Haydn, Joseph: Oboenkonzert C-Dur Hob. VIIg:C1

  • Haydn, Joseph: Oboenkonzert C-Dur Hob. VIIg:C1

    Die Nummer im Hoboken-Verzeichnis "Hob. VIIg:C1" deutet darauf hin, dass das Werk schon 1957, bei Erscheinen des ersten Bandes, als "zweifelhaft" galt. Mittlerweile scheint sich die Meinung durchgesetzt zu haben, dass das Werk nicht von Haydn ist. Allerdings wurde der tatsächliche Komponist bisher nicht ausfindig gemacht, und so erfreut sich das Konzert unter Haydns Namen weiterhin großer Beliebtheit. Das dürfte auch mit dessen musikalischer Qualität zusammenhängen, wozu aber die Oboen-Spezialisten sicher mehr sagen können.

    Anlass meiner Besprechung ist auch die nach wie vor offene Frage, ob bzw. inwieweit man die Sätze eines frühklassischen Solokonzertes eindeutig in Exposition, Durchführung und Reprise gliedern kann. Hier wurde darauf hingewiesen, dass sich die klassische Konzertform aus dem barocken Ritornellkonzert ableitet. Tatsächlich gibt es insbesondere bei Haydn einige Beispiele, bei denen der Ritornellcharakter überwiegt, so z.B. beim ersten Satz dieses Oboenkonzertes. Dennoch werde ich auch diesen in Exposition, Durchführung und Reprise unterteilen, bin aber jederzeit offen für bessere Vorschläge.

    Meine Aufnahme:

    Beim Vergleich mit den unten genannten Youtube-Beispielen fällt die Qualität dieser Aufnahme besonders stark auf. Dafür sind die Tonarten auf Youtube besser zu erkennen, da auf der CD Trevor Pinnock "historically informed" einen halben Ton tiefer spielen lässt (d.h. die Instrumente sind entsprechend gestimmt).

    1. Satz: Allegro spirituoso, 4/4-Takt, C-Dur (319 Takte)
    Hörbeispiel:
    http://www.youtube.com/watch?v=ewND2oTNt_o (Exposition)
    http://www.youtube.com/watch?v=jH4Ljx11aFk (Durchführung und Reprise)

    Die Tutti-Exposition umfasst satte 62 Takte. Das Hauptthema wirkt mit der Verwendung von Pauken und Trompeten recht pompös. In Takt 17 (bei 0:29) beginnt ein Ausflug in die Dominanttonart G-Dur, wobei ab Takt 28 (bei 0:47) eine Art "zweites Tutti-Thema" erklingt, das sich vom späteren zweiten Solo-Thema unterscheidet. In Takt 36 (bei 1:01) geht's zurück nach C-Dur. Die Stelle ab Takt 47 (bei 1:20) nenne ich "Motiv B", es erinnert etwas an das Hauptthema und erscheint auch am Ende der Exposition. Die Tutti-Exposition endet mit einem festlichen "Epilog" ab Takt 58 (1:38), dieser erklingt auch ganz am Ende des Satzes.

    Die Oboe beginnt die Solo-Exposition in Takt 63 (bei 1:46) überraschenderweise nicht mit dem Hauptthema, sondern mit einem neuen "Eingangsgedanken", gefolgt von einer kleinen Kadenz. Erst in Takt 71 (bei 2:10) erklingt das Hauptthema. In Takt 99 (bei 2:57) erscheint das "zweite Solo-Thema" in G-Dur, es erinnert an entsprechende Passagen aus Mozart-Konzerten. Nach weiteren solistischen Darbietungen steigt in Takt 137 (bei 4:05) wieder das Orchester ein, und zwar mit dem Hauptthema, jetzt natürlich in G-Dur. Aus barocker Sicht handelt es sich hier einfach um das Ritornell, aus klassischer Sicht stellt es meiner Meinung nach das Ende der Exposition dar, obwohl manche hier möglicherweise schon den Beginn der Durchführung sehen (Einstimmung auf den nächsten Einsatz der Oboe). Immerhin ist es mehr als ein einfaches "Nachspiel", da nach dem Hauptthema auch das "zweite Tutti-Thema" und das o.g. "Motiv B" erklingen.

    Den Beginn der Durchführung setze ich in den Takt 171 (Beginn des 2. Youtube-Beispiels) mit dem Einsatz der Oboe. Am Anfang klingt das noch nicht sehr durchführungsartig, sondern nur wie eine weitere Solo-Stelle. Irgendwann nach Takt 183 (nach 0:22) wird dann aber a-Moll erreicht, das hat dann schon etwas Durchführungscharakter. Das Orchester führt in Takt 218 (bei 1:25) wieder zurück nach C-Dur.

