Der Nominierungsthread zu Verfolgt, emigriert, ermordet...

  • Stwertka, Julius (1872 – 1942). Violinist, Musikpädagoge


    Der Geiger Julius Stwertka wurde am 07. März 1872 in Wien geboren. Nach seiner musikalischen Ausbildung u. a. bei J. Joachim in Berlin und J. M. Grün in Wien ging er nach Hamburg. G. Mahler schätzte ihn dermaßen, dass er ihn nach Wien holte, wo er von 1902 bis zu seiner Pensionierung 1936 (veranlasst durch R. Strauss) u. a. als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker engagiert war. Daneben war er Professor bzw. Musikpädagoge, von 1903 bis 1908 am Konservatorium, von 1909 bis 1933 an der Musikakademie. Er war u. a. Lehrer von E. Morawec, F. Samohyl und O. Strasser und setzte damit die Wiener Geigenschule fort („Die philharmonischen Violinspieler der 1980er Jahren sind in ihrer Mehrheit als Enkel- und Urenkelschüler von Stwertka….*3, S. 132). Von 1934 bis 1938 war er zudem Mitglied des Rosé-Quartetts (Viola!). 1942 wurden er und seine Frau Rosa nach Theresienstadt deportiert. Aufgrund der mörderischen Zustände verstarb Julius Stwertka bereits kurze Zeit später nach der Deportation am 17. Dezember 1942, seine Frau wurde nach Auschwitz deportiert, wo sie wahrscheinlich ermordet wurde.

    Quellen:
    * "http://wphwebsite.blob.core.windows.net/documents/Docu…rtka_de_v03.pdf"
    *2 "http://de.wikipedia.org/wiki/Ros%C3%A9-Quartett"
    *3 Blaukopf, Herta und Blaukopf, Kurt, Die Wiener Philharmoniker, Wesen – Werden – Wirken eines großen Orchesters, Wien, Hamburg 1986, S. 90f. 101, 108, 132, 134, 178.

  • Michael Taube (geboren 1890 in Lodz, gestorben 1972 in Tel Aviv), Dirigent, Komponist, Pianist, Cellist, Pädagoge, Initiator mehrerer Orchester, Gründer der Israel Society for the Advancement of Bach’s Art (später Israel Bach Society) usw., dessen Name hier kürzlich im Zusammenhang mit Emanuel Feuermann mehrfach erwähnt worden ist.

    Vgl. diese interessante Darstellung

    http://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_le…=lexmperson_all

    sowie

    http://books.google.de/books?id=BRID6…pianist&f=false

    Barabara von der Lühe, "Die Musik war unsere Rettung" (Schriftenreihe wissenschaftliche Abhandlungen des Leo Baeck Instituts [mit einigen Unterbrechungen]).

  • Pringsheim, Alfred

    Alfred Pringsheim (1850–1941), konfessionsloser Deutscher jüdischer Herkunft; bedeutender Mathematiker; herausragender Kunstsammler (insbesondere von Majolika); verheiratet mit Hedwig geb. Dohm (Tochter der gleichnamigen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin); zusammen führen sie wohl "den" Salon Münchens ihrer Zeit; Vater u.a. von Katia, späterer Ehefrau von Thomas Mann; herausragender Mäzen und kritischer Chronist der "Ring"-Erstaufführung in Bayreuth; die Anekdote einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem Wagner-Gegner macht ihn unter der dem Titel "Schoppenhauer" bekannt.

    Autor seinerzeit viel beachteter Klavierbearbeitungen von Wagners Werken, derzeit wieder entdeckt:

    (Ehefrau Hedwigs Briefwechsel und Tagebücher werden seit einigen Jahren ediert und mit erheblicher Resonanz als Zeitdokumente im allgemeinen und Dokumente bezüglich der "Manns" und ihres speziellen Kommunikations-"Codes" wahrgenommen.)

