Was kann "über Musik reden/diskutieren" eigentlich sinnvoll heißen?

  • Und was ist, wenn der Klempner jetzt sein Urinal Kunst nennt?

    Gegenfrage: Gibt es eine Möglichkeit, ihm zu beweisen, dass sein Urinal keine Kunst ist, "Fountain" aber doch? Mir fällt keine ein. Aber der Klempner kommt höchstwahrscheinlich gar nicht auf die Idee, sein Urinal Kunst zu nennen, das ist auch der einzige Beleg dafür, dass er nur Klempner und kein Künstler ist.

    Könnte es nicht eher ein Transformierungsprozess sein, der aus dem vorgegebenen Material etwas Neues, Eigenständiges erschafft? Etwas, was vielleicht nur der Künstler zunächst entdeckt, was aber von der ursprünglichen Sicht abweicht?

    Ja, aber der Künstler nennt ja sein Kunstwerk nicht einfach so "Kunst" sondern weil eben dieser Transfomierungsprozess in seinem Kopf stattgefunden hat. An dem Material muss sich deshalb gar nicht geändert haben (es bleibt ein Urinal).

  • Du hast nur zur Hälfte gelesen: Ich habe nicht von jedem schöpferischen Prozess geschrieben, sondern von einem schöpferischen Prozess, der von seinem Urheber "Kunst" genannt wird.

    Nee. Denn das macht nämlich keinen wesentlichen Unterschied aus. Auch "schöpferischer Prozess, der vom Urheber Kunst genannt wird" kommt viel zu abstrakt rüber. Nur weil ein Urheber diesen Prozesse als Kunst für sich in Anspruch nimmt, muss es keine Kunst sein. Alles mögliche würde auch unter bzw. in dieser Allgmeinheit rumwuseln. Chose bleibt also weiterhin gleichermaßen inhaltsleer/unkonkret.
    Denn ein Vorstandsvorsitzender (als Urheber) könnte seinen Geschäftsbericht, ein Politiker seinen demagogisch-blumenreichen Erguß als Kunst deklarieren, was aber kein anderer ernsthaft behaupten würde.

    Deshalb sage ich: Kunst ist das, was der Künstler "Kunst" nennt.

    funzt leider auch nicht besser, obwohl diese Chose sich noch munitionsmäßig auflädt, indem sie "Künstler" zu eigenen Geltungs-Voraussetzung macht.
    Eher tautologisch kommt das rüber, indem Kunst durch quasi Kunst (in diesem Fall in Gestalt des Künstlers) bestimmt wird.
    Und so ein Geschäftsbericht des Vorstandsvorsitzenden wird auch dann nicht zur Kunst, bloß weil irgend so ein Künstler meint, diesen zur Kunst deklarieren zu müssen. Ein Künstler kann die gelungene Operation einer Geiselbefreiung als Kunst bestimmen, dem ebenfalls keiner ernsthaft beistimmen würde.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Kunst ist das, was der Künstler "Kunst" nennt.

    Ich bin ja immer sehr dafür zu sagen 'Kunst kommt von künstlich', kommt also von etwas, was von dem ursprünglich intendierten Realitätsbezug abweicht. Inwieweit der 'Künstler' das beabsichtigt bzw. erreicht, müsste dann vielleicht eine Kunstkritik klären.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Nur weil ein Urheber diesen Prozesse als Kunst für sich in Anspruch nimmt, muss es keine Kunst sein.

    Das behauptest Du. Beweisen kannst Du es nicht, es sei denn, Du bestimmst die Definition von "Kunst" und wendest diese dann auf das Werk eines Künstlers an, der eine andere Definition verwendet. Das wäre im besten Fall ein sprachliches Chaos und im schlimmsten Fall (wenn Du im Besitz der Macht bist) ein autoritärer Akt. Historische und gegenwärtige Beispiele gibt es zur Genüge. Zum Grundrecht der Kunstfreiheit gehört auch das Recht, eine Sache zur Kunst zu erklären.

    Denn ein Vorstandsvorsitzender (als Urheber) könnte seinen Geschäftsbericht, ein Politiker seinen demagogisch-blumenreichen Erguß als Kunst deklarieren, was aber kein anderer ernsthaft behaupten würde.

    Tut das ein Vorstandsvorsitzender? Angenommen, er täte es: Wäre dann sein Geschäftsbericht nicht allein schon durch diesen provokativen Akt mehr als nur ein Geschäftsbericht? Allein schon der Streit über sein Wesen beweist das doch, denn über einen Geschäftsbericht gäbe es einen solchen Streit nicht.

    Und so ein Geschäftsbericht des Vorstandsvorsitzenden wird auch dann nicht zur Kunst, bloß weil irgend so ein Künstler meint, diesen zur Kunst deklarieren zu müssen.

