Autoritär oder kollegial? Über den Führungsstil im Orchester

  • Autoritär oder kollegial? Über den Führungsstil im Orchester

    Anlaß für diese Eröffnung ist ein Hinweis von Arundo Donax anderenorts, den ich gerne aufgreife:

    Der bekannte Oboist Albrecht Mayer hat sich kürzlich bemerkenswert offen über die Erfahrungen geäußert, die er bei den Berliner Philharmonikern machen durfte/mußte, nachzulesen in einem Interview der Frankfurter Rundschau ("Sie wollten mich brechen"). Er spricht von "unmenschliche(m) Druck": In seiner Anfangszeit dort (in den 1990ern) hätten die Alten versucht, die Jungen zu biegen und zu brechen, geprägt vom Herbert von Karajan: "Zweifelsfrei hat Karajan viel für die Philharmoniker geleistet, aber seine Ära war für die Musiker eine freudlose. Die haben immer den Stiefel im Nacken gespürt. Fehler waren fatal, und Karajan allein hat bestimmt, was falsch oder richtig, was schlecht oder gut war. Es gab ja keinerlei Interpretationsspielraum. Wenn Karajan sagte: So und kein bisschen anders hat’s zu klingen, wurde das eisern durchgezogen."
    Dagegen der Nachfolger Claudio Abbado, den Mayer offen verehrt: "Ich genieße die himmlischen Gefilde, in die er uns geführt hat, diese Kollegialität, das Fingerspitzengefühl im Umgang miteinander. Abbado war ein Glücksfall für die Philharmoniker, weil er uns nicht beschnitten hat wie Bonsaibäumchen. Er reicht seinen Musikern die ausgestreckte Hand, er hat bewiesen, dass man andere zu Höchstleistungen motiviert, gerade weil man mit ihnen kommuniziert, weil man ihnen mit Respekt begegnet – vor ihrer Meinung und ihrem Talent."

    Mayer unterscheidet die Autokraten, neben Karajan Sergiu Celibidache und Daniel Barenboim, von den kollegialen Chefs, neben dem "souveränen Maestro" Abbado auch Sir Simon Rattle.

    Die hier angesprochene Problematik findet sich nicht nur dort, wo Musik gemacht wird; dergleichen gibt es auch in Firmen, in Sportvereinen, überall dort, wo es Hierarchien gibt, wo geführt wird. Auch das wird im Interview angesprochen.

    Doch zurück zur Musik. Mayer sagt, daß auch das Ergebnis autokratischer Führung (bei Karajan) entsprechend gewesen sei: "unfrei, irgendwie nach Straflager" habe es geklungen. Frage: Gilt so etwas generell, gilt das überhaupt? Kann etwa ein autokratischer Dirigent, der auf die Bedürfnisse seiner Musiker keine Rücksicht nimmt, eine authentische Aufnahme einer Mahler-Symphonie zustandebringen, bei der individuelles Leiden geradezu Thema ist? Oder können - z. B. bei einer Beethoven-Symphonie - die armen Orchesterleute ihren Frust produktiv nützen und eine besonders trotzige und aggressive und damit womöglich werkgerechte Interpretation schaffen?

    Oder, ganz allgemein gefragt: Was meint Ihr (Musiker wie Hörer) zu Albrecht Mayers Äußerungen?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann. Autoritär oder kollegial ist ja nur ein Aspekt im Führungsstil. Es gibt Leute, die führen autoritär gut (oder patriarchalisch) und solche, die führen kollegial schlecht. Da gibt es sicher noch mehr Kriterien für das Arbeitsklima, auch wenn man das gerne an diesen beiden Begriffen festmacht. Und was noch dazugehört: Der Chef beeinflußt nur einen Teil des Arbeitsklimas, den Rest besorgen die Kollegen... Wenn dort gemobbt wird, kann der Chef noch so kollegial sein. Wenn der dann noch nicht einmal der Disziplinarvorgesetze ist, was will er dann bewirken?

    Ich bin mir auch nicht sicher bezüglich des künstlerischen Ergebnisses. Mit Muti als Musikdirektor der Mailänder Scala gab es bekanntlich erhebliche Probleme. Unter Sängern wird kolportiert, daß die immer dann besonders gut waren, wenn er sie vorher mit seiner Art zur Weißglut gebracht hat... Vermutlich ist das allerdings auch nicht verallgemeinerbar auf "Musiker"...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Mir scheint, Mayer weiß durchaus, was er sagt - und ich finde es wichtig, dass jemand wie er die Probleme, die (auch) mit einem extrem autoritären Führungsstil zusammenhängen, öffentlich anspricht.

