Arnold Schönbergs größter Erfolg - Die "Gurrelieder"

  • Um nochmals auf die Diskussion zurück zu kommen, ob es sich hier um ein gelungenes oder misslungenes Werk handelt: Desto öfter ich das Stück höre, je mehr entdecke ich die Stärken des Werkes, die für mich in der oft kammermusikalischen Behandlung der Streicher besteht. Was da an Interaktionen zwischen den Streichern abläuft ist schon oftmals sehr faszinierend für mich und zeugt von grossem handwerklichen Können Schönbergs. Und wenn selbst ein Boulez findet, er müsse es aufnehmen, dann kanns so schlecht ja nun auch wieder nicht sein :D . Einfach ein höchst respektables Jugendwerk, das selbstverständlich nicht mit der Bedeutung des "Liedes von der Erde" vergleichbar ist. Schönberg selber hat seine Gurrelieder später ja wohl gar nicht geschätzt und hat sich bei der späten Uraufführung nicht vor dem Publikum verbeugt (obwohl es ein grosser Erfolg war), sondern nur vor den Musikern.
    Was die Aufnahmen betrifft: Die Aufnahme mit Abbado gefällt mir schon ausgesprochen gut, vor allen Dingen wegen der wundervollen Wiener Philharmoniker, die einen (eben wiener) Schmelz in den Streichern haben, den dieses Werk braucht, um zu wirken. Und abbado nimmt sich auch entsprechend Zeit, was tatsächlich bei Rattle nicht so der Fall ist. Auch sind die Sängerleistungen bei der Abbadoaufnahme toll- Libvosek als Waldtaube- wirklich beeindruckend, aber auch alle anderen sehr gut.
    Letzte Woche habe ich die Gurrelieder live bei den Luzerner Festspielen hören können, mit dem Tonhalle Orchester, vereinigt mit dem Orchestre de la suisse Romande, unter Zinman- ich denke das wird auch noch mal eine CD geben. überhaupt scheint es, dass das Werk zwar selten aufgeführt wieder, aber wenn, wird dann auch gleich eine CD daraus gemacht. Die Aufführung war von Orchester udn Chor her sehr gut, allerdings waren die Sängerleistungen äussert durchwachsen und das Dirigat etwas grobschlächtig.

    Gruss Syrinx

    Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen, Wenn es nicht aus der Seele dringt Und mit urkräftigem Behagen Die Herzen aller Hörer zwingt.
    Goethe, Faust 1

  • Jugend ist bekanntlich relativ - auch de Arriaga hat ein Jugendwerk und ein Spätwerk... ;+)

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Guten Abend,

    ich möchte erstens bei Johannes für seine ausgezeichneten Eröffnungsbeiträge bedanken.

    Ob es dabei tatsächlich um so eine schwache Komposition von Arnold Schönberg handelt, kann ich als ein absoluter Laie nicht beurteilen. Und seine, ja, fast verschwenderische und ornamenthafte Behandlung mit Chor war bereits aufgefallen. Sicherlich aus der heutigen Sicht ist derartige Komposition nicht effizient genug. Adolf Loos würde das sogar als Verbrechen bezeichnen. Aber Gurrelieder erinnern mich nun mal an Gemälde von Gustav Klimt: Jede Einzelheiten sind bereits in sich geschlossene Ornamente, die in die Gesamtheit harmonisch eingefügt werden. Dabei ging Klimt auch ziemlich verschwenderisch mit seinen Materialien um (meine Güte, so viel goldene Ornamente!), aber nun mal seine Art Ästhetik verlangt solche "Verschwendung". Ob Gurrelieder so eine Geschlossenheit wie Gemälde von Klimt aufweisen, kann ich nicht beantworten. Und Gurrelieder sind sicher nicht meine Alltagsmusik, die ich gerne beim Bügeln hören werde (Das wäre ja fast so, als ich jeden Tag Sachertorte auf Teller mit Gemälde von Klimt frühstücken würde. Obwohl Sachertorte zum Frühstück... :D ). Aber dies breitformatige klingende Gemälde von Arnold Schönberg beeindruckt mich nun mal immer wieder. Schon allein der Schlusschor ist so ein bildhafter Sonnenaufgang, dass ich ihn gerne "wie himmlisch, nicht irdisch" bezeichnen werde (aber ohne Quecksilberrose mit Rosenduftzeug aus Schlecker).