    Ab Takt 227 (bei 1:40) wiederholt die Oboe den "Eingangsgedanken" aus der Solo-Exposition, wiederum gefolgt von einer kleinen Kadenz (Takt 234), das muss also bereits die Reprise sein. Entsprechend erscheint wieder "verspätet" das Hauptthema ab Takt 235 (bei 2:03). Diese Passage endet überraschenderweise in F-Dur, gefolgt von einem kurzen Tutti-Einschub (Takt 250-252, bei 2:29) ebenfalls in F-Dur. Warum hier diese Tonart erscheint, ist mir nicht klar, hoffentlich mache ich da keinen Denkfehler. Im Lauf der folgenden Solo-Passage wird dann wieder C-Dur erreicht. Nach dem "zweiten Solo-Thema" (ab Takt 270, bei 3:04) und einem leisen Tutti-Einschub darf die Oboe ab Takt 288 (bei 3:35) ihrer Virtuosität freien Lauf lassen. Hier hat der Oboist aus dem Youtube-Beispiel keine Chance gegen Paul Goodwin aus meiner Aufnahme. Das Orchester setzt in Takt 304 (ab 4:03) mit dem Hauptthema ein, leitet aber bald über zur nun etwas längeren Kadenz der Oboe (Takt 313, bei 4:21). Der Satz endet nach 319 Takten mit dem aus der Tutti-Exposition bekannten "festlichen Epilog".

    Der ganze Satz dauert auf meiner CD satte 10:42 Minuten. Auf dem Youtube-Beispiel ist er um ca. 30 Sekunden kürzer.

    Was halten die Oboen-Freunde von diesem Konzert?


    Thomas

    PS: Weitere Beispiele für den ersten Satz:
    http://www.youtube.com/watch?v=iN12Gj9Ac0s und http://www.youtube.com/watch?v=71r8uygcvc0
    http://www.youtube.com/watch?v=8Y9lJ7m1TK4
    http://www.youtube.com/watch?v=iX_QdVIoN_Y (naja)

  • Hallo Thomas,

    Zitat

    Mittlerweile scheint sich die Meinung durchgesetzt zu haben, dass das Werk nicht von Haydn ist.

    Allerdings. Mein letzter niederländischer Lehrer schrieb mit Bleistift neben den auf der ersten Seite meiner Ausgabe gedruckten Komponistennamen die Bemerkung "sicherlich nicht von".

    Zitat

    Allerdings wurde der tatsächliche Komponist bisher nicht ausfindig gemacht, und so erfreut sich das Konzert unter Haydns Namen weiterhin großer Beliebtheit. Das dürfte auch mit dessen musikalischer Qualität zusammenhängen, wozu aber die Oboen-Spezialisten sicher mehr sagen können.

    Die Qualität des ungewöhnlich ausgedehnten Werks liegt für meine Begriffe deutlich über der aller anderen erhaltenen klassischen Oboenkonzerte (das von Mozart natürlich ausgenommen). Richter, Fischer, Dittersdorf, Stamitz etc. haben auch sehr nette Oboenkonzerte geschrieben, aber neben KV 314 ist das "Haydn-Konzert" als klassisches Hauptschlachtschiff unserer Zunft anzusehen.

    Mir liegen leider gerade keine Noten vor (dieselbigen befinden sich auf einem großen Stapel in der Jülicher Musikschule, wo ich sie häufiger benötige als zu Hause), so dass ich zu deiner obenstehenden Analyse des 1. Satzes erst einmal nicht viel sagen kann. Mal abgesehen davon, dass ich generell kein Spezialist für formale Feinheiten bin, fällt mir aber beim groben Überlesen ohne Klavierauszug nichts elementar "Falsches" auf.

    Was die letzte große Kadenz der Oboe anbelangt, ist meines Wissens kein "Originaltext" überliefert. Viele Oboisten - ich auch - spielen eine Kadenz von Alexander Wunderer, einem früheren Oboisten der Wiener Philharmoniker, in dessen Edition das "Haydn-Konzert" am weitesten verbreitet ist. Diese Kadenz ist fingertechnisch nicht ganz ohne; ansonsten halten sich die manuellen Schwierigkeiten des 1. Satzes einigermaßen in Grenzen (KV 314 stellt einen da vor deutlich größere Probleme).

    Beste Grüße

    Bernd

  • P.S.:

    Gerade habe ich mal auf Thomas´zweiten youtube-Link geklickt. Naja - ich selber kann es in genügend Punkten gewiss nicht besser, aber alles in allem handelt es sich da schon eine Interpretation, die mir wehtut. In klanglicher Hinsicht sowieso, darüber hinaus aber auch im Hinblick auf das sorgfältiges Ausspielen der einzelnen Phrasen. Verflixt flotte Finger hat er ja, der dort tätige Oboist, aber viele Passagen wirken auch dementsprechend heruntergenudelt, nicht direkt schlampig, aber auf jeden Fall irgendwie lieblos gehetzt.

    Der legendäre Heinz Holliger interpretierte das "Haydn-Konzert" auf der modernen Oboe tonlicher noch anfechtbarer, aber manuell-musikalisch um Welten souveräner. Wenn man seine Aufnahme(n) anhört, hat man bei allen Läufen stets den Eindruck des "so und nicht anders muss es sein".

    Beste Grüße

    Bernd

  • 2. Satz: Andante, 2/4-Takt, F-Dur (82 Takte)
    Hörbeispiel: http://www.youtube.com/watch?v=j9PFrd8kbMU

    Hier muss ich vorausschicken, dass es sich bzgl. "2/4-Takt" nur um eine Vermutung meinerseits handelt. Und zwar meine ich, dass es von 0:02 bis 0:33 genau 8 Takte sind. Mein Hoboken-Verzeichnis bringt nur den Beginn des ersten Satzes, für die beiden anderen Sätze muss ich den Takt durch reines Hören erfassen, und das können andere sicher besser. Ich bitte also ggf. um Korrekturen.

