Franz Liszt – "der irrende Ritter aller möglichen Orden"

  • Eine der vielen Facetten der schillernden Persönlichkeit Franz Liszt ist sein wirklich enormer Einsatz für die Werke anderer Komponisten. Es ist wohl ohne Beispiel, dass ein Tonsetzer sich so vehement für die Verbreitung der Werke anderer Kollegen stark gemacht hat wie eben Liszt. Sein Ruhm als Pianist und Komponist ermöglichte es ihm, auch finanziell sehr freigiebig zu sein. Er trug gut ein Fünftel der beträchtlichen Kosten für das Bonner Beethoven-Denkmal und unterstützte begabte junge Musiker mit großzügigen Spenden.

    Man mag es heute kaum noch nachvollziehen können, aber im 19. Jh. dürften die Liszt'schen Klaviertranskriptionen der Beethoven-Sinfonien zu deren Verbreitung und Popularisierung ganz erheblich beigetragen haben. Die Bearbeitung von Auszügen aus Wagner-Opern für Klavier waren gewiß auch eine willkommene Förderung für das Werk von Richardl I. Mittels Klavierbearbeitung verbreitete Liszt des Weiteren auch Werke von Schubert, Weber, Auber, Draeseke, Bülow, Cornelius, Erkel u.a. Für Mendelssohn, Chopin und Schumann setzte sich Liszt ebenfalls sehr ein.

    Auch Hector Berlioz erfreute sich der Bewunderung durch Franz Liszt, der eine Klaviertranskription der Symphonie Fantastique fertigte, die noch raffinierter ist als die Bearbeitung der Beethoven-Sinfonien. Ich kann die Einspielung von Todd Crow, die auch Liszts eigene Fantasie über Berlioz' "Idée fixe" enthält, nur nachdrücklich empfehlen. Neugierig bin ich auch auf die Liszt'sche Klavierfassung von "Harold en Italie", die ich aber bislang noch nicht hören konnte.

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Es gibt sicherlich auch 'ne Menge an Musikliebhabern, welche Liszt nicht das Wasser reichen können, Ihn aber runtermachen.
    Und das zu Unrecht!

    Hallo Michael,

    diesen Satz habe ich nun wirklich mit einem gewissen Schmunzeln gelesen. Wer bitteschön kann schon Liszt das Wasser reichen? Muß man Liszt das Wasser reichen können, um ihn zu kritisieren? Außerdem geht es in erster Linie gar nicht um Kritik, sondern um Hörerfahrungen. Den Totentanz höre ich mir jedenfalls noch mal an und auch der Orpheus scheint ja recht interessant zu sein.

    Gruß Malcolm

    Der Hedonismus ist die dümmste aller Weltanschauungen und die klügste aller Maximen.

  • Gibt es denn explizite Äußerungen, die darauf schließen lassen, dass Liszt bewusst einen traditionellen Werkbegriff negierte und ein work in progress dagegensetzte. Ich bin hier skeptisch, weil meinem Eindruck nach in der Musik der "Werkbegriff" im Sinne eines endgültigen und ewigen Werks sich ja im 19. Jhd. erst zu festigen beginnt.

    Ist das bei Liszt nicht vielleicht eher die Fortsetzung einer Tradition, die Musik als jederzeit offen gegenüber Bearbeitungen, Ergänzungen, Anpassung an neue oder andere Aufführungsgegebenheiten versteht? Das passte jedenfalls auch gut zu der bei Liszt (sowie auch zahlreichen heute mehr oder minder vergessenen Zeitgenossen wie Herz, Thalberg usw.) bestehenden Identität von Komponist/Arrangeur und Interpret. Mein Eindruck ist, dass man hier vielleicht dazu neigt, aus einer mehr oder minder traditionellen Praxis auf einen theoretischen Überbau zu schließen, der heuer eben en vogue ist.
    Da der emphatische Werkbegriff meines Wissens in der Musik die gesamte klassische Moderne noch prägt, hat sich Liszt, gleich ob er diesbezüglich extrem fortschrittlich oder rückwärtsgewandt war, jedenfalls erst einmal nicht durchgesetzt.
    Die andere Frage wäre natürlich, ob nicht etliche der Alternativfassungen eigener Werke doch als "Verbesserung" gedacht waren. Bruckner unterstellt wohl kaum jemand aufgrund seiner Obsession mit dem Überarbeiten einen offenen Werkbegriff, im Gegenteil eher ein Streben nach Perfektion.

