla & Co unter Rilling .
    Hat die überhaupt jemand von euch sich schon mal reingezogen ? Also da ist nix von „romatisierenden“ Bach nee nee ... Und selbst Arundo Donax, du würdest bei dieser Levin-Rilling-Wiedergabe mit den Stuttgartern ganz bestimmt den Drang widerstehen, das Cembalo als Brennholz zu verwerten (auch wenn der Winter uns bereits in wenigen Monaten vor der Tür steht).

    Ich hab in meiner tollen Sammlung einige Kantaten (nicht alle, da sind noch jede Menge Perlen zu entdecken) und auch welche mit dem Bach-Ensemble unter Rilling. Und BWV 63 („Christen, ätzet diesen Tag“) ist eine solche fetzige Perle. Ihr müsst euch mal BWV 63 reinziehen und auch vor allem daraus das Schlussstück Nr. 7 (Coro), nämlich mit der hammergeilen A-Capella-Passage.
    Das ist Bachspiel vom Bach-Ensemble unter Rilling vom Feinsten.......

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Hallo Bernd,


    aus der Erinnerung heraus kann ich nur "berühmte" Kantaten als Empfehlungen nennen, in denen mir Leusink sehr gut gefällt:


    BWV 56 /82 mit Bas Ramselaar ( " Kreuzstab" und " Ich habe genug")


    Den " Actus Tragicus " BWV 104 und natürlich BWV 51 " Jauchzet Gott in allen Landen" mit Ruth Holton .


    Aber gerade manch unbekannte Kantate ( die ich natürlich jetzt nicht auf den Schirm kriege :S ) bot mir bei Leusink ungeahnte Perlen - wenn mir eine über den Weg läuft, vermelde ich es hier!

    Gruß

    Stefan

    Oh, Mensch bedenke: auch ein Fenghuang Dancong oder ein Da Hong Pao ist kein Huang Zhi xiang Dangcong!

  • (natürlich nur die, in denen ein Chro dabei ist).

    Genau, die ziehe ich auch vor! Die sind irgendwie chromatischer! ^^

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • John Elliot Gardiner

    wobei ich mit Gardiner mehr anfangen kann, auch wenn er mir manchmal zu direkt daherkommt (klare Herausarbeitung der Affekte, aber ohne spirituellen Tiefgang?)

    Hallo,

    ich vermute mal Dein Urteil zu Gardiner ist tendentiell positiv; andernfalls hättest Du wahrscheinlich von Effekten (Effekthascherei) und nicht von Affekten geschrieben. Das mit dem fehlenden "spirituellen Tiefgang" ist allerdings so eine Sache. Vielfach hat man Gardiner insoweit eine gewisse oberflächliche Perfektion unterstellt. Bei Martin Elste heißt es gar:"Offenbar hat keiner - vor allem kein Engländer - mehr Mut zu langsamen Tempi". In diesem Zusammenhang fallen Begriffe, wie "emotionale Distanz", "sportiver Drive" und "gekonnte Kontemplation". Zusammengenommen möglicherweise ernsthafte Defizite, die letztlich vielleicht den Ausschlag zugunsten von Koopman, Suzuki, Herreweghe, Rilling, Harnoncourt/Leonhard oder vielleicht auch Karl Richter geben könnten, wären da nicht diese großartigen durchsichtigen sängerischen Leistungen des Monteverdi Choir und solcher Solisten wie Nancy Argenta, Michael Chance, Christoph Genz und anderen. Ich gestehe, dass ich noch zögere meinen Bestand von fünf oder sechs CD`s mit Gardiner-Kantaten-Einspielungen auszubauen.

    Mal sehen, was das Thema hier noch bringt.