    Hinsichtlich der Gliederung sehe ich wiederum drei Teile, die ich dieses Mal aber lieber als Hauptsatz – Mittelsatz – Reprise bezeichnen würde. Die Tonart F-Dur beruhigt mich insofern, als ich schon in der Reprise des ersten Satzes eine F-Dur-Passage wahrgenommen habe. Eine logische Erklärung dafür habe ich aber nicht.

    Der Satz beginnt direkt mit der Oboe, die das elegische Hauptthema vorträgt. Das macht der Herr Goodwin ziemlich gut. Wobei ich den Solisten aus dem Youtube-Beispiel nicht kritisieren will, aber bei Goodwin klingt das irgendwie abgeklärter. Das Orchester setzt zum ersten Mal in Takt 16 (bei 1:00) mit einem "Epilog" (immer noch F-Dur) ein, der im Verlauf des Satzes noch zwei weitere Male zu hören ist. Anschließend (Takt 21, bei 1:19) macht die Oboe in C-Dur weiter. Der Hauptsatz endet nach 40 Takten mit dem "Epilog" des Orchesters (ab 2:23), nun natürlich in C-Dur.

    Der Mittelsatz (Takt 41, bei 2:34) wird praktisch komplett von der Oboe bestritten. Auf die Angabe der Tonarten muss ich hier verzichten, da bin ich nicht sicher genug. Am Anfang klingt es nach Moll. Was wird wohl der Ausbruch in Takt 55 (bei 3:24) sein? c-Moll? Das würde passen. Anschließend schafft es die Oboe irgendwie, nach F-Dur überzuleiten, sie weiß ja, dass die Reprise in dieser Tonart stehen muss. Vorher (Takt 62, bei 3:52) kommt aber noch eine Mini-Kadenz (nur auf meiner CD zu hören).

    Die Reprise beginnt mit Takt 63 (bei 4:06). Sie umfasst 20 Takte und ist fast identisch mit den ersten 20 Takten des Hauptsatzes: Hauptthema (4:06) - Hauptthema (4:36) - Orchester-Epilog (5:02).

    Das ist ein elegisch-verträumter Satz, der mir ziemlich gut gefällt. Die Oboen-Freunde mögen festlegen, ob der Interpret aus meinem Hörbeispiel oder die Frau aus Venezuela (http://www.youtube.com/watch?v=HeUaKhBLEDQ) die bessere Interpretation liefern. Paul Goodwin auf meiner CD gefällt mir jedenfalls am besten.


    Thomas

  • Zitat

    Hier muss ich vorausschicken, dass es sich bzgl. "2/4-Takt" nur um eine Vermutung meinerseits handelt.

    Thomas, in vielen Fällen ist es schwierig bis kaum möglich, rein vom Hören her zu entscheiden, ob es sich um einen 2/4el oder 4/4el handelt. Hier ergibt sich aber meiner Meinung nach aus dem Verlauf des Anfangs, dass der Satz im 4/4el notiert ist. Er beginnt mit einem Viertel Auftakt - überlege mal, wo der den ersten Volltakt begrenzende Takstrich im Falle eines 2/4els stehen würde!

    Beste Grüße

    Bernd


  • Thomas, in vielen Fällen ist es schwierig bis kaum möglich, rein vom Hören her zu entscheiden, ob es sich um einen 2/4el oder 4/4el handelt. Hier ergibt sich aber meiner Meinung nach aus dem Verlauf des Anfangs, dass der Satz im 4/4el notiert ist. Er beginnt mit einem Viertel Auftakt - überlege mal, wo der den ersten Volltakt begrenzende Takstrich im Falle eines 2/4els stehen würde!


    Hallo Bernd, wenn ich dich richtig verstehe, kommen wir beide auf die gleiche Taktzahl, d.h. dein Viertel Auftakt wäre bei mir ein Achtel Auftakt, die Taktstriche würden an derselben Stelle stehen. Mein Notenbild wäre also falsch, was natürlich sein kann. Ich war gefühlsmäßig der Meinung, man müsste bei einem so "langsamen" Satz auch langsamer zählen, also nur ca. alle 2 Sekunden ein Schlag. Aber ihr Musiker habt eine viel bessere Vorstellung von einem plausiblen Notenbild...

    Immerhin muss ich jetzt nicht die ganzen Taktzahlen ändern, sondern nur die Angabe des Taktes.


    Thomas

  • 3. Satz: Rondo. Allegretto, 3/4-Takt, C-Dur (213 Takte)
    Hörbeispiel: http://www.youtube.com/watch?v=CxN_qbkN4kM

    Hoffentlich habe ich wenigstens hier den Takt richtig erfasst, und es ist nicht etwa 3/8-Takt oder sowas.

    Hier liegt also ein Rondo vor. Allerdings kann man den Satz aus meiner Sicht auch als Variationensatz bezeichnen. Ein Rondo wäre ja etwas wie A-B-A'-C-A''-B'-A'''. Sieben Teile sehe ich hier in der Tat, würde sie aber als A-B-C-D-E-F-A gliedern. Oder gar als Thema (A) mit 5 Variationen und Wiederholung des Themas am Ende.