    Schon im Ersten Weltkrieg erlebt das Vermögen des Ehepaars durch patriotische Kriegsanleihen erhebliche Verluste. Die folgende Inflation reißt weitere Löcher, die auch der Verkauf von Kunstwerten ("wir leben von der Wand in den Mund") nur lindern können.

    Dem Ehepaar gelingt, nach extrem schwierigen Verhandlungen und wiederholten Rückschlägen, unter Aufgabe der letzten Kunstwerte 1939 die Emigration in die Schweiz. Ihr Münchner Haus (das "Pringsheim-Palais", ein bedeutendes Stück Architektur der Neo-Renaissance mit bemerkenswerter Innenausstattung) wird abgerissen und muss einem Verwaltungsbau der NSDAP weichen.

    Alfred stirbt 1941 in Zürich.

    Die niedergeschlagene Witwe vernichtet dem Vernehmen nach wesentliche Dokumente im verbleibenden Nachlass, einschließlich der Wagner-Autographen.

  • Elsa Bernstein (1866 - 1949)

    bekannt durch ihr Märchenstück „Königskinder“, das von Humperdinck vertont wurde.
    Zusammen mit ihrer Schwester Gabriele wurde Elsa Bernstein über Dachau ins Ghetto Theresienstadt deportiert.
    Ihre Schwester überlebte nicht die Nazi-Gräuel.
    1945 befreiten sowjetische Truppen sie aus dem Ghetto.
    Sie starb in Hamburg.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Luigi Dallapiccola (1904- 1975)

    ..konnte einerseits in innerer Emigration unter der Diktatur Mussolinis komponieren, andererseits wurde jedoch seine Frau Laura arbeitslos und war als Jüdin in großer Gefahr von den Deutschen in einer Gaskammer vernichtet zu werden. Deshalb musste sie sich verstecken. Die Reichsmusikkammer verbot die Aufführung von Dallapiccolas Musik in Deutschland.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Erika Stiedry-Wagner (1890 – 1974) Sängerin und Schauspielerin

    ... bekannt vor allem durch die wunderbare Pierrot Lunaire Aufnahme von 1942 (Los Angeles) unter der Leitung Arnold Schönbergs.

    Erika Stiedry-Wagner war mit Fritz Stiedry verheiratet, der 1933 Deutschland verlassen musste, um nicht vergast zu werden. Das, ihre Solidarität mit Arnold Schönberg und ihre ablehnende Haltung zum NS-Regime zwang sie ebenfalls zum Verlassen Deutschlands. Es wurde zu einer Odyssee über Leningrad und Wien, bis sie 1938 die rettenden USA erreichte.

    Die erzwungene Flucht vor den Nazi-Schergen hatte erhebliche Nachteile für ihre künstlerische Laufbahn zur Folge.

    Sie starb in Zürich.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Leopold Spinner (1906-1980, Schüler von Anton Webern) hat in diesem Thread hier schon eine Würdigung erfahren.

    Seine letzte vollendete Komposition, die Kammersinfonie für 13 Spieler, gibt es jetzt auf youtube:

    https://youtu.be/La3iw9_sm8s

    Es spielt das Ensemble Modern u.d.Ltg. von Michael Gielen (Live-Rundfunkmitschnitt).

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Walter Bricht (geb. 9.9.1904 in Wien; gest. 20.3.1970) war ein österreichisch-amerikanischer Komponist, Pianist und Hochschullehrer. Bricht wurde 1904 in Wien als Sohn des Musikkritikers der Volkszeitung Balduin Bricht und der Sängerin Agnes Pylleman Bricht geboren. Ein musikalisches Talent zeigt sich früh, mit vier erhielt Bricht erste Klavierunterweisungen, mit zwölf schrieb er Klavierstücke und Lieder. Er studierte an der Wiener Akademie für Musik und schloss 1928 mit Diplomen in Komposition, Dirigieren und Klavier ab. Er war nach Aussage von Kommilitonen der Lieblingsschüler von Franz Schmidt, der ihn als einzigen auch zu sich nach Hause einlud. Ende der 20er, Anfang der 30 jahre reüssierte Bricht sowohl als Pianist (die Liste der berühmten Musiker, die er begleitete ist lang) als auch als Komponist.