    Das ist jetzt wieder ein anderer Fall. "Irgend so ein Künstler" nimmt einen Geschäftsbericht eines Vorstandsvorsitzenden und erklärt ihn zu seinem Kunstwerk. Da liegt der künstlerische kreative Prozess doch auf der Hand: Die Verfremdung eines übernommenen Textes durch die Entfernung aus seinem ursprünglichen Entstehungs- und Bedeutungszusammenhang. Was wäre das denn sonst, wenn kein künstlerischer Vorgang?

  • Das behauptest Du.

    Da wurde nichts behauptet, sondern erläutert, warum „schöpferischen Prozess, der von seinem Urheber "Kunst" genannt wird“ nicht für Begriffsbestimmung Kunst ausreichend funzt..

    Du bestimmst die Definition von "Kunst" und wendest diese dann auf das Werk eines Künstlers an, der eine andere Definition verwendet.

    Begriffe (auch die von dir) kommen nicht ohne Bestimmungen aus. Selbst ein totalst allgemeiner Begriff von Kunst funzt nicht ohne Bestimmungen.

    Das wäre im besten Fall ein sprachliches Chaos

    Wenn versucht wird, allgemeine Begriffe durch Besonderheit konkret bzw konkreter rüberwachsen zu lassen, führt das nicht zum sprachlichen Chaos; im Gegentum.

    und im schlimmsten Fall (wenn Du im Besitz der Macht bist) ein autoritärer Akt. Historische und gegenwärtige Beispiele gibt es zur Genüge.

    Was hat Begriffsklärung von Kunstchose in diesem Thread mit Besitz von Macht zu tun? Hä ?( Keiner ist gezwungen, mein verzapftes Geschreibsel sich zu eigen zu machen.

    Historische und gegenwärtige Beispiele gibt es zur Genüge. Zum Grundrecht der Kunstfreiheit gehört auch das Recht, eine Sache zur Kunst zu erklären.

    Die Kunstfreiheit wird davon nicht betroffen.
    Jeder hat das Recht seine oder irgendeine fabrizierte Chose zur Kunst zu erklären und sowas auch öffentlich rüberkommen zu lassen.
    Nur ist zunächst damit noch gar nicht ausgemacht, ob so eine Chose tatsächlich auch Kunst ist

    Tut das ein Vorstandsvorsitzender? Angenommen, er täte es: Wäre dann sein Geschäftsbericht nicht allein schon durch diesen provokativen Akt mehr als nur ein Geschäftsbericht? Allein schon der Streit über sein Wesen beweist das doch, denn über einen Geschäftsbericht gäbe es einen solchen Streit nicht.

    Beweist leider gar nix, weil nämlich rhetorische Finessen darin einzig dazu dienen sich z.B. einzuschleimen (d.i. ist in diesem Fall allerhöchst wahrscheinlich), um vom Aufsichtsrat gewählt und/oder von der Hauptversammlung um entlastet zu werden. Sein Geschäftsbericht bleibt also damit Zwecksphäre der Realität totalst dienstbar. Keiner ernsthaft denkender Mensch käme auf den Gedanken sowas als Kunst zu bestimmen.

    Das ist jetzt wieder ein anderer Fall. "Irgend so ein Künstler" nimmt einen Geschäftsbericht eines Vorstandsvorsitzenden und erklärt ihn zu seinem Kunstwerk.

    Zuvor schriebst du „Kunst ist das, was der Künstler "Kunst" nennt.“. Jetzt wird plötzlich neues Kaninchen aus dem Hut gezaubert namens „erklärt ihn zu seinem Kunstwerk.“

    Da liegt der künstlerische kreative Prozess doch auf der Hand: Die Verfremdung eines übernommenen Textes durch die Entfernung aus seinem ursprünglichen Entstehungs- und Bedeutungszusammenhang. Was wäre das denn sonst, wenn kein künstlerischer Vorgang?

    Klar kann ein in Wien oder NYC lebender Künstler den Geschäftsbericht vom VW-Vorstandsvorsitzenden (vorgetragen in Hannover im Kuppelsaal) diesen zu seinem Kunstwerk deklarieren.
    Nur bleibt und kommt Geschäftsbericht in seiner zweckgebundenen Geltung in der Hauptversammlung trotzdem unverändert rüber und mutiert damit keinesfalls zum Kunstwerk.
    Allenfalls hätte so eine Aktion des Wiener Künstlers Möglichkeit zum Kunstwerk rüberzuwachsen.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Das behauptest Du. Beweisen kannst Du es nicht, es sei denn, Du bestimmst die Definition von "Kunst" und wendest diese dann auf das Werk eines Künstlers an, der eine andere Definition verwendet. Das wäre im besten Fall ein sprachliches Chaos und im schlimmsten Fall (wenn Du im Besitz der Macht bist) ein autoritärer Akt. Historische und gegenwärtige Beispiele gibt es zur Genüge. Zum Grundrecht der Kunstfreiheit gehört auch das Recht, eine Sache zur Kunst zu erklären.