    Allerdings ist "A" mehr als nur ein Thema, es gliedert sich in:
    Hauptthema (8 Takte, ab 0:01)
    Zwischenspiel (8 Takte, ab 0:12)
    Hauptthema (8 Takte, ab 0:26)
    Epilog (8 Takte, ab 0:36)

    Die ersten drei Teile werden von der Oboe gespielt, der letzte Teil vom Orchester, alles in C-Dur.

    Es folgen drei ähnlich aufgebaute Blöcke B, C und D (bei 0:46, 1:33 und 2:19), alles in C-Dur, aber mit jeweils einer Variation des Hauptthemas. Das Zwischenspiel wird bei B und C vom Orchester gespielt, gefolgt jeweils von einem kadenzartigen Einschub der Oboe. Bei C erklingt im Tutti an der Stelle des Epilogs das Hauptthema (nicht variiert), und bei D wird das Zwischenspiel in variierter Form von der Oboe gespielt, während das Orchester erst wieder beim Epilog zum Einsatz kommt.

    Die vierte Variation (bzw. Teil E, ab 3:06) steht hauptsächlich in c-Moll und hat nur noch entfernt Ähnlichkeit mit Teil A. Der Epilog-Teil ist dabei ersetzt durch eine um einen Takt kürzere Überleitung zum Teil F bzw. der "letzten Variation" (bei 3:45). Die Oboe entfaltet hier ihre maximale Virtuosität, mit der üblichen Gliederung, aber ohne Orchester-Epilog, so dass dieser Abschnitt nur 24 Takte (statt 32) umfasst.

    Der letzte Teil des Satzes (ab 4:20) besteht aus einer kaum geänderten Wiederholung von Teil A, nur die zweite Hälfte des Zwischenspiels wird vom Orchester anstelle der Oboe gespielt. Letztere folgt auch hier mit einem kurzen kadenzartigen Einschub, bevor sie "planmäßig" zum letzten Mal das Hauptthema erklingen lässt. Gemäß dem etablierten Schema schließt das Orchester mit dem bekannten Epilog.

    Der Satz umfasst insgesamt 213 Takte. Warum nicht 7x32 = 224 Takte: Teil E (der Moll-Teil) ist um 3 Takte kürzer, und in Teil F fehlen die 8 Epilog-Takte.

    Bernds Lob für dieses Werk kann ich gut nachvollziehen.


    Thomas

    PS: Youtube-Alternativen:
    http://www.youtube.com/watch?v=vueofof-bio (aus Venezuela)
    http://www.youtube.com/watch?v=tvrAL8BddC4 (für Leute mit Schlafstörungen)

  • Zitat

    Ich war gefühlsmäßig der Meinung, man müsste bei einem so "langsamen" Satz auch langsamer zählen, also nur ca. alle 2 Sekunden ein Schlag.

    Thomas, bei einem so langsamen Puls würde es sehr schwer werden, sich auf ein einheitliches Spielen zu einigen.

    Zitat

    Hoffentlich habe ich wenigstens hier den Takt richtig erfasst, und es ist nicht etwa 3/8-Takt oder sowas.

    Hier liegst du mit dem 3/4el richtig.

    Zitat

    Der Epilog-Teil ist dabei ersetzt durch eine um einen Takt kürzere Überleitung zum Teil F bzw. der "letzten Variation" (bei 3:45). Die Oboe entfaltet hier ihre maximale Virtuosität

    Diese Stelle ist für meine Begriffe die einzige manuell richtig haarige im ganzen Konzert. Das muss man sehr gründlich üben.... -

    Ich besitze eine Aufnahme mit Lajos Lencses und dem Stuttgarter RSO unter Neville Marriner. Angeregt durch den Thread habe ich sie heute seit langem noch einmal gehört - und war schwer enttäuscht: Lencses, auf den ich normalerweise größere Stücke halte, bläst das Konzert zwar blitzsauber, aber musikalisch grottenöde. Es ist wirklich erschreckend, wie wenig er hier losmacht.

    Gleich werde ich eventuell noch mal einen Blick auf die Youtube-Versionen riskieren.

    Beste Grüße

    Bernd


  • Hallo Bernd, wenn ich dich richtig verstehe, kommen wir beide auf die gleiche Taktzahl, d.h. dein Viertel Auftakt wäre bei mir ein Achtel Auftakt, die Taktstriche würden an derselben Stelle stehen. Mein Notenbild wäre also falsch, was natürlich sein kann. Ich war gefühlsmäßig der Meinung, man müsste bei einem so "langsamen" Satz auch langsamer zählen, also nur ca. alle 2 Sekunden ein Schlag. Aber ihr Musiker habt eine viel bessere Vorstellung von einem plausiblen Notenbild...

    Immerhin muss ich jetzt nicht die ganzen Taktzahlen ändern, sondern nur die Angabe des Taktes.


    Thomas


    Hallo ihr beiden!

