Haydn, Joseph: Oboenkonzert C-Dur Hob. VIIg:C1
Die Nummer im Hoboken-Verzeichnis "Hob. VIIg:C1" deutet darauf hin, dass das Werk schon 1957, bei Erscheinen des ersten Bandes, als "zweifelhaft" galt. Mittlerweile scheint sich die Meinung durchgesetzt zu haben, dass das Werk nicht von Haydn ist. Allerdings wurde der tatsächliche Komponist bisher nicht ausfindig gemacht, und so erfreut sich das Konzert unter Haydns Namen weiterhin großer Beliebtheit. Das dürfte auch mit dessen musikalischer Qualität zusammenhängen, wozu aber die Oboen-Spezialisten sicher mehr sagen können.
Anlass meiner Besprechung ist auch die nach wie vor offene Frage, ob bzw. inwieweit man die Sätze eines frühklassischen Solokonzertes eindeutig in Exposition, Durchführung und Reprise gliedern kann. Hier wurde darauf hingewiesen, dass sich die klassische Konzertform aus dem barocken Ritornellkonzert ableitet. Tatsächlich gibt es insbesondere bei Haydn einige Beispiele, bei denen der Ritornellcharakter überwiegt, so z.B. beim ersten Satz dieses Oboenkonzertes. Dennoch werde ich auch diesen in Exposition, Durchführung und Reprise unterteilen, bin aber jederzeit offen für bessere Vorschläge.
Meine Aufnahme:
Beim Vergleich mit den unten genannten Youtube-Beispielen fällt die Qualität dieser Aufnahme besonders stark auf. Dafür sind die Tonarten auf Youtube besser zu erkennen, da auf der CD Trevor Pinnock "historically informed" einen halben Ton tiefer spielen lässt (d.h. die Instrumente sind entsprechend gestimmt).
1. Satz: Allegro spirituoso, 4/4-Takt, C-Dur (319 Takte)
Hörbeispiel:
http://www.youtube.com/watch?v=ewND2oTNt_o (Exposition)
http://www.youtube.com/watch?v=jH4Ljx11aFk (Durchführung und Reprise)
Die Tutti-Exposition umfasst satte 62 Takte. Das Hauptthema wirkt mit der Verwendung von Pauken und Trompeten recht pompös. In Takt 17 (bei 0:29) beginnt ein Ausflug in die Dominanttonart G-Dur, wobei ab Takt 28 (bei 0:47) eine Art "zweites Tutti-Thema" erklingt, das sich vom späteren zweiten Solo-Thema unterscheidet. In Takt 36 (bei 1:01) geht's zurück nach C-Dur. Die Stelle ab Takt 47 (bei 1:20) nenne ich "Motiv B", es erinnert etwas an das Hauptthema und erscheint auch am Ende der Exposition. Die Tutti-Exposition endet mit einem festlichen "Epilog" ab Takt 58 (1:38), dieser erklingt auch ganz am Ende des Satzes.
Die Oboe beginnt die Solo-Exposition in Takt 63 (bei 1:46) überraschenderweise nicht mit dem Hauptthema, sondern mit einem neuen "Eingangsgedanken", gefolgt von einer kleinen Kadenz. Erst in Takt 71 (bei 2:10) erklingt das Hauptthema. In Takt 99 (bei 2:57) erscheint das "zweite Solo-Thema" in G-Dur, es erinnert an entsprechende Passagen aus Mozart-Konzerten. Nach weiteren solistischen Darbietungen steigt in Takt 137 (bei 4:05) wieder das Orchester ein, und zwar mit dem Hauptthema, jetzt natürlich in G-Dur. Aus barocker Sicht handelt es sich hier einfach um das Ritornell, aus klassischer Sicht stellt es meiner Meinung nach das Ende der Exposition dar, obwohl manche hier möglicherweise schon den Beginn der Durchführung sehen (Einstimmung auf den nächsten Einsatz der Oboe). Immerhin ist es mehr als ein einfaches "Nachspiel", da nach dem Hauptthema auch das "zweite Tutti-Thema" und das o.g. "Motiv B" erklingen.
Den Beginn der Durchführung setze ich in den Takt 171 (Beginn des 2. Youtube-Beispiels) mit dem Einsatz der Oboe. Am Anfang klingt das noch nicht sehr durchführungsartig, sondern nur wie eine weitere Solo-Stelle. Irgendwann nach Takt 183 (nach 0:22) wird dann aber a-Moll erreicht, das hat dann schon etwas Durchführungscharakter. Das Orchester führt in Takt 218 (bei 1:25) wieder zurück nach C-Dur.
Ab Takt 227 (bei 1:40) wiederholt die Oboe den "Eingangsgedanken" aus der Solo-Exposition, wiederum gefolgt von einer kleinen Kadenz (Takt 234), das muss also bereits die Reprise sein. Entsprechend erscheint wieder "verspätet" das Hauptthema ab Takt 235 (bei 2:03). Diese Passage endet überraschenderweise in F-Dur, gefolgt von einem kurzen Tutti-Einschub (Takt 250-252, bei 2:29) ebenfalls in F-Dur. Warum hier diese Tonart erscheint, ist mir nicht klar, hoffentlich mache ich da keinen Denkfehler. Im Lauf der folgenden Solo-Passage wird dann wieder C-Dur erreicht. Nach dem "zweiten Solo-Thema" (ab Takt 270, bei 3:04) und einem leisen Tutti-Einschub darf die Oboe ab Takt 288 (bei 3:35) ihrer Virtuosität freien Lauf lassen. Hier hat der Oboist aus dem Youtube-Beispiel keine Chance gegen Paul Goodwin aus meiner Aufnahme. Das Orchester setzt in Takt 304 (ab 4:03) mit dem Hauptthema ein, leitet aber bald über zur nun etwas längeren Kadenz der Oboe (Takt 313, bei 4:21). Der Satz endet nach 319 Takten mit dem aus der Tutti-Exposition bekannten "festlichen Epilog".
Der ganze Satz dauert auf meiner CD satte 10:42 Minuten. Auf dem Youtube-Beispiel ist er um ca. 30 Sekunden kürzer.
Was halten die Oboen-Freunde von diesem Konzert?
Thomas
PS: Weitere Beispiele für den ersten Satz:
http://www.youtube.com/watch?v=iN12Gj9Ac0s und http://www.youtube.com/watch?v=71r8uygcvc0
http://www.youtube.com/watch?v=8Y9lJ7m1TK4
http://www.youtube.com/watch?v=iX_QdVIoN_Y (naja)