Buxtehude: Das Orgelwerk

  • Andere werden mit zunehmendem Alter ruhiger, Koopman wird immer hektischer...

    Das macht mich bei ihm auch etwas skeptisch, weswegen ich seine Buxtehude-Einspielung nicht so sehr in Betracht gezogen habe.

    Wie würdest Du, lieber Fugato, denn Vogels Interpretation im Unterschied zu Foccroulle charakterisieren?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Andreas,

    am Donnerstag habe ich die Koopman-Gesamteinspielung erhalten. Viel konnte ich leider noch nicht hören, da meine bessere Hälfte etwas allergisch auf Orgelmusik in den eigenen vier Wänden reagiert. (Sonst ist sie aber sehr tolerant. :kiss: )

    Da mir die Orgelmusik von Buxtehude ja gänzlich neu ist und ich keinen Vergleich habe, sehe ich mich leider nicht in der Lage die Interpretation von Koopman vergleichend zu kommentieren. Ich kann lediglich berichten, dass mir die Edition äussert gut gefällt. Man erhält alle fünf CDs so als, wenn man sie einzeln gekauft hätte. Also nicht nur einen Karton, worin die CDs in einfachen Papierhüllen enthalten sind mit einem dürftigen Booklet, wie sonst häufig üblich bei preisgünstigen Gesamtausgaben. Jede CD hat ein eigenes informatives Booklet, dass einen persönlichen Kommentar von Ton Koopman zur Aufführung enthält. Ausserdem finden sich allgemeine geschichtliche Informationen zu Buxtehude und seinem Werk, sowie kurze Anmerkungen zu den auf der entsprechenden CD enthaltenden Titeln. Abgerundet wird das Ganze durch einen ausführlichen Abschnitt über die verwendete Orgel. Fotografien der Orgel bebildern die Booklets. Jede der fünf CDs wurde auf einer jeweils anderen Orgeln eingespielt. Die Texte in den Booklets wiederholen sich nicht abgesehen von den biographischen Informationen zu Koopman und einem Nekrolog zu Bruno Grusnik, einem Buxtehude-Forscher und Interpret, dem die Opera Omnia gewidmet ist. Aufnahmetechnisch lässt das bisher von mir gehörte nichts zu wünschen übrig: Sehr transparent und detailreich. Teilweise hört man Geräusche der Mechanik ( der Schwellwerke?) Das stört nicht, sondern macht das Klangbild eher noch lebendiger. Koopmans Spiel ist teilweise recht zügig, aber dass es hektisch sei, empfinde ich nicht so. Aber wie gesagt, ich kenne keine anderen Einspielungen.

    Für mich persönlich hätte als Einstieg sicherlich eine Auswahl aus dem Buxtehudschen Werk gereicht. Ich wäre dankbar für Hinweise auf welche Orgelwerke ich mein Augen- bzw. Ohrenmerk besonders richten sollte.

    Herzliche Grüsse
    Hudebux

  • Was haltet Ihr von Michel Chapuis? Ich habe zwei Schallplattenkassetten aus den Jahren 1973 und 1976 und muß zu meiner Schande gestehen, daß ich sie zuletzt vor ca. 15 Jahren gehört habe. Michel Chapuis spielt auf vier " modernen" Orgeln. Die St. Lamberti-Kirche in Aurich erhielt ihre Orgel 1960 durch die Orgelbauer Ahrend und Brunzena. Ebenfalls von den genannten Orgelbauern stammt die Orgel der Kirche Cantate Domino, Frankfurt'Main, gebaut 1970. Außerdem spielt er auf der Orgel von Saint Maximilian in Thionville, die ursprünglich in der Abtei Saint Clément in Metz stand. Der Orgelbauer Alfred Kern hat diese Orgel 1969 restauriert. Zuletzt die 1960 ebenfalls von Ahrend und Brunzema erbaute Orgel in Bremen/Oberneuland.

    Dank Euch, werde ich Buxtehude wieder häufiger hören.

    calisto

  • Für mich persönlich hätte als Einstieg sicherlich eine Auswahl aus dem Buxtehudschen Werk gereicht. Ich wäre dankbar für Hinweise auf welche Orgelwerke ich mein Augen- bzw. Ohrenmerk besonders richten sollte.