    Ich habe die Noten hier vor mir liegen: Der zweite Satz ist im 4/4-Takt notiert und beginnt mit einer Viertel als Auftakt, genau wie Bernd es geschrieben hat. Der dritte Satz steht natürlich im 3/4-Takt. Die Taktzahlen stimmen auch bei allen drei Sätzen nicht ganz mit der Wunderer-Edition (erschienen bei Breitkopf & Härtel) überein, aber das sind nur geringe Abweichungen. Welche Ausgabe legst du denn deinen Analysen zu Grunde, Thomas?
    Was das Konzert an und für sich angeht, kenne und schätze ich es natürlich auch. Sowohl in seiner Ausdehnung und ausgreifenden Anlage als auch in der Prägnanz der melodischen Erfindung und dem Reichtum an kontrastierenden Stimmungen steht es in der Oboenliteratur (oder gar der konzertanten Literatur für Holzbläser) aus der Zeit um 1800 ohne wirklich Vergleichbares da. In diesem Zusammenhang könnte auch ein Vergleich dieses anonymen Konzertes mit anderen Holzbläserkonzerten dieser Zeit interessant sein, zumal mit den besten unter ihnen (als Beispiele fallen mir spontan Mozarts ca. dreißig Jahre ältere Flöten- und Oboenkonzerte und Webers etw 10 Jahre jüngeres Fagottkonzert ein).
    Ich habe mich auch schon immer wieder einmal mit den Gedanken getragen, einen Thread über dieses "Haydn-Konzert" zu starten, danke Thomas, dass du das jetzt getan hast. Ich nehme mir vor, am Wochenende noch etwas zur Autorfrage zu schreiben. Neben Haydn wurden übrigens auch schon Mozart und Beethoven mit diesem Konzert in Verbindung gebracht! :D

    Soweit erst einmal liebe Grüße,
    Lars

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde


  • Ich habe die Noten hier vor mir liegen: Der zweite Satz ist im 4/4-Takt notiert und beginnt mit einer Viertel als Auftakt, genau wie Bernd es geschrieben hat. Der dritte Satz steht natürlich im 3/4-Takt. Die Taktzahlen stimmen auch bei allen drei Sätzen nicht ganz mit der Wunderer-Edition (erschienen bei Breitkopf & Härtel) überein, aber das sind nur geringe Abweichungen. Welche Ausgabe legst du denn deinen Analysen zu Grunde, Thomas?


    Gar keine. Ich habe nur die Pinnock-Aufnahme mit Paul Goodwin vorliegen, und da zähle ich einfach die Takte. Das wird dann in Excel übertragen und mit den Youtube-Beispielen abgeglichen. Fehler können dann entstehen, wenn ich bei den vielen Kadenzen oder "kadenzartigen Einschüben" verrutsche oder sie falsch interpretiere.

    Nochmal zum Takt des zweiten Satzes: Ein Schlag alle 2 Sekunden wäre in der Tat sehr langsam. Aber sowas hatte ich schon mehrfach in langsamen Sätzen. Da hatte ich dann Probleme beim "Nachzählen" und zählte daher einfach doppelt so schnell und teilte dann das Ergebnis durch 2. Wenn mir mal wieder so ein Beispiel über den Weg läuft (mit Vorliegen der Partitur, z.B. bei einer Haydn-Sinfonie), werde ich das in einem passenden Thread melden. Da bin ich dann gespannt, wie die Praktiker mit so etwas umgehen. Den 4/4-Takt im aktuellen Beispiel zweifle ich natürlich nicht an. Im Gegenteil, ich wäre froh, man könnte immer so leicht "nachzählen"...


    Thomas

  • In diesem Thread ist es ja schnell wieder still geworden!
    Das Oboenkonzert findet sich inzwischen übrigens auch bei imslp.org. Zum Einen kann man sich dort die moderne Wunderer-Ausgabe ansehen, zum Anderen und vor allem aber auch einen Scan des einzigen erhaltenen Autographs dieses Konzertes, das in der Staatsbibliothek Dresden liegt. Zwei Dinge fallen sofort auf, wirft man einen Blick auf dieses Autograph. Da ist zum einen die Zuschreibung an Haydn. Es ist deutlich zu sehen, dass der ursprüngliche Autorname ausgekratzt worden ist und, mit einem anderen Stift und in anderer Schrift, der Name Haydns darübergeschrieben wurde. Was mir, bisher nur mit der Wunderer-Augabe und einer Aufnahme vertraut, ebenfalls direkt aufgefallen ist, ist die erstaunlich andere Gestalt, die das Stück im Original hat. Vor allem im ersten Satz ist Wunderers verbreitete Edition eher eine freie Nachschöpfung denn eine auch nur annähernd korrekte Edition des Originals!

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Zitat

    Vor allem im ersten Satz ist Wunderers verbreitete Edition eher eine freie Nachschöpfung denn eine auch nur annähernd korrekte Edition des Originals!

    Lars, das kann man kaum bestreiten. Aber es handelt sich zumindestens für meine Begriffe um eine sehr gelungene Nachschöpfung. Ich besitze noch eine andere, von Rolf Julius Koch besorgte Edition, die ich alles in allem deutlich schwächer finde.

    Und einer größeren Zahl von weniger professionellen Oboisten ist mit nackten Urtexteditionen erst einmal auch nicht so sehr gedient. Das Marcello-Konzert ist dafür das beste Beispiel - von dem langsamen Satz hat man einfach wesentlich mehr, wenn er einem in der Lauschmann-Ausgabe (nach Bach) vorliegt als in der vergleichsweise doch extrem kahlen Originalversion.

