Franz Liszt: Klaviersonate h-moll - Die große Klavierreise ins Ich

  • Weitere persönliche Höreindrücke aus letzter Zeit:

    Andor Losonczy (1963) – Rundfunkaufnahme mit vollem Risiko
    Radio Ö1 16.6.2018
    Aufnahme: 1963, ORF Landesstudio Kärnten
    Spieldauer: 27:00 Minuten

    Der Komponist, Pianist und Musikpädagoge Andor Losonczy, geboren am 2.6.1932 in Budapest, gestorben am 8.1.2018 in Salzburg, 1960 aus Ungarn nach Österreich emigriert, von 1986 bis 1998 Professor für Klavier mit Schwerpunkt Neue Musik am Mozarteum Salzburg, hat unter anderem einige zeitgenössische Klavierwerke uraufgeführt und für den ORF Schönbergs Klavier-Gesamtwerk eingespielt. Losonczy spielt Liszsts h-Moll Sonate grimmig, wild und ungestüm, voll auf Risiko, ohne Rücksicht auf Verluste (die Aufnahme ist sympathisch unkorrigiert), atemberaubend leidenschaftlich, aber auch im Pathetischen groß und im Poetischen wie im Religiösen ganz und gar in die Musik eintauchend. Ein erstaunliches, exzeptionell spannendes Radiodokument.

    Alexei Melnikov (3/2017) – Intellektuell-virtuose Anschlagskultur
    CD Acousence Classics ACD-13217
    Aufnahme: 1. bis 3.3.2017, Campus, Krefeld-Fichtenhain
    Spieldauer: 31:27 Minuten

    Der interpretatorische Ansatz des 1990 in Moskau geborenen Pianisten was Liszts Sonate betrifft wirkt stets durchdacht, kontrolliert und kalkuliert. Nichts wird dem Zufall überlassen, über nichts hinweggespielt, alles beruht hörbar auf sehr genau überlegten Entscheidungen, virtuos wie poetisch, rezitativisch wie im großen Bogen. Da neigt so manches zum Demonstrativen, zur Gefahr des Buchstabierens. Der Shigera Kawai Flügel auf dem Melnikov auch Beethovens „Appassionata“ Sonate und Chopins Nocturne op. 48/1 für seine CD aufgenommen hat ermöglicht eine besonders feine, sanft abfedernde Anschlagskultur. Auch diesbezüglich lotet der Pianist was möglich ist bis in kleinste Details aus. Auffallend die besonders feine Abtönung bei den Schlussakkorden, so differenziert hört man diese selten gespielt. So intellektuell die Sonate hier interpretiert wird, so wuchtig wie vielschichtig zieht sie einmal mehr in ihren Bann, und pianistisch reiht sich Melnikov souverän in die Gruppe von Cherkassky bis Hamelin ein.

    Michele Campanella (3+4/2017) – Pathos und Poesie
    CD VDM Records D38 55 037
    Aufnahme: 31.3. bis 3.4.2017, Cità delle Pieve (Italien)
    Spieldauer: 32:43 Minuten

    Der Liszt-Spezialist Michele Campanella, geboren am 5.6.1947 in Neapel, spielt die Sonate, die er für seine Liszt CD mit der Ballade Nr. 2, den zwei Legenden und fünf Klavierstücken koppelt, auf seine Art sehr persönlich: aufwühlend-emotional, impulsiv und erzählerisch anrührend. Er zaubert ganz individuelle Farben aus der Klavierpartitur, die klanglichen Möglichkeiten des Steinway Flügels von 1892 zur Charakterbildung subtil einsetzend. Hier kann man die Sonate wieder einmal als faustisches Ringen hören. Die vielfach eher verhalten gewählten Tempi haben ungleich mehr von Weisheit als von Scheu. Poetisch wie pathetisch ist das eine Aufnahme, der man nur den allerhöchsten Respekt zollen kann. Campanella ist übrigens einer der wenigen, der im abschließenden Lento assai das H bei den beiden letzten Abstiegen je zweimal anschlägt, es nicht liegen lässt.

    Svein Amund Skara (11/2018) – Der mutige Musikliebhaber
    Live im Kleinen Konzertsaal im Gasteig (München), 4.11.2018
    Spieldauer nicht mitgestoppt

    Die Flyer verheißen „spektakuläre Klavierabende“ des aus Norwegen kommenden Pianisten und Organisten. Im zu etwa zwei Drittel gefüllten Saal spielt der nobel wirkende Svein Amund Skara am Steinway Flügel die Sonate h-Moll von Franz Liszt gleich nach Edvard Griegs Glockengeläute op. 54/6 – als Musikliebhaber wissend um die Tücken dieses Monumental-Klavierwerks, um die Wirkungen die sich damit erzielen lassen, um die aufladbaren Gefühlsmomente, nicht durchgehend sattelfest, aber umso brillanter darüber hinwegspielend, allein das eine bewundernswerte Leistung. Gerade die improvisierten Fragmente die der Pianist hier einstreut machen die Aufführung durchaus so wie sie beworben wurde spektakulär. Geschickt überspielt er die eine oder andere Passage. Dabei passt er höllisch auf und muss sich nicht einmal so oft zurücknehmen, die schwierigsten Läufe und Zerlegungen genau zu treffen. Es sind vielfach Abschwünge, Zwischendurchpassagen, Nebenläufe, wo er sich im Gestrüpp verheddert. Donnern kann er, Gefühle ausbreiten auch und dann eben auch immer wieder brillant über alles hinwegspielen, was nicht so genau gelingt. Noch vor der Pause folgen die ersten vier mindestens so schweren Études d'exécution transcendante von Franz Liszt, danach alle anderen, und zwei Zugaben gibt es auch noch. Eine mutige, bewundernswerte Leistung.

    Ryuzo Seko (11/2018) – Energischer Kraftakt
    Live im Kleinen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München, 26.11.2018
    Spieldauer nicht mitgestoppt

    Der 1988 in Japan geborene Pianist beschließt mit seiner Aufführung der h-Moll Sonate ein kostenlos besuchbares Konzert der Klavierklasse Prof. Thomas Böckheler markant. Man spürt sofort – er will das unbedingt, er kann das aber sowas von gut und er zieht das durch, mit Lust, Liebe, enormer Emotion und fulminanter Technik. Pianistisch legt er energisch los und hält dieses Energische grandios durch, bis zur schwindelerregend toll gespielten Stretta. Der feste, stabile Zugriff prägt auch die rezitativischen und poetischen Passagen des Werks, um aber gleichwohl einmal mehr das sorgfältig Einstudierte schon weit hinter sich und den Ausdruck reif wie emotional empfindsam eindringlich wirken lassen zu können. Eine beeindruckende Meisterschaft wird hier demonstriert, eine mitreißende Unbedingtheit, hochmusikalisch und pianistisch fulminant. Ein einziger großer Kraftakt mit dieser großen, hochanspruchsvollen, fordernden Klaviermusik!

    Morgen weiter.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Lieber Alexander, ich war ja eine Weile weg und mit dem zeitlichen Abstand finde ich Dein Kompendium der Aufnahmen der h-moll-Sonate um so beeindruckender! Chapeau! Nicht, das ich diese Tour d´Horizon vorher nicht bewundert hätte ;) ;)

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Vielen herzlichen Dank für die freundlichen Worte.

