25mal persönlich, auf ein Neues, der Clou kommt immer am Schluss ... (5)
Dubravka Tomsic (7/2001) – Glassplitter im Kaleidoskop
CD IPO Recordings IPOC1001
Aufnahme: SUNY Performing Arts Center, Purchase, NY, 12. bis 15.7.2001
Spieldauer: 32:32 Minuten
http://www.amazon.de/s?ie=UTF8&fiel…20B000071WX0%20
Gleich der Beginn der Sonate erinnert mich an die zuvor gehörte Aufnahme von Kyoko Tabe – auch die aus Slowenien stammende Pianistin hat in den ruhigen Passagen am Steinway D Flügel die Ruhe weg, pflegt eine meditativ ausgeglichene Poesie. Glitzernd klar perlt sie aber dann doch mit hörbar anderem Anschlag als Tabe durchs Virtuose und Vollgriffige, mit spitzen Akzentuierungen. Insgesamt spielt Dubravka Tomsic die Sonate aber auch in sich sehr abgerundet, das Konzept der Glassplitter im Kaleidoskop konsequent durchziehend. Das Werk entfaltet sich hier wie ein riesiger Baukasten, aus dem sich mit immer neuen Durchwühlungen eine schier unglaubliche Zahl bunter Farben zaubern lässt. Ob man das Entspannte der ruhigen Passagen als spirituell oder langatmig empfindet, hängt sicher ganz entschieden von der Tagesverfassung des Hörers ab. Trotzdem – manche Interpretationen packen sofort, andere wirken auch hier routiniert. Was das betrifft, so höre ich die Aufnahmen von Tabe und Tomsic als durchaus miteinander verwandt und kann dem viel abgewinnen – zwischen all dem Aufbäumen und Sich-Entladen der Musik immer wieder die Zeit anhalten, ein beseeltes Innehalten. Das Liszt Recital dieser CD wird mit den 2 Legenden, La lugubre Gondola 1 und dem Mephisto-Walzer Nr. 1 ergänzt.
Sándor Falvai (11/2015) – Wohlüberlegt virtuos
CD Celestial Harmonies 13312-2
Aufnahme: Phoenix Studio, Diósd, Ungarn, 25. bis 27.11.2015
Spieldauer: 29:11 Minuten
Genauso wie Jenny Lin, Perlemuter, Schliessmann, Burmester, Vogt oder Achatz koppelt der 1949 in Ózd (Ungarn) geborene Pianist Liszts h-Moll Sonate mit Robert Schumanns Fantasie C-Dur op. 17, es werden also die Werke jeweils mit Widmung für den anderen Komponisten zusammengespannt. Falvai spielt die Sonate auf einem Steinway D Flügel nicht dämonisch oder exzeptionell anderweitig auffallend, er spielt pianistisch, brillant, linear, mit glasklarem Anschlag, in sich alles wohlüberlegt und doch auch poetisch feinfühlig abrundend. Manches wirkt etwas buchstabiert, anderes einfach nur technisch souverän abgespult, wenn man es von noch virtuoser und aufregender zupackenden anderen Interpretationen her im Ohr hat. Dieser Höreindruck ist aber auch dem Fluch des Vergleichshörens geschuldet. Würde man die Sonate mit einer Aufnahme wie dieser kennenlernen, wäre der Eindruck sicher ein absolut überwältigender.