    Ohne die Orchesterwerke von Liszt näher zu kennen, finde ich die zitierte Kritik von Strauss einseitig und bezüglich Weber oder Berlioz nicht gerechtfertigt (und für moch rein vom Klangerlebnis auch nur schwer nachvollziehbar). Selbst wenn letztere vermutlich auch gegenüber Beethoven nicht gut abschneiden, was interessante Mittelstimmen betrifft, wären Schubert, Beethoven, Schumann jedenfalls geeignetere Vergleichspunkte (für Weber und auch den jungen Berlioz) als der reife Wagner in Tristan oder Meistersingern. Und ob Holländer und Tannhäuser den Strausschen Kriterien genügen, scheint mir auch nicht sicher.

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ähnlich wie viele Rockmusik fand ich diesen Mazeppa "nicht unfetzig", aber es war sozusagen ziemlich schnuppe wo ich ein- und wo ich aussteige, und immer wenn das mit Musik passiert verfehlt sie m. E. ihren größten Punkt, nämlich "Zeit zum Raum" zu machen.


    Das ist eine Frage, wie wichtig einem die Form ist, die ja gewissermaßen das Zeitgerüst beschreibt... Musik, die von egal welchem Einstieg aus funktioniert, hat immerhin schon mal das für sich, daß sie zu fesseln vermag...

    Trotzdem wundert es mich, dass hier bei den sinfonischen Dichtungen alle immer Les Préludes nennen - ich finde ja Prometheus noch interessanter.

    Das liegt an der Bekanntheit... aber danke für die Anregung, werde mal dem Prometheus mein Ohr leihen...

    Ohne die Orchesterwerke von Liszt näher zu kennen, finde ich die zitierte Kritik von Strauss einseitig und bezüglich Weber oder Berlioz nicht gerechtfertigt (und für moch rein vom Klangerlebnis auch nur schwer nachvollziehbar). Selbst wenn letztere vermutlich auch gegenüber Beethoven nicht gut abschneiden, was interessante Mittelstimmen betrifft, wären Schubert, Beethoven, Schumann jedenfalls geeignetere Vergleichspunkte (für Weber und auch den jungen Berlioz) als der reife Wagner in Tristan oder Meistersingern..

    Na ja, immerhin haben sich Liszt und Wagner ja schon als Teil einer Art von "Schule", der "Neudeutschen", verstanden. Insofern sind Vergleiche da schon angebracht. Und daß Wagner, der ja nun auch nicht der bestausgebildete aller Komponisten war, einen durchgeformteren Satz mit lebendigen Mittelstimmen schaffen konnte, ist schon interessant, hat er sich doch viel entschiedener von der symphonischen Tradition losgesagt, zu der immerhin auch der Kontrapunkt :klatsch: gehört, der ja beim Schaffen beseelter, eigenmelodischer Mittelstimmen schon sehr hilfreich ist. :D
    Liszt nimmt da eine seltsame Mittelstellung ein, als Symphoniker ohne Symphonien (im klassischen Sinn). Da hat ihm die "Zukunftsmusik" schon ein Feld geboten: symphonische Dichtungen waren ja für Wagner gerade noch akzeptabel, weil da die Musik sich schon in den Dienst eines Programms stellt. Interessant aber, daß die Werke, wo sich Liszt ohne Programm eine Form schaffen mußte, durchaus schlüssige Lösungen finden. Finde ich jedenfalls, bei den Klavierkonzerten. Da hat er was mit Schumann gemein und dessen Klavierkonzert, das ja auch ursprünglich nur aus dem 1.Satz bestand. Die längeren symphonischen Dichtungen empfinde ich viel eher als problematisch.

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Gibt es denn explizite Äußerungen, die darauf schließen lassen, dass Liszt bewusst einen traditionellen Werkbegriff negierte und ein work in progress dagegensetzte. Ich bin hier skeptisch, weil meinem Eindruck nach in der Musik der "Werkbegriff" im Sinne eines endgültigen und ewigen Werks sich ja im 19. Jhd. erst zu festigen beginnt.