    Optimal wäre es halt, wenn eine stark bearbeitete Ausgabe dann auch noch zumindestens eine Art *Urtext* enthalten würde.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Die einzige Aufnahme des "Haydn"-Oboenkonzertes, die ich habe, ist übrigens diese hier:

    Heinz Holliger spielt begleitet vom Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam unter David Zinman, die Aufnahme stammt von 1979. Sofern man mit Holligers sehr speziellem Oboenton keine Probleme hat, und sofern man Musik vor 1850 auch in Aufnahmen auf modernen Instrumenten erträgt, ist das für meine Ohren eine sehr gute Einspielung. Holliger spielt mit Eleganz und fließenden Tempi, was technische Brillanz und Musikalität angeht, kommt ohnehin kaum ein anderer Oboist an ihn heran. Mit welcher Selbstverständlichkeit er die Kadenzen im ersten und dritten Satz nicht nur bewältigt, sondern interpretiert, das ist schon erstaunlich und lässt mich tief den Hut ziehen vor dieser technischen Meisterschaft. Was die musikalische Phrasierung und Gestaltung angeht, ist Holliger tadellos, geschmackvoll und ohne Extreme. Das Orchester unter Zinman hat keine großen Aufgaben zu bewältigen, klar, aber es bleibt hier schon sehr im Hintergrund. Es ist der Vorhang, der sich öffnet, um dem Solisten Raum zu geben, kein musikalischer Dialogpartner.
    Kurz: Eine hervorragende Aufnahme ohne Extreme, ein souveräner Solist, meiner Meinung nach sehr geeignet, um das Stück kennen zu lernen.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Lars, das kann man kaum bestreiten. Aber es handelt sich zumindestens für meine Begriffe um eine sehr gelungene Nachschöpfung. Ich besitze noch eine andere, von Rolf Julius Koch besorgte Edition, die ich alles in allem deutlich schwächer finde.


    Ich finde Wunderers Nachschöpfung auch sehr gelungen und will ihn dafür nicht kritisieren. Mir war aber bis letzte Woche gar nicht bewusst, wie tief Wunderer in die Substanz des Textes eingegriffen hat! Hier ist dann eine Plattform wie imslp.org praktisch, um sich selbst ein Bild zu machen.
    Als "Verschlimmbesserung" empfinde ich Wunderers Edition also nicht, ich halte sie im Gegenteil ebenfalls für für die Praxis sehr brauchbar. Rolf Julius Kochs Bearbeitung kenne ich nicht aus eigener Anschauung, ich habe aber gelesen, dass sie sich noch deutlich weiter vom Originaltext entfernen soll. Benjamin Folkman untersucht diese Bearbeitung in einem Aufsatz für das "Journal of the International Double Reed Society" und kommt zu dem Schluss: "In sum, Koch has unquestionably achieved his aim of producing a version of the C Major Oboe Concerto once attributed to Haydn that is shorter an - with its smaller instrumental complement - cheaper to perform than the original. It is also appropriately ornamented throughout. But he has sacrified so many features of the original that are likeable an classically satisfying that his version cannot, in the last analysis, be recommendes for performance".
    Wie gesag, ich kann es nicht aus eigener Anschauung beurteilen, ich kenne die Koch-Version nur durch den Aufsatz von Folkman. In diesem Zusammenhang möchte ich mich aber, wo sich schon gerade die Gelegenheit bietet, darüber beschweren, dass die alten Ausgaben, des Journals der IDRS, deren musikgeschichtliche Aufsätze ich oft mit großem Interesse und Erkenntnisgewinn gelesen habe, seit einem Jahr nicht mehr öffentlich, sondern nur noch Mitgliedern zugänglich sind! Was denkt sich diese Gesellschaft dabei, auf einmal alle Nichtmitglieder auszusperren und solche Aufsätze wie den oben genannten aus dem öffentlich zugänglichen Bereich verschwinden zu lassen? Es liest hier wahrscheinlich niemand, der dafür zuständig ist, vermutlich nicht einmal jemand, der weiß, wovon ich rede, aber ich wollte es doch wenigstens einmal gesagt haben! :S

    Liebe Grüße,
    Lars

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Hallo Lars,

    mein Erstkontakt mit dem Haydn-Konzert fand ebenfalls via Heinz Holliger statt; es handelte sich um eine im Radio übetragene und von mir auf Casette mitgeschnittene Aufnahme, aber ganz klar nicht um deine Einspielung unter Zinman. Das, was du über die Concergebouw/Zinman-Version schreibst, trifft meiner Erinnerung nach auch vollumfänglich auf Holligers ältere Interpretation zu: Technisch und musikalisch befand sie sich auf denkbar höchstem Niveau!

