Autoritär oder kollegial? Über den Führungsstil im Orchester

  • Zitat

    Das Problem ist, dass - ob es uns gefällt oder nicht - von Lully bis Barenboim viele "Despoten" unter den Dirigenten künstlerisch überwältigende Ergebnisse vollbracht haben.


    Da tut sich für mich gleich ein ganzer Sack von Fragen auf.

    Wo sind die Grenzen des Despotismus? Rechtfertigt das "überwältigende Ergebnis" grundsätzlich alles? Oder zunimdest: wieviel rechtfertigt es? Panem et circenses? Wobei ja noch zu berücksichtigen wäre, daß die Opfer die "anderen" sind, diejenigen, die das überwältigende Ergebnis zwar überhaupt erst ermöglichen, nicht aber in personam die Meriten davon geniessen. Steht der Künstler über dem guten Benehmen, über der Art und Weise, wie gesittete und gebildete Mitteleuropäer üblicherweise miteinander umgehen? Akzeptieren wir das in anderen Situationen auch, wenn jemand in der Öffentlichkeit andere beschimpft, beleidigt, bloßstellt und rumbrüllt, weil ihm etwas nicht passt? Finden wir dort auch Entschuldigungen? Oder ist das dort eher die Verhaltensnorm für den Pavianfelsen? Kennzeichen von Defiziten in der sozialen Kompetenz? Bei Jugendlichen nennt man so etwas "verhaltensauffällig"...

    Es gibt einen Unterschied zwischen Autorität und Kompetenz auf der einen Seite und Despotismus und schlechtem Benehmen auf der anderen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Niemand hat etwas gegen sachlich begründete und vorgetragene Kritik. Und jede derartige Kritik kann in einer Weise vorgebracht werden, die dem Kritisierten erlaubt, das Gesicht zu wahren. Aber es gibt für niemanden in Führungsposition, auch nicht für Dirigenten, eine nachvollziehbare Notwendigkeit, sich wie ein Unteroffizier auf einem wilhelminischen Kasernenhof zu benehmen. Leider ist nicht jeder geeignet, Macht über andere ausüben zu dürfen...

    In Preussen gab es mal die Ideologie, daß die "Kerls" vor ihrem Feldwebel mehr Angst haben müssen, als vor dem Feind. Treppenwitz der Geschichte: DIESE Armee war gegen den ersten vergleichbaren Gegner nicht sonderlich erfolgreich ("Der König hat eine Bataille verloren..."), das aber nur nebenbei. Beispiele, bei denen es trotzdem "funktioniert" hat, sind nicht wirklich aussagefähig, denn das Gegenbeispiel, wie es denn gewesen wäre, wenn sich der Dirigent anders verhalten hätte, unter ansonsten unveränderter Konstellation, existiert ja nicht. Ein direkter Vergleich ist somit nicht möglich. Die Ableitung, daß das Ergebnis DESWEGEN so überwältigend war, WEIL sich der Chef daneben benommen hat, ist daher schon formal-logisch nicht zulässig. Wir wissen nicht, ob Lully oder Barenboim bei anderem Führugsstil zu nicht noch überwältigenderen, zumindest aber ebensolchen Ergebnissen gekommen wäre! Bei allem, was wir heute über die Psychologie von Führungsprozessen wissen, ist letzeres allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

    Und ganz nebenbei: Mobbing ist u.U. justiziabel, sowohl bei denen, die es betreiben, als auch bei Vorgesetzten, die es zulassen. Für Bossing gilt das deutlich verschärft. Wer als Vorgesetzter einen Mitarbeiter drangsaliert oder bloßstellt, steht mit einem Bein vor dem Kadi. "Künstlerisches Motiv" zählt dort nicht.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Zitat

    Irgendwann habe ich ihm mal gesagt, er solle sich überlegen, statt Oboen Blockflöten zu engagieren

    die können aber auch nicht beliebig leise... Weil: dann klingts wieder falsch... und Flageolett ist eine Oktave zu hoch... und vielleicht doch etwas zu leise... :D

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ein bisschen Wunschdenken ist sicher dabei, aber nicht nur: Natürlich haben sich die Verhältnisse geändert. Gerade deswegen finde ich es wenig sinnvoll, aus heutiger Sicht z.B. auf Böhms oder Karajans Probenstil rumzureiten. Immerhin haben ja wie gesagt die Berliner Philharmoniker selbst Karajan zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt. Auch das Empfinden (oder besser gesagt: die Empfindlichkeit) der Orchestermusiker war also offenbar anders als heute.