    Dass das Gefühl, beständigem Psychoterror ausgesetzt zu sein, der Arbeit auf Dauer nicht förderlich ist, liegt auf der Hand. Hinzu kommt, dass gute Musiker nicht selten besonders sensibel sind und entsprechendem Druck längerfristig nicht standhalten.

    Und davon abgesehen halte ich es generell für menschlich unangemessen, andere zu demütigen und sich auf ihre Kosten noch größer zu machen.

    Glücklicherweise ist der entsprechende Führungsstil nach meinen Beobachtungen stark im Rückzug begriffen. Das betrifft den hochprofessionellen Bereich ebenso wie die Ebene der Laienchöre und Liebhaberorchester. Gerade bei den Amateuren habe ich mich immer wieder gefragt, warum sich Menschen, die ihre Freizeit opfern und Musik zu ihrer Freude machen wollen, wie auf dem Kasernenhof anschnauzen und herunterputzen lassen. Manchmal lässt sich dieses Phänomen immer noch beobachten - jüngst habe ich es wieder anlässlich einer (nicht gerade differenzierten) Aufführung von Haydns Paukenmesse erlebt. Wie der nicht umsonst mit dem Spitznamen "Klüttekarajan" bedachte Maestro in spe mit schöner Regelmäßigkeit seinen Chor angiftete, spottete jeder Beschreibung. Aber generell treten solche Typen inzwischen immer seltener in Erscheinung.

    Ich selber lasse mir eine autoritäre Behandlung durch Dirigenten nur noch bis zu einem gewissen Grad gefallen. Gerne spiele ich mal für wenig Geld, aber unter einem Hahnepampel, der meint, er müsse mich wie seinen Knecht behandeln, spiele ich gar nicht.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Glücklicherweise ist der entsprechende Führungsstil nach meinen Beobachtungen stark im Rückzug begriffen. Das betrifft den hochprofessionellen Bereich ebenso wie die Ebene der Laienchöre und Liebhaberorchester.

    Meine Orchestererfahrung ist sehr eng begrenzt, sie beschränkt sich auf einige Jugend-, Laine- und Projektorchester hier in der ostwestfälischen Provinz. Die beiden Typen von Dirigenten habe ich, ich habe es schon im anderen Thread geschrieben, aber auch auf dieser Ebene schon genauso erlebt. Erstaunlicherweise sind "Mischformen" meiner Erfahrung nach sehr selten, entweder "Diktator" oder "Motivator", ein Mittelding scheint es da selten zu geben. Ich würde aber deiner Erfahrung zustimmen, Bernd, dass die Pulttyrannen eindeutig im Rückzug sind. Ich weiß nicht, ob das an einem generellen mentalitätswandel liegt, an einer veränderten Ausbildung, oder daran, dass sich tatsächlich immer weniger Hobbymusiker eine solche Behandlung gefallen lassen.
    Meine prägendste Erfahrung in der Richtung war unser Musikschulleiter hier. Ich habe vom Alter von 13 bis 20 Jahren im Orchester der städtischen Musikschule gespielt, das musikalische Niveau brauchte sich für solch ein Orchester aus jugendlichen Hobbymusikern wirklich nicht verstecken, wir haben Symphonien und Konzerte von greig und Weber und Tschaikowsky und Dvorak und Saint-Saens gespielt, erreicht hat besagter Musikschulleiter das respektable Niveau aber mit dem "Prinzip Angst": Wenn jeder Spieler auf den Dirigenten starrt wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange und sich nicht traut einen falschen Ton zu spielen, spielen alle richtig und es kann nichts schief gehen. Wenn man bei den störrischen Spielern dann den Willen bricht, kann man aus den Trümmern eben wunderbar etwas nach dem eigenen Willen bauen! Wer nicht parierte, wurde dann auch schonmal mit großem Poltern aus dem Orchester geworfen, wegen Nichtigkeiten meistens, Beispiele nenne ich der Höflichkeit halber lieber nicht, nachher liest hier irgendein Paderborner mit. :hide: Der Vorteil war allenfalls, dass sich besagter cholerischer Dirigent zwar furchtbar aufregen konnte, es aber ein paar Stunden später auch schon wieder vergessen hatte.
    Das war das schlimmste Beispiel eines musikalischen Tyrannen, das ich in meiner Laienorchestererfahrung erlebt habe und ich bin heilfroh, dass ich jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, zu gehen. Ich bin froh, dass ich als Hobbymusiker immer die Möglichkeit habe, hinzuwerfen und mir eine solche Behandlung nicht gefallen zu lassen. Und wirklich ernst genommen haben wir mit zunehmendem Alter das Rumpelstilzchen am Pult natürlich auch nicht immer. Warum habe ich mir das, und haben es sich viele andere Jugendliche, so lange gefallen lassen? Die Frage, die du gestellt hast, Bernd, liegt natürlich nahe, und natürlich habe ich oft darüber nachgedacht. Ich kann sie nur für mich ganz individuell beantworten. Es war zum einen die Freude an der Musik, die Freude an der Gelegenheit, diese großen romantischen Symphonien zu durchleben. Und zum anderen war dieses Orchester natürlich auch ein wichtiger Bestandteil meiner Jugend, ein Ort um Freunde zu treffen, Gleichaltrige mit ähnlichen Interessen, ein Ort um zu quatschen und zu tratschen und zu flirten. Und wenn man fünfzehn oder sechzehn ist und sich gerade rettungslos in die erste Flöte verschossen hat, dann nimmt man auch, sobald das Donnerwetter vorbei ist, wieder den Choleriker am Pult hin und verzieht sich in die "innere Emigration"... :hide:

    PS: Ich habe gerade keine Ahnung, ob das jetzt zu persönlich war, oder zu viel Lästerei... ich hoffe einfach mal, dass kein Paderborner Musiker hier mitliest, der mich erkennt... :stumm:

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Zitat

    ...erreicht hat besagter Musikschulleiter das respektable Niveau aber mit dem "Prinzip Angst"...

    Lars, da stellt sich mir natürlich die Frage, ob er mit einer Mischung aus "natürlicher", auf Kompetenz basierender Autorität und Grundfreundlichkeit nicht genau so viel oder gar mehr hätte erreichen können. Auf der einen Seite ist es natürlich nicht so einfach, ein Orchester aus lauter Schülern einigermaßen bei Disziplin zu halten, andererseits habe ich junge Orchester kennengelernt, die auf einem hohen Niveau standen, ohne dass sich der Dirigent permanent wie ein Nero aufführen musste, so z.b das Orchester des Essener Goethe-Gymnasiums, in dem ich mal bei einer Aufführung von Strawinskys Psalmensymphonie ausgeholfen habe.

    Die wirklich großen, beglückenden Augenblicke beim eigenen Spielen habe ich IMMER mit Dirigenten erlebt, bei denen die Atmosphäre stimmte; das Gefühl eines gegenseitigen Gebens und Nehmens kam nie auf, wenn der Pinselschwinger im Vorfeld schlechte Laune oder gar Angst verbreitete. In meinem Umkreis gibt es zwei, drei Kirchenmusiker, bei denen ich mich immer schon Monate vorher auf die Mitwirkung in ihren Konzerten freue, weil ich weiß, dass dort musikalisch viel passieren wird. Das sind aber ausnahmslos Leute, die es angesichts ihres Könnens überhaupt nicht nötig haben, den wilden Mann zu spielen.

    Herzliche Grüße

    Bernd

  • RE: Autoritär oder kollegial? Über den Führungsstil im Orchester

    Kann etwa ein autokratischer Dirigent, der auf die Bedürfnisse seiner Musiker keine Rücksicht nimmt, eine authentische Aufnahme einer Mahler-Symphonie zustandebringen, bei der individuelles Leiden geradezu Thema ist?


    Da Mahler selbst ein ziemlicher Autokrat gewesen sein dürfte (vergl. z. B. Constantin Floros, "Gustav Mahler - Visionär und Despot"), müßte die Antwort wohl "ja" lauten. :D Aber: dies war natürlich eine vollkommen andere Zeit, in der man autoritäre Strukturen vielleicht eher akzeptiert hat.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Lars, da stellt sich mir natürlich die Frage, ob er mit einer Mischung aus "natürlicher", auf Kompetenz basierender Autorität und Grundfreundlichkeit nicht genau so viel oder gar mehr hätte erreichen können.