    Zitat

    In diesem Zusammenhang möchte ich mich aber, wo sich schon gerade die Gelegenheit bietet, darüber beschweren, dass die alten Ausgaben, des Journals der IDRS, deren musikgeschichtliche Aufsätze ich oft mit großem Interesse und Erkenntnisgewinn gelesen habe, seit einem Jahr nicht mehr öffentlich, sondern nur noch Mitgliedern zugänglich sind! Was denkt sich diese Gesellschaft dabei, auf einmal alle Nichtmitglieder auszusperren und solche Aufsätze wie den oben genannten aus dem öffentlich zugänglichen Bereich verschwinden zu lassen? Es liest hier wahrscheinlich niemand, der dafür zuständig ist, vermutlich nicht einmal jemand, der weiß, wovon ich rede,

    Doch, ich weiß schon einigermaßen, wovon du redest - allerdings hat mein trauriges Englisch nie zum vernünftigen Lesen der IDRS-Artikel ausgereicht
    .
    Weit mehr ärgert mich die Entwicklung der deutschen IDRS-Sektion. Aber das ist jetzt wirklich ein offtopisches Thema.... :schaem:

    Beste Grüße

    Bernd

  • Dass das hier diskutierte C-Dur-Oboenkonzert nicht von Joseph Haydn stammt, das ist klar und hier schon oft genug betont worden. Ich werde versuchen, einmal kurz darzustellen, wie es zu dieser Zuschreibung gekommen ist, warum sie so unplausibel ist, und welche anderen Komponisten schon als Urheber vorgschlagen wurden.
    Das Konzert ist überliefert in drei Handschriften. In der Gymnasialbibliothek von Zittau finden sich handschriftliche Orchesterstimmen, in der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien eine Partitur, die der Haydn-Forscher Eusebius Mandyszewski aus den erhaltenen Zittauer Stimmen erstellt hat, in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden gibt es noch ein weiteres Manuskript mit einem vollständigen Stimmensatz (einen Scan dieses Autographes hat die Bibliothek auf der Plattform imslp.org wie erwähnt zur Verfügung gestellt).
    Keines der Manuskripte trägt einen Autornamen. Die Dresdner Handschrift wurde offensichtlich schon verschiedenen Komponisten zugeschrieben, der Name "Haydn" steht über mehreren anderen ausgestrichenen oder ausgekratzten Autornamen. Er stammt nach Meinung der Forschung von einem Bibliothekar aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Wie der unbekannte Archivar dazu kam, aydns Namen auf das anonyme Manuskript zu setzen, ist völlig unbekannt.
    Das Konzert wird in die Zeit um 1800 datiert. In seinem oben schon zitierten Aufsatz schreibt Benjamin Folkman: "The score was surely composed later than 1790, and perhaps even after the turn of the century, for it exhibits traits typical of such post-Mozart composers as Kuhlau, Hummel, the mature Clementi, Dussek and Kozeluch". Die Partitur verlangt ein recht großes Orchester, 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken und Streicher.Holzbläser fehlen also fast völlig, dafür wird reicher Gebrauch gemacht von Instrumenten, die eher in einen militärischen Kontext oder in den Bereich der Freiluftmusik gehören. Das Stück ist also offensichtlich für einen festlichen Anlass bestimmt gewesen.
    Es gibt keinen Hinweis, dass Haydn je ein Oboenkonzert geschrieben hat, weder in zeitgenössischen Berichten, noch in seiner eigenen Korrespondenz, vor allem aber auch nicht in seinem gewissenhaft geführten Katalog seiner eigenen Kompositionen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Haydn in den letzten Jahren seines Schaffens, im Umkreis der Oratorien und des Trompetenkonzertes, ein großangelegtes, repräsentatives Oboenkonzert geschrieben hat, ohne das irgendeine Quelle davon Notiz nimmt, ohne das er es in seinen eigenen Werkkatalog einträgt, ist sehr gering. Nimmt man dann noch die Beobachtung hinzu, dass die Zuschreibung nur auf einem Manuskript in Sachsen auftaucht, von einem anaonymen Bibliothekar ein halbes Jahrhundert nach Haydns Tod auf ein anonymes Manuskript gesetzt, kann man haydns Autorschaft sehr sicher ausschließen. Es gibt übrigens nur zwei Bläserkonzerte, die Haydn sicher zugeschrieben werden können: eben das Trompetenkonzert aus dem Jahr 1796 und ein Hornkonzert aus den frühes 1760er Jahren. Alle anderen ihm zugeschriebenen Bläserkonzerte sind entweder zweifelhaft (wie z. B. das andere Hornkonzert) oder sicher nicht von Haydn (wie zum Beispiel das in Wahrheit von Leopold Hofmann stammende Flötenkonzert oder das hier diskutierte Oboenkonzert).
    Zu der Frage, wer denn als eigentlicher Urheber des Konzertes in Frage kommt, schreibe ich in einem anderen Beitrag noch mehr.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • In den letzten Tagen habe ich mir "Haydns" Oboenkonzert wieder einmal vorgenommen und will deshalb auch diesen Diskussionsfaden nach über einem Jahr wieder aus der Versenkung hervorholen. Ich habe gesehen, dass ich schon zwei Mal angekündigt hatte:

    Zu der Frage, wer denn als eigentlicher Urheber des Konzertes in Frage kommt, schreibe ich in einem anderen Beitrag noch mehr.

