"Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben..."
Damit dieser Thread, da er thematisch ja nun schon recht bald höchste Aktualität erlangen wird, schon mal wieder nach vorne geholt wird:
Seit meiner Kindheit wundere ich mich über den Text dieser allseits bekannten Arie aus dem ersten Teil des Oratoriums:
ZitatBereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben,
Den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehn!
_Deine Wangen
_Müssen heut viel schöner prangen,
_Eile, den Bräutigam sehnlichst zu lieben!
Hier wird Jesus als Bräutigam tituliert, auf den sich die Braut (Zion=Jerusalem=Gemeinde) mit "zärtlichen Trieben" vorbereiten und schön machen soll ("Deine Wangen| Müssen heut viel schöner prangen"). Es wird also Hochzeit gemacht! Aber ist es im Kontext von Weihnachten, wo man (d.h. wir heute) an das Jesukind in der Krippe denkt, nicht irgendwie sonderbar von Jesus als Bräutigam zu reden? Ich weiss dieser Gedanke ist naiv. Aber er kommen mir unwillkürlich immer wieder, wenn ich die Arie höre. Die interessante Frage für mich ist, wie haben zu Bachs Zeiten diese Verse auf den Zuhörer gewirkt? Hat sich die Gemeinde wirklich als Braut Jesu gesehen? Hatten die damaligen Christen wirklich im weitesten Sinne Hochzeitsgefühle?
Die Wikipedia gibt im Eintrag zum Weihnachtsoratorium nur wenig Auskunft:
Zitat...Angestoßen durch diese äußere Bewegung spiegelt die Alt-Arie „Bereite dich, Zion“ die innere adventliche Sehnsucht wider[52] und gibt eine erste Ahnung von der Größe des Bevorstehenden. „Zion“ wird entsprechend altchristlicher Tradition und der Brautmystik zu einem Bild für die christliche Gemeinde, die als Braut auf ihren Bräutigam (= Christus) wartet. ...
Interessant erscheint mir in diesem Zusammenhang auch noch, dass Bach, wie so oft, die Arie nicht gänzlich neu komponiert hat. Es handelt sich um die Wiederverwertung von BWV 213/9, wo Herkules der "Wollust" widersteht:
ZitatIch will dich nicht hören, ich will dich nicht wissen,
Verworfene Wollust, ich kenne dich nicht.
_Denn die Schlangen,
_So mich wollten wiegend fangen,
_Hab ich schon lange zermalmet, zerrissen.
Ein ziemlich gegensätzliches Thema also. Oder das gleich Thema mit entgegengesetztem Vorzeichen? Widerstehen der Wollust statt mit "zärtlichen Trieben" ersehnte Hochzeit? Leider Verfüge ich nicht über eine Einspielung von BWV 213. Wenn ich mir die zitierte Stelle mit der Melodie von "Bereite dich Zion,..." innerlich vorsinge, komme ich vor Lachen nicht weit. So ganz eins zu eins kann das Bach doch nicht übernommen haben, oder?
Sicher werde ich in näherer Zukunft eine Bachbiographie lesen müssen (die von Martin Geck würde mich reizen), um dem Denken und Fühlen der damaligen Zeit etwas näher zu kommen. Bis dahin freue ich mich auf Eure theologischen, muskiwissenschaftlichen und sonstigen Kommentare.
Hudebux