    Hallo Hudebux


    Ich habe damals angefangen mit den Präludien. Aber heute würde ich immer mal wechseln und einfach reinhören. Ich habe auch bei Buxtehude meine Lieblinge die ich immer wieder höre. Sind die Koopman Aufnahmen gemischt oder gegliedert auf den CDs?

    LG Andreas

    Liebe Grüße Dirigent :wink:

    Die Kunst zu wissen, wann man das Orchester nicht stören soll.
    Herbert von Karajan (1908-1989)

  • Was haltet Ihr von Michel Chapuis? Ich habe zwei Schallplattenkassetten aus den Jahren 1973 und 1976 und muß zu meiner Schande gestehen, daß ich sie zuletzt vor ca. 15 Jahren gehört habe. Michel Chapuis spielt auf vier " modernen" Orgeln. Die St. Lamberti-Kirche in Aurich erhielt ihre Orgel 1960 durch die Orgelbauer Ahrend und Brunzena. Ebenfalls von den genannten Orgelbauern stammt die Orgel der Kirche Cantate Domino, Frankfurt'Main, gebaut 1970. Außerdem spielt er auf der Orgel von Saint Maximilian in Thionville, die ursprünglich in der Abtei Saint Clément in Metz stand. Der Orgelbauer Alfred Kern hat diese Orgel 1969 restauriert. Zuletzt die 1960 ebenfalls von Ahrend und Brunzema erbaute Orgel in Bremen/Oberneuland.

    Dank Euch, werde ich Buxtehude wieder häufiger hören.

    calisto


    Hallo

    Ich hatte auch die Chapuis Aufnahmen auf LP Komplett. Das ist etwa 30 Jahre her, aber die Aufnahmen haben mir immer gut gefallen. Leider habe ich diese Aufnahmen

    seit 25 Jahren nicht mehr gehört da ich auf CD damals umgestellt habe. Leider finde ich sie nicht auf CD denn diese Aufnahmen haben mich zu Buxtehude geführt.

    Die Aufnahmen waren sehr transparent, sehr klar und zügig gespielt aber mit viel Detailarbeit. Ein Könner seines Fachs dieser Michel Chapuis.

    Vielleicht gibt es sie ja mal auf CD.

    LG Andreas

    Liebe Grüße Dirigent :wink:

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    Herbert von Karajan (1908-1989)

  • Wer sich zunächst mal nur einen Überblick verschaffen und keine Gesamteinspielung anschaffen will, dem sei mal vorsichtig diese CD ans Herz gelegt:

    Rainer Oster bietet hier auf der Arp-Schnitger-Orgel in St. Jacobi (Hamburg) einen zwar kursorischen, IMO aber sehr guten Überblick über die nicht-choralgebundenen Orgelwerke Buxtehudes (Ausnahme ist die Choralfantasie »Gelobet seist du, Jesu Christ« BuxWV 188). Oster spielt sehr nuanciert und dynamisch, wählt farbige Registrierungen. Die Orgel ist überaus klangschön.

    Puristen seien allerdings darauf hingewiesen, dass hier das Präludium BuxWV 146 in einer von fis-moll nach g-moll transponierten Version eingespielt ist.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Puristen seien allerdings darauf hingewiesen, dass hier das Präludium Bux WV 146 in einer von fis-moll nach g-moll transponierten Version eingespielt ist.

    Ist das sicher? Meines Wissens gab es damals Orgeln, die bis zu einem Dreiviertelton höher gestimmt waren als es dem heutigen Kammerton (440 Hz) entspricht (fis-moll klingt demnach wie g-moll). Ich habe selbst eine CD mit zwei Schnitger-Orgeln, wo es so ist.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Weiß nicht, ob das »sicher« ist - ich kann sowas sowieso nicht hören. Es ist so auf dem Cover der CD ausgewiesen und im Booklet (Text von Nike Keisinger) ist folgendes zu lesen:

    Buxtehudes »Präludium fis-moll BuxWV 146 - wohl die erste Orgelkomposition in dieser Tonart und in einer mitteltönigen Stimmung nicht befriedigend zu realisieren, weshalb es hier in einer nach g transponierten Fassung erklingt - enthält zwei Fugen [...]« uswusf.

    So steht es geschrieben!

    Adieu,
    Algabal

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  • So steht es geschrieben!