    Bis zur Machtübernahme war sich Bricht seiner jüdischen Herkunft gar nicht bewusst, da er lutherisch erzogen worden war. Aber drei der vier Großeltern waren, wie die Nazis schnell herausfanden, jüdisch und damit galt er offiziell als "Volljude". Anscheinend war sein Talent so groß und der Einfluss seines Lehrers vielleicht auch, dass man ihm eine "Ehren-Arierschaft" antrug, wenn er der Partei beiträte, das aber lehnte er ab und emigrierte in die USA.

    Dort startete er in New York als Kirchenorganist und Klavierbegleiter, konnte aber 1939 der Fakultät des Mason College of Music in Charleston, WV, beitreten. Dort lernte er auch seine zukünftige Frau kennen, mit der er zwei Töchter hatte. Eine davon Dana Bricht Higbee verwaltet seinen Nachlass. 1963 wurde Bricht Professor an der Indiana University School of Music, wo er bis an sein Lebensende wirkte. Er starb 1970 - 65jährig - an den Folgen eines Emphysems.

    Walter Brichts Musik war bis vor kurzem praktisch unbekannt, eine erste CD mit Orchesterwerken erschien gerade bei Toccata. Den Text dazu gestaltete Michael Haas, Initiator der Decca-Reihe "Entartete Musik". Auf seiner website gibt es zahlreiche Dokumente zu Walter Bricht Die 1934 entstandene Symphonie setzt die spätromantische Tradition des Lehrers fort. Die Symphonie sollte sowohl in Wien als auch in Berlin von den dortigen Philharmonikern gespielt werden, aber da kam die Sache mit den Großeltern dazwischen. Im US-amerikanischen Exil hat Bricht nur noch wenig komponiert. Auf die Frage warum, hat er wohl mit einer Geste Richtung eines Schranks mit allen Partituren geantwortet: solange all das nicht publiziert wird, was ich schon geschrieben habe, warum soll ich weiter schreiben.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

    • Offizieller Beitrag

    Wenn es gestattet ist, möchte ich hier gern einen Komponisten vorstellen, über dessen Leben und Wirken ich erst vor kurzem erfahren habe, obwohl er bereits vor 75 Jahren starb. Es geht um den gebürtigen Karlsruher Richard Fuchs (1887-1947). Richard Fuchs, der aus einer angesehen jüdischen Familie in Karlsruhe stammte, hatte eine Doppelbegabung - er studierte Architektur und Musik, und war in beiden Bereichen tätig. Wie seine drei Brüder - Sigmund, Walter, und Gottfried, der deutscher Fußballnationalspieler war - meldete er sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zum Kriegseinsatz. In den 1920er Jahren arbeitete Richard Fuchs als Architekt und entwarf Wohngebäude, Kaufhäuser, Geschäftsgebäude, Gaststätten, und die Synagoge in meinem badischen Heimatort Gernsbach. Wann genau er zu komponieren begann, ist wohl unklar; es gibt Liedkompositionen aus den Jahren 1904 und 1905, aber ab den 1930er Jahren war er extrem produktiv, siehe: Compositions - Richard Fuchs. Als Architekt konnte er nach 1933 nicht mehr tätig sein, seine Kompositionen wurden nur noch bei Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbunds aufgeführt. 1935 sang zum Beispiel Alexander Kipnis Lieder von Richard Fuchs bei einem Lieder- und Arienabend in Karlsruhe.

    1937 gewann sein Oratorium "Vom Jüdischen Schicksal" (mit Texten von Karl Wolfskehl) den ersten Preis beim Wettbewerb des Jüdischen Kulturbundes in der Kategorie "Chorwerk mit Orchesterbegleitung". Zur mit dem Preis verbundenen Aufführung des Werkes in Berlin kam es jedoch nicht, aus Gründen, die in verschiedenen Artikeln analysiert werden (siehe Links weiter unten), und es erlebte seine Uraufführung erst im Jahr 2015, in Deutschland sogar erst 2020.