    Weitere persönliche Höreindrücke:

    Simon Bürki (1/2019) – Beachtliche Talentprobe
    Live im Kleinen Konzertsaal (Gasteig), München, 19.1.2019/BR-Klassik, 16.2.2019
    Spieldauer: 30:27 Minuten

    Nervenstärke beweist der hochtalentierte, im Jahr 2000 in St. Gallen (CH) geborene bereits mehrfach ausgezeichnete Jungpianist, auch weil er einen BR-Radiomitschnitt zulässt. Nach Ludwig van Beethovens Sonate Es-Dur op. 81a »Les Adieux« und der deutschen Erstaufführung von Moire des Schweizer Komponisten Michel Runtz sowie den Sinfonischen Etüden op. 13 von Robert Schumann gehört der Teil nach der Pause allein Liszts monumentaler h-Moll Sonate am Steinway Flügel. Was für ein klavieristisch absoluter Wahnsinn dieses Werk ist, wird hier wieder einmal klar – als pianistisch prachtvolles Kaleidoskop erstehend, einer frischen erzählerischen, spontan wirkenden Impulsivität vor allem im Lyrischen und Geheimnisvollen Raum gebend, im Virtuosen dazu kraft- und prachtvoll, im Rezitativischen aber eben von erstaunlich persönlichkeitsstarker erzählerischer Eigenständigkeit, und nur wenn man ganz genau hinhört, fallen winzige Kleinigkeiten auf, die man bei einer Studioaufnahme wahrscheinlich retuschieren würde, die aber umso mehr fürs Liveerlebnis werben, denn allein schon die Fähigkeit, „trotzdem“ ganz im Fluss zu bleiben, diese winzigen harmonischen oder figürlichen Abweichungen vom Notentext vollkommen schlüssig zu integrieren, zeugt von allerhöchster im Grunde unbeirrbarer Meisterschaft. Bei den Zugaben überraschen jazzige Les feuilles mortes Impressionen.

    Lika Bibileishvili (1/2019) – Bravour, Poesie und Scarbo
    Live in der Allerheiligen-Hofkirche der Residenz (München), 25.1.2019
    Spieldauer nicht mitgestoppt

    Die 1988 in Georgien geborene Pianistin spielt Liszts Sonate am Steinway Flügel im ganz eigenen Ambiente des Kirchenschiffs der doch den Klavierklang etwas halliger als gewohnt erscheinen lässt nach Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 28 A-Dur Op. 101 und immerhin nach Maurice Ravels nicht minder als das Liszt-Werk technisch hochanspruchsvollem „Gaspard de la nuit“. Der Liveeindruck, die Sonate betreffend: Sofort wirkt die Painistin gefestigt, gewillt, ihr Konzept durchzuziehen, aus sicherer Technik heraus das Geschehen zu entwickeln. Da kann nichts schiefgehen denkt man, sie brilliert und weiß sich empfindsam zurückzunehmen, aber hoppla, im ersten Grandioso meldet sich plötzlich Scarbo der Gnom noch einmal mit akkordisch schrägen Trübungen – punktuelle Ausnahme, ab da läuft alles souverän weiter, verblüffend sicher und im in sich geschlossenen Ablauf ausgefeilt zwischen Bravour und Poesie, gegen das Ende hin vielleicht noch eine Spur risikobereiter in den Brillanzpassagen, damit auch die enorme Kraftleistung die da ja zu bieten ist bestätigend. Diese Liszt h-Moll Sonate geriet weniger dämonisch, auch nicht intellektuell, sie gelang pianistisch großartig, und der kurze Scarbo-Einwurf wirkte mittendrin wie ein freches Augenzwinkern. Keine Zugabe.

    Intermezzo (2/2019) – Interpretationen im Vergleich
    BR-Klassik 26.2.2019

    Christoph Vratz stellt das Werk unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichsten Interpretationsansätze (und auch allerlei bekannte historische Zitate einfügen lassend) in dieser zweistündigen Interpretationsvergleichssendung vor, mit Claudio Arrau (Philips 1970, 1985), Alfred Cortot (Naxos, 1929), Boris Berezovsky (Mirare, 2009), Angela Hewitt (Hyperion, 2014), Vladimir Horowitz (Naxos 1932 und Sony 1949), Géza Anda (Membran, 1954), Clifford Curzon (Decca, 1963), Emil Gilels (Brilliant Classics 1949, 1965), Martha Argerich (Deutsche Grammophon, 1971), Michael Korstick (cpo, 1997), Lars Vogt (Berlin Classics , 2009), die Paratore-Brüder (Ruhr-Festival 2011), Pasquet in Weimar (2006), Krystian Zimerman (Deutsche Grammophon, 1990), Ivo Pogorelich (Deutsche Grammophon, 1990), Van Cliburn (Profil, 1960), Leon Fleisher (Sony, 1959), Daniil Trifonov (Deutsche Grammophon, 2013), Swjatoslaw Richter (Decca, 1966), Julius Katchen (Audite, 1962), Mikhail Pletnev (Deutsche Grammophon, 1997) und Jorge Bolet (Alto 1960 und Decca 1982 – die Aufnahme von 1960 komplett).

    Francesco Cipolletta (3/2019) – Souveräne Berg- und Talfahrt
    Live in der in der Klavierwerkstatt Kontrapunkt (München), 9.3.2019
    Spieldauer nicht mitgestoppt

    Der Pianist Francesco Cipolletta lebt in Turin und unterrichtet am Staatlichen Konservatorium für Musik in Cuneo/Piemont. Am Steingraeber & Söhne Flügel mit seinem rezvoll individuellen Klavierklang, gleichzeitig wärmer und herber als Steinway, spielt er vor der Pause die vier Chopin-Ballden und danach die Liszt-Sonate: wie neu erzählt, klavieristisch-pianistisch bestechend, technisch tadellos, mit fabelhaft guter Sicherheit, immer der musikalischen Dramaturgie dienend, nie mit leerem Tastengedonner prahlend. Sehr direkter Zugriff, auch im Poetischen. Und wieder wird deutlich: Schlägt der Pianist die ersten G-Töne an, steigt er ein in die schwindelerregende pianistische Berg- und Talfahrt, er hält das Publikum damit fest und stürzt sich selbst durch alle Paradiese und Höllen dieses Werks, wenn man es faustisch auffasst (diesmal wegen der erzählerischen Kraft umso besser mitvollziehbar) durchaus mit Faust, Mephisto (wie der immer wieder insistierend klopft!) und Gretchen. Nahezu plastisch führt Francesco Cipolletta die Konfrontationen der drei Charaktere vor, hochvirtuos, rezitativisch, verträumt, verklärt, fugatorisch, gegen Ende im Prestissimofurioso und ganz am Schluss noch einmal verklärend. Zwei Chopin-Zugaben.

    Bernhard Haas (7/1993) – Spektakuläres Orgel-Virtuosenmonstrum
    CD Fermate FER 20009
    Aufnahme: 23. und 24.7.1993, Klueker & Steinmeyer-Orgel, Tonhalle Zürich
    Spieldauer: 29:51 Minuten

    Der erste, der die Bernhard Haas Orgeltranskription der Liszt h-Moll Sonate für Tonträger einspielte (also vor Tobias Frankenreiter und Winfried Lichtscheidel), ist der Arrangeur selbst, ein 1964 geborener Organist, Hochschullehrer in München (Nachfolger von Edgar Krapp) und Musiktheoretiker, der in Köln, Freiburg und Wien studiert hat und seine Bearbeitung kühn auf CD zusammen mit einer Orgelfassung von Strawinskis Le Sacre du Printemps vorstellt. Haas geht es laut seinem Booklettext um die Farbigkeit der Vorlage, die er – man hört es erneut, hat man die Aufnahmen von Frakenreiter und Lichtscheidel noch im Ohr – orgelgerecht orchestral bis mystisch ausreizt. Das durchaus spektakuläre Orgel-Virtuosenstück das sich da zusammenfügt, wirkt gleichwohl auch hier schon vielfach (vielleicht ungewollt) etwas parodistisch. Die Aufnahmeunterschiede liegen bei den Orgelaufnahmen vor allem im Klangbild. Frankenreiters Aufnahme arbeitet ohne halligen Kirchenraumklang, bei Lichtscheidel ist dieser im offenen Raumklang umso nachklingender zu hören, und bei Haas wirkt er etwas gedämpft. Ganz im „Orgelzuhause“ scheint die Musik in den (religiös-spirituell anmutenden) Andante sostenuto Abschnitten zu sein, hier könnte man meinen, das habe Liszt für die Orgel komponiert. Insgesamt bleibt aber der Eindruck, es hier eher mit einem kuriosen Orgel-Virtuosenmonstrum zu tun zu haben, einem schillernden h-Moll Sonaten Zirkus. Eigene Orgelfassungen haben neben Haas Rachel Laurin (1997) und Benjamin Righetti (2011) auf CD veröffentlicht.

