Klenau, Paul von - Zwölftonmusik unter dem Hakenkreuz
Im Booklet einer dänischen CD mit Musik von Paul von Klenau heißt es, der Komponist habe in seiner Heimat nie viel gegolten. Der Grund dafür wird schamhaft verschwiegen: Der gebürtige Däne hat sich den Nationalsozialisten angedient in einem Ausmaß, das die reine Überlebens-Notwendigkeit bei weitem übersteigt. Aber Klenau ist ein Kuriosum unter den NS-nahen Komponisten: Er schrieb mit Billigung des Regimes "entartete Musik", nämlich auf der Basis von Schönbergs Zwölftontechnik. Und seine Musik ist großartig gemacht. Dieser Thread soll ein Hinweis auf einen hervorragenden Komponisten sein - er soll aber auch nichts von seiner Verstrickung in eine verbrecherische Politik verschweigen.
Biographisches
Paul von Klenau wird am 11. Februar 1883 in Kopenhagen geboren. Seine Familie ist deutschstämmig, er spricht von frühester Jugend an sowohl Dänisch wie Deutsch.
1900 tritt er ins Kopenhagener Konservatorium ein und studiert Violine und Komposition.
1902 übersiedelt er nach Berlin. Er studiert Komposition bei Max Bruch. Zwei Jahre später geht Klenau abermals in die Kompositionslehre, diesmal, bis zu dessen Tod im Jahr 1907, bei Ludwig Thuille in München.
Nach Thuilles Tod findet Klenau eine Anstellung als Kapellmeister am Städtischen Theater in Freiburg, doch noch immer steht er wie unter einem Zwang, seine Ausbildung zu vervollkommnen - jetzt geht er bei Max von Schillings in die Lehre.
1908 wird Klenaus Erste Symphonie erfolgreich in in München uraufgeführt.
1912 leitet er Konzerte der Frankfurter Bach-Gesellschaft. In den folgenden Jahren bestreitet er seinen Lebensunterhalt als Dirigent.
Ob Klenau in den Jahren nach 1918 tatsächlich abermals Kompositionsunterricht nahm, und zwar bei Arnold Schönberg, ist ungeklärt. Zweifellos stand er dem Schönberg-Kreis über verwandtschaftliche Beziehungen (Klenaus Tochter war mit Alban Bergs Freund, dem Dichter Soma Morgenstern, verheiratet) nahe, ein Lehrer-Schüler-Verhältnis läßt sich jedoch nicht belegen.
1920 stiftet er in Kopenhagen die Dänische Philharmonische Gesellschaft und macht sich für Aleksander Skrjabin und Arnold Schönberg stark. Er konfrontiert das Kopenhagener Publikum u.a. mit "Lied der Waldtaube", "Pelleas und Melisande", "Pierrot lunaire", Kammersymphonie op.9. Dazu kommen Werke von Korngold, Florent Schmitt, Delius und Respighi.
1922 wird er Chorleiter der Wiener Konzertgesellschaft.
1923 überwindet er diverse Widerstände in Dänemark und lädt Arnold Schönberg als Dirigenten eines Konzerts mit eigenen Werken zur Dänischen Philharmonischen Gesellschaft ein.
1940 übersiedelt er nach Kopenhagen und arbeitet als freischaffender Komponist.
Am 31. August 1946 stirbt Paul von Klenau in Kopenhagen.
Der Komponist und der Nationalsozialismus
Paul von Klenau fühlte sich dem deutschen Kulturkreis zugehörig, wobei er die Länder Skandinaviens in seine diffusen pangermanischen Ideen miteinbezog. Es gibt keinen Nachweis, daß Klenau antisemitische Ressentiments hatte. Er verkehrte mit dem Zeitungsherausgeber Heinrich Simon und war glücklich, als seine Tochter den Dichter Soma Morgenstern heiratete, zu dem er eine enge Freundschaft unterhielt. Zwar stimmt es, wie von Vertretern der These, Klenau sei doch Antisemit gewesen, stets ins Treffen geführt wird, daß sich Klenau von seiner jüdischen Frau Annette scheiden ließ, aber diese Scheidung fand bereits 1926 statt, und die Ursache dürfte tatsächlich die Zerrüttung der Ehe gewesen sein. Ob Klenau zumindest teilweise überzeugter Nationalsozialist war oder lediglich kalkulierte, sich der nationalsozialistischen Kulturpolitik zum eigenen Nutzen bedienen zu können, wird unterschiedlich dargestellt. Immerhin gibt es dazu die Aussage Dan Morgensterns, des Sohns von Soma Morgenstern, über den "Keilhof", der sich im Besitz Klenaus befand: "Die Nazis hatten dort keinen großen Einfluß." Andererseits sagte Klenau über die Titelgestalt seiner Oper "Michael Kohlhaas", er verkörpere "das der germanischen Rasse eigene, zähe und zugleich leidenschaftliche Ringen um Gerechtigkeit".
Aber können Klenaus Aussagen für bare Münze genommen werden oder waren sie Eulenspiegeleien, um sein Werk dem NS-Regime schmackhaft zu machen?