    Ist das bei Liszt nicht vielleicht eher die Fortsetzung einer Tradition, die Musik als jederzeit offen gegenüber Bearbeitungen, Ergänzungen, Anpassung an neue oder andere Aufführungsgegebenheiten versteht? Das passte jedenfalls auch gut zu der bei Liszt (sowie auch zahlreichen heute mehr oder minder vergessenen Zeitgenossen wie Herz, Thalberg usw.) bestehenden Identität von Komponist/Arrangeur und Interpret. Mein Eindruck ist, dass man hier vielleicht dazu neigt, aus einer mehr oder minder traditionellen Praxis auf einen theoretischen Überbau zu schließen, der heuer eben en vogue ist.
    Da der emphatische Werkbegriff meines Wissens in der Musik die gesamte klassische Moderne noch prägt, hat sich Liszt, gleich ob er diesbezüglich extrem fortschrittlich oder rückwärtsgewandt war, jedenfalls erst einmal nicht durchgesetzt.
    Die andere Frage wäre natürlich, ob nicht etliche der Alternativfassungen eigener Werke doch als "Verbesserung" gedacht waren. Bruckner unterstellt wohl kaum jemand aufgrund seiner Obsession mit dem Überarbeiten einen offenen Werkbegriff, im Gegenteil eher ein Streben nach Perfektion.

    Bezüglich der expliziten Äußerungen Liszts muss ich nochmal nachschauen. Ich bestreite nicht, dass Liszt an eine ältere Tradition des Anpassens und Transkribierens anknüpft, insb. in den 1830ern und 1840ern. Spätestens seit den 1850ern wurde Liszt aber mit dem "emphatischen Werkbegriff" konfrontiert, in Kritiken, die ihm das dauernde Umschreiben fremder und eigener Werke übelnahmen, aber auch - noch wichtiger - in seinem eigenen Umkreis: wichtigster Kontrahent war in dieser Hinsicht Wagner, der Liszt mehr oder weniger freundschaftlich immer wieder dazu drängte, das ständige Umarbeiten und Transkribieren sein zu lassen und Neues zu schaffen. (Wie stark Wagner, lange Zeit Liszts wichtigster Gesprächspartner, der Vorstellung des perfekten, abgeschlossenen und unveränderbaren Werks anhing, sieht man an seiner berühmten Äußerung kurz vor seinem Tod: Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig - es war ihm ein Horror, dass zwei bzw. drei verschiedene Fassungen des Werks existierten, die ihn alle nicht befriedigten.)

    Liszt reagierte aber nicht in Wagners Sinn, sondern beschäftigte sich im Gegenteil immer mehr damit, verschiedene Fassungen eigener Werke zu produzieren. Dass es dabei nicht nur um Perfektionierung ging, zeigen m.E. zwei Tatbestände: erstens die bereits oben erwähnte Entscheidung, dem Dirigenten freizustellen, welcher der beiden Schlüsse der Dante-Sinfonie gespielt werden sollte. Und zweitens ist es bemerkenswert, dass die unterschiedlichen Fassungen fast immer andere Besetzungen verlangen (orchestral, kammermusikalisch, mit unterlegtem Gesang, für Klavier solo) - nicht wie Bruckner, der bei seinen Umarbeitungen immer in der gleichen Gattung blieb. Das hatte auch nichts mehr mit aufführungspraktischen Erwägungen zu tun, denn sehr häufig handelte es sich insb. im Spätwerk um Stücke, die eh allenfalls für den Privatgebrauch gedacht waren. Wenn Liszt auch dann noch bis zu vier verschiedene Fassungen eines einzigen Stücks in vier verschiedenen Besetzungen schreibt, liegt die Bezeichnung als "work in progress" durchaus nahe. Irgendwelchen direkten Einfluss auf die Musikgeschichte hat das zweifellos nicht gehabt.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Dank an den Zwielichtigen für den tollen Einstieg!!
    Muss ja schon ein echt interessanter Charakter gewesen sein, der Franz L.
    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht


  • Das Strauss-Zitat repräsentiert natürlich auch nur eine bestimmte Ästhetik, die man kaum absolut setzen kann.