    Ja, wenn es so geschrieben steht, steht es so geschrieben. 8+)

    Zufällig habe ich gerade ein per Fernleihe bezogenes Buch vor mir liegen (Klaus Beckmann: Die norddeutsche Schule). Dort wird vermutet, daß Buxtehude das Praeludium in seinen letzten Jahren komponiert habe; experimentierfreudig wie er gewesen sei, habe er Anregungen seines Lübecker Freundes Andreas Werckmeister oder von Johann Georg Neidhardt aufgegriffen, die auf "gleichstufige Temperatur" zielten. Demnach hätte man es in der Originaltonart fis-moll spielen können. Aus der Unsicherheit der Fachleute bei solchen Feststellungen kann man wohl schließen, daß es die "puristisch" einwandfreie Interpretation gar nicht geben kann. Also dürfte g-moll auch o.k. sein, denke ich mal.

    Das Werk selbst gelte als "erstrangiges Paradigma des Stylus phantasticus schlechthin".

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann


  • Das Werk selbst gelte als "erstrangiges Paradigma des Stylus phantasticus schlechthin".

    Das scheint Frau Keisinger auch zu wissen, schreibt sie doch über BuxWV 146, dass dieses Präludium, zwei Fugen enthalte, »die eine ("Grave") im französischen, die andere ("Vivace") im italienischen Stil. Solche plötzlichen Wechsel von Stilen und Affekten gehören zu den Merkmalen des Stylus phantasticus« für den, so Frau Keisinger, BuxWV ein »Musterbeispiel abgebe«.

    Adieu,
    Algabal

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  • Die meisten CDs der Gesamtaufnahme von Jean-Charles Ablitzer (auf verschiedenen Schnitger-Orgeln) gib's beim Werbepartner grade mal besonders billig (Stück 6,99 statt 19,99):

    Adieu,
    Algabal

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  • Buxtehude das Orgelwerk
    Gesamtaufnahme Ton Koopman

    Die Box hat insgesamt 6 CDs und beinhaltet auch das Orgelwerk von Bruhns.
    Koopman spielt auf folgenden Orgeln
    CD 1 Coci/Klapmeyer (1498/1728) Orgel St. Nicolai Kirche Altenbruch
    CD 2 Wilde/Schnitger (1599/1682) Orgel St. Jacobi Kirche Lüdingworth
    CD 3 Arp Schnitger (1693) Orgel St. Jacobi Kirche Hamburg
    CD 4 Heinrich Herbst, Magdeburg und Samuel Gercke Güstrow Orgel (1683) Dorfkirche in Basedow
    CD 5+6 Erasmus-Bielfeldt-Orgel (1736) St. Wilhadi Stade

    Die Aufnahme ist ein Genuss für die Ohren, :juhu: :juhu: trotzdem das Koopman seinen teilweise eigenwilligen Stil :sleeping: mit einbringt. Der Zuhörer kommt voll auf seine Kosten, die einzelnen Orgeln haben eine wunderbare Klangfarbe, klar, hell und brillant. Gegenüber anderen Aufnahmen phrasiert Koopman zwar sehr gut wie ich meine, aber durchaus sehr unüblich. Auch bei seiner Registrierung mag er es sehr Dominat und sehr kräftig. Bei mitteltönig gestimmten Orgel kann man durchaus transponieren, Koopman macht das bei seinen Aufbahmen nicht.
    Ich finde die Einspielung sehr empfehlenswert einfach genial, :thumbup: mir gefällt das flotte und schnelle Spiel Koopmans. Durch diese Aufnahme habe ich meine Boxen (B80) wieder mal gefordert. Wenn ich mich zwischen meinen drei Gesamtaufnahmen entscheiden müsste, viel meine Wahl auf den genialen Koopman. Herzlichen Dank für die schöne Interpretation. :angel: Die Beihefte jeder CD sind sehr ausführlich und sehr wissenswert, ferner hat jede CD eine schöne, fürs Auge sehr gute Aufmachung. Jede CD ist nochmal in einem Karton, diese befinden sich dann noch in einem Schuber. :thumbup: Die Aufmachung der CDs versetzt einen voll in die Zeit Buxtehudes zurück. Mit Sicherheit nicht so hektisch und chaotisch wie heute auf unser verrückten Welt. :(
    LG Andreas
    :wink:

    Liebe Grüße Dirigent :wink:

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    Herbert von Karajan (1908-1989)