    Diese Frage würde ich sofort und ohne zu zögern mit "Ja" beantworten! Natürlich!

    In meinem Umkreis gibt es zwei, drei Kirchenmusiker, bei denen ich mich immer schon Monate vorher auf die Mitwirkung in ihren Konzerten freue, weil ich weiß, dass dort musikalisch viel passieren wird. Das sind aber ausnahmslos Leute, die es angesichts ihres Könnens überhaupt nicht nötig haben, den wilden Mann zu spielen.


    Die Erfahrung habe ich auch schon gemacht und ich finde sie enorm beglückend. Die Kirchenmusiker beider Hauptkirchen der beiden Konfessionen hier gehören auch eindeutig in diese "Kategorie"! Das sind wunderbare Musiker, die durch ihre eigene Begeisterung Andere begeistern können. Für mich ist eben das der Idealfall.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Im Dienst muß ich unter jedem Dirigenten spielen, ob er mir paßt oder nicht.

    Ich habe schlimme Sachen erlebt, nicht an mir, aber an Kollegen. Ich habe erlebt, wie Kollegen, welche sich nicht wehren konnten, systematisch kaputtgemacht wurden.
    Aber das ist lange her und es handelte sich um einen Dirigenten, den ich sehr schätze und der mich persönlich immer sehr gefördert hat.

    Und ich habe mir auch nichts bieten lassen, es gab sogar Situationen, in denen ich diesen Dirigenten anging, um einen Freund zu schützen, was er sich hat bieten lassen. Das hätte auch anders ausgehen können.
    Unser Vorstand hatte damals eine sehr anstrengende und schlimme Zeit.
    Natürlich nenne ich keine Namen und ich möchte auch bitten, davon abzsehen, zu recherchieren, um wen es sich gehandelt haben könnte.

    Es gibt nette Orchester, und ich bin zum Glück in einem solchen.
    Es gibt aber auch Orchester, in denen eine solch schlimme Stimmung herrscht, daß es gar keinen Tyrannen als Dirigenten braucht, um das Leben zu vermiesen.
    Da übernehmen die Kollegen das unter sich, da wird gemobbt, daß die Heide wackelt.

    Witzig finde ich immer die Diskrepanz zwischen Chef und Gastdirigent:

    Ich habe durchaus Gastdirigenten erlebt, von denen bekannt ist, daß sie mit stahlharter Faust in Ihrem eigenen Laden wüten.
    Als Gastdirigenten waren diese alle ausnahmslos Lämmer, saufreundlich....klar, man will ja wieder engagiert werden.

    Diese Saison kommt einer dieser Typen wieder mal zu uns, ich nenne keinen Namen, nur, daß dieser Dirigent als ausgesprochen unnachgiebig und streng gilt. Bei seinem eigenen Orchester hat er zu seinem Dienstantritt z.B. erst mal gnadenlos aufgeräumt und Kündigungen ausgesprochen.
    Klar, DAS war nicht in Deutschland, ich bin mal gespannt, wie sich dieser Dirigent gegenüber userem Haufen verhält.

    Bei Muggen gebe ich immer mein bestes, und wenn der Dirigent nett und vielleicht nicht sooo gut ist, dann ist das ganz egal.
    Er darf sogar richtig schlecht sein, er soll nur nett sein, ich bekomme ja auch Geld dafür.

    Aber wenn er schlecht, ohne Manieren und aufgeblasen ist, dann werde ich versuchen, Ihn fertig zu machen.
    Zum Beispiel könnte ich anfangen, nach Dirigat zu spielen.
    Das wäre ein erster, für den Dirigenten peinlicher, Schritt.

    Aber da gibt es noch andere Möglichkeiten, bei welchen man durchaus den Eindruck erwecken kann, freundlich zu bleiben.

    Ich bin aber auch schon mal gegangen, da kenne ich nichts.
    Grundsätzlich spiele auch ich lieber quasi umsonst mit 'nem Könner, als mich bei jemand indiskutablen zu prostituieren.