    Vielen Dank, Bernd, für diese Ergänzung. Ich erinnere mich dabei an den Ausspruch des so offenen Geistes Strauss, der nach der Uraufführung (und auch später) von Pelleas et Melisande wohl die fehlende Durchführung und mangelnde Konzeption beklagte.

    Ebenfalls kommt mir ein Zitat von Janacek in den Sinn, der gesagt haben soll, er sei überzeugt, dass in den Werken Dvoraks ein meisterlicher Kontrapunkt vorliege. Überzeugt? Ich kann von etwas nru überzeugt sein, wenn es keine Allgemeingültigkeit und Unwiderrufbarkeit beansprucht.

    Aha. Wenn es dich also überzeugt, ist es gut? Klingt ganz schön arrogant, lieber Ralph. Schon mal daran gedacht, dass andere mindestens genauso versierte Leute wie du vielleicht zu anderen Schlüssen kommen??


    Zitat


    Man muss sich, finde ich, immer fragen: Angenommen, im hypothetischen
    Fall, das jeweilige Stück wäre 50 Jahre später genau so entstanden. Alle
    Neuheiten wären nicht mehr neu. Wäre es trotzdem hörenswert?

    Also zunächst mal MUSS ich das überhaupt nicht. Und wenn ich so vorginge, gäbe es genug von Liszt, was IMHO Bestand hätte, deutlich mehr als bei diesem Komponisten mit S. :D
    Ich habe weder Kontrapunkt, noch Harmonielehre oder Rhythmus studiert, aus Interesse in dem bisschen Zeit, was einem bleibt, rudimentärste Kenntnisse angelesen. So habe ich auch von den vermeintlichen Neuerungen Liszts harmonischer, formaler und orchestraler Natur vernommen, ob dies so en detail stimmt, vermag ich nicht zu sagen. Auf jeden Fall wird das Gerüst bei Liszt mit Substanz gefüllt.


    Und diesen Seitenhieb muss ich dir leider noch verpassen, lieber Ralphi: Strauss mit Beethoven zu vergleichen und dann von Pöbel zu sprechen, dem große Intervalle nicht geheuer sind, auch wenns scherzhaft war - sei es Pöbel, dieser aber hat Geschmack! Aber mach dir nischt draus, bist ja noch jung, kann sich auch bei dir auch noch entwickeln. :hide: ;+)

    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Haha, Wulf - eine solche Antwort von dir habe ich schon erwartet.

    Übrigens, Grieg über Liszt:

    Zitat

    Am Nachmittag um 3 Uhr in der Kirche am Kapitol und hörte eine musica sacra für Kastratenstimmen, natürliche Männerstimmen und Harmonium von Franz Liszt, die unter der Leitung von Liszt selbst selbst aufgeführt wurde. Das heißt, ein anderer dirigierte zwar, aber Liszt leitete das Ganze mit seinen in schwarzen Handschuhen überzogenen Fingern, die bald in der Luft rumfuchtelten, bald in voller Aktivität auf der Orgel waren. Die Komposition, ein Stabat mater doloroso [sic!], ist ein trauriger Beweis für den Verfall der neueren deutschen Musik. Denn etwas Affektierteres, Krankhafteres, Formloseres, Gedanken- und Ideenloseres, Ungesünderes und Unwahreres von Anfang bis zum Ende wird man nicht so leicht zu hören bekommen.
    Der Anfang ergriff mich zwar, er war genial, mystisch dämonisch, wie man es in gewissen Lichtmomenten bei Liszt finden kann, aber das Ganze blieb in dieres Unterwelt [...]. Die armen Deutschen, die zugegen waren, waren sehr unglücklich, sie verloren geradezu ihre Beredsamkeit, ließen die Köpfe hängen und gingen aus der Kirche ohne ein Wort zu sagen. In seinem Abbé-Gewand machte sich Liszt vorzüglich, man sah ihm den Fantasten an.

    Ach, welch offene Geister diese Komponisten doch manchmal waren... Aber bitte, Wulf, was haben solche Argumente ad hominem mit der Aussage von Strauss zu tun, die auch unabhängig vom sich äußernden Subjekt ihre Wahrheit haben kann? In der Stilsphäre, in der sich Liszt bewegt, bedeutet Kontrapunkt, kunstvoll dosiert angewendet, eine Bereicherung, behaupte ich. Du darfst mir gerne widersprechen, aber mit Argumenten bitte.

