Weitere persönliche Höreindrücke aus letzter Zeit:
Andor Losonczy (1963) – Rundfunkaufnahme mit vollem Risiko
Radio Ö1 16.6.2018
Aufnahme: 1963, ORF Landesstudio Kärnten
Spieldauer: 27:00 Minuten
Der Komponist, Pianist und Musikpädagoge Andor Losonczy, geboren am 2.6.1932 in Budapest, gestorben am 8.1.2018 in Salzburg, 1960 aus Ungarn nach Österreich emigriert, von 1986 bis 1998 Professor für Klavier mit Schwerpunkt Neue Musik am Mozarteum Salzburg, hat unter anderem einige zeitgenössische Klavierwerke uraufgeführt und für den ORF Schönbergs Klavier-Gesamtwerk eingespielt. Losonczy spielt Liszsts h-Moll Sonate grimmig, wild und ungestüm, voll auf Risiko, ohne Rücksicht auf Verluste (die Aufnahme ist sympathisch unkorrigiert), atemberaubend leidenschaftlich, aber auch im Pathetischen groß und im Poetischen wie im Religiösen ganz und gar in die Musik eintauchend. Ein erstaunliches, exzeptionell spannendes Radiodokument.
Alexei Melnikov (3/2017) – Intellektuell-virtuose Anschlagskultur
CD Acousence Classics ACD-13217
Aufnahme: 1. bis 3.3.2017, Campus, Krefeld-Fichtenhain
Spieldauer: 31:27 Minuten
Der interpretatorische Ansatz des 1990 in Moskau geborenen Pianisten was Liszts Sonate betrifft wirkt stets durchdacht, kontrolliert und kalkuliert. Nichts wird dem Zufall überlassen, über nichts hinweggespielt, alles beruht hörbar auf sehr genau überlegten Entscheidungen, virtuos wie poetisch, rezitativisch wie im großen Bogen. Da neigt so manches zum Demonstrativen, zur Gefahr des Buchstabierens. Der Shigera Kawai Flügel auf dem Melnikov auch Beethovens „Appassionata“ Sonate und Chopins Nocturne op. 48/1 für seine CD aufgenommen hat ermöglicht eine besonders feine, sanft abfedernde Anschlagskultur. Auch diesbezüglich lotet der Pianist was möglich ist bis in kleinste Details aus. Auffallend die besonders feine Abtönung bei den Schlussakkorden, so differenziert hört man diese selten gespielt. So intellektuell die Sonate hier interpretiert wird, so wuchtig wie vielschichtig zieht sie einmal mehr in ihren Bann, und pianistisch reiht sich Melnikov souverän in die Gruppe von Cherkassky bis Hamelin ein.
Michele Campanella (3+4/2017) – Pathos und Poesie
CD VDM Records D38 55 037
Aufnahme: 31.3. bis 3.4.2017, Cità delle Pieve (Italien)
Spieldauer: 32:43 Minuten
Der Liszt-Spezialist Michele Campanella, geboren am 5.6.1947 in Neapel, spielt die Sonate, die er für seine Liszt CD mit der Ballade Nr. 2, den zwei Legenden und fünf Klavierstücken koppelt, auf seine Art sehr persönlich: aufwühlend-emotional, impulsiv und erzählerisch anrührend. Er zaubert ganz individuelle Farben aus der Klavierpartitur, die klanglichen Möglichkeiten des Steinway Flügels von 1892 zur Charakterbildung subtil einsetzend. Hier kann man die Sonate wieder einmal als faustisches Ringen hören. Die vielfach eher verhalten gewählten Tempi haben ungleich mehr von Weisheit als von Scheu. Poetisch wie pathetisch ist das eine Aufnahme, der man nur den allerhöchsten Respekt zollen kann. Campanella ist übrigens einer der wenigen, der im abschließenden Lento assai das H bei den beiden letzten Abstiegen je zweimal anschlägt, es nicht liegen lässt.
Svein Amund Skara (11/2018) – Der mutige Musikliebhaber
Live im Kleinen Konzertsaal im Gasteig (München), 4.11.2018
Spieldauer nicht mitgestoppt
Die Flyer verheißen „spektakuläre Klavierabende“ des aus Norwegen kommenden Pianisten und Organisten. Im zu etwa zwei Drittel gefüllten Saal spielt der nobel wirkende Svein Amund Skara am Steinway Flügel die Sonate h-Moll von Franz Liszt gleich nach Edvard Griegs Glockengeläute op. 54/6 – als Musikliebhaber wissend um die Tücken dieses Monumental-Klavierwerks, um die Wirkungen die sich damit erzielen lassen, um die aufladbaren Gefühlsmomente, nicht durchgehend sattelfest, aber umso brillanter darüber hinwegspielend, allein das eine bewundernswerte Leistung. Gerade die improvisierten Fragmente die der Pianist hier einstreut machen die Aufführung durchaus so wie sie beworben wurde spektakulär. Geschickt überspielt er die eine oder andere Passage. Dabei passt er höllisch auf und muss sich nicht einmal so oft zurücknehmen, die schwierigsten Läufe und Zerlegungen genau zu treffen. Es sind vielfach Abschwünge, Zwischendurchpassagen, Nebenläufe, wo er sich im Gestrüpp verheddert. Donnern kann er, Gefühle ausbreiten auch und dann eben auch immer wieder brillant über alles hinwegspielen, was nicht so genau gelingt. Noch vor der Pause folgen die ersten vier mindestens so schweren Études d'exécution transcendante von Franz Liszt, danach alle anderen, und zwei Zugaben gibt es auch noch. Eine mutige, bewundernswerte Leistung.
Ryuzo Seko (11/2018) – Energischer Kraftakt
Live im Kleinen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München, 26.11.2018
Spieldauer nicht mitgestoppt
Der 1988 in Japan geborene Pianist beschließt mit seiner Aufführung der h-Moll Sonate ein kostenlos besuchbares Konzert der Klavierklasse Prof. Thomas Böckheler markant. Man spürt sofort – er will das unbedingt, er kann das aber sowas von gut und er zieht das durch, mit Lust, Liebe, enormer Emotion und fulminanter Technik. Pianistisch legt er energisch los und hält dieses Energische grandios durch, bis zur schwindelerregend toll gespielten Stretta. Der feste, stabile Zugriff prägt auch die rezitativischen und poetischen Passagen des Werks, um aber gleichwohl einmal mehr das sorgfältig Einstudierte schon weit hinter sich und den Ausdruck reif wie emotional empfindsam eindringlich wirken lassen zu können. Eine beeindruckende Meisterschaft wird hier demonstriert, eine mitreißende Unbedingtheit, hochmusikalisch und pianistisch fulminant. Ein einziger großer Kraftakt mit dieser großen, hochanspruchsvollen, fordernden Klaviermusik!
Morgen weiter.