    :wink:

    Michael

  • Lieber Michael, Deine eigenen Erfahrungen deuten darauf, daß Albrecht Mayer mit seinen Äußerungen durchaus nicht nur Einzelfälle beschreibt; ich hoffe aber, daß es auch einige Orchester gibt, bei denen menschenwürdigere Zustände herrschen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Es ist halt ein Problem, wenn viele Menschen auf engstem Raum einer nervlich anstrengenden Tätigkeit nachgehen.
    Wie gesagt, wir sind eigentlich ein sehr nettes Orchester, aber es kommt immer wieder mal vor, daß kleine, böse Stacheleien passieren.
    Und ich bin selber da auch kein Kind von Traurigkeit.

    Man darf es nur nicht übertreiben, man bekommt das alles zurück.

  • Zitat

    Es gibt aber auch Orchester, in denen eine solch schlimme Stimmung herrscht, daß es gar keinen Tyrannen als Dirigenten braucht, um das Leben zu vermiesen.
    Da übernehmen die Kollegen das unter sich, da wird gemobbt, daß die Heide wackelt.

    In zwei von den drei Profiorchestern, in denen ich früher mal Aushilfe gespielt habe, verhielt sich das genauso. Was ich da an Grabenkämpfen, Intrigen und gegenseitigem Hass mitbekommen habe, ist für Außenstehende schier unvorstellbar. Das war - neben einer realistischen Einschätzung meines Könnens und meines Alters - auch mit der Grund, warum ich dann keine Probespiele mehr gemacht habe. In einer solchen Atmosphäre wäre ich binnen weniger Wochen vor die Hunde gegangen.

    Das von Michael als solches angesprochene "nette" Orchester gibt es sicher auch - aber wo man eigentlich landet, falls man überhaupt ein Probespiel gewinnt, weiß man vorher oft nicht nicht genau.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Man kann die neuen Kollegen natürlich auch eine Weile verarschen...... ;+)

    Als vor sehr vielen Jahren ein neuer zweiter Geiger (der ist jetzt übrigens Betriebsrat) seinen ersten Dienst machte, haben mein Freund Volker und ich uns SO begrüßt:
    "Hallo Du Wichser"
    "Hallo Du Arsch!"

    Und der damals vor vielen Jahren neue Kollege war völlig verschüchtert, in was für eine Kloake er denn nun hereingeraten ist.

    Manchmal dauert es halt 'ne Weile, den Künstler vor der Türe stehenzulassen, aber dann geht das alles schon.
    Scheint gemein, aber so läuft das Spiel und wir haben uns alle, also fast alle, immer lieb.

    Obwohl, da ist 'ne neue sehr gute georgische Geigerin. Sie spielt klasse, war vorher Konzertmeisterin in Solingen und Köln.
    Aber Sie macht eine derartig überhebliche Schnute beim Spielen, na ja, so jemand, der auch in echt und privat so ist, der bringt über kurz oder lang Unfrieden in den Laden.

    Die bräuchte langsam einen Schuß vor den Bug!

    Ja, so läuft das. Das ist wie in echt und überall...........

    Mal schauen......

    ;+)

    Michael

  • In einem anderen Thread schrieb Keath M.C,:

    Zitat

    Lieber Bernd,

    vielleicht spielst Du aus Lust und Laune, vielleicht professionell (ohne Wertung!). Ein Berufsmusiker hat wie in allen anderen Berufen Leistung zu vollbringen. Vorgesetzte werden i. d. R. nicht von den Mitarbeitern ausgesucht. Dieses gilt ebenso für Orchestermusiker. Selbstverständlich sind diese Individuen oder besser: Persönlichkeiten; ebenso wie in allen anderen Berufen oder Betätigungen...

    Generell bin ich überhaupt kein Freund von Hierarchien, deren Autoritätsstrukturen sich verselbstständigt haben. Autorität sollte immer auf sachlicher, keiner Aufregung bedürftiger Überlegenheit beruhen - ganz egal, auf welchem Gebiet.

    Im Falle der Musik bin ich dann zusätzlich noch der Auffassung, dass Kunst, die keinem unmittelbaren Nutzen dient und nicht überlebensnotwendig ist, immer etwas mit Freude zu tun haben sollte. Das gilt auch und gerade für professionelle Ausführungen - denn man merkt als Zuhörer am Ende dann eben doch, wenn primär unter Angst, Unlust und Frust gearbeitet wurde. Durch psychische Gewalt können meines Erachtens auf Dauer keine optimalen künstlerischen "Leistungen" erzwungen werden. Das bleibt meine These.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Autorität sollte immer auf sachlicher, keiner Aufregung bedürftiger Überlegenheit beruhen - ganz egal, auf welchem Gebiet.