    Z. Z. höre ich am liebsten die Aufnahme von Michael Gielen, da sie klangtechnisch ausgezeichnet ist, und ich höre so viel Details, die ich bei den anderen Aufnahmen nie so gehört habe. Neben Michael Gielen bleiben sehr langsame, aber nie langatmige Aufnahme von Herbert Kegel und fast kammermusikalische von Pierre Boulez als meine Favoriten.

       


    Schöne Grüße,
    Penthesilea

    Auch Rom wurde nicht an einem Tag niedergebrannt - Douglas Adams

  • Da wird ein riesiger gemischet Chor verwendet. Und wieviele Nummern hat er? Genau eine. Rund fünf Minuten sind auch Frauenstimmen dabei. Zuvor gibt's den Chor in reiner Männerbesetzung in gerade mal zwei Nummern. Das ist eine heillose Hypertrophie, die man bei einem intellektuell kontrollierten und kontrollierenden Komponisten [...] kaum erwarten würde.
    Aber nicht nur das: Da verlangt er Tenor und Sopran. Und was machen die beiden: Sie liefern ihre Arien brav hintereinander ab.

    Diese Beschreibung trifft auch auf dieses andere missratene Werk zu, wie heißt es doch gleich? Ach ja, Ring des Nibelungen...

  • Diese Beschreibung trifft auch auf dieses andere missratene Werk zu, wie heißt es doch gleich? Ach ja, Ring des Nibelungen...

    Mir fiel da eher Mahlers 2. ein - da singt der Chor auch nur die letzten 15 Minuten - bei ca. 1 1/2 Stunden Gesamtspielzeit... :)

    Von dem 4-Minuten-Minichorsätzchen der noch längeren 3. mal gar nicht zu reden...

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Der sparsame und "unökonomische" Einsatz des Chors spricht auch für mich nicht gegen die Qualität des Werks, eher für seine Unkonventionalität. Auch Schönbergs Behandlung der Liebesgeschichte Waldemar - Tove, die Edwin kritisiert:

    Da verlangt [Schönberg] Tenor und Sopran. Und was machen die beiden: Sie liefern ihre Arien brav hintereinander ab. Nicht eine einzige Stelle verdichtet sich zur Gemeinsamkeit. Warum nicht? - Weil's in der Textvorlage nicht so vorgesehen ist.

    Wie hätte Schönberg es besser machen sollen: vielleicht wie im 2. Akt des Tristan? Das hätte ich eher als Rückfall in die Konvention empfunden; gerade daß die Gesänge vereinzelt bleiben und sich das Paar musikalisch nicht vereinigt, hat für mich etwas Kühnes; erst die Klage der Waldtaube präsentiert - anstelle der vorher verweigerten "Verdichtung zur Gemeinsamkeit" - den Höhepunkt (als Katastrophe). Gerade wie der Komponist die Handlung nur andeutet und das Ganze als etwas Zerfahrenes mit Neigung zum Fragmentarischen, als lose Abfolge gestaltet (2. und 3. Teil), finde ich beeindruckend.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Diese Beschreibung trifft auch auf dieses andere missratene Werk zu, wie heißt es doch gleich? Ach ja, Ring des Nibelungen...


    Ich bitte, die von Schönberg vorgeschriebene Stärke des Chors mit der Wagners zu vergleichen.

    Zitat

    Zitat EinTon
    Mir fiel da eher Mahlers 2. ein - da singt der Chor auch nur die letzten 15 Minuten - bei ca. 1 1/2 Stunden Gesamtspielzeit...
    Von dem 4-Minuten-Minichorsätzchen der noch längeren 3. mal gar nicht zu reden...


    Immerhin 15 Minuten in Mahlers Zweiter...
    In der Dritten ist es ein kleiner Chor und nicht die 500-Sänger Besetzung Schönbergs - übrigens finde ich Mahlers Dritte auch etwas hypertroph.

    Zitat

    Zitat Audiamus
    Der Mist geht ja schon bei Beethoven los.