    ich denke, nicht nur die Empfindlichkeit hat sich geändert. es spricht sich auch allgemein in der Gesellschaft rum, daß es tatsächlich auch andere Wege zu Höchstleistungen gibt als Drill und Gehorsam; daß Menschen auch Freude an ihrer Arbeit haben können und trotzdem oder gerade deshalb das Beste aus sich herausholen.
    Das klappt natürlich nicht, wenn man Musiker, die daran gewöhnt sind, getriezt zu werden, sich selbst überläßt - die Autorität des Kommandierenden durch hinreichende Eigenmotivation zu ersetzen ist ja auch eine Aufgabe, die jeder für sich leisten muß. Manches Projekt, das an der luschigen Einstellung meiner Mitmusiker gescheitert ist, hätte vielleicht doch klappen können, wenn ich mit etwas mehr Autorität meine Vision durchgesetzt hätte. Wie gut das klappen kann, zeigen z.B. die Projekte von Miles Davis, der ja auch nicht für Einfühlungsvermögen berühmt ist...
    Aber ich spiele nur noch mit Leuten, die von Alleine den Willen haben, das Beste zu manifestieren, was sie sich vorstellen können, und der Weg von der Vorstellung zur musikalischen Verwirklichung geht nun mal übers üben.
    Wer da den fordernden Papi braucht, um sich zu motivieren, soll in den Kindergarten zurück :D

    Gruss
    Herr Maria

    PS kennt jemand "Wie im Himmel"?

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • In Preussen gab es mal die Ideologie, daß die "Kerls" vor ihrem Feldwebel mehr Angst haben müssen, als vor dem Feind. Treppenwitz der Geschichte: DIESE Armee war gegen den ersten vergleichbaren Gegner nicht sonderlich erfolgreich ("Der König hat eine Bataille verloren..."), das aber nur nebenbei.

    Vor allem in den Kriegen gegen Napoleon, der ja für demokratische Einstellung nicht berühmt war, aber doch den Ruf hatte, seine Soldaten mit großer Wertschätzung zu behandeln...

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Beispiele, bei denen es trotzdem "funktioniert" hat, sind nicht wirklich aussagefähig, denn das Gegenbeispiel, wie es denn gewesen wäre, wenn sich der Dirigent anders verhalten hätte, unter ansonsten unveränderter Konstellation, existiert ja nicht. Ein direkter Vergleich ist somit nicht möglich. Die Ableitung, daß das Ergebnis DESWEGEN so überwältigend war, WEIL sich der Chef daneben benommen hat, ist daher schon formal-logisch nicht zulässig. Wir wissen nicht, ob Lully oder Barenboim bei anderem Führugsstil zu nicht noch überwältigenderen, zumindest aber ebensolchen Ergebnissen gekommen wäre! Bei allem, was wir heute über die Psychologie von Führungsprozessen wissen, ist letzeres allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

    Letzteres bezweifle ich, da das psychologische Wissen über Führungsprozesse sich doch wohl weit mehr auf die Belange von Wirtschaftsunternehmen als von Orchestern bezieht. Oder kennst Du entsprechende spezifische Untersuchungen? Ansonsten sind die von mir genannten Gegenbeispiele im Zusammenhang der Diskussion sehr wohl aussagekräftig, denn ich habe sie gegen die Behauptung des angeblich "vorprogrammierten Scheiterns" von autoritären Dirigenten gebracht. Ich habe also nicht gesagt, dass sie DESWEGEN künstlerisch überzeugt hätten, sondern nur die These widerlegt, sie könnten deswegen gar nicht überzeugen.

    Und ganz nebenbei: Mobbing ist u.U. justiziabel, sowohl bei denen, die es betreiben, als auch bei Vorgesetzten, die es zulassen. Für Bossing gilt das deutlich verschärft. Wer als Vorgesetzter einen Mitarbeiter drangsaliert oder bloßstellt, steht mit einem Bein vor dem Kadi. "Künstlerisches Motiv" zählt dort nicht.