    Das sehe ich ebenso, und es gilt m. E. für Autorität in jedem (beruflichen) Kontext. Aus eigener Erfahrung (Schule) weiß ich, daß egomanisches Herumschreien o. ä. nichts bringt, im Gegenteil die Sache nur schlimmer macht - Mißerfolg vorprogrammiert.

    Zitat

    Im Falle der Musik bin ich dann zusätzlich noch der Auffassung, dass Kunst, die keinem unmittelbaren Nutzen dient und nicht überlebensnotwendig ist, immer etwas mit Freude zu tun haben sollte.

    Könnte man erweitern: Schön wär's, wenn Arbeit aller Art, also auch jenseits von Musik, mit Freude zu tun hätte...

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Zitat


    denn man merkt als Zuhörer am Ende dann eben doch, wenn primär unter Angst, Unlust und Frust gearbeitet wurde.

    Man mag mich als Ignorantin bezeichnen (vielleicht sogar verdient), doch unser momentaner Intendant in Darmstadt, John Dew, hat fantastische Inszenierungen hingelegt, die mich persönlich oftmals sehr begeistert haben. Im Nachhinein habe ich aus internen Quellen erfahren, dass bedingt durch ihn, ein relativ "quallvolles" und tränenreiches Abeitsklima entstanden sein soll. Keiner traute mehr dem anderen, alles wurde weiter getragen und viele Sänger waren ziemlich unglücklich. Ich habe mir dann schon die Frage gestellt, ob das der Grund ist, warum in der hiesigen Spielzeit so viele neue Sänger und Musiker in den Reihen vertreten sind.... :hide:


    LG Lotte

  • Zitat von »arundo donax«
    Autorität sollte immer auf sachlicher, keiner Aufregung bedürftiger Überlegenheit beruhen - ganz egal, auf welchem Gebiet.

    Das sehe ich ebenso, und es gilt m. E. für Autorität in jedem (beruflichen) Kontext. Aus eigener Erfahrung (Schule) weiß ich, daß egomanisches Herumschreien o. ä. nichts bringt, im Gegenteil die Sache nur schlimmer macht - Mißerfolg vorprogrammiert.

    Das Problem ist, dass - ob es uns gefällt oder nicht - von Lully bis Barenboim viele "Despoten" unter den Dirigenten künstlerisch überwältigende Ergebnisse vollbracht haben. Von "vorprogrammiertem Misserfolg" keine Spur. Ich höre schon den Einwand, dass sie dieselben oder gar bessere Ergebnisse auch mit Kollegialität usw. hätten erreichen können, aber das ist reine Spekulation, die auch nicht dadurch bewiesen wird, dass andere das geschafft haben. Die Vorstellung, ein Dirigent würde mit freundlicher, kollegialer, unaufgeregter und unangespannter Autorität automatisch auch immer seine Musiker zu den bestmöglichen Leistungen animieren, ist pures Wunschdenken. Die soziologischen Prozesse sowohl innerhalb der Orchester als auch im Verhältnis zum "Chef" sind in der Praxis ganz sicher wesentlich komplizierter und vielfältiger.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Hallo Christian,

    ganz offengestanden weiß ich über das Verhalten vieler Dirigenten - von Lully bis Barenboim - zu ihren Musikern gar nicht so sonderlich viel. Vielleicht lassen sich etliche Details in menschlischen Fragen nach langer Frist auch gar nicht mehr so genau nachverfolgen. Und davon abgesehen waren die Zeiten Lullys in vielerlei Hinsicht andere als heute; den damaligen Grundrahmen von Herrschafts- und Abhängigkeistverhältnissen wünscht sich wohl heute ebensowenig jemand zurück wie die noch unter Kaiser Wilhelm herrschenden Zustände.

    Aber selbst wenn ich dir zunächst bedingungslos Recht geben müsste, würde ich im Zweifelsfall erst einmal auf den entsprechenden Teil der "künstlerisch überwältigenden Ergebnisse" verzichten wollen - zugunsten einer vielleicht auf manche lächerlich wirkenden Utopie, die das Künstlerische nicht komplett vom Menschlichen trennt. Wenn immer wieder künstlerische Einzelexistenzen vernichtet werden, weil sie den mehr oder minder willkürlichen Maßstäben der auf kultureller Ebene jeweils *Mächtigen* nicht genügen, scheint mir der Preis für die *überwältigenden* Ergebnisse sehr hoch - zu hoch vor allem auf die vielleicht ebenfalls ein Überwältigungspotential in sich tragenden Möglichkeiten, die mit allzu harter Faust im Keim erstickt wurden.