    1938 wurde Richard Fuchs verhaftet und in Dachau interniert, und nach seiner Freilassung emigrierte er mit Ehefrau Dora und den beiden Töchtern nach Neuseeland. Sein Schicksal dort gleicht dem vieler Emigranten: während des Krieges als "enemy alien" zwar nicht interniert, jedoch in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und nur mit Mühe in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Richard Fuchs starb 1947 ohne in Neuseeland Anerkennung als Komponist oder Architekt gefunden zu haben.

    Im September 2022 hatte ich das Glück, in Gernsbach eine Aufführung von Kammermusik von Richard Fuchs mitzuerleben. Zu hören gab es das Klavierquintett D-Moll (1941) und das Streichquartett in E-Dur (1945).

    Zitat

    According to Fuchs’ biographer, Steven Sedley, “Fuchs was arguably the most experienced composer living in New Zealand between 1939 and 1947. In 1939 Douglas Lilburn, the one New Zealand composer of the next generation to attain international recognition was still a 23 year old student at the Royal School of Music in London.” But as his daughter Eva Fuchs wrote, “…they wanted a New Zealand composer not a Jew from Germany”. (About - Richard Fuchs)

    Biografie (in englischer Sprache): Richard Fuchs

    “Jewish Destiny” and the defiance of Richard Fuchs - Forbidden Music

    Music and the Holocaust. Restauration and Restitution: Richard Fuchs 

    Kompositionen: Compositions - Richard Fuchs

    Biografie in deutscher Sprache: Richard Fuchs – vergessen und wiederentdeckt

    Jetzt keine Arien, wenn ich bitten darf!

    Einmal editiert, zuletzt von Wieland (11. Dezember 2022 um 18:04)

  • Julius Bürger (1897 – 1995) Komponist, Dirigent und Arrangeur

    Julius Bürger, in Wien geboren, war Schüler von Franz Schreker. 1938 musste er vor der Nazi-Barbarei in die USA emigrieren. Seine Mutter und fünf seiner Brüder wurden von den Nazis vernichtet. Mit Dimitri Mitropoulos befreundet, arbeitete er ab 1949 an der Metropolitan Opera. Sein kompositorisches Schaffen ist bis heute nahezu unbekannt.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

    Einmal editiert, zuletzt von Amfortas09 (27. Juli 2023 um 09:21)

  • Maria Herz (1878 - 1950)
    Komponistin und Pianistin.

    Die Nazi-Machthaber erteilten ihr Aufführungsverbot und zwangen sie und ihre Familie Deutschland zu verlassen. Im Falle eines Verbleibens wären alle vergast wurden. Sie lebte bis 1943 in England und übersiedelte anschließend nach New York, wo sie 1950 starb. Maria Herz komponierte Musik für Orchester, Solo-Konzerte, Kammer- und Vokalmusik.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • In einem Interview mit dem Karajan-Biographen Klaus Riehle nannte dieser

    Leo Fischer, den langjährigen Bratscher im Aachener Sinfonieorchester, der als Österreicher jüdischer Religion, nach Holland emigrierte und ›wohl mit einem der Hollandtransporte im Jahre 1942 nach Auschwitz transportiert, wo er in den Gaskammern den Tod fand.‹

    Pál Kiss, ungarischer Pianist, ›der nach einem seiner letzten Konzerte in Berlin – Johann Sebastian Bachs Konzert für vier Klaviere – mit den Solisten Conrad Hansen, Ferry Gebhardt und Herbert von Karajan wegen Rassenschande angezeigt und auf dem Todesmarsch von Auschwitz nach Mauthausen ermordet wurde.‹

    Über letzteren gibt es wohl auch ein Buch:

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