Klenau nämlich schrieb Musik, die entsprechend der nationalsozialistischen "Ästhetik" als "entartet" gelten hätte müssen: War bis 1932 eine auf teilweise alterierten Quarten basierende frei- bis atonale Harmonik die Grundlage, ist es ab 1932 Schönbergs Zwölftontechnik. Klenau ist von deren Möglichkeiten, einem großformatigen Werk Konsistenz zu verleihen, dermaßen überzeugt, daß er sich diese Option auf keinen Fall nehmen lassen will. Als er von den nationalsozialistischen Kulturbehörden zur Rede gestellt wird, behauptet er daher, die Reihe sei die musikalische Entsprechung des Führerprinzips: Alles ist einer einzigen Grundidee unterworfen.
Die Nationalsozialisten schluckten die Erklärung - und brachten drei Zwölftonopern Klenaus zur Uraufführung: "Michael Kohlhaas" (1933), "Rembrandt van Rijn" (1937 gleichzeitig in Berlin und in Stuttgart), "Elisabeth von England" (1939; revidiert als "Die Königin" 1940).
Die Musik
Klenaus Musik wurzelt in seinen frühen Werken in einer stark chromatisch durchsetzten Nachromantik, man fühlt sich in den Abfolgen von Akkorden, die jeder für sich, nicht aber im Zusammenhang tonal deutbar sind, zuweilen an Schreker und Zemlinsky erinnert. Ein weiterer Einfluß ist der Bruckners, dessen Choralgestik Klenau übernimmt, um sein chromatisches Gefüge an neuralgischen Punkten zu stabilisieren, wovon die Erste Symphonie ein beredtes Zeugnis ablegt.
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg integriert Klenau zunehmend Quarten und alterierte Quarten in seine Musik. Ein Höhepunkt dieser Schaffensphase sind der Liederzyklus "Gespräche mit dem Tod" und die Kantate für Bariton, Chor und Orchester "Die Weise von Liebe und Tod des Kornetts Christoph Rilke", in der sich mahlerscher Trauergestus mit den Farben des frühen Schönberg, etwa des "Pelleas", verbindet: Eine perfekte Mischung von Nachromantik und Expressionismus, die zeigt, welch außerordentlicher Komponist Klenau war. Ein Beispiel für Klenaus modifizierte Zwölftontechnik ist die Siebte Symphonie, "Sturm" (1941), eine aufgewühlte Naturmusik in wilden expressionistischen Farben, bei der man die Gemälde eines Emil Nolde assoziieren mag.
Klenaus beste Oper ist "Michael Kohlhaas", denn, ungeachtet der wohl vorgeschobenen pro-nationalsozialistischen Interpretation, folgt diese Oper Kleists Novelle ohne größere Abweichungen. Die Musik basiert auf einer Zwölftonreihe, die Klenau mit ähnlichen Freiheiten wie Berg handhabt - er verwendet gleichzeitig mehrere Reihenformen, und das sowohl vertikal als auch horizontal. Der Klang ist dissonant, mitunter kraftvoll holzschnittartig, dann wieder durchsetzt mit raffiniert instrumentierten Reizklängen. Die Musik ist von glühender Intensität und könnte sich, zumal die Handlung klar und spannend durchgeführt ist, auf den heutigen Bühnen mühelos behaupten. Die Vokalparts reichen vom gesprochenen Wort bis zur breit ausgesungenen Kantilene - das Vorbild dafür dürfte Bergs "Wozzeck" sein.
Wer sich mit Klenaus Musik befassen will, hat auf vier insgesamt sehr gut musizierten CDs Gelegenheit dazu:
Der Gewinn ist meiner Meinung nach bei den CDs der oberen Reihe am höchsten, während mir die Streichquartette seltsam konventionell erscheinen.
Fazit
Paul von Klenau war seinem Können nach ein herausragender Komponist seiner Zeit. Er hat sich einem verbrecherischen Regime in einem wesentlich größeren Ausmaß angepaßt, als es aus heutiger Sicht notwendig gewesen wäre, hat jedoch seine Musik nicht der NS-Propaganda unterworfen, sondern, wenn nötig, sie im Sinn der NS-Propaganda erklärt, ohne an ihrer Ästhetik etwas zu ändern. Durch diese Gratwanderung ist Klenaus Musik bis heute suspekt, obwohl sie im Grunde zu jener Strömung der Neuen Musik gehört, zu der auch beispielsweise Berg, Krenek und Wellesz zählen - zu jenen also, die Schönbergs damals noch doktrinär gehandhabtes System geschmeidig machen und ihren eigenen Zwecken unterwerfen. Vielleicht wäre es an der Zeit, zumindest konzertant wieder einmal eine Oper Klenaus auszuprobieren. Den politischen Kontext darf man dabei nicht verschweigen. Den Komponisten aus politischen Gründen jedoch überhaupt nicht mehr zu spielen, trägt nicht zur Aufarbeitung der musikalischen Zeitgeschichte bei und kürzt das Repertoire um Werke, die die ewige Verdammnis, so verdammenswert ihr Urheber auch gehandelt haben mag, nicht verdienen.