    Schön auch deine Logik, dass aus "mich interessiert nicht, was neu, sondern was gut ist" und "das Ergebnis bei Liszt überzeugt mich nicht" folgern soll: "was mich überzeugt, ist gut". Aha!

    Und dein andauerendes Herumgehacke auf Strauss muss ich mir auch nicht mehr anhören. Es ist ja immer dasselbe, ohne jegliche Argumente. Stattdessen könntest du ja mal erläutern, was die Substanz sein soll, mit denen Liszt seine Gerüste füllt. Bernd (arundo donax) und mir scheint sie entgangen zu sein.

    Aber mach dir nischt draus, bist ja auch noch jung, da ist sicher auch noch Entwicklungspotenzial übrig... :thumbup:

  • Aber mach dir nischt draus, bist ja auch noch jung, da ist sicher auch noch Entwicklungspotenzial übrig... :thumbup:

    In der Hinsicht, dass die Substanz wieder schwindet bei weiterem Lauschen? Ich hoffe nicht! ;+)

    Nein, mal im Ernst: ich weiß nicht, ob unsere beiden Substanzbegriffe kompatibel sind, aber ich denke, wir werden uns einig darüber, dass "Substanz" dem eher transzendenten Bereich der Musik zuzurechnen ist, der auf qualitativ-eindeutige, aber kaum messbare Weise mit den "Gerüst-Parametern" Melodie, Rhythmus, Harmonie, Kontrapunkt, Dynamik und Farbe zusammenhängt bzw. aus diesen erwächst.
    Deswegen schrieb ich auch, dass es meine Meinung ist, die Musik Liszt böte Substanz, in meinen Ohren weit mehr als andere Komponisten.

    Mit dem Lästern hab nicht ich angefangen und ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte mal über Ritchie gestänkert habe - ist mir doch sein Tanz der sieben Schleier ein ständiger Begleiter in meiner für Musik zuständigen Hirnregion. Ohne Flax.
    Ist ja auch egal, so wichtig ist der mir nicht, deswegen zurürck zum Ferenc. Tja, Substanz zu argumentieren ist gar nicht soo einfach und erfordert viel Zeit. Wenn ich die mitbringe, schreibe ich gerne, was ich am Totentanz substanzvoll finde oder auch an der Sonate. Gerne würde ich auch mal klug quatschen a la "schau, wie schön diese neapolitanische Sexte mit tiefalterierter Terz" an dieser Stelle ist und wie sehr sie xy verdeutlicht. Da mit aber die Sicherheit, die Du hast, in Stufentheorie und Harmonielehre fehlt, werde ich nur sagen können: "schau, das scheint mir dem intendierten Ausdruck angemessen zu sein" oder so ähnlich. Selbst aber mit der Utermauerung durch "harte Fakten" wie harmonische Analyse bleibt eine Betrachtung über Substanz doch recht subjektiv.
    Ich weiß, ich weiß: du hast nichts anderes gesagt. :D

    So, und jetzt sind wir wieder artig. Ich höre Tote tanzen und du ein Wetterspiel in den Alpen. Enjoy!

    :wink:
    Wulf

    P.S. Habe kein Problem damit, dass von mir geschätzte Komponisten engstirnige, miserable Kritiker waren. :P

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Bis auf die h-moll-Sonate besitze ich leider kaum Aufnahmen von Liszt-Werken. Gefunden habe ich aber eben eine CD, auf der Michael Ponti neben Klavierkonzerten von Eugen d´Albert und Hans von Bronsart die "Malediction" für Klavier und Streicher von Liszt spielt. Damit habe ich es jetzt noch einmal versucht, aber auch bei sehr viel gutem Willen bleibt diese Musik für meine Ohren einfach höchst schwammig und auf seltsame Art und Weise konturlos.

    Bei dem nachfolgenden Konzert des Hans von Bronsart, der Liszts Schüler war und zu seinem Kreis gehörte, stoße ich mit meinen naiven Ohren offengestanden auf deutlich mehr melodische Inspiration und allgemeine "Substanz"....