    Ich wüsste nicht, dass Barenboim oder wer sonst heute noch als "Despotendirigent" gilt, deshalb schon einmal vor dem Kadi gewesen wäre. Ich kenne aber einige Musiker, die unter Barenboim spielen/gespielt haben: Sie fürchten ihn tatsächlich, aber sie bewundern ihn nicht minder.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Zitat

    Ich kenne aber einige Musiker, die unter Barenboim spielen/gespielt haben: Sie fürchten ihn tatsächlich, aber sie bewundern ihn nicht minder.


    Die Schwester meiner Quartettkollegin ist seine Managerin.Dadurch bin ich ganz gut versorgt mit allen erdenklichen Stories, welche ich aber leider nicht von mir geben darf.......... ;+)

  • Steht der Künstler über dem guten Benehmen, über der Art und Weise, wie gesittete und gebildete Mitteleuropäer üblicherweise miteinander umgehen?

    Es gibt ja tatsächlich sowas wie eine Tradition des Genies, daß sich Dinge erlauben kann, die anderen übler genommen werden... Guter Stil ist das sicher nicht, aber wer kennt nicht die Klischees von den Diven, Primadonnen mit den "Star-Allüren", was ja wohl impliziert, daß für "Stars" andere Gesetze gelten! Wer möchte dafür bürgen, daß der persönliche Umgang mit einem Mahler angenehm war? oder einem Brahms, von dem man sich ja auch diverse grenzwertige Anekdoten erzählt, oder nicht zuletzt der Stinkstiefel Wagner?
    Natürlich wird einem, der auf künstlerischer Ebene großes leistet, manches verziehen; die Größe, das nicht auszunutzen, hat halt nicht jeder :pfeif:

    Mal davon abgesehen, daß durchaus manche psychische Deformation auf künstlerischer Ebene kompensiert werden kann, also es bisweilen schon recht schwierige Charaktere sind, die sich so einem windigen Geschäft wie der Musik mit ganzer Seele verschreiben :)

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Zitat

    Wer möchte dafür bürgen, daß der persönliche Umgang mit einem Mahler angenehm war? oder einem Brahms, von dem man sich ja auch diverse grenzwertige Anekdoten erzählt, oder nicht zuletzt der Stinkstiefel Wagner?

    Wobei ich zwischen Komponist und Dirigent dann noch einmal differenzieren wollen würde, denn das Schaffen des ersteren ist viel weniger unbedingt vom Umgang mit anderen Menschen abhängig.

    Zitat

    Ich denke, nicht nur die Empfindlichkeit hat sich geändert. es spricht sich auch allgemein in der Gesellschaft rum, daß es tatsächlich auch andere Wege zu Höchstleistungen gibt als Drill und Gehorsam; daß Menschen auch Freude an ihrer Arbeit haben können und trotzdem oder gerade deshalb das Beste aus sich herausholen.

    Genau das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt - gerade im Hinblick auf "Kunst". Auf höchstem Niveau ensteht diese eben nicht vermittels der Knute, sondern aus eigenem Antrieb.

    Zitat

    Steht der Künstler über dem guten Benehmen, über der Art und Weise, wie gesittete und gebildete Mitteleuropäer üblicherweise miteinander umgehen? Akzeptieren wir das in anderen Situationen auch, wenn jemand in der Öffentlichkeit andere beschimpft, beleidigt, bloßstellt und rumbrüllt, weil ihm etwas nicht passt?

    Im Falle Böhms kursiert das Gerücht, er habe in einer Probe nach einem ihm missgefälligen Bläsersolo demonstrativ auf den Boden gespuckt. Ob daran wirklich etwas Wahres ist, weiß ich natürlich nicht, aber ich halte es für bezeichnend genug, dass solche Storys überhaupt die Runde machen.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Auf höchstem Niveau ensteht diese eben nicht vermittels der Knute, sondern aus eigenem Antrieb.

    Daraus folgt, dass die Orchester unter Toscanini oder Böhm entweder keine Leistungen "auf höchstem Niveau" erbracht haben oder dass beide doch nicht die Schleifer waren, als die sie hier dargestellt werden. Sagst Du mir, welche der beiden Möglichkeiten Du für die richtige hältst?