  • Dieterich Buxtehude: Passacaglia d-moll BuxWV 161

    Dieses Stück gehört zu den ersten Werken der „großen Literatur“, denen man als Orgelfrischling näher tritt. Wer brav seine Clementis und Diabellis am Klavier geübt hat, wird durch die Aufgaben des Manualspiels sicher nicht vor unlösbare Probleme gestellt. Im Pedal gibt es das Passacaglien-Thema zu spielen, das pedalgerecht erfunden ist und ohnehin dauernd wiederholt wird. Das Werk ist eher kammermusikalisch-intim, man braucht keine große Orgel mit norddeutschem Kathedralklang, um es zur Geltung zu bringen. Für viele freie Werke Buxtehudes sieht das anders aus, die klingen mit den üblichen „20 Register auf zwei Manualen und Pedal“ eher reduziert.

    Formal ist das Werk gut überschaubar: Das viertaktige Thema der Passacaglia ist stets im Pedal zu hören. Sieben Variationen in d-moll, sieben Variationen in F-Dur, sieben Variationen in a-moll, sieben Variationen in d-moll, jeweils durch kurze Zwischenspiele getrennt, die aber organisch aus dem jeweils vorstehenden Material entwickelt werden. Was zahlensymbolisch hinter dem 4x7 stehen mag, hat sich mir noch nicht erschlossen. Die Taktangabe 3/2 scheint ein langsames Tempo anzudeuten.

    Man kann in der Gattung Passacaglia (oder Chaconne/Ciacona) deutlich den Einfluss mitteldeutscher und süddeutscher Orgelmusik bei Buxtehude erkennen: Von den norddeutschen Organisten Jacob Praetorius, Scheidemann, Weckmann, Reinken, Tunder sind keine Gattungsbeiträge überliefert. Gepflegt wurde diese Ostinato-Kompositionstechnik aber sehr wohl von den mittel- und süddeutschen Kerll, Pachelbel und Muffat.

    Überliefert ist das Werk zusammen mit den Ciaconen in c-moll und e-moll durch eine einzige Abschrift im sogenannten Andreas-Bach-Buch, welches von J. S. Bachs älterem Bruder Johann Christoph Bach angelegt wurde. (Vgl. Johann Christoph Bach III bei Wikipedia.) Schon Spitta äußerte sich sehr lobend über die drei Kompositionen. Diese Wertschätzung hat die seitdem vollzogenen Wandlungen der Stilauffassungen unbeschadet überdauert.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Aufnahmen der Passacaglia d-moll (BuxWV 161)

    Helmut Walcha, Arp-Schnitger-Orgel zu Cappel, September 1977

     

    Walcha spielt die erste Gruppe (d-moll) mit einem Vorplenum, es klingt nach 8‘ 4‘ 2‘, um im Zwischenspiel zu einem silbrigen Klang (8‘ 2‘?) zu wechseln. Die F-Dur-Variationen erklingen mit Flötenregistern (8‘ 4‘?), mittendrin wird die Oberstimme mit ihrer trillerartigen Figuration auf einem gesonderten Manual hervorgehoben. Der a-moll-Abschnitt hat wieder Prinzipalklänge (8‘ 4‘?). Im letzten Abschnitt wird es wieder flötig, wobei die Oktavostinati mit silbrigem Klang hervorgehoben werden. Im Ergebnis wird der zyklischen Tonartorganisation des Komponisten (d – F – a – d) ein parallelistischer Ordnungsentwurf durch Registrierung entgegen gestellt (Prinzipale – Flöten – Prinzipale – Flöten). Ist das schlüssig?

    Das Tempo ist ruhig (6:23), Walcha fasst das Werk wie üblich zurückhaltend auf. Aber die Zeiten, in denen man die alten Meister so hemmungslos legato gespielt hat, sind vorbei. Das ist eine mittlerweile historische Aufführungspraxis.


    Harald Vogel, Arp-Schnitger-Orgel zu St. Ludgeri/Norden, September 1986

     

    Harald Vogel trägt mit seiner Wiedergabe der zyklischen Anlage des Werkes Rechnung. Die Registrierungen sind freundlicherweise im ausgezeichneten Beiheft mitgeteilt: Principal 8‘ im Rückpositiv und Principal 16‘/Octav 8‘ im Pedal im ersten Teil, im zweiten Teil (F-Dur) kommen in Rückpositiv und Pedal jeweils Octav 4‘ dazu. Die Oberstimme wird im zweiten Teil mit dem Flötenchor des Werckes gespielt: Rohrfloit 8‘, Spitzfloit 4‘, Nasat 2 2/3‘, Gemshorn 2‘. Der dritte Teil (a-moll) erklingt mit Principal 8‘, Octav 4‘ und Mixtur 6fach des Werckes und Principal 16‘ mit Trommete 8‘ im Pedal. Der Übergang zum vierten Teil erklingt nochmals mit Principal 8‘ und Octav 4‘ auf dem Rückpositiv, bis der letzte Teil mit denselben Registern wie der erste gespielt wird.

