SCHMELZER, Johann Heinrich: Sonatae unarum fidium (1664)
Die 6 Violinsonaten "Unarum fidium" ist die erste gedruckte Sammlung von Musik für Geigensolo mit Bc. die "jenseits" (oder besser "diesseits") der Alpen (also außer Italien) erschien. Gewidmet wurden sie einem Gönner des Komponisten, dem Kardinalen Carlo Caraffa. Die Wirkung der italienischen Violinsonate ist durchaus spürbar: Uccellini, Pandolfi-Mealli klingen hier und da an - jedoch entwickelt Schmelzer durchaus eine eigene Klangsprache und erweitert den "Stylus phantasticus" mit Anklängen an die (alpenländische) Volksmusik. Besonders typisch ist für sich eine sorgfältige (oft satzübergreifende), thematische Behandlung. Er hat eine Vorliebe für Ostinato-Sätze: vier der sechs Sonaten bauen auf wiederkehrende Bassmodelle. Er bedient sich aber auch tokkatenhaften Episoden mit virtuosen Passagen - diesen Stil führt dann später Biber zum Höhepunkt.
(Einen Nachklang erlebte das noch in den Soloviolin-Partiten von Vilsmayr und in den Kirchensonaten von Weichlein - ich hoffe aber darauf, dass noch weitere Violinsonaten dieser dritten Generation aufgefunden werden - wer weiß z.B. was sich in den fehlenden op.1 und op.3 von Aufschnaiter verbirgt?)
Nun, die einzelnen Sonaten:
Sonata prima
Zuerst wird ein hinterlistig modulierendes Thema zweimal (von verschieden Tonhöhen (1: g', 2: d") angefangen) vorgestellt, und so von C-dur ausgehend E-dur erreicht. Ein Nachsatz moduliert langsam - das thematische Material der ersten Abteilung weiter ausbauend in C-Dur zurück. Danach wird in 4/2 ein 3-taktiges Bassmodell vorgestellt, was aber in 4/4 verarbeitet wird, so ensteht ein 6-taktiges Modell. Die 12 Variationen greifen hin und wieder thematisches Material der beiden "Anfagssätze" (eigentlich darf man hier nicht über "Sätze" sprechen, da die Sonate eher eine canzonenhafte Anlage hat). Danach folgt wieder eine freie zwischen E und C Tonarten modulierende - lange - Abteilung. Nachdem C-Dur wieder erreicht worden ist folgt die Reprise des Anfangs nun aber mit Schluss auf C.
Sonata secunda
Diese Sonate ist gänzlich auf einen Ostinatobass aufgebaut. In seinem Originalform ist der in Vierertakt 7 Takte lang. Der mit langsamen Ganznotenschritten angefangenes Modell wendet sich im fünften Takt in eine Skala von f zu F. Danach folgt nur noch der Kadenzschritt Dominante-Tonika (c-F) Nach Thema + neun Variationen kommt eine anders rhytmisierte Variation des Basses in 3/2, nun 10 Takte lang. Das "neue" Thema wird in 6 weiteren Variationen verarbeitet.
Sonata tertia
Der ostinate Grundbass der dritten Sonate ist zehn Takte lang. Schon die zweite Variation fängt bereits über dem Schlusston des Themas an, und die Melodiestimme verschiebt sich allmählich zum Bass. Die dritte Variation ist zwei Takte länger, als der Bass, so fängt die Vierte schon im dritten Takt des Bassthemas an - mit einem Taktwechsel von 4/4 in 12/8! Später kommen noch weitere rhytmische Varianten: 6/4, und das schließende 3/4 - Adagio.
Sonata quarta
Nach den kniffligen Bassmodellen der ersten drei Sonaten mutet die absteigende Tetrachord der Vierten besonders einprägsam an. Das Violin-Thema (ein Quintsprung nach oben) wird nach zweimaligen ertönen des viertaktigen Bassthemas vorgestellt (so hat man den Eindruck der Bass wäre 8-taktig), das zweite Thema der Violine ist eine langsame, skalenartige Melodielinie. 110 Takte lang werden in ideenreichen Variationen diese Themen verarbeitet. Dann kommt - über denselben Bass zuerst eine Sarabande (mit Variation), dann eine Gigue (mit Variation).
Schließlich mündet das Stück in eine freie, stellenweise improvisativ anmutende, tokkatenhafte Passage. Die Sonate wird mit - bereits Biber vorwegnehmende - über liegende Orgelpunkte des Contionobasses sich ausbreitenden, aus Dreiklangsbrechungen sich aufbauenden Figurationen beschlossen.
Sonata quinta
Die fünfte Sonate ist frei von ostinaten Bässen. Ihr Stil erinnert mich stark an die Sonaten von Pandolfi-Mealli: wenn ich sie kurz beschreiben müsste (was ich mir jetzt auferlegt habe), würde ich sagen, dass sich thematisch arbeitende und improvisativ anmutende freie Passagen abwechseln. Schon der Anfang ist typisch: es werden eher nur rhytmische Motive als Themen vorgestellt, und erst in Takt 8 entwickelt sich daraus ein Thema, das dann zuerst sequenzartig (damit es besser eingeprägt wird), dann zerlegend verarbeitet wird. Der nächste Absatz fängt dann mit einem - aus den selben rhytmischen Motiven erstellten - Thema im Bass und auf der Violine imitativ an, überschlägt aber gleich in wilde Läufe, woras dann ein neues, kurzes, hüpfendes Thema hervorgeht, die dann "totsequenziert" wird. Diese Wechselbeziehung zwischen thematischer Arbeit und Improvisation bleibt bis zum Schluss bestehen, wo aber letztere schon deutlich überwiegt (Orgelpunkt-Stellen, lange Skalen-Passage, usw.)
Sonata sexta
Die letzte Sonate spinnt den oben beschrieben Konzept der Fünften auf andere Weise weiter: die erste Abteilung ist noch streng thematisch, aus der motivischen Arbeit nimmt auch der Bass sein Teil aus, das schön melodische Thema wird gründlich verarbeitet. Die zweite hat bereits zwei Themen, von denen das zweite schon für kurze virtuose Passagen den Platz bietet. Die dritte Abteilung festigt diese "siedpunktnahe" Stimmung, entwickelt wird sie aber erst in der vierten, wo ein kurzes, melancholisches Vierton-Motiv als Themen-Bruchstück gegen geysirartig ausbrechenden virtuosen Passagen sich durchzusetzen versucht. Diese Grundvorstellung wird dann in den nächsten Abteilungen weiter fortgeführt um letztlich einen thematisch inspirierten jedoch improvisativ wirkenden Laufwerk Platz zu geben.
LG
Tamás