    Unter anderem zu weiteren Orgelaufnahmen morgen mehr.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Weitere persönliche Höreindrücke:

    Rachel Laurin (4/1997) – Als wäre es ein Orgelwerk
    CD Motette 12621
    Aufnahme: April 1997, Orgue Beckerath de l´Oratoire Saint-Joseph, Montréal
    Spieldauer: 35:04 Minuten

    Hat man die Haas-Orgelfassung von Liszts h-Moll Sonate im Ohr, die respektvoll versucht, ein exzeptionelles Original-Klavierwerk fürs Orgelspiel zu übertragen, was aber vielfach eher kurios anmuten mag, überrascht die 1991 von ihr erstellte und bis 1997 verfeinerte Transkription und (zusammen mit Variationen und Fuge über ein Thema von Händel von Johannes Brahms) im April 1997 mit leichtem aber nicht verschwimmendem Kirchenhall entstandene Aufnahme der 1961 in Kanada geborenen Organistin Rachel Laurin. Sie überrascht einerseits durch die noch orgelgerechtere Registrierung, die allfällig parodistisch oder zirkushaft Assoziierbares minimiert. Und sie überrascht andererseits interpretatorisch, weil Rachel Laurin mit ihrem Orgelspiel suggeriert, hier handle es sich um ein Original-Orgelwerk. Sie lässt Phrasen konsequent bis zum Ende des jeweiligen Nachhalls ausklingen, als wären es spezielle Orgelmusikphrasen und ihr präziser, differenzierter Orgelanschlag (vielfach wird bei Klavieraufnahmen über so manches hinweggespielt, was hier ganz deutlich herausgearbeitet erscheint – das Mitlesen in der Henle-Klaviernotenausgabe offenbart es) schafft es, niemals buchstabierend zu wirken, sondern immer orgelmusikalisch inspirativ. Liszts h-Moll Sonate – als wäre sie ein Orgelwerk! Im Booklet findet sich auch ein Einführungstext der Organistin.

    Benjamin Righetti (5/2011) – Faustsches Orgel-Welttheater
    CD Le Couvent K617229
    Aufnahme: Mai 2011, Goll-Orgel, Église Française (Französische Kirche), Bern
    Spieldauer: 33:06 Minuten

    Die (mindestens) dritte auf Tonträgern veröffentlichte Orgeltranskription von Liszts h-Moll Sonate nach Haas und Laurin stammt vom 1982 in der Schweiz geborenen Benjamin Righetti, für dessen eigene Aufnahme (gekoppelt auf CD mit Liszts Missa Choralis) das Technikerteam einen offenen, nicht halligen großartig die Klangfarben aufbereitenden Raumklang zur Verfügung stellt. Righetti spielt geradlinig bei spannend farbiger Registrierung, wodurch sich eine ganz frische Dramatik des Geschehens ergibt, virtuos bis zauberisch. Innerlich lassen sich da ähnlich einiger Klavieraufnahmen, durch die Orgelklangfarben aber vielleicht sogar verstärkt, ganze Faust-Inszenierungen Max Reinhardtschen Welttheaters entwerfen.

    Yvonne Loriod (1963) – Was für eine Erzmusikantin!
    13 CD Box VÉGA/Decca 4817069
    Aufnahme: Paris 1963
    Spieldauer: 28:50 Minuten

    Die französische Pianistin Yvonne Loriod, geboren 1924 in Houilles bei Paris, gestorben 2010 in Saint-Denis, studierte unter anderem bei Darius Milhaud und Olivier Messiaen, dessen zweite Ehefrau sie 1961 wurde und für dessen Werk sie sich nachhaltig einsetzte. Ihre 1963 in Paris entstandene Aufnahme der h-Moll Sonate von Franz Liszt, lange nur auf LP verfügbar, erschien erst Anfang 2019 in einer repräsentativen Würdigungs-CD Box erstmals auf CD. Yvonne Loriod überzeugt vom ersten bis zum letzten Ton mit ihrer zielstrebig-zügigen und dabei hochmusikalisch erzmusikantischen Interpretation. Die Technik ist völlig selbstverständliches Grundgerüst, wird aber nie als Selbstzweck hervorgehoben. Jedes Detail wirkt durchdacht und doch nie didaktisch betont. Alles ist immer ganz Musik in dieser ausgewogen-feinfühligen, farbigen akustischen Gestaltung der Klavierpartitur. Bei aller Bewusstheit, durchhörbaren Kontrolliertheit dieses Element des Intuitiven stets dominieren zu lassen – eine unendlich bewundernswerte Meisterleistung!

    Van Cliburn (6/1960) – Ganz und gar gelebte Musik
    10 CD Box Profil/Hänssler PH18080
    Aufnahme: Juni 1960, live im Großen Saal des Konservatoriums in Moskau
    Spieldauer: 31:31 Minuten (mit Applaus 31:47 Minuten)

    Zwei Jahre nach dem Gewinn beim ersten Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau: Sich live ganz und gar in den Sonatenkosmos begeben, mit Haut und Haaren, spielen als ob es die einzig mögliche Chance wäre, jetzt oder nie, auf Leben und Tod, um alles, den Kampf der Elemente kämpfen, alle Leidenschaft geben, exaltiert, kontemplativ, und immer wieder die großen schicksalhaften Entscheidungsfragen, wie Atréju in der „Unendlichen Geschichte“ vor den drei riesigen Toren, ungestüm losbrausen, dann wieder absolute Ruhe, energisch grimmiger Antrieb, Stillstand, alles, immer, die Sonate leben, durchleben, durchleiden, durchkämpfen – ganz und gar gelebte Musik! Eines dieser ungeheuren Livedokumente mit diesem Werk.

    Emil Gilels (1/1975) – Souveräne Reife
    5 CD Box Fondamenta FON-1803032
    Aufnahme: Live im Concertgebouw Amsterdam, 19.1.1975
    Spieldauer: 28:26 Minuten

    Hat man Aufnahmen (1949 und 1964) und Livemitschnitte (1961, 1965 und 1970) der Liszt-Sonate mit dem großen Emil Gilels in Erinnerung, ist die Erwartungshaltung vor dem Kennenlernen eines weiteren Livemitschnitts groß. 2018 erschien eine CD-Box „Gilels – The Lost Recordings“ mit bis dahin unveröffentlichten Amsterdamer Konzertaufnahmen von 1975, 1976, 1978, 1979 und 1980. Am 19.1.1975 spielte Gilels die 7 Fantasien op. 116 von Johannes Brahms, von Sergei Prokofjew aus den Visions Fugitives op. 22 1, 3, 5, 7, 8, 10, 11 und 17 sowie die nur siebeneinhalb Minuten kurze Sonate Nr. 3 a-Moll op. 28 und nach der Liszt-Sonate als Zugaben Robert Schumanns Arabesque op. 18 und Prokofjews Marsch aus „Die Liebe zu den drei Orangen“ op. 33 – alles mit höchster pianistischer Meisterschaft, in sich abgerundet, ein überlegener, völlig souveräner Gestalter, abgeklärt und reif, voller vorbildlicher Schattierungskultur. Ganz gelegentliche winzige Unsauberkeiten bei der Liszt-Sonate schmälern den unmittelbaren Liveeindruck dieser hochkonzentriert in sich geschlossenen, beeindruckenden Demonstration großen Klavierspiels des 20. Jahrhunderts in keinster Weise, machen sie allenfalls noch bewundernswerter menschlicher. Klaviermusik voller konzertanter Größe und charakterlich wie individuellem Geheimnis wird da mit jedem Ton offenbart.