    Viele Grüße,

    Christian

  • Hallo Christian,

    gemäß meinen Ohren ist die erste Möglichkeit die zutreffende. Gut, dass du auch noch Toscanini anführst - der ist nach meinen ästhetischen Vorstellungen ein schlagendes Beispiel dafür, wie man keinesfalls an Musik herangehen sollte ....:hide:

    Beste Grüße

    Bernd

  • Daraus folgt, dass die Orchester unter Toscanini oder Böhm entweder keine Leistungen "auf höchstem Niveau" erbracht haben oder dass beide doch nicht die Schleifer waren, als die sie hier dargestellt werden. Sagst Du mir, welche der beiden Möglichkeiten Du für die richtige hältst?

    Es gibt ja noch eine dritte Möglichkeit: Die Musiker haben genug Eigenantrieb mitgebracht, um trotz Knute gut zu sein.

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Vor allem in den Kriegen gegen Napoleon, der ja für demokratische Einstellung nicht berühmt war, aber doch den Ruf hatte, seine Soldaten mit großer Wertschätzung zu behandeln...

    Eben das meinte ich!

    Letzteres bezweifle ich, da das psychologische Wissen über Führungsprozesse sich doch wohl weit mehr auf die Belange von Wirtschaftsunternehmen als von Orchestern bezieht.

    Nun ja: Der Mensch tickt schon überall gleich, ob auf der Galeere, in der Maschinenhalle, in der Streetgang, im Konstruktionsbüro, in der Schule, der Vorstandsetage von Unternehmen oder eben in Orchestern. Führung ist eine prinzipielle Frage der Interaktion von Menschen, unabhängig vom Ziel der Interaktion. Die Verhaltensbiologie unterscheidet nicht nach Berufen...

    Daß Aggression ein mögliches Instrument ist, um Führung zu behaupten, ist dabei nicht bestritten. So funktioniert der Pavianfelsen. Dort ist aggressiv-dominates Verhalten allerdings auch noch ein Evolutionsvorteil. Die Gattung homo arbeitet allerdings schon seit einigen zig-tausend Jahren daran, das irgendwie anders geregelt zu bekommen. ;+)


    Ich wüsste nicht, dass Barenboim oder wer sonst heute noch als "Despotendirigent" gilt, deshalb schon einmal vor dem Kadi gewesen wäre.

    Ja und? Das ändert doch nichts an der Gesetzeslage?

    Solange es Leute gibt, die zwischenmenschliches Fehlverhalten (ganz allgemein, welches auch immer!) aus welchen Gründen auch immer akzeptieren zu müssen glauben, wird solch ein Fehlverhalten auch immer wieder vorkommen. Das ist auch eine Frage des generellen Methodenverständnisses: Solange man der Meinung war, das wichtigste Requisit eines Lehrers zur Wissensvermittlung wäre der Rohrstock, solange hat man halt auch in der Schule geprügelt, was das Zeug hielt (das ist jetzt natürlich nur ein Beispiel zur Verdeutlichung, was ich mit "Methodenverständniss" meine!!!) Die Einsicht, das man das nicht braucht, um Kinder zum Lernen zu bewegen, hat eine Weile gedauert.

    Es ist auch keine Frage der Empfindlichkeit, sondern eine des gegenseitigen Respektes.

    Und Bewunderung tut manchen Leuten nicht gut, das führt dazu, daß der eine oder andere die Maßstäbe verliert. Aber ich glaube, das ist jetzt eine Binsenweisheit.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • gemäß meinen Ohren ist die erste Möglichkeit die zutreffende.

    Gemäß meinen Ohren gibt es von Böhm eine ganze Menge Hervorragendes (im Böhm-Thread wurde z.B. der Wozzeck mit Recht genannt, auch sein Wagner und Strauss). Toscaninis Musikstil entspricht auch nicht immer meinem Geschmack, aber Leistungen "auf höchstem Niveau" hat auch er mit seinen Orchestern zweifellos vollbracht.

    Zitat von »ChKöhn«

    Zitat von »arundo donax«
    Auf höchstem Niveau ensteht diese eben nicht vermittels der Knute, sondern aus eigenem Antrieb.

    Daraus folgt, dass die Orchester unter Toscanini oder Böhm entweder keine Leistungen "auf höchstem Niveau" erbracht haben oder dass beide doch nicht die Schleifer waren, als die sie hier dargestellt werden. Sagst Du mir, welche der beiden Möglichkeiten Du für die richtige hältst?