    Tatsächlich? Ein Chor von rund 500 Stimmen, der vier Minuten singt? In welchem Werk? Ich muß das unbedingt kennenlernen, wo mir bei Beethoven doch die geniale Idee des punktgenau eingesetzten Chors in der Neunten schon so imponiert!

    Zitat

    Zitat Gurnemanz
    Wie hätte Schönberg es besser machen sollen: vielleicht wie im 2. Akt des Tristan? Das hätte ich eher als Rückfall in die Konvention empfunden; gerade daß die Gesänge vereinzelt bleiben und sich das Paar musikalisch nicht vereinigt, hat für mich etwas Kühnes;


    Für mich hat es etwas rührend Ungeschicktes, wenn nicht sogar etwas (Mahler) Nachempfundenes.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Man sollte zugeben können, wenn man sich verrannt hat. Alle Argumente, die du vorbringst, lassen sich ebenso gut auf viele andere Werke der Zeit anwenden. Man muss den damaligen Zeitgeschmack nicht teilen, das tue ich z.B. auch nicht. Man kann diesen Grössenwahn auch rundheraus ablehnen, sowohl als innermusikalischen wie aus aussermusikalischen Gründen. Aber einem im Geiste der Spätromantik komponierten Werk Masslosigkeit zu unterstellen, ist einigermassen absurd. Genausogut kann man Mozart vorwerfen, dass seine Harmonik sich weitgehend im Rahmen der Tonalität bewegt.

    "Wollt ihr nach Regeln messen, was nicht nach eurer Regeln Lauf? Der eignen Spur vergessen sucht davon erst die Regeln auf!"


  • Zwischen romantischer Hypertrophie und "Gurreliedern" ist ja doch ein gewisser Unterschied. Immerhin ist es das, sieht man von Havergal Brians "Gothic Symphony" ab, größtbesetzte Werk der gesamten Musikgeschichte. Also größer auch als die Achte Mahler. Und dieser Riesenaufwand wird innerhalb von rund eineinhalb Stunden ungefähr 4 bis 5 Minuten lang eingesetzt. Das ist nicht nachromantisch hypertroph, das ist Unfug. Obendrein ist die Instrumentierung voll von Einklangsverdopplungen im gleichen Instrument. Ich kenne kein einziges anderes Werk, das ein derartiges Mißverhältnis zwischen gefordertem und benötigtem Aufwand darstellt.
    Nur schade, daß sich auch Schönberg selbst so verrannt hat wie ich und nur noch solche Werke schrieb - etwa die "Kammersinfonie" oder den "Pierrot lunaire" oder die "Erwartung"; in letztgenanntem Werk ist, trotz großem Orchester, jedes Instrument notwendig.
    In Wirklichkeit hat Schönberg den Fehler der "Gurrelieder" selbst erkannt, und nicht mehr wiederholt.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Immerhin ist es das, sieht man von Havergal Brians "Gothic Symphony" ab, größtbesetzte Werk der gesamten Musikgeschichte.

    Sind die Besetzungen diverser Messiaen-Werke (zB St Francois, Transfiguration) nicht noch größer als die der Gurrelieder?

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Lieber EinTon,
    das müßte ich jetzt anhand der Partituren nachzählen - eher aber nicht, wenn man den Chor miteinbezieht, und außerdem verlangt Messiaen nicht so viele Blechbläser. Die Riesenbesetzung bei Messiaen ist außerdem dadurch gerechtfertigt, daß er bestimmte Polyphonien in einer einheitlichen Farbe erzielen will, also beispielsweise einen einheitlich gefärbten sechsstimmigen Satz in den Holzbläsern - was zwangsläufig zu sechs Flöten oder sechs Klarinetten etc. führt. Um das auszubalancieren, müssen die Streicher entsprechend besetzt werden. Du wirst aber nicht ein Werk bei Messiaen finden, in dem Du ein Blasinstrument streichen könntest, weil alle seine Noten in einem der gleichen Familie vorkommen. Übrigens ist auch die Besetzung von Mahlers "Achter" durch diese Idee des vielstimmigen monochromen Klanges gerechtfertigt. In den "Gurreliedern" ist das anders. Die sind nur um der Riesenbesetzung willen riesig besetzt.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Und dieser Riesenaufwand wird innerhalb von rund eineinhalb Stunden ungefähr 4 bis 5 Minuten lang eingesetzt. Das ist nicht nachromantisch hypertroph, das ist Unfug.