    Morgen folgen die nächsten fünf Höreindrücke.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Weitere persönliche Höreindrücke:

    Valentina Lisitsa (3/2015) – Hochprofessionelle Vorführung
    Youtubekanal ValentinaLisitsa
    Aufnahme: 1.3.2015, Schaubühne Leipzig
    Spieldauer: 29:59 Minuten

    Das muss man erst mal können und leisten: Der großen youtube Gemeinde die man sich im Lauf der Jahre „erspielt“ hat neben der seit 2011 auch verstärkt forcierten CD-Aufnahmetätigkeit (für Decca) und den Konzertverpflichtungen immer wieder professionelle Aufnahmen „auch nur für youtube“ vorzulegen, die sich sehen und hören lassen. In der Leipziger Schaubühne stellte das Klavierhaus Eltze einen seiner prachtvollen vom Klavierbaumeister Gerd Finkenstein eingerichteten Flügel zur Verfügung, und Valentina Lisitsa nahm am 1.3.2015 vor Filmkameras Liszts h-Moll Sonate auf. Und zwar hochprofessionell! Man spürt sofort: Sie hat sich sehr gut darauf vorbereitet, hat das Werk total im Blick, vom ersten bis zum letzten Ton, sie weiß, wo man pianistisch effektvoll auftrumpfen kann und auf der anderen Seite romantisch auskosten, wie Hamelin oder Cherkassky kann sie sich alles aussuchen, ob sie virtuos losrast oder lyrisch zelebriert. Die Entscheidungen scheinen vorab getroffen, die Sonate wird demonstrativ vorgeführt, hergezeigt, durchaus bewusst äußerlich brillant serviert. Den Bösendorferklang mit seinem bis ins Orgelhafte vollen Nachhall kostet die vor den Filmkameras souverän routiniert wirkende Künstlerin vollblütig aus, was durch die professionelle Tontechnik die so manche CD-Aufnahme in den Schatten stellt noch verstärkt wird. So etwas „nur für youtube“ vorzulegen, ohne DVD-Veröffentlichung oder anderweitige Fernehausstrahlung (oder die klangvolle Tonspur „nur“ als Kauf-CD), ist der Entwicklung der Zeit geschuldet. Manche arbeiten ihr Leben lang auf so eine Aufnahme hin, auf youtube wird das (eine seriöse, hochprofessionelle Fernsehaufnahme eines der schwersten Werke der Klavierliteratur) genauso wie jedes banale Ulkvideo völlig belanglosen Inhalts der Masse hingeworfen. Das am 15.3.2015 veröffentlichte Video weist am 23.3.2019 immerhin 323.720 Aufrufe, 3624 Daumen rauf, 203 Daumen runter und 596 Kommentare auf. Der youtube und facebook Multiplikatoreffekt ins Gigantische verlockt zur Idee, hin zu Zeitreisen mit Aufnahmegeräten gelangen zu wollen und dann etwa den Livemitschnitt der öffentlichen Uraufführung der h-Moll Sonate in Berlin am 22.1.1857, gespielt von Hans von Bülow, der damit einen Bechstein Flügel einweihte, derart „zu verschleudern“.

    Mihai Ritivoiu (5/2017) – Pianistisch abgerundet
    CD Genuin GEN 18601
    Aufnahme: St. Peter and St. Paul Church, Chacombe, GB, 10. - 12.5.2017
    Spieldauer: 30:29 Minuten

    Der in Bukarest geborene Pianist schloss 2012 sein Klavierstudium an der dortigen Nationalen Musikuniversität ab. Auf seiner ersten CD (er betitelt sie „Transcendence“) koppelt er die Liszt Sonate unkonventionell mit César Francks Prélude, Choral et Fugue FWV 21 sowie mit George Enescus Klaviersonate op. 24/1. Ritivoiu ist einer der vielen Pianisten, die das Werk souverän in der gekonnten Balance zwischen pianistischer Technik und abgerundeter Poesie abrollen. Der Notentext wird sehr genau beachtet, ohne ins Didaktische zu fallen. Auffallend ist die ausgleichende Herangehensweise. Mihai Ritivoiu meidet am Steinway D Flügel der akustisch angenehm differenziert eingefangen ist Extreme, er rundet lieber sanft ab. Wer die Sonate schon oft gehört hat stellt einmal mehr rasch eine Berechenbarkeit fest – man weiß bald, wie es weiter laufen wird, durchschaut das Konzept, das in der Ruhe der Studioaufnahme konsequent durchgehalten werden kann, zu keinen Brüchen führt. Es gilt hier aber einmal mehr: Würde man das Werk mit dieser Aufnahme kennenlernen, wäre es wohl wie fast immer ein unbeschreiblicher Eindruck. In einem kurzen Einführungstext beschreibt der Pianist, wie er die Werke der CD sieht.

    Tamar Beraia (2/2018) – Akzente im Kontrollierten
    CD Avi-Music 85533400
    Aufnahme: 2/2018, Erholungshaus Leverkusen
    Spieldauer: 30:46 Minuten

    Auf ihrer zweiten Solo CD spielt die 1987 in Tiflis (Georgien) geborene Pianistin vor der Liszt Sonate Werke von Ludwig van Beethoven: die Eroica-Variationen op. 35 und die beiden Rondos op. 51. In ihrem persönlichen Einführungstext im Booklet beschreibt sie die Sonate als Einpersonenstück, und sie schließt sich den faustischen Sichtweisen an. Hat man etwa Mihau Ritivoius´ kurz davor eingespielte Aufnahme im Ohr, fällt wieder auf, wie perfekt ausbalanciert der Standard einer Interpretation 2017/18 sein muss. Das Technische hat wie selbstverständlich absolut beherrscht zu werden, der Notentext scheint bis in winzigste Details durchleuchtet, die Anschlagskultur muss bewundernswert differenziert sein, und die Gesamtanlage, die große Linie wie die kleinen Bögen, behält man stets vollkommen im Blick. Im Vergleich zu Ritivoiu akzentuiert und pointiert Tamar Beraia aber sehr stark. Gleichwohl bleibt spürbar, dass es sich um bewusste Entscheidungen handelt, jeder Akzent wirkt wohlüberlegt und durchdacht. Die Kontrolle wird nie gelöst.

    Leon Fleisher (10/1959) – Einmalig dämonisch
    2 CDs Philips 456 775-2
    Aufnahme: 10/1959
    Spieldauer: 27:51 Minuten

    Der 1928 in San Francisco geborene Pianist und Dirigent Leon Fleisher, ein Arthur Schnabel Schüler, konnte wegen fokaler Dystonie ab Mitte der 60er Jahre etwa 30 Jahre lang nur mit der linken Hand Klavier spielen und als Lehrer arbeiten. Er unterrichtete unter anderem Jonathan Biss, Yefim Bronfman, Naida Cole, Hélène Grimaud, Margarita Höhenrieder, Louis Lortie und André Watts. Fleisher gelingt es in seiner 1959 entstandenen Einspielung, eine dieser „Jahrhundert-Aufnahmen“ der Sonate mit sofortigem Wiedererkennungswert vorzulegen. Das Virtuose spielt er grimmig straight ahead, trocken und streng, mit ungeheurer technischer Präzision und unheimlicher kerzengerader Wildheit. Im Rezitativischen und Poetischen gibt sich eine differenzierte Farbenpracht wie selbstverständlich als innigst große Musik ausbreitende Seele preis. So geht große Musik, absolut einmalig interpretiert. Diese Aufnahme hat etwas Unheimliches, Dämonisches, völlig Unbegreifliches.