    Es gibt ja noch eine dritte Möglichkeit: Die Musiker haben genug Eigenantrieb mitgebracht, um trotz Knute gut zu sein.

    Wenn sie gut waren, ist der Dirigent künstlerisch nicht gescheitert, womit die Behauptung, er müsse scheitern, widerlegt wäre. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum man über eine solche These groß diskutieren muss: Es kann doch nicht ernsthaft behauptet werden, dass sämtliche Aufführungen bzw. Aufnahmen von autoritären Dirigenten gescheitert sind. Ich sage ja nicht, dass ich "despotisches" Verhalten gutheiße, aber es stellt eine menschliche Schwäche dar, deren ungeachtet künstlerische Höchstleistungen möglich sind. Dazu gibt es reichlich Beweise, auch wenn Ihr das lieber anders hättet. Wunschdenken eben.

    Nun ja: Der Mensch tickt schon überall gleich, ob auf der Galeere, in der Maschinenhalle, in der Streetgang, im Konstruktionsbüro, in der Schule, der Vorstandsetage von Unternehmen oder eben in Orchestern. Führung ist eine prinzipielle Frage der Interaktion von Menschen, unabhängig vom Ziel der Interaktion.

    Wenn 130 Musiker im selben Moment gemeinsam phrasieren, atmen, artikulieren, dabei zu einem homogenen Klangkörper verschmelzen müssen, dabei ein einziger Musiker unter Umständen den Klang oder die rhythmische Präzision einer ganzen Gruppe ruinieren kann, dann erfordert das ja wohl eine andere Art der Führung als wenn zum Beispiel in einem Unternehmen Mitarbeiter zu individuellen Leistungen gebracht werden sollen.

    Ich wüsste nicht, dass Barenboim oder wer sonst heute noch als "Despotendirigent" gilt, deshalb schon einmal vor dem Kadi gewesen wäre.


    Ja und? Das ändert doch nichts an der Gesetzeslage?

    Ja und? Was soll dieser Hinweis, wenn doch noch kein Dirigent wegen Verstoßes gegen diese Gesetzeslage angeklagt wurde?

    Viele Grüße,

    Christian

  • Es gibt ja noch eine dritte Möglichkeit: Die Musiker haben genug Eigenantrieb mitgebracht, um trotz Knute gut zu sein.

    Gruss
    Herr Maria

    Daraus folgt, dass die Orchester unter Toscanini oder Böhm entweder keine Leistungen "auf höchstem Niveau" erbracht haben:

    Das ist hypothetisch - oder rhetorisch, wie man will. Die Aussage setzt nämlich einerseits voraus, daß die Leistung tatsächlich "auf höchstem Niveau" erbracht wurde - also nicht mehr weiter steigerungsfähig gewesen wäre. Das ist aber nur eine Annahme. Wer sagt denn, daß sie nicht mehr weiter steigerungsfähig gewesen wäre, auf NOCH höheres Niveau? Wenn z.B. "Toscanini oder Böhm" anders geführt hätten? Klar: Letztere Annahme ist eindeutig spekulativ, und als solches leicht und unmittelbar zu entlarven. Das andere steht unausgesprochen zwischen den Zeilen und ist damit nicht so leicht zu erkennen, und wer will schon an einem Böhm oder Toscanini rütteln - aber es ist trotzdem ebensolche Spekulation. Auf der anderen Seite wird suggeriert, daß der (autokratische) Führungsstil notwendig für die tatsächliche Leistung war, vor allem in Verbindung mit dem 2. Halbsatz. Und auch das ist natürlich spekulativ - in die eine wie in die andere Richtung.


    Unterm Strich: argumentum ad hominem. Schopenhauer hätte seine Freude daran gehabt... :D

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Auf der anderen Seite wird suggeriert, daß der (autokratische) Führungsstil notwendig für die tatsächliche Leistung war, vor allem in Verbindung mit dem 2. Halbsatz. Und auch das ist natürlich spekulativ - in die eine wie in die andere Richtung.

    Meine Güte, liest Du eigentlich auch einmal, was ich geschrieben habe, bevor Dein Beißreflex zuschnappt? Also noch einmal ganz deutlich:

    "Ich habe also nicht gesagt, dass sie DESWEGEN künstlerisch überzeugt hätten, sondern nur die These widerlegt, sie könnten deswegen gar nicht überzeugen."