    Beste Grüße

    Bernd

  • Lieber Bernd,
    die "Malediction" ist ein Frühwerk, soweit mir bekannt. Ich finde es ganz lohnend, aber an die Qualität z.B. seines 2.Klavierkonzertes kommt es m.E. überhaupt nicht dran.
    Insoferne würde ich Dir empfehlen, einmal das 2.Klavierkonzert anzuhören..........vorzugsweise wie hier schon geschrieben mit Richter....

    :wink:
    Michael

  • Zitat

    Col legno verwendet Chopin übrigens bereits in seinem 2. Klavierkonzert, ca. 20 Jahre vor dem Totentanz entstanden.


    Hmmm, daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern, aber nun gut, scheint irgendwie an mir vorbeigegangen zu sein, als begnadeten Orchestrator habe ich Chopin jedenfalls noch nie empfunden. ;+)
    Sicher,es gibt frühere Beispiele, aber diese Art von Col legno hat sicherlich nichts mit der Art zu tun, wie Berlioz und auch Liszt sie benutzten, um neue Klangeffekte zu kreieren.

  • Ist Chopin auch nicht, aber das Col legno ist dort wirklich ein netter Effekt, allerdings ohne Spuk oder Hexensabbat.
    Ich habe jetzt gerade zweimal Totentanz gehört, einmal Cziffra mit Orchester (EMI) und einmal Arnaldo Cohen in der Soloversion (Naxos). In letzterer habe ich das Stück kennengelernt und die gefällt mir eigentlich besser. Finde ich noch düsterer und es ist faszinierend, wie alleine mit dem Klavier die klanglichen Kontraste erzeugt werden. Freilich sind das weder die Goldberg- noch die Haydn-Variationen, aber das wollen sie sicher auch gar nicht sein.

    Die beiden Klavierkonzerte sind zwar auch nicht gerade Stücke, die mir emotional besonders nahestehen, aber es sind jedenfalls sehr originelle, kompakte und raffinierte Werke, die einen überzeugenden Weg zwischen dem massiv sinfonischen Konzert a la Brahms und dem "Virtuosenkonzert" aufweisen. Schumann gefällt mir besser, aber ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass Liszt hier strukturell weniger überzeugend wäre (Von Ausdruck und Melodik ist er es für mich allerdings doch, aber das sind subjektive Präferenzen.)

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)


  • Ach, welch offene Geister diese Komponisten doch manchmal waren...

    Ja, und welch simple Gemüter! Der Griegsche Feuilletonismus strotzt zwar von attributiven Zuschreibungen, eine besonders substanzvolle Kritik, die sich tatsächlich auf satz- oder instrumentationstechnische Mängel bezöge, ist das aber eigentlich nicht. Dehalb dann wohl am Ende auch die Flucht in ätzendes Absauen und Pathologisierung.

    Sowas:

    Denn etwas Affektierteres, Krankhafteres, Formloseres, Gedanken- und Ideenloseres, Ungesünderes und Unwahreres von Anfang bis zum Ende wird man nicht so leicht zu hören bekommen.

    zeugt jedenfalls weniger von einem offenen Geist, als von einer engen Stirn (es ist auch stilistisch sehr gelungen - insbesondere die implizit getroffene Feststellung, dass etwas Krankhaftes zugleich ungesund sei, ist bemerkenswert und zeugt vom differenzierten Denken eines offenen Geistes) ... ;+)

    Liszt reagierte aber nicht in Wagners Sinn, sondern beschäftigte sich im Gegenteil immer mehr damit, verschiedene Fassungen eigener Werke zu produzieren. Dass es dabei nicht nur um Perfektionierung ging, zeigen m.E. zwei Tatbestände: erstens die bereits oben erwähnte Entscheidung, dem Dirigenten freizustellen, welcher der beiden Schlüsse der Dante-Sinfonie gespielt werden sollte. Und zweitens ist es bemerkenswert, dass die unterschiedlichen Fassungen fast immer andere Besetzungen verlangen (orchestral, kammermusikalisch, mit unterlegtem Gesang, für Klavier solo) - nicht wie Bruckner, der bei seinen Umarbeitungen immer in der gleichen Gattung blieb. Das hatte auch nichts mehr mit aufführungspraktischen Erwägungen zu tun, denn sehr häufig handelte es sich insb. im Spätwerk um Stücke, die eh allenfalls für den Privatgebrauch gedacht waren. Wenn Liszt auch dann noch bis zu vier verschiedene Fassungen eines einzigen Stücks in vier verschiedenen Besetzungen schreibt, liegt die Bezeichnung als "work in progress" durchaus nahe. Irgendwelchen direkten Einfluss auf die Musikgeschichte hat das zweifellos nicht gehabt.