Cyril Huvé (7/2017) – Trägt dick auf
CD Evidence EVCD045
Aufnahme: Villethierry, Frankreich, 4.-6.7. sowie 25. und 26.7.2017
Spieldauer: 32:23 Minuten
Die CD nennt sich Opus 102. Das bezieht sich auf einen zu 102 Tasten erweiterten, mit Parallelsaiten aufwartenden neu entworfenen Flügel von Stephen Paulello, bei dem zusätzlich die Balken des Rahmens entfernt wurden und der hier mit Werken von Liszt, Schubert/Liszt, Debussy und Scriabin akustisch vorgestellt wird. Sound und pianistische Spielanlage erscheinen betont orchestral aufbereitet. Hier klingt die h-Moll Sonate wie das Klavierarrangement eines großen Orchesterwerks. (Insofern mag so eine Aufnahme auch die Neugier wecken, sich die Léo Weiner Orchesterfassung der Sonate anzuhören.) Der 1954 in Paris geborene Huvé spielt impulsiv und agogisch frei. Er „vergrößert“ alles was möglich ist bewusst. Das Zelebrieren der Musik dient der Demonstration des Flügels mit seinem riesigen Klangvolumen, und dafür trägt der Pianist eben ziemlich dick auf. Das Akkordische wird kolossal, das Poetische wabert und das Virtuose nimmt sich teilweise ins Pathetische zurück. Wer die Sonate schon sehr oft gehört hat, mag sie hier vielleicht als allzu wuchtig und aufgeblasen gespielt hören.
Risto-Matti Marin (9/2014) – G-Tore öffnen neue Welten
CD Alba Records ABCD 398
Aufnahme:Kuusaa Hall, Kuusankoski, 24./25.9.2014
Spieldauer: 32:38 Minuten
Der finnische Pianist Risto-Matti Marin, geboren 1976 in Kuopio, führt, auf einem Steinway D Flügel spielend, in sehr schönem vollem Studio-Klaviersound durch drei „Gateways“ (so der Titel der CD) in drei Klavierwelten. Alle drei Tore öffnen sich mit dem Ton G, der erste mit einem Akkord, die anderen beiden mit leeren Oktaven: Johann Sebastian Bachs Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542 in Franz Liszts Klavierfassung, Franz Schuberts 4 Impromptus op. 90 D 899 und Liszts Sonate h-Moll. Die Werkeinführungen im Booklet, diesen Ansatz erläuternd, hat der Pianist selbst geschrieben. Die Sonate spielt Marin romantisch, dies aber konzeptionell: im Virtuosen wild losrauschend, im Rezitativischen und Lyrischen sehr bewusst vieles verzögernd. Das lässt einerseits Raum für wirklich mögliches Staunen beim Betreten neuer Welten auch wenn man das Werk (in dem sich allemal andauernd neue Welten auftun können) schon sehr oft gehört hat, andererseits für die Frage, ob dieses totale Eintauchen in die Musik nicht allzu bewusst, fast pädagogisch daherkommt. Konstatiert man beim Hören das durchhörbare Bemühen des Interpreten, die Musik in ihrer Ausdruckstiefe emotional genauso wie konzeptionell erfassen zu wollen, bleibt im Nachhall aber gerade diese Unentschiedenheit als das Reizvolle der Aufnahme haften – als stünde man immer wieder vor Toren, durch die man zielsicher oder unsicher, auf jeden Fall aber staunend in neue Welten blicken oder sogar gelangen kann.
Fabienne Jacquinot (3+4/1956) – Was ist der Preis?