    Zitat

    Die Vorstellung, ein Dirigent würde mit freundlicher, kollegialer, unaufgeregter und unangespannter Autorität automatisch auch immer seine Musiker zu den bestmöglichen Leistungen animieren, ist pures Wunschdenken.

    Wie sich das auf höchstem professionellen Level verhält, weiß ich nicht genau. Auf meiner Ebene handelt es sich aber nach all meinen Erfahrungen ganz gewiss nicht um pures Wunschdenken, sondern um den einzig möglichen Weg zu wirklich lebendigen, den Zuhörer entsprechend fesselnden Aufführungen.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Das Problem ist, dass - ob es uns gefällt oder nicht - von Lully bis Barenboim viele "Despoten" unter den Dirigenten künstlerisch überwältigende Ergebnisse vollbracht haben. Von "vorprogrammiertem Misserfolg" keine Spur.

    Daß das früher geklappt hat (mit autoritärem Verhalten künstlerisch Überzeugendes zu schaffen), bestreite ich nicht. Aber heute? Je demokratischer eine Gesellschaft ist, desto weniger funktioniert das und Despoten können einpacken (in Orchestern und anderswo). Da ist allerdings vermutlich mehr Wunschdenken enthalten, als mir selber lieb ist... :S

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Zitat
    Die Vorstellung, ein Dirigent würde mit freundlicher, kollegialer, unaufgeregter und unangespannter Autorität automatisch auch immer seine Musiker zu den bestmöglichen Leistungen animieren, ist pures Wunschdenken.


    Wie sich das auf höchstem professionellen Level verhält, weiß ich nicht genau. Auf meiner Ebene handelt es sich aber nach all meinen Erfahrungen ganz gewiss nicht um pures Wunschdenken, sondern um den einzig möglichen Weg zu wirklich lebendigen, den Zuhörer entsprechend fesselnden Aufführungen.

    Natürlich meine ich vor allem Profi-Orchester. "Den einzig möglichen Weg" bezweifle ich weiterhin. Das hängt doch von so vielen Faktoren ab: Dem Können, der Erfahrung und vor allem der Disizplin des Orchesters, dem Schwierigkeitsgrad des Programms, dem Termin- und Erwartungsdruck usw.. Dass unter all diesen verschiedenen Umständen immer nur die pure Nettigkeit zum bestmöglichen Ergebnis führen soll, ist realitätsfern. Ich hatte gerade das Vergnügen, Kurt Masur während einer Arbeitsphase mit unserem Hochschulorchester zu erleben: Er hatte je nach Situation die ganze Spannweite von freundlichen, anspornenden und lobenden Bemerkungen bis zur knallharten Einzelkritik vor versammelter Mannschaft drauf. Die Musiker waren extrem angespannt, spielten aber letzten Endes auf einem Niveau, wie ich es ewig nicht von ihnen gehört hatte. Ich fand nur ein einziges Mal, dass er zu weit gegangen ist: Als er eine Schlagzeugerin (wie alle anderen natürlich Studentin) nach zweimaligem Versuch, den Trommelwirbel am Ende von Till Eulenspiegel gleichmäßig zu spielen, kurzerhand gegen ihren Nachbarn austauschte. Der Nachbar stellte sich allerdings hin und spielte den Trommelwirbel auf Anhieb perfekt. Das Bessere ist des Guten Feind... Dennoch: Da hätte ich mir wie gesagt, mehr Fingerspitzengefühl gewünscht.

    Zitat von »ChKöhn«
    Das Problem ist, dass - ob es uns gefällt oder nicht - von Lully bis Barenboim viele "Despoten" unter den Dirigenten künstlerisch überwältigende Ergebnisse vollbracht haben. Von "vorprogrammiertem Misserfolg" keine Spur.