    Ich nehme mir vor, am Wochenende noch etwas zur Autorfrage zu schreiben. Neben Haydn wurden übrigens auch schon Mozart und Beethoven mit diesem Konzert in Verbindung gebracht!


    etwas zur Autorfrage zu schreiben, das aber immer noch nicht getan habe. Das sei hier nun also nachgeholt. Wie es zur Zuschreibung des C-Dur-Konzertes an Joseph Haydn kam, habe ich im vorangehenden Beitrag schon dargestellt. Haydn scheint als Autor des Konzertes ziemlich sicher auszuscheiden, da aber, anders als etwa beim von Leopold Hofmann geschriebenen Flötenkonzert, der wirkliche Autor immer noch nicht gefunden ist, lässt es sich nicht vermeiden, haydns Namen zu nennen, wenn man über das hier diskutierte Konzert spricht. So lange keine neuen Quellen auftauchen (vorzugsweise natürlich alte Noten mit einer glaubwürdigen Zuschreibung) wird sich die Autorfrage nicht eindeutig klären lassen. Der Spekulation sich also Tür und Tor geöffnet. In Betracht gezogen wurden unter anderem schon:

    Ludwig van Beethoven
    Der renommierte Haydn-Forscher H. C. Robbins Landon warf etwas zögernd den Namen von Haydns Schüler Beethoven in den Raum. Durch einen 1964 entdeckten Brief Joseph Haydns an Beethovens Gönner Kurfürst Maximilian Franz aus dem Jahr 1793 ist sicher belegt, dass Beethoven Anfang der 1790er Jahre in Wien ein Oboenkonzert geschrieben hat. Dieses Konzert befand sich als Autograph offensichtlich im Besitz des Wiener Verlegers Artaria, ist vermutlich auch gedruckt worden, gilt aber bis heute als verschollen. Das brachte Robbins Landon auf die Idee, beim C-Dur-Konzert könnte es sich eventuell um das verschollene Beethoven-Konzert handeln.
    1970 tauchte allerdings ein Skizzenbuch auf, dass eine Skizze des zweiten Satzes von Beethovens Oboenkonzert in F-Dur enthielt. 2003 wurde sogar eine Rekonstruktion des Satzes in Rotterdam uraufgeführt, die sich aber, wenn ich es recht sehe, keinen Platz im Repertoire der Oboisten erobern konnte. Die Vermutung, beim "Haydn-Konzert" handele es sich in Wahrheit um das verschollene Oboenkonzert von Beethoven, kann damit aber wohl endgültig ad acta gelegt werden.

    Wolfgang A. Mozart
    Auch von Mozart gibt es ein verschollenes Oboenkonzert, dass zu Spekulationen einlädt. 1783 verkaufte Mozart, wie er in einem Brief an seinen Vater berichtete, eine Kopie seines bekannten Oboenkonzertes KV 314 an Franz Joseph Czerwenka, den Oboisten der Hofkapelle des Fürsten Esterhazy (Zu Czerwenka siehe auch hier: Große Oboisten der Vergangenheit). Zusätzlich zum fertigen Oboenkonzert gab Czerwenka noch ein zweites, neues bei Mozart in Auftrag. Bis heute gibt es allerdings keinen Nachweis, dass Mozart das bestellte Konzert für Czerwenka wirklich geschrieben hätte. Man darf also mutmaßen, dass es sich bei dem Haydn zugeschriebenen Konzert um ein zweites Oboenkonzert von Mozart handeln könnte.
    Im Allgemeinen wird das Fragment KV 293 (ein Fragment eines Kopfsatzes eines Oboenkonzertes, bestehend nur aus einer lückenhaft instrumentierten Exposition) als das von Czerwenka bestellte, von Mozart auch angefangene, aber nie fertig gestellte Oboenkonzert angesehen. Wenn aber KV 293 das "Czerwenka-Konzert" ist, wofür viel spricht, scheidet auch Mozart als Komponist des C-Dur-Konzertes eindeutig aus.

    Das waren erst einmal die spektakulärsten Mutmaßungen - Fortsetzung folgt.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Ich soll eine Abiturientin an ihrer Prüfung beim Pseudo-Haydn-Konzert begleiten. Da dieser Thread nicht allzuviele Einspielungsempfehlungen aufweist und zudem doch schon älter ist, möchte ich mal nachfragen: Gibt's DIE Bomben-Aufnahme zum Kennenlernen?
    P.S.: Ich bin einer von den Unreinen, die kein Problem damit haben, aufnahmebelastet und interpretationsvoreingenommen an ein Stück zu gehen. Zumal ich mich hier bemühen werde, der Schülerin nix wegzuspielen. 8+)

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Hallo audiamus,

    DIE Bomben-Aufnahme habe ich leider nicht für Dich ... aber eine - in meinen Ohren ganz ordentliche - mit gänzlich unspektakulären Interpreten wie dem Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester und einem Oboisten namens Hans-Werner Wätzig auf dieser (insgesamt empfehlenswerten) Box hier:


    (Hier wird das Werk sogar tatsächlich noch zweifelsfrei Hadn zugeschrieben ;( - in meinen Ohren klingt es jedoch nach Mozart ....)

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Hier wird das Werk sogar tatsächlich noch zweifelsfrei Hadn zugeschrieben


    Dafür kriegt man viel Oboe für wenig Geld. Vielen Dank für den Tipp. :)

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

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