LP Ducretet Thomson 250 C 036
Aufnahme: März/April 1956
Spieldauer: 24:45 Minuten
https://www.youtube.com/watch?v=npS-y-vE6vc
Recherchiert man Anfang 2018 zu Fabienne Jacquinot und zu deren Aufnahme der h-Moll Sonate von Franz Liszt im Netz, so fügt sich bald dieses zusammen: Die aus Frankreich stammende Pianistin (1927-2016) studierte beim französischen Pianisten und Komponisten Yves Nat. Einspielungen von ihr entstanden hauptsächlich in den 50er Jahren, später unterrichtete sie in Paris. Die Sonate wurde wohl im März, April 1956 aufgenommen. Hört man die seit Juli 2017 bei youtube verfügbare, bisher nicht auf CD erschienene Aufnahme, ändert sich alles. Eigentlich kann man nach diesen nicht einmal 25 Minuten die Sonate nie mehr hören. Sie hat sich vollendet, in jeder Hinsicht. Fabienne Jacquinot spielt sie nämlich schlichtweg vollendet. Sie spielt sie aus einem Guss, mit gewaltiger Größe und Kraft, dabei unbeschreibbar musikalisch in jeder Sekunde. Unfassbar, dass ein Mensch diese Sonate so spielen kann. Unheimlich! Da geht es überhaupt nicht (mehr) um pianistischen Leistungssport, um ein allfälliges Konzept, um eine Herausforderung, da geht es nicht um höchste Musikalität, um intellektuelle oder durchgeistigt hochpoetische Durchdringung, da geht es nicht um einzelne Aspekte, die man herausstreichen könnte. Aber worum geht es? Es bleiben nur „jenseitige“ Erklärungen. Vielleicht diese: Jemand (wer auch immer – Gott? Satan?) hatte ausgerechnet Fabienne Jacquinot offenbar auserkoren, die h-Moll Sonate von Liszt vollendet aufzunehmen. Er gab ihr dafür 25 Minuten Lebenszeit. Und so spielte Fabienne Jacquinot die Sonate vollendet ein. So, dass jemand wie der Schreiber dieser Zeilen, der sie seit 2010 über 240mal bewusst und in zahllosen vielfach wirklich grandiosen unterschiedlichsten Aufbereitungen gehört hat, plötzlich das Gefühl hat das war es jetzt, jetzt geht nichts mehr. Unheimliche Gedanken: Geht es um den Preis für diese 25 Minuten „solcherart verbrachte“ Lebenszeit der Pianistin? Wer kennt diese Pianistin und ihre Aufnahme? Erschien die Aufnahme je auf CD? Bei youtube hat die Aufnahme Anfang 2018, auch ja erst seit Juli 2017 dort verfügbar, noch nicht einmal 900 Aufrufe. Vielleicht ist das der (bittere) Preis – die Sonate vollendet spielen zu dürfen und niemand bemerkt es? 25 Minuten einmalige Ewigkeit – ins Nichts? Die (wahrscheinlich großteils französischen) Käufer der LP in den ausgehenden 50er Jahren – haben sie die Größe der Aufnahme erkannt? Zwei Homepages listen Aufnahmen der h-Moll Sonate auf, auf der einen fehlt der Name der Pianistin völlig, auf der anderen ist nur der Familienname genannt, das LP Cover (man findet es dann doch im Netz) fehlt allerdings dort auch. Es mag der erschütternde Preis sein – vielleicht ahnte oder wusste die Pianistin gar nicht, wie exzeptionell ihr die Aufnahme gelungen war. Und 2018 wird sie, die vielleicht künstlerisch unglaublichste aller Zeiten, für nichts im Nichts der Netzwelt verschleudert, in der völligen Beliebigkeit und Austauschbarkeit? Von einzelnen, wenigen Musikliebhabern sicher sehr wohl in ihrer Bedeutung erkannt, aber von zu wenigen, nicht maßgeblichen. Jedenfalls nicht von Journalisten oder Rundfunkexperten, die eine Multiplikatorfunktion erfüllen hätten können. Jahrzehnte später weiter völlig vergessen zu sein, unbeachtet, selbst im Netzuniversum, wo sich alles Sensationelle binnen Sekunden ins Milliardenfache zu multiplizieren versteht, bisher ein völlig versteckter Insidertipp zu bleiben, noch dazu in einer Zeit (im Gegensatz zu der, in der ein van Gogh wenigstens posthum „durchstarten“ konnte), die nicht mehr zwischen wirklich essentiell Bemerkenswertem und aufgeblasenem Nichts zu unterscheiden versteht – ist das der Preis?
PS: Vielleicht bin ich ja mit Marin "durch eines seiner Gateways" gegangen und so auch zu Jacquinot (nicht zuletzt aber dank Michaels Hinweis ) gelangt...