    Daß das früher geklappt hat (mit autoritärem Verhalten künstlerisch Überzeugendes zu schaffen), bestreite ich nicht. Aber heute? Je demokratischer eine Gesellschaft ist, desto weniger funktioniert das und Despoten können einpacken (in Orchestern und anderswo). Da ist allerdings vermutlich mehr Wunschdenken enthalten, als mir selber lieb ist... :S

    Ein bisschen Wunschdenken ist sicher dabei, aber nicht nur: Natürlich haben sich die Verhältnisse geändert. Gerade deswegen finde ich es wenig sinnvoll, aus heutiger Sicht z.B. auf Böhms oder Karajans Probenstil rumzureiten. Immerhin haben ja wie gesagt die Berliner Philharmoniker selbst Karajan zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt. Auch das Empfinden (oder besser gesagt: die Empfindlichkeit) der Orchestermusiker war also offenbar anders als heute.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Hallo Christian,

    meine persönlichen Erfahrungen gehen - offenbar anders als deine - dahin, dass die agressiven Egomanen am Pult (und ich habe solche zur Genüge erlebt) musikalisch nie so nahe ans Ziel kamen wie andere, menschlich vernünftig agierende Dirigenten. --

    Michael schrieb im Thread zu Karl Böhm:

    Zitat

    Wir Streicher haben immer die Arschkarte, denn wir werden immer, so gut wie immer, gebraucht.
    Und die Bläser ärgern sich immer, warum wir blöden Streicher immer so lange brauchen für ein Werk.

    In mancherlei Hinsicht möchte ich nicht mit den Streichern tauschen. Mir ist klar, dass das permanente Spielen in einer schwierigen Symphonie oder gar langen Oper eine extreme körperliche Belastung bedeutet und darüber hinaus abartig auf die Konzentration geht. Aber umgekehrt enstehen den Bläsern gerade durch Pausen oft Probleme, die du wiederum auch nicht haben möchtest. Jeder, der ein Doppelrohrinstrument spielt und schon mal versucht hat, nach 10 Minuten Stillschweigen einen Pianissimosoloeinsatz sauber aus dem Nichts zu zaubern, weiß, wovon ich rede. Und wenn der Ton dann nicht kommt, kriegen das wirklich alle mit, nicht nur der Pultnachbar. Mir macht diese immer wiederkehrenden Situationen Stress genug, und was ich dann gar nicht gebrauchen kann, ist ein Pinselschwinger, der tobsüchtig wird, wenn man mal in einer Probe zu sehr an die Grenzen des Möglichen gegangen ist. Ich muss ständig abwägen, wieviel ich dynamisch riskieren will, und oft ist das wirklich ein`Tanz auf dem Hochseil.

    Zitat

    Sorry, aber im Grunde ist auch für mich der Dienst an der Musik nach wie vor eine-äh- von mir aus heilige Sache.

    Michael, du kannst davon ausgehen, dass ich immer versuche, mein Bestes zu geben, wenn ich vor Leuten spiele, auch bei allen möglichen Schabbelsmuggen. Aber dieses "Beste" relativiert sich besonders in den Proben schon alleine durch das Material. Oft hat man nur ein Rohr, das bei den gerade herrschenden klimatischen Bedingungen optimal funktioniert und auch noch zur Raumakustik passt. Und dann ist man nicht selten gut beraten, wenn man dieses Rohr nicht schon in der Probe plattbläst, das heißt: Wenn die haarige pp-Stelle bei der Aufführung funktionieren soll, muss ich unter Umständen in der Probe zu Material greifen, auf der sie eben nicht funktioniert! Manche Dirigenten wissen das oder lassen es sich zumindestens erklären, aber gerade die Choleriker wissen es oft nicht und bestehen beim Proben fauchend auf ihrem "leiser!!!". Überhaupt ist es für phantasielose Pultlöwen, die sonst nicht wissen, wie sie die Musik gestalten sollen, am leichtesten, endlos auf der Dynamik herumzureiten. Es macht sich immer gut und zeugt von unglaublicher Kompetenz, permanent "noch leiser!!!!" zu fordern. Ich habe verschiedentlich Bachkantaten unter einem Kantor gespielt, der auch zur fachlich wie menschlich eher grenzwertigen Sorte gehörte und schon immer "Pssst" in unsere Richtung schrie, wenn man das Rohr noch gar nicht im Mund hatte. Irgendwann habe ich ihm mal gesagt, er solle sich überlegen, statt Oboen Blockflöten zu engagieren - da herrschte dann wenigstens für den Rest der Probe Frieden...

    Beste Grüße

    Bernd

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