Bartók, Béla: Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta
Die “Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta” (im folgenden mit “MfSSuC” abgekürzt) komponierte Bartók 1936. Sie war von dem Dirigenten Paul Sacher für dessen Baseler Kammerorchester in Auftrag gegeben worden. Die Beziehung zwischen Bartók und Sacher begann ein Jahr zu vor mit einer gemeinsamen Aufführung des Zweiten Klavierkonzerts. Der darauf erfolgende Auftrag für die MfSSuC erfolgte in Hinblick auf das anstehende zehnjährige Jubiläum des Baseler Kammerorchesters. Aus der Zusammenarbeit mit Sacher gingen zwei weitere Werke Bartóks hervor: Die “Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug” (Uraufgeführt von Bartók und seiner Frau an den beiden Klavieren, sowie von Baseler Schlagzeugern) und das “Divertimento für Streichorchester”.
Die MfSSuC gilt gemeinhin eines der größten Werke nicht nur Bartóks, sondern des gesamten 20. Jahrhunderts überhaupt. Sein Rang scheint nicht angezweifelt zu werden.
Die Besetzung:
Zwei fünfstimmige Streichergruppen in der üblichen Zusammensetzung,
Harfe,
Klavier,
Celesta (der Celestaspieler wird bisweilen zum vierhändigen Klavierspiel herangezogen),
Schlagzeug (Pauke, Xylophon, kleine Trommel senza corda und con corda, große Trommel Becken, Tam-tam; es werden 4 Spieler benötigt).
Bartók hat die Aufstellung des Orchesters angegeben: Links die erste, rechts die zweite Streichergruppe, mit Ausnahme der Kontrabässe, die hinten in der Mitte aufgestellt sind. Die übrigen Instrumente sind von den Streichern eingerahmt.
Wenn das Klavier auch eindeutig zu den Saiteninstrumenten gehört, wird es in diesem Werk vielmehr wie ein Schlaginstrument behandelt. Dies ist für Bartok durchaus üblich, wie man z.B. an der Klaviersonate, der Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug (mit etwas gutem Willen folglich als erstes Werk nur für Schlagzeug anzusehen) oder den Klavierkonzerten sehen kann.
Das Werk hat vier Sätze. Wie üblich hat Bartók die jeweiligen Aufführungsdauern bis auf die Sekunde festgelegt: 6'30'' – 6'55''– 6'35'' – 5'40''. Das ergiebt eine Gesamtdauer von 25'40''. Die
beiden mir bekannten Aufnahmen – Fricsay/RIAS und Solti/CSO – überschreiten diese Zahlen im Schnitt um etwa 30''.
Der 1. Satz ist eine klarstrukturierte Fuge.
Das Thema ist sehr chromatisch angelegt. Es beginnt auf dem Ton A. Die weiteren Einsätze beginnen jeweils eine Quint höher. Es ergibt sich eine beachtliche Steigerung, die zu einem Höhepunkt führt, wenn der dem Anfangston A am meisten entfernte Ton erreicht ist: Es.
Gegen Ende dieser Steigerung kommt es zum einzigen Schlagzeugeinsatz dieses Satzes: Jeweils Zwei Wirbel der Pauken und des Beckens, beim Höhepunkt ein Schlag der Großen Trommel. Interessant ist, dass der Paukenwirbel, der auf den Höhepunkt hinführt, auf dem Ton A erfolgt, der ja, wie gesagt, vom anstehenden Es weitestmöglich entfernt ist. Es folgt beim Es-Dur-Höhepunkt, parralel zum Schlag der Großen Trommel, ein Paukenschlag. In der mir vorliegenden Partitur schlägt die Pauke das E, nicht auf Es. Ich kann mir vorstellen, dass hier ein Druckfehler vorliegt und die Pauke ein Es zu schlagen hat. Ich wäre sehr dankbar, wenn dies jemand aufklären könnte.
Nach dem Höhepunkt beruhigt sich die Musik allmählich wieder und wird zurück zur Ausgangstonart A geführt. Nun wird die Fuge jedoch mit der Umkehrung des Hauptthemas bestritten. Gegen Schluss, wenn der Streicherklang schon sehr ausgedünnt ist, spielt die Celesta Arpeggien darüber.
So einfach und klar strukturiert wie sich diese Fuge anhört, mag man beim ersten Ablick des Notenbildes durchaus überrascht sein. Beinahe mit jedem Takt ändert sich die Taktzahl. Das Hauptthema ist (die Achtel des Auftaks nicht mitgerechnet) in einen 8/8-Takt, einem 12/8-Takt, einem weiteren 8/8-Takt und einen 7/8-Takt.unterteilt. Diese Taktreihenfolge wiederholt sich zunächst, ab dem vierten Einsatz des Themas (in den Kontrabässen) kommen jedoch andere Taktarten hinzu.