    Die Wiedergabe ist ruhig mit sehr dezenter Artikulation bei minimalen Dehnungen betonter Töne (6:08). Ich finde sie sehr rund.


    Ulrik Spang-Hanssen, Arp-Schnitger-Orgel zu St. Ludgeri/Norden, April 1992

    Ulrik Spang-Hanssen spielt das ganze Werk mit dem Plenum eines Nebenwerkes (?) und einer 8‘ Zunge nebst labialem 16‘ im Pedal. Er nimmt das Stück in recht flottem Tempo (5:17). Vielleicht bezieht er sich dabei auf die Unterscheidung, die Mattheson in seinem „Vollkommenen Capellmeister“ zwischen Chaconne und Passacaglia trifft: „ … daß die Chaconne bedächtlicher und langsamer einhergehet, als die Passecaille, nicht umgekehrt, … daß die Passecaille nimmer zum Singen gebrauchet wird, wie die Chaconne, sondern allein zum Tantzen, daraus in natürlicher Weise eine hurtigere Bewegung entsteht; …“. Buxtehude-Expertin Kerala Snyder erklärt ohne weitere Begründung, dass dieser Differenzierungsversuch Matthesons „offenkundig nicht auf Buxtehudes Orgelwerke anwendbar ist“.

    Durch ihr Tempo und die einheitliche Plenum-Registrierung ist dies die Alternativ-Version. Aber auch die Artikulation ist profilierter als in den anderen Einspielungen, man höre alleine den Auftakt des Pedalthemas. Wer weiß, vielleicht hat Spang-Hanssen recht – über Bachs Passacaglia für Orgel steht in einer Handschrift schließlich auch „Pro Organo Pleno“. Mein Geschmack ist es nicht.


    Martin Rost, Stellwagen-Orgel zu St. Marien/Stralsund, Mai 2010

    Die Registrierungen sind bei Rost fast identisch mit denen Vogels: Beginn mit Principall 8‘ des Rückpositivs und Gedactuntersatz 16‘/Octaven Bas 8‘ im Pedal, der zweite Teil erklingt auf dem Oberpositiv mit Principall 8‘ und Octava 4‘, im Pedal kommt Superoctav Bas 4‘ dazu. Rost verzichtet auf eine Hervorhebung der Oberstimme. Im dritten Teil gibt es ein Hauptwerksvorplenum (Octava 8‘, Superoctav 4‘, Rauschpfeife 2fach), im Pedal kommt der Dulcian Bas 8‘ dazu. Übergang zum letzten Teil auf dem Oberpositiv (8‘ 4‘ wie gehabt), letzter Teil wie der erste. (6:38)

    Die Artikulation finde ich angenehm. Recht kleinteilig, aber nicht unruhig. Insgesamt ist das eine Darstellung, die das Werk auf der entspannten Seite verortet, doch beweglicher als die im Großen und Ganzen recht ähnliche Wiedergabe Harald Vogels.

    Der Puls des Hörers wird allerdings durch die Stimmung erhöht: Die mitteltönig gestimmte Orgel bietet bestes Anschauungsmaterial (Anhörungsmaterial) für die Diskussion über mathematische legitimierbare und praktisch taugliche Stimmverfahren. Vor allem im dritten Teil geht es an meine Schmerzgrenze.

    Die CD bietet einen ausgezeichneten Überblick über die Orgelkunst in Lübeck im 17. Jahrhundert. Es erklingen Werke von Petrus Hasse d. Ä (+1640), Buxtehudes Schwiegervater und Vorgänger an St. Marien Franz Tunder (1614-1667), Buxtehude himself (1637-1707), Johann Christian Schiefferdecker (1659-1732), Johann Sebastian Bach (1685-1750, ein Frühwerk) und Nikolaus Bruhns (1665-1697). Auch die Orgel ist ein wichtiges Gegengewicht zur Präsenz der Arp-Schnitger-Orgeln auf dem Tonträgermarkt.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Die Orgelmusik besitzt großen Formenreichtum mit 21 Präludien-5 Toccaten-2 Chaconnen-1 Passacaglia-9 Canzonen und 49 Choralbearbeitungen.
    Nur dem großen Johann Sebastian war es gegeben den großen Formenreichtum zu übertreffen.


