J.S.Bach: Sechs Sonaten für Violine und Cembalo, BWV 1014-1019
Die 6 Claviertrio, ..., sind von den besten Arbeiten des seeligen lieben Vaters. Sie klingen noch jetzt sehr gut, u. machen mir viel Vergnügen, ohngeachtet sie über 50 Jahre alt sind. Es sind einige Adagii darin, die man heut zu Tage nicht sangbarer setzen kann.
So begeistert schrieb im Jahre 1774 Carl Philipp Emanuel Bach an Johann Forkel über die sechs Sonaten für Violine und Cembalo. Aber wieso "Claviertrio", wo doch nur zwei Instrumente spielen? Entscheidend ist, dass sich in diesen Stücken das Cembalo von seiner Rolle als reines Basso Continuo-Instrument weitgehend emanzipiert hat. Die rechte Hand konzertiert nun gleichberechtigt mit der Violine, während die linke Hand vor allem den Bass ausführt - macht insgesamt drei (obligate) Stimmen. Die ersten fünf Sonaten sind wahrscheinlich in der Zeit von 1717-1723 in Köthen entstanden, die sechste erst in Leipzig (um 1725 die Erstfassung). Mit Ausnahme der letzten Sonate handelt es sich der Form nach um viersätzige Kirchensonaten, die durch den Wechsel von langsamen und schnellem Satz charakterisiert sind. Die sechste Sonate (BWV 1019) hat dagegen fünf statt vier Sätze und beginnt mit einem flotten Allegro. Im dritten Satz dieser Sonate spielt das Cembalo allein, auch dies unterstreicht noch einmal die Emanzipation dieses Instruments.
Albert Schweitzer charakterisiert in seiner Bach-Biographie die sechs Sonaten mit dem Satz: Der Schmerz wiegt vor und stellt dabei einen Zusammenhang zum Tod von Bachs erster Frau her (S. 347). Unabhängig von solchen biographischen Spekulationen höre auch ich in diesen Stücken sehr viel Schmerzliches heraus. So zum Beispiel beim Largo der c-Moll-Sonate, BWV 1017, das stark an die "Erbarme dich"-Arie der Matthäuspassion erinnert. Oder auch beim dritten Satz von BWV 1014. Martin Geck schreibt in seiner Bach-Biographie zu diesem Andante: Die Komposition ... hat beglückenden und schmerzlichen Charakter zugleich, schafft Raum für Sanftmut und Seufzen (S. 642). Als geradezu herzzerreißend empfinde ich den dritten Satz (das Adagio) der f-Moll-Sonate, BWV 1018. Wird dieses Adagio zu schnell und - für meinen Geschmack - nicht expressiv genug gespielt, kann eine solche Aufnahme bei mir keinen Blumentopf gewinnen. Das empfindet Geck offenbar ähnlich, er schreibt von einem mystische Versenkung einfordernden Klangbild (S. 644). Wie schon für Carl Philipp sind es auch für mich überwiegend die langsamen Sätze, die es mir bei diesen Sonaten angetan haben. Wobei ich natürlich auch die fugierten Allegro-Sätze sehr zu schätzen weiß.
Was die Ausführung angeht, so ist Albert Schweitzer der Meinung, dass die Sonaten die Verwendung des Cembalo gebieterisch fordern (S. 351). Schweitzer schreibt in diesem Zusammenhang von der Tondicke und Tonbrutalität unserer Riesenflügel, die so gar nicht zum Zusammenklang mit der Geige geeignet seien (S. 350). Er wendet sich auch ausdrücklich gegen piano, mezzoforte und forte-Zeichen, die in die damaligen Ausgaben vom Herausgeber eingefügt wurden. Schweitzers Resümee:
Was würde man dazu sagen, wenn jemand schöne alte Stahlstiche unter dem Vorwand, ihre Wirkung zu erhöhen, in modernem Farbenton übermalte? Aber die Buntheit, mit der man die Bachschen Stücke ausstattete, erregt vorerst noch keinen allgemeinen Anstoß (S. 348).
Auch ich ziehe die Aufnahmen mit Cembalo klar denen mit Klavier vor. Allerdings sehe ich keinen Grund, daraus ein Dogma zu machen (schon wegen meiner heimlichen Liebe zur Aufnahme mit Gould/Laredo). Und den dritten Satz der f-Moll-Sonate höre ich ausgerechnet am liebsten von Zimmermann/Pace – von „HIP“ keine Spur, aber dafür von großartiger Expressivität geprägt.
Die Frage ist allerdings, ob mit dieser überbordenden, teilweise schon fast schluchzenden Expressivität nicht gerade das entsteht, was Schweitzer mit der "Übermalung in modernem Farbenton" meint, die aus einem "schönen alten Stahlstich etwas allzu Buntes" mache.
Von allen mir bekannten Aufnahmen gefällt mir daher unterm Strich die mit Malgoire/Rannou am besten.
Das Cembalo klingt wirklich phantastisch, nicht nur der Bass geht in die Vollen, auch alles, was die rechte Hand spielt, ist unglaublich präsent und direkt zu hören. Erst einmal sehr ungewohnt ist das langsame Tempo der Einspielung. Vor allem die Adagios werden bis an die Grenze gedehnt. Das wird sicher nicht jedem gefallen - mir schon. Florence Malgoire spielt mit relativ viel Vibrato, oft gibt es bei langen Notenwerten ein Auf- und Abschwellen des Tones (aber ohne Crescendo, wie Manze es manchmal macht). Gerade bei so emotionalen Stücken wie den Violinsonaten finde ich aber ein zeitweiliges "Beben" des Tones durchaus passend.
Gruß, Carola