Im Notenbild überraschen gepunktete Taktstriche, welche das Hauptthema in Sinnabschnitte jenseits des Taktes zu unterteilen scheint. Das Hauptthema ist auf diese Weise in 9 Sinnabschnitte unterteilt, die jeweils die folgende Anzahl an Achtelnoten enthalten: 3-3-5-3-3-6-3-6-3. (Die Achtel des Auftakts ist wiederum nicht mitgezählt). Diese gepunkteten Taktstriche sind nur gesetzt, wo das Thema in seiner Reinform oder nach dem Höhepunkt in seiner Umkehrung auftritt. bei den komplizierter gearbeiteten Stellen der Fuge fehlen sie.
Der 2. Satz ist ein wuchtiger und klanglich äußerst vielfältiger Sonatensatz. Ein größerer Kontrast zum 1. Satz ließe sich kaum denken. Das Klavier spielt eine bedeutende Rolle. Von diesem Satz an sind die beiden Streichergruppen in getrennten Blöcken notiert (im ersten Satz ist dies noch nicht der Fall. Dort stehen oben die vier Violinen, unten die beiden Kontrabässe). Gerade das erste Thema des zweiten Satzes lebt vom Wechselspiel der beiden Streichergruppen. Auch in diesem Satz sind Feinheiten verborgen, die sich den ersten Höreindrücken
kaum zeigen: Während das Hauptthema in der Exposition durchgehed im 2/4-Takt steht, kommt es in der Reprise zunächst zu vielfachen Taktwechseln, bis es sich im 3/8-Takt festfährt. Noch dazu spielen die beiden Streichergruppen in der Reprise die selben Stimmen, das antiphone Wechselspiel ist aufgehoben. Dadurch wirkt die Reprise um einiges wuchtiger als die Exposition. Augrund der rhythmische Verkomplzierung wirkt sie aber keinesfalls einfacher.
Der 3. Satz ist ein stimmungsvolles Adagio, jedoch ohne irgendwelche romantischen Übertreibungen und Ausuferungen, wie sie Bartók gar nicht mochte. Dieser Satz beinhaltet die klanglich auffälligsten Stellen des Werkes. Er beginnt mir rhythmisch freien Xylophonschlägen auf immer demselben Ton, bald begleitet von Paukenglissandi, später noch von Pauke und Tam-tam. Diese Schlagzeugstelle kehrt mehrmals wieder und kann als tragendes Element des Satzes bezeichnet werden. Einen besonderen Klang geben außerdem gedämpfte Geigenglissandi über trillernden Streicherklängen in hoher Lage zu einer Melodie von zwei Sologeigen und der Celesta. Es kommt bisweilen zu Anspielungen des Fugenthemas des 1. Satzes. In der Mitte des Satzes gibt es eine enorme Steigerung hin zu erschreckenden Schlagzeugklänen über Streichertremoli, die gerade im Kontrast zu dem ätherischen aber keinesfalls gefühlsduseigen Charakter des bisherigen Satzes ihre Wirkung erzielen.
Der fetzige 4. Satz mag vor allem zu Beginn einige Rausschmeißerqualitäten haben. Die Pauke spielt immer wieder Auftakte in Funktion und
Charakter der üblichen Quartsprung-Auftakte. Jedoch ist das Intervall dabei nie eine Quart. Zu Beginn des Satzes ist es zum Beispiel eine kleine Terz. (Ein Quartauftakt für das lydischen Hauptthem währe wahrscheinlich auch deplaziert (???)). Der Satz entwickelt sich zu einer fast wahnhaften Accelerando-Partie, worauf in einem plötzlichen molto moderato das Fugenthema des 1. Satzes wiederkehrt. Jedoch nicht, wie dort, chromatisch, sondern diatonisch gestreckt. (Ein ähnliches Verfahren wendet Bartók in seinem Vierten Streichquartett an). Das Fugenthema kann sich jedoch nicht aufraffen wie im ersten Satz, sondern es zerfließt bis irgendwann kaum noch seine Strukturen zu hören sind. Nach einem kurzen Cello-Solo entwickelt sie der Satz dann zu einer schmissigen, aber immer wieder durch retardierende Momente kontrastrierten Schluss.
Wie bei Barók nicht anders zu erwarten ist die MfSSuC sicherlich keine leichte Kost. Sie gehört zu den Werken, von denen ich nicht weiß, ob sie sich mir ohne das Mitlesen der Noten und einiger Erläuterungen jemals erschlossen hätten. Man findet in ihr sicherlich keine Zugeständnisse an irgendeine intendierte Breitenwirkung. Sie hat jedoch auch ihre unmittelbar ansprechenden Stellen, am stärksten vielleicht in den faszinierenden Klangsphären des Dritten Satzes. Man wird jedoch reich belohnt, wenn man sich ein gutes Stück in Bartóks Kompromisslssihgkeit vorzwagt. Die MfSSuC gehört sicherlich zu den Werken, die man niemals erschöpfend kennengelernt hat, sondern aus der sich immer wieder etwas neues heraushören lässt.