    Gruß

  • Hallo Yukon,


    wie schon geschrieben - ich besitze die gesamten Gardiner Kantaten ( nicht wahr, die letzten beiden Volumes kommen erst in den nächsten Tagen) und ich möchte Sir John ausdrücklich vor dem Verdikt der emontionalen Kälte in Schutz nehmen. Die englische Art Bach zu musizieren ist zwar vielleicht tatsächlich etwas weniger emotional als die anderer nationaler Traditionen, aber auch Bach ist in seinen Kantaten nicht in Emotionen weggeschwommen, sondern hat zum Teil sehr reine, kristalline Theologie abgeliefert, Futter fürs Hirn, nicht nur fürs Herz - man höre gerade die Trauer und Sterbekantaten. Wenn die zu emotional aufgeführt werden, wird es im Zusammenspiel mit dem manchmal argen barocken Wort- Schwulst :stumm: leicht süßlich -widerlich.

    Insofern schätze ich Gardiners noble Distanziertheit. Kalt ist diese ganz und gar nicht- sie stellt eher eine Art von " Schwarzbrotspiritualität" ( Fulbert Steffensky) dar. Ästhetisch und musikalisch kann man sicher gültige andere Wege gehen, ich glaube aber, dass diese kleine aber klare Distanz zur absoluten Emotion nötig ist, um die seelsorgerische Kraft der Kantaten bis ins Heute erlebbar zu erhalten.

    Gruß

    Stefan

    Oh, Mensch bedenke: auch ein Fenghuang Dancong oder ein Da Hong Pao ist kein Huang Zhi xiang Dangcong!

  • Den Unterschied, HIP und Non-HIP mache ich gar nicht mehr, nachdem mich Rilling oder Richter sowas von überhaupt nicht ansprechen. Bei mir ist jetzt eher die Frage, ob die Chöre solistisch gesungen werden oder nicht. Aber da kann ich beiden Varianten extrem viel abgewinnen. Bei nicht-solistischer Besetzung höre ich Herreweghe und Gardiner sehr gerne, die große Gardiner-Bach-Archiv-Box werde ich mir wohl zu Weihnachten gönnen:

    Da ist die von Algabal weiter oben gezeigte Eloquence-Box quasi mit drin.
    Insgesamt gefällt mir aber in der Kategorie Suzuki noch einen Tick besser, weswegen ich auch angefangen habe, mir peu à peu die japanischen BIS-Aufnahmen zuzulegen.

    Wenn es aber solistisch sein soll, sind sowohl Kuijken als auch Pierlot sensationell gut. Selten hat mich eine Kantaten-Aufnahme so begeistert wie z.B. die im letzten Jahr erschienene Accent-CD mit den Adventskantaten unter Kuijken:

    Leider scheint Kuijken nicht alle Kantaten einzuspielen, sondern nur eine Auswahl quer durch das Kirchenjahr.
    Pierlot ist meines Erachtens dennoch leicht vorzuziehen, weil die Aufnahmen klanglich besser sind. Während bei Kuijken alles sehr direkt und manchmal etwas unausgewogen klingt (man meint, die Sänger singen einem überdeutlich direkt ins Ohr), ist die Balance bei Pierlot mehr gewahrt. Es klingt brillianter, kraftvoller und sehr angenehm.


    LG, Peter.

    Alles kann, nichts muss.

  • Liebe Bachkantatenkenner/innen,

    da bei mir zwei Sachverhalte unbarmherzig aufeinanderprallen: a) eine allmählich und unaufhaltsam steigende Begeisterung für JSB einerseits und b) eine recht dünn besetzte Sammlung von Kantatenaufnahmen andererseits - stellt sich für mich die Frage, welche Erweiterungen sinnvoll wären.