    Ich weiß nicht, wie man das noch deutlicher formulieren kann. Hier wurde behauptet, bei autoritären Dirigenten sei das künstlerische "Scheitern vorprogrammiert". Dagegen gibt es ungezählte Gegenbeispiele, die auch nicht durch Sophistereien über höheres resp. höchstes Niveau, über Vorstandsetagen, Klassenzimmer oder Affenfelsen widerlegt werden. Ich habe nur zu diesem einen Punkt geschrieben: Herausragende künstlerische Leistungen (mit der Formulierung einverstanden?) gibt es auch unter autoritären Dirigenten, ob uns das gefällt oder nicht. Wenn Ihr wollt, glaubt weiter an Eure Friede-Freude-Eierkuchen-Welt, aber hört auf, mir Dinge zu unterstellen, die ich nicht gesagt habe.

    Christian

    P.S. An die Moderation: Spart Euch die Arbeit, ich weiß, dass ich sachlich bleiben muss...

  • Ja und? Was soll dieser Hinweis, wenn doch noch kein Dirigent wegen Verstoßes gegen diese Gesetzeslage angeklagt wurde?

    Ja, was soll das? Einfach nur ein Hinweis, daß Mobbingtäter dafür u.U. zur Verantwortung gezogen werden. Unabhängig davon, ob man sich das bei Dirigenten nun vorstellen kann oder will oder soll oder nicht. Ist auch noch nicht so lange her, daß sich noch kein Mensch ernsthaft vorstellen konnte, daß hochwürdige Geistliche wegen Missbrauch vor dem Kadi stehen könnten. Manno!

    Zitat

    Ich sage ja nicht, dass ich "despotisches" Verhalten gutheiße, aber es stellt eine menschliche Schwäche dar, deren ungeachtet künstlerische Höchstleistungen möglich sind.


    ad Teil 1 des Satzes: Ich weiß nicht, ob das nur mein subjektives Empfinden ist, aber ich habe bisher den Eindruck gehabt, daß Du es hier zumindest entschuldigst. Wenn ich mich geirrt haben sollte, dann hätten wir nur ein Hermeneutikproblem... do we have?

    ad Teil 2 und 3: von meiner Seite konzessiert, für sich isoliert betrachtet. Eine Charakterschwäche, zweifellos. Eine auf Kosten Anderer, nicht kontrolliert durch das, was bereits Knigge im "Umgang mit Menschen" angemahnt hat.


    Zitat

    dann erfordert das ja wohl eine andere Art der Führung


    keine andere, als etwa bei der Montage großer Maschinenteile. Oder beim Bugsieren eines großen Schiffes z.B. in ein Dock, wenn rechts und links nur noch cm Platz ist. Hast Du die Montage der Waldschlösschenbrücke in Dresden im Fernsehen gesehen? Der Unterschied besteht nur darin, daß individuelle Fehler im Orchester nicht unmittelbar Leben und Gesundheit von einem selbst und/oder anderen und hohe wirtschaftliche Werte gefährden.


    Nachtrag: Ich glaub, wir nehmen mal Auszeit, damit sich die Eigendynamik dieses Threads wieder etwas abkühlt...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • [...] ich weiß, dass ich sachlich bleiben muss...

    :thumbup:

    Ich glaub, wir nehmen mal Auszeit, damit sich die Eigendynamik dieses Threads wieder etwas abkühlt...

    Vielleicht keine schlechte Idee... ;+)

    So ganz verstehe ich die Ausschließlichkeit und Hitzigkeit der Debatte nicht: Wenn ich als Dirigent mein Ensemble zu einer präzisen Leistung bringen will, mit einer genauen Realisierung der Klangvorstellungen, wie sie mir vorschweben, dann kann ich das auf autoritärem, Angst erregendem Wege oder auch auf sanfterem, kollegialem Wege erreichen - in beiden Fällen sind hochrangige künstlerische Ergebnisse möglich. Oder bestreitet das hier jemand?

    Daß ich - und hier möchte ich auch auf eigene langjährige Erfahrungen als Mitglied im Chor zurückgreifen - den zweiten Weg als den für mich einzig akzeptablen ansehe, das ist klar: Ich habe mal einen Dirigenten erlebt, der durch meditative Übungen (z. B. den Einsatz mit geschlossenen Augen erfühlen) Präzision und Konzentration schaffen konnte. Das empfand ich als wohltuend - und der Arbeit tat das ebenfalls gut.