    Ein IMO interessanter und einleuchtender Gedanke! Ob es »irgendwelchen direkten Einfluss auf die Musikgeschichte« gehabt hat, vermag ich gar nicht zu sagen - es hat strukturell aber eine gewisse Nähe zu Wolfgang Rihms Verfahren der Übermalung und Umschreibung. Vielleicht ist Liszt ein früher Postmoderner - und darum so erfrischend substanzlos.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Ob es »irgendwelchen direkten Einfluss auf die Musikgeschichte« gehabt hat, vermag ich gar nicht zu sagen - es hat strukturell aber eine gewisse Nähe zu Wolfgang Rihms Verfahren der Übermalung und Umschreibung. Vielleicht ist Liszt ein früher Postmoderner - und darum so erfrischend substanzlos.

    Ja, das böse Wort "Postmoderne" habe ich zwar vermieden :D, aber dass die beschriebenen Verfahren Liszts die "Substanz" der Musik in Frage stellen, scheint mir auch so. Wobei das nur ein Aspekt ist, oder besser: eine Tendenz - ich will das nicht überbewerten.

    Was Wolfgang Rihm betrifft: Vor zig Jahren habe ich mal ein Interview mit Rihm im Südwest-TV gesehen, bei dem er sich auch über die Bedeutung Liszts für sein kompositorisches Schaffen ausließ. Kann mich aber an nichts Konkretes mehr erinnern; vielleicht existiert ja auch etwas schriftlich Niedergelegtes.

    Rihm hat Anfang der 90er ein Werk mit dem Titel La lugubre gondola/ Das Eismeer. Musik in memoriam Luigi Nono komponiert. "La lugubre gondola" ("Die Trauergondel") bezieht sich vermutlich auf Nonos venezianische Herkunft, ist aber auch der Titel zweier Stücke Liszts, die er 1882 (angeblich in Vorahnung des Todes Wagners) in Venedig komponierte. Ich weiß nicht, ob Rihm hier auch die Musik Liszts verarbeitet, aber der Bezug auf den Titel ist eindeutig. Liszts La lugubre gondola gibt es in zwei Ausführungen, wobei die zweite in zwei unterschiedlichen Instrumentationen vorliegt. Rihm hat von seinem Werk nicht weniger als fünf verschiedene Fassungen angefertigt. Es liegt zumindest nahe, hier einen konkreten Rekurs Rihms auf die Umschreibungspraktiken Liszts zu vermuten. Im Netz konnte ich leider nichts näheres finden.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Meinem naiven nicht-postmodernen Verständnis nach bekräftigen Umarbeitungen eher die "Substanz", die ist nämlich genau das, was den unterschiedlichen Fassungen gemeinsam bleibt (sonst wären es ja nicht unterschiedliche Bearbeitungen eines Stücks, sondern unterschiedliche Stücke).

    Dass hundert Jahre später in der tatsächlichen Postmoderne so mancher an Liszt angeknüpft haben mag, will ich gar nicht bestreiten. Aber die weiter oben zitierten Schönberg und Bartok als prominente Vertreter der Moderne, die so manches beim späten Liszt interessant gefunden haben mögen, haben das eben nicht gemacht, sondern contra Liszt einen emphatischen Werkbegriff vertreten.

    Die meisten der bekannteren Werke Liszts wie die Sonate, die beiden Konzerte, die Faust-Sinfonie scheinen aber doch wohl in einer definitiven Fassung vorzuliegen, oder?

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Meinem naiven nicht-postmodernen Verständnis nach bekräftigen Umarbeitungen eher die "Substanz", die ist nämlich genau das, was den unterschiedlichen Fassungen gemeinsam bleibt (sonst wären es ja nicht unterschiedliche Bearbeitungen eines Stücks, sondern unterschiedliche Stücke).