    Ohne jetzt auf die Instrumentationsfragen einzugehen (die müßte ich selbst anhand der Partitur erstmal nachvollziehen), würde ich zumindest zu diesem Punkt doch gerne anmerken, daß man dies natürlich auch wieder als eine Form der Ökonomie auffassen kann. Schönberg hat einen riesigen Chortrupp beisammen, und anstatt ihn 2 h lang durchbrüllen zu lassen, setzt er ihn mit chirurgischer Präzision erst dort ein, wo die Dramaturgie des Werkes es seiner Meinung nach erfordert.

    War eigentlich die Anlage der Instrumentation in ihrer Größe bereits um 1901 für Schönberg klar, oder hat sich dies erst später beim Ausarbeiten (also so um etwa 1911) ergeben? Im letzteren Fall hätte er die "Erwartung" nämlich bereits fertiggehabt, von der Korrektur eines Fehlers könnte dann nicht die Rede sein. Auch m. E. bedenkenswert: IIRC hat Schönberg die "Jakobsleiter" ursprünglich doch noch deutlich größer als die "Gurrelieder" angelegt, und dies ab ca. 1915. Hat er etwa doch nichts aus den "Gurreliedern" "gelernt"? (Man denke sich hier bei Bedarf den Ironie-Button.)

    Was man vielleicht auch bedenken sollte: Waren die "Gurrelieder" für Schönberg nicht auch so eine Art Demonstration (v. a. gegenüber seinen Kritikern), daß er eben halt in diesem Stil (und auch in dieser Größe) schreiben kann, wenn er denn möchte?

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Waren die "Gurrelieder" für Schönberg nicht auch so eine Art Demonstration (v. a. gegenüber seinen Kritikern), daß er eben halt in diesem Stil (und auch in dieser Größe) schreiben kann, wenn er denn möchte?


    Mag sein - aber dann sind wir genau bei dem, was ich anführte: Hypertrophie um ihrer selbst (oder meinetwegen um der Krtiker) Willen, nicht aus innerem Antrieb.

    Zitat

    IIRC hat Schönberg die "Jakobsleiter" ursprünglich doch noch deutlich größer als die "Gurrelieder" angelegt, und dies ab ca. 1915.


    Was von der "Jakobsleiter" vorhanden ist, treibt deutlich weniger Aufwand als die "Gurrelieder" und geht mit der Besetzung keineswegs so unökonomisch um. Ob die "Jakobsleiter" in einem nicht verwirklichten Plan größer angelegt war, spielt eigentlich keine Rolle, denn es zählt der letzte Stand und nicht der erste, obwohl der erste für die Entwicklung zweifellos musikhistorisch bedeutsam sein mag.

    Außerdem: Ich werfe ihm nicht die Riesenbesetzung vor, sondern die unnotwendige Riesenbesetzung. Wenn er, wie im op.22, 10 Klarinetten vorschreibt, die er aus strukturellen Gründen wirklich braucht, habe ich nichts dagegen.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Was von der "Jakobsleiter" vorhanden ist, treibt deutlich weniger Aufwand als die "Gurrelieder" und geht mit der Besetzung keineswegs so unökonomisch um. Ob die "Jakobsleiter" in einem nicht verwirklichten Plan größer angelegt war, spielt eigentlich keine Rolle, denn es zählt der letzte Stand und nicht der erste, obwohl der erste für die Entwicklung zweifellos musikhistorisch bedeutsam sein mag.


    Für das eigentliche Werk ist diese Betrachtungsweise sicherlich voll und ganz nachzuvollziehen, nicht aber, wenn man argumentiert, Schönberg habe aus seinem (vermeintlichen) Fehler "Gurrelieder" gelernt. Wenn er wirklich aus der angeblichen Hypertrophie der "Gurrelieder" gelernt haben sollte, wieso sollte er dann ganze 2-3 Jahre nach deren Uraufführung gleich nochmal so eine Schwarte planen, bloß um sich dann eines Besseren zu besinnen und sich erneut selbst zu korrigieren?