    Lieber Gurnemanz,

    darf ich dir sagen, dass ich deine Frage nach Interpreten vor dem Hintergrund dieses Zitats etwas seltsam finde? Du teilst uns mit, du habest nur eine recht dünn besetzte Kantatensammlung. Meines Erachtens empfiehlt es sich deshalb, nicht nach Interpreten zu fragen, sondern uns mitzuteilen, welche Kantaten du bereits besitzt. Dann können wir dir bestimmte Kantaten empfehlen, zu denen sich erst dann sinnvolle diskographische Empfehlungen geben lassen. Oder du sagst uns, welche Kantaten du bereits jetzt am meisten schätzt und in welchen Aufnahmen du diese besitzt. Dann können wir dir gezielt andere Interpreten eben dieser Kantaten empfehlen. Bei einer solchen Vorgehensweise wirst du automatisch mit diversen unterschiedlichen Interpretationsweisen in Kontatkt kommen, was m. E. dem Kauf des kompletten Leusink/Koopman/Gardiner/Rilling vorzuziehen ist. Erweitern kannst du auf dieser Basis immer noch.

    Ein Weiteres: Der Kantatenkosmos ist riesengroß. Ich höre mich seit längerer Zeit immer weiter in ihn hinein, bin aber noch lange nicht am Ende, sondern fange immer wieder von vorn an. Das Durchhören aller Kantaten der Reihe nach kann angesichts der Vielzahl der Kantaten schnell zu einem wenig sinnvollen oberflächlichen Hören führen. Meiner Erfahrung nach ist es empfehlenswerter, sich mit einzelen Aufnahmen exemplarisch näher zu beschäftigen (z. B. durch begleitende Lektüre des Dürr und/oder des Bach-Handbuchs, dessen Vokalteil hervorragend ist).

    :wink: Thomas

  • Zitat

    Meiner Erfahrung nach ist es empfehlenswerter, sich mit einzelen Aufnahmen exemplarisch näher zu beschäftigen (z. B. durch begleitende Lektüre des Dürr und/oder des Bach-Handbuchs, dessen Vokalteil hervorragend ist).

    Dürr ist fachlich sehr beschlagen, aber teilweise schon recht anstrengend zu lesen, also für faule Menschen wie mich suboptimal. Ich besitze auch noch "Die Welt der Bachkantaten" von Christoph Wolff/Ton Koopman und kann diese ausführliche Darstellung nur empfehlen (bei jpc gib es die drei Bände gerade zum Sonderpreis von 19,80).
    Außerdem schlage ich mit meiner Schwäche für Unzeitgemäßes gerne mal beim ollen Albert Schweitzer nach. Auch das lohnt sich manchmal durchaus!

    Beste Grüße

    Bernd

  • Meines Erachtens empfiehlt es sich deshalb, nicht nach Interpreten zu fragen, sondern uns mitzuteilen, welche Kantaten du bereits besitzt.

    Lieber Thomas, nach Interpreten frage ich deshalb, weil mich interessiert, wie sich die unterschiedlichen Herangehensweisen charakterisieren lassen (soweit sich das überhaupt generalisieren läßt). Da habe ich hier bereits Aufschlußreiches erfahren, z. B. über den Unterschied von Gardiner und Herreweghe.

    Ich liste mal auf, was sich bei mir findet:

    Herreweghe: BWV 21, 39, 42, 73, 93, 105, 107, 131, außerdem die Messen BWV 233-236.
    Gardiner: BWV 36, 61, 62, 140, 147. Weihnachtsoratorium.
    Harnoncourt: BWV 211, 212.
    Koopman: 243a (Magnificat), 249 (Osteroratorium)
    Rilling: BWV 1, 36, 61, 63, 65, 91, 110, 121, 122, 132, 133, 153, 190.
    Prohaska: BWV 4, 50, 51, 70, 78, 106, 140, 202, 209, 243.

    Außerdem: Johannes-Passion: Scherchen, Herreweghe; Matthäus-Passion: Scherchen, Klemperer, Herreweghe; H-Moll-Messe: Klemperer, Fasolis, Butt.