    Das könnte man auch anders beurteilen.

    Denn bei Buxtehude bedeutet "Präludium" einen Gattungsbegriff, der eine Vielfalt von Formen umfasst. (Der gelegentlich auf Konzertprogrammen noch anzutreffende Werktitel "Präludium und Fuge" ist bei Buxtehude meist irreführend und vom späteren Bach rückprojeziert.)

    Einem initialen Präludium folgt meist eine erste Fuge, dann ein Zwischensatz (oder auch nicht), eine zweite Fuge (oder auch nicht) und ein toccatenartiger Schluss. Es können auch drei Fugen vorkommen oder Passacaglia-artige Teile eingebaut sein. Die Form ist also drei- bis siebenteilig, je nachdem.

    Diese Werkgattung ist also deutlich vielfältiger als bei Bach, bei dem, abgesehen von einigen Frühwerken und der Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, doch "nur noch" Präludium und Fuge bzw. Toccata und Fuge als zweiteilige Form übrig bleiben.

    Canzona und Passacaglia sind bei Bach singulär im Oeuvre für Orgel, von Buxtehude kennen wir jeweils mehrere Beispiele.

    Choralfantasien nach Art von Buxtehudes "Nun freut euch, lieben Christen gmein" oder "Te deum laudamus" sucht man bei Bach vergeblich.

    Bei Bach findet man hingegen Triosonaten (zu pädagogischen Zwecken!), Konzertsätze (alle späten Präludien stehen in Concerto-Grosso-Form) und große einheitlich durchgeführte Choralbearbeitungen, die man bei Buxtehude so nicht findet - dort herrscht kleinteilige Vielgestalt vor.

    Aber bezüglich des Formenreichtums sehe ich mindestens ein Patt, wenn nicht gar eine größere Vielfalt bei Buxtehude. Ich sage mal provozierend: Wenn ich von Bachs Präludien h-moll, e-moll (BWV 548), C-Dur (BWV 547), Es-Dur die erste Minute gehört habe, dann weiß ich, wie es in den nächsten fünf bis sieben Minuten weitergeht. (Dasselbe gilt für die Toccaten in F-Dur und d ("Dorische")). Bei Buxtehude ist man hingegen nie vor Überraschungen sicher.

    Gruß
    MB

    :wink:

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  • Ulrik Spang-Hanssen spielt das ganze Werk mit dem Plenum eines Nebenwerkes (?) und einer 8‘ Zunge nebst labialem 16‘ im Pedal.

    Lieber Mauerblümchen, da ich heute diese Aufnahme (im Vergleich mit Bernard Foccroulle an derselben Orgel: Arp Schnitger St. Ludgeri Norden) gehört habe: Paßt Deine Beschreibung mit meinem Eindruck zusammen, daß Spang-Hanssen den Cantus firmus im Baß sehr heraushebt, so sehr, daß ich daß kontrapunktische Geflecht in den Höhen, in den Registern, die ich als hell-glänzend höre, nur wie ein fortschreitendes Flimmern erlebe (auch wenn ich hier wohl übertreibe)? Wie anderenorts geschrieben: Foccroulle (den ich übrigens auch bei den anderen norddeutschen Meistern des 17. Jahrhunderts und bei Bach sehr schätze) finde ich da klanglich besser ausbalanciert, auch wenn das Fließende durch die Plastizität nicht so deutlich wird.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz,

    das Herausheben des Passacaglia-Themas im Pedal geschieht bei Ulrik Spang-Hanssen durch die verschiedene Klanglichkeit: Zungenklang im Pedal, Mixturenklang im Manual. Daher auch das "hell-Glänzende", das "fortschreitende Flimmern".

    Die Kontrapunktik spielt sich meist in sehr engem Rahmen ab. Die Variationen 1 und 2 kann man als erweitert homophon beschreiben, es folgt etwas Gegenbewegung in Variation 3 und 4, in Variation 5 und 6 gibt es Imitationen (besser: identische Figuration in allen Oberstimmen). Explizit polyphon im Sinne einer Fuge würde ich es nicht nennen, aber sehr wohl gibt es verschiedene Grade der Unabhängigkeit der Stimmen in der Variationen.