    Ja, vielleicht ist der Substanz-Begriff zunächst irreführend. Es scheint jedenfalls doch so zu sein, dass Liszt die thematische Substanz vornehmlich als bloßes Material verwendet und in unterschiedlichen (formalen oder auch nur instrumentalen) Kontexten immer neu einsetzt. Substanz als Zitat und als Anlass rekombinatorischen Spiels gewissermaßen - und nicht als Grundlage/Kern eines finiten/geschlossenen Werks.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Ja, vielleicht ist der Substanz-Begriff zunächst irreführend. Es scheint jedenfalls doch so zu sein, dass Liszt die thematische Substanz vornehmlich als Material verwendet und in unterschiedlichen (fomalen oder auch nur instrumentalen) Kontexten immer neu einsetzt. Substanz als Zitat und als Anlass rekombinatorischen Spiels gewissermaßen und nicht als Grundlage/Kern eines finiten/geschlossenen Werks.

    Gerade die Verwischung der Grenze zwischen "unterschiedlichen Fassungen desselben Stücks" und "unterschiedlichen Stücken" ist bei Liszt zu beobachten. Es gibt zwei Trauergondeln und zwei Stücke Aux cyprès de la Villa d'Este. Die Stücke tragen den gleichen Titel, haben den gleichen "außermusikalischen" Bezugspunkt und enthalten bis zu einem gewissen Grad verwandtes musikalisches Material. Sie unterscheiden sich in der musikalischen Ausführung aber doch erheblich: zwei Fassungen eines Stücks oder zwei verschiedene Stücke?


    Dass hundert Jahre später in der tatsächlichen Postmoderne so mancher an Liszt angeknüpft haben mag, will ich gar nicht bestreiten. Aber die weiter oben zitierten Schönberg und Bartok als prominente Vertreter der Moderne, die so manches beim späten Liszt interessant gefunden haben mögen, haben das eben nicht gemacht, sondern contra Liszt einen emphatischen Werkbegriff vertreten.

    Unbestritten. Aber es ist doch ein interessanter Punkt, dass bestimmte Potentiale der Musik Liszts erst mehr als hundert Jahre später kompositorisch rezipiert werden. Und immerhin wird von Bartók betont, dass gerade das Unabgeschlossene, Nicht-Perfekte ein Charakteristikum der Werke Liszts sei.


    Die meisten der bekannteren Werke Liszts wie die Sonate, die beiden Konzerte, die Faust-Sinfonie scheinen aber doch wohl in einer definitiven Fassung vorzuliegen, oder?

    Von der h-moll-Sonate existiert m.W. wirklich nur die eine Fassung. Faust-Sinfonie und Klavierkonzerte liegen aber auch in Fassungen für zwei Klaviere vor, andere Orchesterwerke m.W. sogar in zwei verschiedenen Klavierfassungen. Wobei das angeblich - ich verlasse mich hier auf Dömling - keine bloßen Klavierauszüge, sondern wirkliche Umschreibungen sind.


    Viele Grüße

    Bernd

    .


  • Ja, das böse Wort "Postmoderne" habe ich zwar vermieden :D, aber dass die beschriebenen Verfahren Liszts die "Substanz" der Musik in Frage stellen, scheint mir auch so. Wobei das nur ein Aspekt ist, oder besser: eine Tendenz - ich will das nicht überbewerten.

    Da würde ich mich Kater Murr anschließen: Die Substanz scheint doch vorhanden, wenn eine Fassung nicht ausreicht, sie auszuschöpfen...
    Die Gleichsetzung von Postmoderne und Substanzlosigkeit finde ich allerdings wirklich fragwürdig (wenn auch nachvollziehbar...). Postmoderne und Substanzbegriff, auch ein schönes Thema... 8+)

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Die Gleichsetzung von Postmoderne und Substanzlosigkeit finde ich allerdings wirklich fragwürdig (wenn auch nachvollziehbar...).

    Da hast Du mich missverstanden: eine Gleichsetzung von Postmoderne und "Substanzlosigkeit" liegt mir fern. Das letzte Posting von Algabal erläutert schon ganz gut, was ich meinte. Ansonsten sollte man hier den Begriff der Postmoderne vielleicht nicht überstrapazieren, sondern eher mit schon eingebrachten Begriffen hantieren: übermalen, umschreiben, rearrangieren bzw. -kombinieren, dadurch Infragestellen des geschlossenen Werkbegriffs usw.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

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