    Außerdem: Ich werfe ihm nicht die Riesenbesetzung vor, sondern die unnotwendige Riesenbesetzung. Wenn er, wie im op.22, 10 Klarinetten vorschreibt, die er aus strukturellen Gründen wirklich braucht, habe ich nichts dagegen.


    Dies finde ich einen interessanten Punkt. Wir sind uns wahrscheinlich einig, daß schlecht instrumentiert wurde, wenn man gewisse Stimmen mit wichtigem Material nicht wirklich raushört oder die Klangfarben sich mit der eigentlichen Konzeption des Stückes beißen etc. etc. (hier kann man wahrscheinlich zig Varianten schlechter Instrumentation anführen oder konstruieren). Aber ist es auch schlechte Instrumentation, wenn man mehr Instrumente einsetzt, als man unbedingt müßte? Wenn es nämlich gerade die Intention des Komponisten war, das Stück groß und dick klingen zu lassen, so wird doch genau dieses Ziel damit erreicht. Man mag dann gerne argumentieren, daß einem diese Art musikalischer Popanz nicht gefällt, aber ist dies wirklich "schlecht instrumentiert"?

    LG :wink:

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  • wieso sollte er dann ganze 2-3 Jahre nach deren Uraufführung gleich nochmal so eine Schwarte planen, bloß um sich dann eines Besseren zu besinnen und sich erneut selbst zu korrigieren?


    Das ist keineswegs unmöglich: Wie gesagt, ich kritisiere an den "Gurreliedern", daß sie einen unnotwendigen Aufwand treiben. Bei der "Jakobsleiter" mag der Aufwand in der Planung gerechtfertigt erschienen sein, dann aber könnte Schönberg bei der Ausführung gemerkt haben, daß er auch mit einem geringeren Aufwand auskäme - oder er hat gemerkt, daß der Aufwand eine Aufführung des Werk völlig illusorisch machte. Wie dem auch sei: Was wir von der "Jakobsleiter" (die ich für ein weit überlegenes Werk halte) haben, berechtigt den bis zum Abbruch getätigten Aufwand in vollem Umfang.

    Zitat

    Wenn es nämlich gerade die Intention des Komponisten war, das Stück groß und dick klingen zu lassen, so wird doch genau dieses Ziel damit erreicht.


    Schon, aber ich glaube nicht, daß Schönberg dasaß und sich sagte: "So, jetzt instrumentiere ich dick und zäh, bis keiner mehr irgendwas hört." So flächig ist das Stück nicht geschrieben, daß es nur auf die Al-fresco-Wirkung abzielen würde.

    Ich denke, daß die Vergrößerung der Besetzung eine Eigendynamik entwickelte. Sehen wir uns einmal die Instrumentierungen an (bitte Sonderfälle weglassen): Mozart kam mit zweifachem Holz aus, er brauchte nicht mehr, um seine Satztechnik zu verdeutlichen. In der Romantik tritt das Verlangen der Komponisten auf, einen Dreiklang klanghomogen zu instrumentieren, also haben wir das dreifache Holz und die drei Trompeten. Dann soll der Dominantseptakkord ohne Tonauslassung klanghomogen sein - wir haben die vierfache Besetzung.

    Doch es gibt auch Komponisten, die einfach diese gesteigerte Klangkraft noch einmal übertrumpfen wollen - damit tritt die Dynamik als entscheidender Faktor hinzu. Denn natürlich klingen die sechs Trompeten der "Gurrelieder" lauter als die üblichen drei, auch wenn es sich um nichts Anderes handelt, als daß man eine dreistimmige Trompetenstelle mit dopppelter Besetzung andickt. Dazu kommen noch zehn Hörner, und sechs Posaunen, die natürlich durch eine entsprechende Besetzung von Chor und Streichern ausbalanciert werden müssen. Insgesamt macht das ein Monstrum, das kaum noch wirklich präzise aufführbar ist. Das Ergebnis ist ein Klangbrei mit verschwimmenden Konturen - nur ist die Musik nicht dafür komponiert. Schönberg selbst hat ja mit der kleinen Fassung der "Waldtaube" gezeigt, daß er die Besetzung ohne Substanzverlust reduzieren kann. Nun ist diese Fassung extrem reduziert und auf die anderen Teile nicht anwendbar. Doch es gibt keine Stelle der "Gurrelieder", die nicht etwa mit dem "Götterdämmerungs"-Orchester ausführbar wäre. Ich glaube sogar, der Schlußchor würde von der kleineren Besetzung profitieren, denn diese sehr dichte und etwas schwülstige Harmonik klänge strahlender, würde sie nicht mit solcher Kraftmeierei herausgebrüllt.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Hallo Edwin,