    Selber mitgesungen (im Baß) habe ich bislang BWV 36, 39, 235 sowie H-Moll-Messe (sauschwer!), Johannes-Passion und Weihnachtsoratorium (alle 6 Teile an einem Abend). Aus dieser Perspektive muß ich einräumen: Ich finde es recht mühselig und wenig erbaulich, mich durch die bei Bach immer wieder vorkommenden Sechzehntel-Melismen auf einem Vokal (z. B. A-a-a-a-...-men) durchzuhangeln. Für mich ein Aspekt, der für solistische Chöre spricht.

    :wink:

    Bachs Kantatenkosmos ist in der Tat riesig, vor allem, wenn man bedenkt, wieviel verlorengegangen ist! Einen Favoriten wüßte ich im Moment nicht zu benennen; ich denke, ich werde mich da nach und nach durcharbeiten, soweit das mir angenehm ist.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz!

    Aus dieser Perspektive muß ich einräumen: Ich finde es recht mühselig und wenig erbaulich, mich durch die bei Bach immer wieder vorkommenden Sechzehntel-Melismen auf einem Vokal (z. B. A-a-a-a-...-men) durchzuhangeln. Für mich ein Aspekt, der für solistische Chöre spricht.


    Das würde ich genau andersherum sehen. Gerade, weil man sich mehr oder weniger durchhangelt, ist es doch prima, wenn man Teil einer Stimmgruppe und eben nicht auf sich allein gestellt ist. Diese Passagen auf einem Vokal, die ich übrigens ziemlich gerne selbst singe, sind ja auch immer ein Luftproblem und dann hat es eine Stimmgruppe naturgemäß einfacher, keine Luftlöcher entstehen zu lassen als ein einsamer Solist. Was natürlich die Bewunderung für Solisten, die das trotzdem einwandfrei über die Bühne bringen, enorm steigert!


    LG, Peter.

    Alles kann, nichts muss.

  • Lieber Peter,

    mit dem Luftproblem hast Du zweifellos recht. Das läßt sich zwar bei einer Gruppe von Ripienisten (so heißt das, glaube ich) besser überdecken, doch je größer der Chor, desto breiiger und schwerfälliger kann es klingen und das finde ich gerade bei Bach höchst fatal.

    Wenn es Solisten machen, müssen die natürlich verdammt gut sein. Bach selbst hatte da vermutlich großartige Solisten in Leipzig, schließlich war es sein Job, sie heranzuziehen und auszubilden.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • doch je größer der Chor, desto breiiger und schwerfälliger kann es klingen


    Absolut. Das ist eigentlich auch der Hauptgrund, warum ich nichts mit den Karl-Richter-Aufnahmen anfangen kann. Es ist nicht nur unbedingt die Art des Instrumentariums (den Chor eingeschlossen), sondern vor Allem die Menge an Solchem.
    Suzuki verwendet m.W. einen kleinen Chor, in dem pro Stimme nur wenige Sänger singen. Auch in der Matthäuspassion von Herreweghe, die im Frühjahr im TV übertragen wurde, konnte man das gut sehen. Solche Besetzungen halte ich bei Bach für optimal.


    LG, Peter.

    Alles kann, nichts muss.

  • Solche Besetzungen halte ich bei Bach für optimal.

    Stimmt, mit kleinen Chören kann auch ich bei Bach gut leben, zumal wenn's Profis sind, die ihr Handwerk verstehen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz,

    den Unterschied der Interpretationshaltungen von Herreweghe und Gardiner dürftest du doch beim Hören deiner CDs am besten erfahren, oder?

    Wie dem auch sei, für mich auffällige „Lücken“ in deiner Sammlung sind:

    BWV 82 „Ich habe genug“: Eine Solokantate für Bass. Fragst du Kantatenliebhaber nach ihren liebsten Kantaten, dann wird BWV 82 so gut wie immer genannt werden. Hervorragende Aufnahmen gibt es viele, u. a.:

    Hotters Aufnahme ist bis heute meine liebste (dazu fantastische 4 Gesänge). Seine weiche, warme Stimme passt sehr gut zum Inhalt des Textes. Kantatengesang von anno dazumal (1950), klar, aber von gewaltigem Ausdruck. Quasthoff bietet überragende künstlerische „Arbeit“ am Text, sein Gesang ist wundervoll gestaltet. Kooy ist die Mitte von beiden: moderner als Hotter und emotionaler als Quasthoff, sehr gut begleitet von Herreweghe. Bei Herreweghe mitenthalten ist BWV 56, ebenfalls eine berühmte Kanate. Reinhören könntest du auch bei Mertens.