    Ya-Fei Chuang (7/2016) – Die Formel 1 hat etwas zu sagen
    2 CDs Le Palais de Dégustateurs PDD016
    Aufnahme: 21. bis 24.7.2016, Salle Colonne, Paris (Liszt)
    Spieldauer: 30:05 Minuten

    Die große Linie der Sonatenaufnahme der aus Taiwan stammenden Pianistin (sie konzertiert unter anderem im Klavierduo mit ihrem Ehemann, dem US-amerikanischen Pianisten und Musikwissenschaftler Robert D. Levin) ist eine pianistisch meisterhafte geradlinige, in sich abgerundet und erstaunlich kraftvoll. Das Virtuose entspricht dabei dem im neuen Jahrtausend erwarteten schwindelerregend und atemberaubend souveränen punktgenauen „Formel 1 Modus“ der Superperfektion. Hochmusikalisch aufhorchen lässt daneben alles Rezitativische und Poetische, denn da hat die Pianistin durchaus sehr Persönliches zu sagen, mit dem man die Sonate wieder einmal ganz neu, um feine Schattierungen bereichert, hören kann. Auf der Doppel CD finden sich neben Liszts h-Moll Sonate von Chopin die Preludes op. 28 und die Sonate Nr. 3 op. 58 sowie von Liszt die Hymne de la Nuit, die Funerailles, die 6 Consolations und Schubert/Liszts Auf dem Wasser zu singen.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • In den nächsten Tagen folgen hier einige weitere persönliche Höreindrücke.

    Lucille Chung (4/2017) – Ganz normaler Superstandard mit Pedal
    CD Signum Records SIGCD533
    Aufnahme: 14. bis 16.4.2017, Saffron Hall, Saffron Walden, Essex (UK)
    Spieldauer: 30:39 Minuten

    Lucille Chung stammt aus Montreal und hat unter anderem bei Lazar Berman studiert. Die Pianistin tritt auch im Klavierduo mit ihrem Ehemann Alessio Bax auf. Die h-Moll Sonate schließt ihre knapp über 70 Minuten lange Liszt CD ab, davor (und nicht wie etwa bei Pollini und Zimerman danach) hört man auch (noch) weniger gespielte kurze Spätwerke des Komponisten – Toccata S 197a, Unstern! Sinistre, disastro S 208, Wiegenlied S 198, Bagatelle sans tonalité S 216a, Abschied S 251 (Russisches Volkslied), Resignazione S 187a, Schlaflos! Frage und Antwort S 203, Im Traum S 207 und Nuages gris (Trübe Wolken) S 199 – sowie (wie übrigens etwa auch bei Oleg Marshew) die Klavierfassung des Gretchen-Satzes aus der Faust-Symphonie. Das verlockt, nicht nur die Sonate, sondern gleich die ganze CD als mögliches Konzeptalbum durchzuhören. Vielfach werden um die Sonate ja weitere „Liszt Hits“ gestellt, mit der Konzentration des ersten Teils aufs teilweise sperrige und fragmentarische Spätwerk lässt die Pianistin schon einmal originell alternativ aufhorchen. Die ganze CD entpuppt sich dann aber mehr als Präsentation eines kühlen, klaren, dem neuen Jahrtausend entsprechenden selbstverständlich perfektionistischen Klavierspiels, technisch im erwarteten kalkulierbaren Superstandard, pianistisch Impulsives bewusst effektvoll bis brillant einsetzend, dazu bei der Sonate stark auf Klänge etwas verschwimmen lassenden Pedaleinsatz setzend, dies als doch besondere Note der Aufnahme herausstreichbar.

    Dimitrij Romanov (5/2019) – Mut und Chuzpe
    Live in der Aula des Christoph-Probst-Gymnasiums Gilching, 25.5.2019
    Spieldauer nicht mitgestoppt

    Das Kunstforum Gilching e.V. lud am 25.5.2019 in der Aula des Christoph-Probst-Gymnasiums Gilching zu einer Benefizveranstaltung zugunsten der Nachbarschaftshilfe Wörthsee e.V. mit einer Klaviergeschichte mit Kindern, Jugendballett, Kammermusik, Kunstlied, Soloklaviervortrag und einem Jazzduo. Die Veranstaltung war recht gut besucht. Der 1982 in Moskau geborene Pianist und Komponist Dimitrij Romanov - er zog 1997 nach München, ist seit 2010 im dortigen Pianistenclub verankert und seit 2014 Ballett-Korrepetitor an der Hochschule und hat das Werk davor am 22.6.2017 in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie am 20.1.2019 im Kurhaus am Park in Isny (Allgäu) öffentlich gespielt - warf sich im vorletzten Programmpunkt des Benefizabends am Steinway Flügel erstaunlich mutig, impulsiv und voll auf Risiko gehend in die gewaltige halbe Stunde der Sonate. Er hatte den Mut und die Chuzpe, allen Effekt hochvirtuos auszukosten und sich aber auch Zeit zu nehmen für das ganz große Geheimnis des Werks. Erleben konnte man gelebte Musik, nicht die abgesicherte Wiedergabe von Abrufbarem, sondern auch verblüffend gekonnt jeder Klavieraugenblick als entscheidend und wegweisend und ganz im Jetzt, als große Klaviermusik die es nur in diesen Momenten gibt erspielt. Selbst wenn man das Werk durchgehend antizipierend kennt, immer zu wissen glaubt was kommen muss – Romanov verblüffte mit spontan wirkenden Schattierungen genauso wie mit stets präsenter Energie, sodass man gebannt von ersten bis zum letzten Ton mitfiebern konnte.

    Morgen geht´s weiter, mit einer weiteren dieser unglaublichen "Jahrhundertaufnahmen". Wer will (und vielleicht alle noch nicht Genannten im Blick hat) kann sich ja bis dahin auf die Suche machen, welche hier noch fehlt. ;)

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Ein weiterer persönlicher Höreindruck:

    John Ogdon (4/1964) – War auch "dort"

    17 CD Box EMI 50999 7 04637 2 9
    Aufnahme: 24.4.1964, No. 1 Studio, Abbey Road, London
    Spieldauer: 31:02 Minuten

    Es gibt diese Aufnahmen, bei denen man sofort mit den ersten Tönen spürt: Das wird außergewöhnlich, da tut sich hochmusikalisch Exzeptionelles auf. John Ogdons Aufnahme der Liszt-Sonate ist so eine, die hat etwas einmalig Existenzialistisches. Der 1937 in Mansfield Woodhouse (Nottinghamshire) geborene Ogdon, eine staunenswert exorbitante pianistische Hochbegabung, erlitt leider 1973 einen schizophrenen Zusammenbruch (auch sein Vater hatte diese Erkrankung) und konnte danach einige Jahre nur unterrichten, ehe er seine Konzerttätigkeit wieder aufnahm. 1989 starb er mit nur 52 Jahren an einer Lungenentzündung. Im Virtuosen geht es bei Ogdons Sonateninterpretation grimmig und wild zu, da geht es um alles, schon das hat die Aura des Außergewöhnlichen. Markant sind Ogdons vielfach spitze, trockene Abschwünge. Wenn dann das erste Rezitativ einsetzt wird es erst recht unheimlich, und das setzt sich im Poetischen fort. Ogdon zaubert eine unbeschreibliche Balance zwischen Hölle und Himmel hin, dämonisch, unfasslich. Weltabgewandt, dann wieder auf der Hochschaubahn, auch mit "mysteriösem" Pedaleinsatz schattiert - dieses Klavierspiel erscheint so wie Mozart komponiert, unbegreiflich universell. Das ist auch eine der Aufnahmen, deren Konzept sich nicht spätestens nach dem ersten Drittel als durchschaubar erschöpft. Das ist vielmehr Spannung pur vom ersten bis zum letzten Ton, weihevoll ohne Kitsch, brillant aufregend ohne klotzenden Oberflächenglanz, Jüngstes Gericht und Urknall. So ganzheitlich tief drin in Liszts Sonate sind die Allerwenigsten.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Und noch ein persönlicher Höreindruck:

    Tedd Joselson (12/1974) – Sorgfältig modelliert

    6 CD Box RCA Red Seal/Sony 19075903272
    Aufnahme: 16. und 17.12.1974, RCA Studio A, New York City
    Spieldauer: 29.30 Minuten


    2019 veröffentlichte Sony eine 6 CD-Box mit den 1973 bis 1978 entstandenen RCA-Aufnahmen des am 4.10.1954 in Antwerpen geborenen, aber in New York City aufgewachsenen Pianisten Tedd Joselson – vor allem Prokofjew ist da zu hören, aber auch die h-Moll Sonate von Liszt. Joselson spielt die Sonate aus innerer Ruhe heraus pianistisch brillant. Sehr sorgfältig modelliert und schattiert er dabei, die Charaktere, die kleinen wie großen Bögen, der ganze Zusammenhang werden verdeutlicht, aber nie didaktisch buchstabiert. Es bleibt alles in allem eine hochkonzentriert in sich geschlossene, stringente pianistische, ungleich mehr ausgleichende als vordergründig dämonische Interpretation.

    Morgen dann wieder mal was Ungewöhnlicheres.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Und hier also noch einer:

    Sivan Silver und Gil Garburg (6/2018) – Vierarmige Totaleinheit

    CD Berlin Classics 0301192BC
    Aufnahme: Sendesaal Bremen, 17. bis 20.6.2018
    Spieldauer: 29:00 Minuten

    Das aus Israel stammende Silver Garburg Duo (es hat 2007 das Studium in Hannover abgeschlossen und seit 2014 eine Klavierduo-Professur in Graz) legt nach der „Pionierarbeit“ der Bostoner Brüder Paratore (Studioaufnahme 2007 und Liveaufnahme 2011) und der feurigen weiteren Aufnahme von Berlinskaya/Ancelle (2016) eine neue Alternative vor, was die 1914 von Camille Saint-Saëns erstellte Fassung der Sonate für zwei Klaviere betrifft. Saint-Saëns verteilt hier den technisch anspruchsvollen Klavierpart, ihn nur marginalst modifizierend, auf die vier Hände. Dadurch ergibt sich bei Aufnahmen ein reizvoller „anderer“ Stereoton für das Werk. Silver und Garburg legen eine vollkommen in sich geschlossene, perfekt aufeinander abgestimmte, harmonisierende, ausgleichende, sehr runde und flüssig dahinlaufende Aufnahme vor. Die Akzentuierungen wirken durchdacht und fördern das Abrundende. Im Rezitativischen neigt das Geschehen etwas zum Demonstrativen. Im Bestreben akustisch „wie eine Person“ zu erscheinen, als spielte nur ein Mensch mit vier Händen, als schwebte eine Krake mit vier Armen über dem Klavier die alles total kontrolliert zu steuern versteht, wird das Konzept konsequent durchgezogen. Als erste spielen Silver/Garburg in den Schlussabstiegen das auffallende D (aus der Saint-Saëns Notenausgabe) gegenüber Liszts Original-Dis, das bei den Paratore-Brüdern und bei Berlinskaya/Ancelle doch den Vorzug erhielt. Die „Illumination“ betitelte CD füllt die Spielzeit mit zwei Debussy-Bearbeitungen für zwei Klaviere, von Robert Schumanns 6 Studien in kanonischer Form op.56 sowie von Saint-Saëns´ konzertgriffigerem Introduction et Rondo capriccioso op. 28.

    Morgen geht´s weiter, diesmal wieder zweihändig.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Morgen geht´s weiter, diesmal wieder zweihändig.

    Gibt es keine Version für Paul Wittgenstein ? - Danke Dir für Deine 2- und 4 händigen Betrachtungen , ich profitiere davon und weiß den Aufwand zu schätzen !

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Dank gerne zurück, beruht auf Gegenseitigkeit, viele sehr interessante Aufnahmehinweise in diesem Forum vor allem jenseits des Mainstreams. :top:
    Eine Version der Sonate für linke Hand alleine wäre schon interessant, auch eine für Gitarre solo, kann auch E-Gitarre sein, so wie das hier . ;)

    Hier also noch ein weiterer persönlicher Höreindruck, dieses unglaublich oft aufgenommene vielschichtige und hochvirtuose Werk betreffend:

    Martin Ivanov (10/2018) – Gewaltiges Etüdenintermezzo mit persönlicher Note

    CD Gramola 99192
    Aufnahme: 15. und 16.10.2018, Studio Wavegarden, Mitterrutzback (Niederösterreich)
    Spieldauer: 27:50 Minuten

    Der 1990 in Plovdiv (Bulgarien) geborene Pianist - er studierte unter anderem in Wien bei Oleg Maisenberg und Stefan Vladar - bettet Liszts h-Moll Sonate in Liszts Konzertetüden S 145 Nr. 1-2 (davor) und die Grandes études de Paganini S 141 Nr. 1-6 (danach) ein. Rasch ist Ivanovs Interpretation der Sonate am akustisch großartig eingefangenen vollklanglichen Steinway Flügel als durchdacht und konzipiert durchschaubar. Der Grundduktus ist das straight ahead Durchfließende, mit einer besonderen Note einer speziellen Bewusstheit, einer Dezidiertheit. Obwohl die Spieldauer 27:50 Minuten nahelegt dies sei ein virtuoses Durchrauschen, haben viele von anderen drauflossausend angegangene Passagen etwas ganz eigen Retardierendes, das aus einer Ruhe kommt, aus der es gerade so gesetzt wird, dass es nicht wie ein allzu deutliches Belehren wirkt. Dafür verblüfft der Pianist etwa zu Beginn des "religiösen 2. Satz-Abschnitts" mit einer Guldaschen Linearität, die man sonst auch nicht so gewohnt ist. Insgesamt eine gute Mainstreamaufnahme mit markanter persönlicher Note.

    Und morgen folgt wenn alles klappt wieder ein ganz Großer hier - eine von Mauerblümchen neulich an anderem Ort dieses Forums erwähnte Aufnahme, die mir noch gefehlt hatte.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Ein weiterer persönlicher Höreindruck:

    Claudio Arrau (6/1985) – Die weise Erzählung

    6 CDs Decca 480 5090
    Aufnahme: Juni 1985, La chaux-de-Fonds (Schweiz)
    Spieldauer: 32:03 Minuten

    So weit muss man erst mal kommen: Mit 82 Jahren mit trockenem Anschlag vollendet weise Klavier spielen zu können und zu wollen, ohne auch nur den Funken einer überlegenen Arroganz mitschwingen zu lassen. Eine altbekannte Klaviererzählung (die Faust Geschichte?), die man selbst bereits mehrfach unvergleichlich erzählt hat, mit der ganzen Lebenserfahrung wieder völlig neu lebendig zu machen. Neue Akzente zu setzen und sich dabei aber nie mutwillig in den Vordergrund zu drängen. Die technisch selbstverständlich erscheinende genauso wie die musikalisch spirituelle Souveränität ausschließlich im Dienst der großen, weisen Erzählung einzusetzen. Man verneigt sich in Ehrfurcht und Demut vor einem der allergrößten Jahrhundertpianisten und seiner Lebensleistung - allein was seine Aufnahmen dieses Werks betrifft.