    ich habe gerade beim IMSLP mal in die "Gurrelieder"-Partitur geschaut und mit einem zugegebenermaßen naiven Ansatz versucht, die Besetzung nachvollziehen zu können (ich bin kein Komponist, insofern kann es sein, daß das jetzt wirklich sehr vereinfacht wird). Dabei fiel mir auf, daß Schönberg relativ viele "exotische" Instrumente wie z. B. irgendwelche Tuba-Varianten (besonders beim Blech sticht diese Neigung hervor) in einfacher Besetzung verwendet. Die größere Besetzung der "Standard"-Instrumente könnte daher m. E. der Balance mit diesen "Exoten" geschuldet sein. Nun zu den Streichern: 1. und 2. Violine jeweils bis zu 10-fach geteilt in mehrfacher (aufgrund der Pultaufteilung der Partitur vermute ich zweifache) Besetzung. Die Streicher könnte man also theoretisch halbieren, dann ginge aber die Balance zu den Bläsern flöten. Somit wäre unterm Strich die Größe des "Gurrelieder"-Orchesters eine Konsequenz aus dem offensichtlichen Bestreben, gerade in den Bläsern exotische Klangfarben einzuflechten. Beim Chor vermute ich, daß sich die Größe aus dem Orchester ableitet. Ich komme beim Orchester auf grob geschätzte 140 Personen. Wieviel Choristen braucht man da bei einem 8-stimmigen Chor sowie 3 vierstimmigen Männerchören? Kommt man wirklich um ca. 500 Choristen nicht herum?

    Anyway, wenn diese Überlegungen nicht ganz falsch sind, so wäre die Größe der "Gurrelieder" einem Bestreben nach Klangfarben-Reichtum geschuldet. Teilt man die ganze Besetzung durch 2, so müßte man aus Gründen der Balance wahrscheinlich ein paar "exotische" Instrumente entfernen, Stimmen umschreiben, Material verschieben etc.

    Nun kann man natürlich anführen, daß man diese Farbpalette bei dem Troß sowieso nicht mehr durchhört. Andererseits: hat nicht z. B. Mozart sich in einem Brief mal sehr lobend über eine Aufführung einer seiner Sinfonien in Riesenbesetzung geäußert (von Händel mal ganz zu schweigen)? Da wären dann ja auf jeden Fall Stimmen überflüssigerweise mehrfach besetzt gewesen, und die Teilung durch x eigentlich angesagt. Bei Schönberg hingegen wäre die Gesamtgröße zumindest formal das Resultat einer Hochrechnung von der 1 ausgehend.

    Worum es mir letztlich geht: ist der Vorwurf der übertriebenen Besetzungsgröße ein reines Geschmacksurteil, oder handelt es sich um einen tatsächlichen kompositorischen Fehlschlag? Ersteres sei jedem zugestanden, von letzterem bin ich nach wie vor nicht überzeugt.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • "Kompositorischer Fehlschlag" ist zu radikal. Ich halte die "Gurrelieder" für ein, gemessen an Schönbergs sonstigem Schaffen, weniger geglücktes Werk, weil in ihnen Substanz und Aufwand nicht in Relation sind. Aber Du hast zweifellos recht: Meine Aversion gegen übertriebenen Aufwand verstellt mir sicherlich den Zugang zu diesem Werk. Stünde als Komponist "Max Müller-Mustermann" auf der Partitur, würde ich es vielleicht als ein interessantes Stück preisen und einige Fehler nachsehen. Aber von einem Schönberg, der meiner Meinung nach nicht nur einer der wichtigsten, sondern auch einer der besten Komponisten der letzten 200 Jahre war, erwarte ich mir etwas Anderes. Insofern sind die "Gurrelieder" für mich ein lautes und langes Nebenwerk.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

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