    BWV 51 „Jauchzet Gott in allen Landen“: Ja, ich habe gesehen, dass du die Aufnahme mit Prohaska besitzt. Die kenne ich nicht, schätze sie aber ohne jede Zurückhaltung als wohl nicht up to date an. Meine allerliebste Aufnahme ist die mit Giebel unter Leonhardt (die ebenfalls nicht up to date und momentan nur gebraucht zu bekommen ist):

    Eine junge, gute Aufnahme kenne ich nicht. Vor Gardiners Aufnahme mit Kirkby muss ich warnen, weil die arg verhetzt ist.

    BWV 63 „Christen ätzet diesen Tag“: Diese Kantate lässt sich wunderbar mit Suzuki kennen lernen, dessen Interpretationshaltung der von Herreweghe ähnlich ist, von manchen aber als glatt wahrgenommen wird (nicht von mir).
    Unbedingt hinweise möchte ich darauf, dass Suzukis ältere Aufnahmen in Boxen erhältlich sind, hier ist diese die Vol. 1-10 enthaltende einschlägig:
     

    BWV 4: „Christ lag in Todesbanden“: Entweder günstig mit Gardiner oder kleiner besetzt mit Junghänel:

    Groß auftrumpfend ist die Kantate BWV 80. Hier darf man dann gern zu Richter greifen:

    Eine Kantate mit einer eher verinnerlichten Frauenstimme ist "Mein Herze schwimmt im Blut", BWV 199. Da würde ich zu Kozena mit Gardiner greifen (habe nicht viele Vergleichsmöglichkeiten, Kozena aber finde ich sehr gut):

    Als exemplarische Altkantate empfehle ich dir BWV 170 in dieser CD mit einem superben Scholl:

    Soderle, ich habe mich bemüht, ein möglichst breites Spektrum, sowohl was die Art der Kantate als auch was die Besetzung angeht, abzudecken. Ich schlage vor, du kaufst sie dir alle. :D

    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    BWV 82 „Ich habe genug“: Eine Solokantate für Bass. Fragst du Kantatenliebhaber nach ihren liebsten Kantaten, dann wird BWV 82 so gut wie immer genannt werden.

    Ja, und ganz zurecht. Da ich sehr persönliche und sehr traurige Erinnerungen mit dieser Kantate verbinde, kann ich sie allerdings nicht zu oft hören (und auch das Mitwirken bei einer Aufführung vor ca. 3 Jahren ist mir trotz meiner Begeisterung für diese Musik zunächst nicht leicht gefallen).

    Zitat

    Hotters Aufnahme ist bis heute meine liebste (dazu fantastische 4 Gesänge). Seine weiche, warme Stimme passt sehr gut zum Inhalt des Textes. Kantatengesang von anno dazumal (1950), klar, aber von gewaltigem Ausdruck.

    Da stimme ich zu, aber leider klingt die Oboe ganz grausam. Was Hotter an Wärme und Weichheit bietet, macht sein *Partner* mit quäkigem Timbre fast wieder zunichte....jedenfalls für meine Ohren.

    Ich habe mir BVW 82 eben auf Oolongs Empfehlung in der Leusink-Einspielung gegeben. Wenn ich heute abend mehr Zeit habe, schreibe ich noch etwas dazu. Es sei aber verraten, dass mein Grundeindruck durchaus positiv war...

    Beste Grüße

    Bernd

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