    Dank an Mauerblümchen für den indirekten Anstoß zu dieser Aufnahme! :top:
    Und wenn alles klappt geht es morgen mit einem dieser vielen großen Russen weiter.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Und noch ein persönlicher Höreindruck:

    Dmitri Alexeyev (1977) – Linear virtuos und geheimnisvoll

    CD Mezhdunarodnaya Kniga MK 417071
    Aufnahme: Moskau 1977
    Spiedauer: 29:23 Minuten

    Discogs Link

    Die Aura herausragender russischer Aufnahmen wird auch hier sofort spürbar. So linear und stupend virtuos wie der 1947 in Moskau geborene Pianist die Sonate spielt, strahlt sie eine erhabene, ja einmal mehr überwältigende Größe aus. Dabei verblüfft die fast lapidare Selbstverständlichkeit des unheimlich natürlich beseelten Geheimnisses im Rezitativischen und Poetischen genauso wie die dramatische Stringenz des Hochvirtuosen, die Detailschattierungen wie den großen Bogen immer im Blick behält. Die CD wird mit späteren Moskauer Liveaufnahmen anderer Liszt-Werke ergänzt.

    Weiter geht´s vielleicht noch in diesem Jahrtausend.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Vielen Dank für diesen Thread, Alexander. Ebenso an alle anderen, die sich beteiligt haben und es hoffentlich weiterhin ab und zu tun werden.
    Ich hoffe, dass zu diesen Corona-Zeiten unser Forum sich auch als eine virtuelle Ewige Flamme verstehen kann, mit der wir die Erinnerung an unsere unschätzbar wertvolle Kunst und Kultur aufrechterhalten wollen. Deshalb werde ich hier nun versuchen etwas ganz und gar Subjektives beizutragen.

    Ich kann es nicht erklären, aber diese Sonate hat es mir angetan, wie kaum ein anderes Werk es zu einem anderen Zeitpunkt getan hätte. Ich habe in den letzten Wochen einige Versionen angehört und verglichen. Angefangen hat es mit Ernst Levy. Interessanterweise bleibt dies auch meine Lieblingsaufnahme, zusammen mit Igor Zhukovs Live Aufnahme von 1970 , zu hören auf YT. Liebe auf den ersten Blick, sozusagen. Im Nachhinein bestätigt mich das in meiner Tendenz spontane Sympathien zu würdigen und mich darauf verlassen zu können. Ich hatte - wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht – keine andere Aufnahme vorher gehört; ich kannte diese Sonate gar nicht.

    Inzwischen kenne ich 2x Gilels, Richter, Arrau, Berman, Argerich, Horowitz, Jacqinot, Pogorelich, Fischer, Bolet, Brendel, Wang, Razumovskaya, Levy und Zhukov. Und wenn nichts dazwischen kommt, werde ich mir noch andere anhören.

    Keine dieser Aufnahmen ist auf irgendeine Weise schlecht, im Gegenteil; alle sind ernsthafte Versuche diesem wundervollen Werk gerecht zu werden. Versuche sind es alle, denn perfekt ist keine dieser Aufnahmen, allein schon pianistisch nicht, es gibt bei allen split notes, verschluckte oder ganz falsche Noten. Mir ist dies allerdings um so sympatischer, denn es passt für mich sehr zu dieser Sonate, sich der perfekten Wiedergabe nur annähern zu können, aber sie nie zu erreichen. Beinahe möchte ich sagen, dass eine perfekte Wiedergabe dem von mir empfundenen "Inhalt" 180 Grad entgegen stehen würde. Wie oft bei Liszt wäre es das Werk des Teufels und nicht eines Menschen. Und nur um bei diesem Bild zu bleiben: Falls man so empfinden möchte, ist Gott, oder seine Perfektion, nur potentiell in der Komposition zu finden, nicht in der Art der Wiedergabe.

    In diesem Sinne sind also meine beiden Favoriten nicht als die pianistisch perfekten Interpreten zu verstehen. Weit davon entfernt, denn Zhukov haut im Eifer des Gefechts mehrmals gewaltig daneben und auch Levys Version hat hier und da eine split note oder auch verschluckte Noten.

    Die ersten 3 Minuten erscheinen mir besonders schwierig zu sein. Sie sollten musikalisch so verständlich gestaltet werden, dass sie im Grandioso eine Art rauschende Erleichterung finden können. Bei mehreren der Pianisten in meiner Liste oben sind genau diese ersten Minuten die unbefreidigendsten. Paradoxerweise sind es aber jene, die die ersten 3 Minuten auf ersten Blick äusserst gelungen vortragen, die mich danach musikalisch nicht mehr so ansprechen wie es Levy und Zhukov tun. Zu nennen wären hier zB Brendel (sehr souverän), Yuja Wang und beinahe auch Argerich; sie bringen eine sehr gelungene Eröffnung, können dann aber im weiteren Verlauf meine Begeisterung nicht halten. Brendel ist mir zu intellektuell kontrolliert, Wang macht mir zu sehr „jugendlich - Rachmaninov“ und zu wenig „Alters- Liszt“, Argerich ist mir teils zu wenig frei. (Brendel erscheint mir aber insgesamt äusserst souverän.)

    Ein weiteres Problem scheint für mich bei vielen der Pianisten auf meiner Liste das Fugato zu sein. Es ist mir entweder zu leicht und flott gespielt, als ob man schnell davon wegkommen möchte, damit man sich wieder der überbordenden Romantik hingeben kann (zB Jacquinot, Fischer); oder es ist zu theoretisch intellektuell: "schau, ein Fugato !" (zB Pogorelich); oder aber zu romantisch gespielt, als ob man sich damit über das musikalische Rätsel dieses Fugatos hinweghelfen möchte (zB Levy). Brendel spielt es für mich als Mischung aller dieser drei Möglichkeiten und trifft es deshalb sehr viel besser, denn es wirkt auf mich nicht als Stilbruch, sondern ist wunderbar integriert in den Rest der Sonate.

    Für mich ist das gelungendste Fugato bei Zhukov zu finden; das einzige, was mich wirklich überzeugt, (wie auch der Rest seiner Darbietung). Warum? Mir kommt es vor, als ob er sich vollkommen darauf einlässt und nicht versucht es intellektuell zu rechtfertigen oder darüber wegzuhuschen. Seine Stimmführung ist vollkommen; man verliert nie das Thema aus den Augen. Seine minimalsten Phrasierungen sind vollkommen; ab der ersten Note des Fugato wird das Thema, bzw die melodische Linie sehr feinfühlig gestaltet, ohne maniriert zu wirken. Ihr werden dadurch der Respekt erwiesen, den sie bei keiner anderen Aufnahme bekommen. Im weiteren Verlauf kommen extreme Betonungen, Artikulationen und Lautstärken hinzu. Diese würdigen genau den teuflischen, sabotierenden Charakter der sich nur sehr flüchtig momentan auflösenden Dissonanzen. Man wartet im Grunde viele Minuten lang auf das erlösende Ende, welches eine nette Kadenz in Dur bringen würde. Zhukov hat diese kein-Ende-findende Frustration meiner Meinung nach am glaubhaftesten präsentiert. Im Grunde ist es eine Qual, sein Fugato; er nimmt den Hörer äusserst unbarmherzig in die Mangel. Eventuell ein philosophisch interessanter Aspekt.....das Fugato in dieser Sonate als Repräsentation der vielen Facetten der nicht-zu-entkommenden Human Condition: wie man es dreht und wendet, man rennt sich als Mensch immer wieder den Schädel an derselben Stelle ein.