    Und als wohltuend empfand ich es auch, mit Chorleitern zu tun zu haben, die genau wußten, was sie wollten. Wenn ich in der Probe ein Legato anbiete und der Chef will ein Staccato, dann ist es ja keine Frage, daß ich das zu befolgen trachte - mit Despotismus hätte so etwas auch nicht zu schaffen, auch nicht, wenn er bei nahendem Konzerttermin mal nervös und gereizt reagiert, wenn es nicht wie gewünscht klappt.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Christian!

    Ich bin völlig Deiner Meinung und ich habe unter Böhm des öfteren gesungen. Karl Böhm hatte das was ich richtig fand: Seine Probenarbeiten waren immer den ganzen Notenttext festzustellen. Ein Achtel besteht aus zwei Sechzehntel und die große Terz von d heißt fis. Dass dieses genau beachtet wurde, dafür sorgte Böhm mit magisterlicher Strenge und er brach sofort ab wenn der Notentext nicht genau stimmte, das war auch bei uns Knaben oder in der Tosca so, auch beim kleinen Hirtenlied, aber diese Perfektion war etwas, was uns, nicht zu Sklaven machte, sondern er zeigte uns wie es gesungen und gespielt werden musste. Ähnlich verhielt sich auch Josef Krips, bei Toscanini kann ich nur, insofern, mitreden, was ich an LPs habe, aber ich muss sagen zur "Zauberflöte" hatte Toscanini keinen Bezug, das muss ich leider sagen, auch beim "Fidelio" mit Lotte Lehmann hatte die Leonore einen Ganztonsprung in ihrer großen Arie, statt einem Halbtonsprung.


    Aber um nochmals zu Böhm zurückzukommen, er konnte liebenswürdig sein, wenn alles klappte und seine Arbeiten, hier meine ich die Oper, von Konzertmusik verstehe ich zu wenig, sind heute noch maßgebend, so denke ich, der ich ein Banause bin und meine "aktive" Zeit schon an die 50 Jahre zurückliegt.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien, :wink: :wink:

    und Danke für Deine profunden Angaben, die ich immer mit großem Interesse lese, wenn ich hier falsch liege, es mir bitte zu sagen, d.h. zu schreiben, auch dafür Danke.

  • ich habe unter Böhm des öfteren gesungen.

    Lieber Peter, das finde ich sehr interessant, weil ja hier bisher abgesehen von dem Youtube-Probenausschnitt (bei dem ich ihn gar nicht fürchterlich finde) nur unbestätigte Anekdoten, Gerüchte usw. Grundlage der Diskussion waren, aber keine Berichte aus erster Hand. Erzähl doch mal noch mehr von Böhm (und anderen)!

    in beiden Fällen sind hochrangige künstlerische Ergebnisse möglich. Oder bestreitet das hier jemand?

    Ähm, ja: "Scheitern vorprogrammiert"

    Ich weiß nicht, ob das nur mein subjektives Empfinden ist, aber ich habe bisher den Eindruck gehabt, daß Du es hier zumindest entschuldigst. Wenn ich mich geirrt haben sollte, dann hätten wir nur ein Hermeneutikproblem... do we have?

    Offensichtlich. Ich entschuldige es - sollte es denn tatsächlich so gewesen sein - menschlich keineswegs, aber ich glaube, dass der Zusammenhang zwischen dem Verhalten eines Dirigenten und dem erzielten künstlerischen Niveau sich nicht auf die einfache Formel "freundlicher Dirigent, gutes Ergebnis" bringen lässt. Aber irgendwie ist das Thema auch durch...

    Viele Grüße,

    Christian

  • Ähm, ja: "Scheitern vorprogrammiert"

    ... bei "egomanischem Herumschreien" (vgl. Beitrag Nr. 14): Ja, das ist nach meiner beruflichen Erfahrung kein Erfolgsrezept. Daß man auch über Angstmachen zum Ziel kommen kann, ist eine andere Sache. Schlimm genug, wenn das (immer noch) funktioniert. Wobei zwischen "Erfolg" in der Schule und im Orchester vermutlich differenziert werden muß.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!