"Kompositorischer Fehlschlag" ist zu radikal. Ich halte die "Gurrelieder" für ein, gemessen an Schönbergs sonstigem Schaffen, weniger geglücktes Werk, weil in ihnen Substanz und Aufwand nicht in Relation sind. Aber Du hast zweifellos recht: Meine Aversion gegen übertriebenen Aufwand verstellt mir sicherlich den Zugang zu diesem Werk. Stünde als Komponist "Max Müller-Mustermann" auf der Partitur, würde ich es vielleicht als ein interesantes Stück preisen und einige Fehler nachsehen. Aber von einem Schönberg, der Meiner Meinung nach nicht nur einer der wichtigsten, sondern auch einer der besten Komponisten der letzten 200 Jahre war, erwarte ich mir etwas Anderes. Insofern sind die "Gurrelieder" für mich ein lautes und langes Nebenwerk.
Dies ist eine für mich sehr interessante Zusammenfassung Deines Standpunktes. ZUnächst einmal würde ich Deine Einschätzung zu Schönbergs Bedeutung und Können (!) voll und ganz unterschreiben, gerne auch mit extradicker Tinte. (Über all das Sinnieren über Schönbergs musikgeschichtliche Rolle scheinen viele Leute zu übersehen, daß er zunächst einfach mal ein verdammt guter Komponist war. Von all den negativ besetzten Schönberg-Klischees gar nicht erst zu reden...) Ich gestehe Dir auch gerne, daß die "Gurrelieder" auch bei mir erstaunlich selten laufen (was mir übrigens erst durch diesen Thread bewußt geworden ist). Dies liegt in meinem Fall - und hier besteht wohl der wesentliche Unterschied zu Deiner Einschätzung - jedoch nicht an der "Größenproblematik", sondern ganz schlicht daran, daß ich viele andere Werke Schönbergs eigentlich interessanter finde. Ich vergnüge mich im Moment gerade sehr gerne mit den Streichquartetten, und auch "Moses und Aron" ist auf meinem (allerdings noch lange nicht hinreichend gefüllten) ipod. Glenn Gould hat mal über Bachs "Italienisches Konzert" gesagt, das sei Bach für Leute, die Bach nicht mögen. Ich widerspreche ihm da zwar, verstehe aber den Standpunkt. Übertragen könnte man wohl sagen, daß die "Gurrelieder" Schönberg für Schönberg-Gegner sind. Hier macht er endlich mal all das nicht, was man sonst nicht mag. Nichts Atonales, nichts ultrastreng Organisiertes etc. etc... Große, herrliche Spätromantik. Aber: wenn man all dies außer acht läßt, so finde ich, daß da immer noch jede Menge verdammt guter Musik drinsteckt. Nur ist sie in meiner momentanen Gemütslage nicht die allererste Musik, die ich in den Player schmeiße, wenn ich an Schönberg denke. Das "laut und lang" ist mir relativ egal, ein Nebenwerk allerdings müssen die "Gurrelieder" geradezu sein, wenn man bedenkt, wie vergleichsweise konventionell sie ästhetisch vom Innovator Schönberg angelegt wurden.
LG