    Dies bringt mich zu Ernst Levy, denn er ist für mich derjenige, der die 5 (?) Versionen des Grandioso Themas wunderbar gelungen der Situation anpasst, aus der es sich entwickelt. Man höre es sich am Ende des Fugato an; dieser Moment alleine macht Levys Version eine der besten für mich; die Wirkung kommt natürlich nur einher, wenn man sich das Fugato vorher auch antut. Ein anderes Beispiel ist how he makes you want the first Grandioso. Glorious.

    Ansonsten ist für mich Levy derjenige, der mir Lizsts Komposition am nächsten bringt. Wenn ich seine Version anhöre, dann meine ich mir wird mit jeder Note eine Geschichte von Liszt erzählt.

    Wenn Zhukov spielt, dann meine ich Zhukovs Geschichte zu hören, anhand von Liszt.
    Er bringt damit für mich eine weitere Ebene hinein - wahrlich die, des Thread Titels: eine Reise ins Ich. Es gibt für mich wenige Aufnahmen, in denen sich ein Künstler als Mensch auf der Bühne solche Blössen gibt, wie Zhukov es hier tut. Er geht aufs Ganze. Er macht nichts so, weil „man es so zu tun hat“. Er versteckt nichts, und er versucht nichts zu rechtfertigen oder zu verschönen. Weil er mir erlaubt seine Schwächen auf irgendeiner Ebene zu erahnen und dadurch dorthin "mitzureisen", macht ihn genau das Entblössen seiner Schwächen zum Sieger.

    Diese Version, die man hier hören kann, ist für mich die schönste.
    https://www.youtube.com/watch?v=sFXKKPctuh8&t=465s

  • Hier sind zwei Live-Aufnahmen mit Mariam Batsashvili. Die eine 2014 während des Liszt Wettbewerbs in Utrecht aufgenommen, die zweite 2 Jahre später, nicht unter Wettbewerbsbedingungen. Ich hatte das Glück die Pianistin schon zweimal im Konzert zu erleben, vielleicht mag ich deshalb die Aufnahmen.

    2014 (nach 7.29 Min) Liszt Concours Utrecht

    https://www.youtube.com/watch?v=9HQDpQ5GF4k

    2016

    https://www.youtube.com/watch?v=9pHeVHN72bY 2016

  • Hier sind zwei Live-Aufnahmen mit Mariam Batsashvili.

    Vielen Dank, Abendroth, ich habe mir die erste mit Interesse angehört. Selbstverständlich könnte ich selber diese Sonate überhaupt nicht spielen und so respektiere und erkenne ich jeden Versuch an, sie einzustudieren und sie öffentlich vorzutragen.
    Allerdings ist dieser Vortrag für mich in vieler Hinsicht in seiner Qualität nicht ausreichend genug, um ihn auch nur einigermassen geniessen zu können. Das Problem für mich ist, dass Frau Batsashvili diese Sonate pianistisch dann doch zu wenig beherrscht. Ich meine sie hat Angst vor ihr und man merkt es. Ich sagte zwar, dass mir Fehler nichts ausmachen und sie sogar irgendwie zu dem Stück passen, aber es gibt auch hier eine Toleranzschwelle für mich. The pianist has to be on top of the piece on some significant level. Das ist Frau Batsashvili nicht, weder technisch noch musikalisch. Weil sie sie technisch nicht beherrscht, sich also über meiner Toleranzschwelle befindet, kann sie für mich die Musik nicht annähernd genug befördern. Um so mehr, als dass mich die einfacheren, leisen, gesanglichen Stellen auch nicht mitnehmen, denn ihr Anschlag ist mir zu apologetic, nicht selbstbewusst genug und zu flüchtig. Leise spielen heisst für mich nicht, dass man sich jedesmal im Säuseln verlieren kann. Unter dem Strich ist es mir leider nicht professionell genug.

    Aber dennoch vielen Dank, es ist immer interessant. Ich höre mir die spätere Aufnahme auch noch an. Eventuell ist ja dort alles anders.

  • Vielen Dank für deinen interessanten Kommentar, Rosamunde. Ich bin mit der h-moll Sonate nicht so vertraut oder verwachsen, dass ich mir ein glaubwürdiges Urteil zutraue. Obwohl ich deine Bedenken verstehe und teils nachvollziehen kann, finde ich trotzdem Gefallen an der Aufnahme. (Ich kann nicht alles nachvollziehen, weil ich die Sonate nicht so im Detail kenne). Meine Toleranzschwelle ist offensichtlich niedriger, was ja nicht weiter schlimm ist. Und du hast gewiss recht, aus den gesanglich, leisen Stellen hätte sie mehr machen können. Aber vielleicht hat die Aufnahme gerade deshalb ihren Reiz, "weil sie Angst vor ihr hat". Jedenfalls hat sie damals den ersten Preis gewonnen, - zugegeben, Brendel hat nicht teilgenommen. Inzwischen hat die in Weimar lebende Georgierin einen Vertrag mit der Decca.
    Hier läuft gerade eine CD aus der diapason d'Or Reihe, auf der Arrau (Toronto 1977), Simon Barere (Carnegie Hall 1947) und Horowitz (London 1932) die Sonate spielen.

  • Das Problem für mich ist, dass Frau Batsashvili diese Sonate pianistisch dann doch zu wenig beherrscht. Ich meine sie hat Angst vor ihr und man merkt es.

    Eigentlich erstaunlich, denn sie hat 2014 den 10. Liszt-Wettbewerb in Utrecht gewonnen. Allerdings, wenn man sich die Liste der Preisträger der letzen Jahrzehnte anschaut, muss zumindest ich :versteck1: bis 1999 zurückgehen, um einen Namen zu finden, der mir etwas sagt: Yundi Li. Dessen Aufnahme der Liszt-Sonate habe ich sogar mal geschenkt bekommen und wenn ich recht erinnere, gefiel sie mir gut.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Ja, ich verstehe Eure Einwände gut.
    Für private Hörer oder Konzertpublikum ist es natürlich nur wichtig, dass es gefällt.
    Ich möchte auch nochmal betonen, dass ich nur von dieser einen Aufnahme spreche, von nichts anderem. Eventuell wäre mein Eindruck bei anderen Dingen ein viel überzeugterer.

    Ich kann zum Wettbewerb nichts weiter sagen, ausser, dass sie auch andere Runden und andere Stücke gespielt haben muss. Vielleicht waren diese sehr überzeugend.
    Wenn die anderen Teilnehmer die Sonate noch weniger souverän gespielt haben, dann ist ja damit ziemlich viel erklärt. Aber eine Jury muss einen 1. Preis auch nicht vergeben, oder ist das bei diesem Wettbewerb so?

    Ich selber, als Privatperson mit rudimentär musikalischer Vorbildung, möchte mir aber weiterhin vorbehalten nicht alles Top Sahne zu finden und es auch öffentlich zu sagen, so lange ich es einigermassen respektvoll tue. Denn ansonsten könnte man es nicht ernstnehmen, wenn ich etwas in den Himmel hoch lobe. So ungefähr denke ich

    Ihren Decca Vertrag gönne ich ihr selbstverständlich und hoffe, dass sie weiterhin pianistisch arbeitet und Freude und Erfolg dabei findet.

    EDIT:
    Im übrigen ist dieses Forum ja auch dazu da, dass ein Leser sich orientieren kann und dann eine eigene Meinung bilden. Deshalb ist es so wichtig, dass sich immer auch Gegenstimmen melden, oder andere Eindrücke zur selben Sache geschildert werden.

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