    Bei Spang-Hanssen finde ich bemerkenswert, dass er zum einen die Registrierung nicht wechselt und zum andern eine Plenum-Registrierung verwendet. Das macht er anders als die drei anderen Genannten.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Aus "Eben gehört - Alte Musik":

    Und jetzt daraus:

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Adieu,
    Algabal

    Jetzt daraus:

    Adieu,
    Algabal

    Dem Algabal zum Gefallen (hoffe ich wenigstens) habe ich gerade ebenfalls BuxWV 146 verglichen: Ulrik Spang-Hanssen (Aubertin-Orgel St. Louis zu Vichy, 1993) und Bernard Foccroulle (Lorentz-Frietzsch-Orgel, Sct. Mariæ Kirke, Helsingør, 2004).

    Foccroulle gefällt mir hier deutlich besser, da klanglich feiner ausbalanciert, bessere Akustik, besseres Instrument?

    Noch ein Vergleich der beiden: Passacaglia d-moll, BuxWV 161: Mit starkem Baß und fließendem Klang wirkt Spang-Hanssen (1992) beeindruckend; Foccroulle (2003) nimmt den Baß etwas zurück und verdeutlicht das Stimmengeflecht in den Höhen, auch hier liegt er bei mir vorn. Interessant: Die Passacaglia erklingt an derselben Orgel (Arp Schnitger, St. Ludgeri, Norden). Da böten sich weitere Vergleiche an...

    :wink:

    Das höre ich ebenso - allerdings erscheinen mir die beiden hinsichtlich Zugriff und Gestaltung gar nicht so weit voneinander entfernt. Stella geht das Stück ganz anders an, sehr viel metrischer und straighter, mit deutlich weniger Agogik. So nimmt er den einleitenden frei-figurativen Teil gleich von Beginn an a tempo, während sich Foccroulle und Spang-Hanssen an ein Grundtempo heranaccelerieren. Das ist symptomatisch für die gesamte Lesart Stellas. Er spielt ziemlich geradeaus, sehr strukturbetont, weniger das wuchernd-phantastische betonend, als es die Vergleichseinspielungen tun. Ich hätte das gern anhand der Noten verfolgt, konnte die aber heute i-wie in meinem Chaos nicht finden ... :(

    Adieu,
    Algabal

    Vielleicht hilft das ein wenig weiter: "http://petrucci.mus.auth.gr/imglnks/usimg/…2H_Stradal_.pdf" ? Ist allerdings nur eine spätere Klavierbearbeitung. :S

    Habe jetzt noch BuxWV 137 gehört, auch hier sagt mir Foccroulles differenzierter Zugang mehr zu. Wie schon bemerkt: Er hat ein sehr feines Gefühl für klangliche Balancen, da wird der Kontrapunkt richtig durchsichtig. Und sinnlich klingt es auch noch.

    :wink:

    Frage: Ist es möglich, einige ausgewählte Postings von hier in den "Buxtehude - Orgelmusik"-Thread zu kopieren. Da sind nützliche Besprechungen dabei.

    Hiermit geschehen. :)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Hallo,

    Hat mal jemand von euch überprüft wie vollständig die angeblichen "Gesamteinspielungen" sind?

    Ich habe mal die Gesamtaufnahme von Koopman auf den BuxWV überprüft aber mir fehlen (wenn man die Werke, die auf dem zweiten Volume der Cembalowerke zu finden sind, hinzurechnet) noch folgende Nummern:

    BuxWV 154 - Präludium in B
    BuxWV 195 - Ich dank dir schon durch deinen Sohn
    BuxWV 216 - O lux beata Trinitas

    Die Liste habe ich nur aufgrund von Internetquellen erstellt, da ich die CDs boch nicht erhalten habe (aber bereits bestellt :klatsch: ). Gibt es einen Grund für das Fehlen dieser Nummer?

    Es würde mich auch interessieren, ob andere "Gesamtaufnahmen" auch nur ähnlich "komplett" sind.

    LG
    Tamás
    :wink:

    PS.: wie ich sehe fehlen BuxWV 154 und 216 von fast allen "Gesamteinspielungen". Warum Koopman BuxWV 195 nicht eingespielt hat, bleibt für mich ein Geheimnis.

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

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