    Tut das ein Vorstandsvorsitzender? Angenommen, er täte es: Wäre dann sein Geschäftsbericht nicht allein schon durch diesen provokativen Akt mehr als nur ein Geschäftsbericht? Allein schon der Streit über sein Wesen beweist das doch, denn über einen Geschäftsbericht gäbe es einen solchen Streit nicht.


    Das ist jetzt wieder ein anderer Fall. "Irgend so ein Künstler" nimmt einen Geschäftsbericht eines Vorstandsvorsitzenden und erklärt ihn zu seinem Kunstwerk. Da liegt der künstlerische kreative Prozess doch auf der Hand: Die Verfremdung eines übernommenen Textes durch die Entfernung aus seinem ursprünglichen Entstehungs- und Bedeutungszusammenhang. Was wäre das denn sonst, wenn kein künstlerischer Vorgang?


    das mag ja unter dem Schutz der Kunstfreiheit alles möglich sein.

    Urheberrechtlich freilicht kommst du damit nie und nimmer durch. Die Konsequenz wäre, daß jemand die übernächste Ausgabe von BILD zum Kunstwerk erklären kann, damit Miturheberschaft beansprucht, und daraus finanzielle Ansprüche herleitet.

    Um sowas zu verhindern, hat die Juristerei da einen eigene Begriff von "Werk", der "Kunstwerke" mit umfaßt, und der eine gewisse notwendigen "Schöpfungshöhe". So problematisch dieser Begriff von "Schöpfungshöhe" und dessen Verwendung auch ist - ganz ohne sowas geht es offenbar nicht.

    Übrigens scheinen mir in deiner Argumentation zwei gegenläufige Tendenzen wirksam zu sein, deren Kompatibilität mir noch nicht ganz geklärt zu sein scheint:

    sozusagen von "unten" her dringst du - sicher ohne die Meinungsfreiheit in Frage zu stellen - auf qualifizierte Kunstkritik, auf der anderen Seite der künstlerischen Produktion aber pochst du auf die Möglichkeit einer reinen, keiner weiteren Qualifikation bedürfenden Deklaration.

    nun beanspruche ich gar nicht, was besseres zu wissen. Deine Tendenz erinnert mich an religiöse Denkmotive: etwa der Begriff der Taufe, deren Spender im Extremfall praktisch keinerlei Qualifikation bedarf, und dennoch durch eine Handlung veranlassen kann, daß der Seele ein auf ewig unauslösches Merkmal eingeprägt wird.

    Ein Gegenmodell wäre in einer mindestens ebenso unangenehmen Gefahr: eine Akademisierung der Kunst, bei der als Künstler nur der anerkannt sein kann, wer von einer aus Künstlern gebildeten Kunstakademie als Künstler anerkannt wurde.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Begriffe (auch die von dir) kommen nicht ohne Bestimmungen aus. Selbst ein totalst allgemeiner Begriff von Kunst funzt nicht ohne Bestimmungen.

    Und wer "bestimmt"? Entweder der Künstler selbst (was Du ablehnst), oder jemand, der die Macht dazu hat (was in Diktaturen praktiziert wird), oder jeder für sich (was zu kommunikativem Chaos führt), oder "man" "einigt" sich auf eine Bestimmung, an die sich dann alle zu halten haben (was nicht gelingt und auch nicht gelingen kann, weil der Kunstbegriff einer stetigen Veränderung unterliegt, die gerade durch die Künstler angestoßen wird, die sich nicht an bisherige "Einigungen" halten).


    Was hat Begriffsklärung von Kunstchose in diesem Thread mit Besitz von Macht zu tun?

    Noch einmal ganz einfach: Die Basis der Kunstfreiheit ist die Freiheit, ein Werk für "Kunst" zu erklären. Wer dem Künstler dieses Recht abspricht, plädiert deshalb für eine erhebliche Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit, oder schränkt sie (falls er die Macht dazu hat) selbst ein. Das haben Diktatoren immer getan und tun es bis heute.


    Zuvor schriebst du „Kunst ist das, was der Künstler "Kunst" nennt.“. Jetzt wird plötzlich neues Kaninchen aus dem Hut gezaubert namens „erklärt ihn zu seinem Kunstwerk.“

    Entschuldige, aber so geht das nicht. "Erklärt ihn zu seinem Kunstwerk" war ein Gedanke, den Du selbst in die Diskussion eingebracht und den ich aufgenommen habe. Du liest nicht, was ich geschrieben habe und vergisst, was von Dir selbst stammt, beharrst aber ohne jedes Argument darauf, zu wissen bzw. bestimmen zu dürfen, was Kunst ist und was nicht. Mir reicht das, ich habe zum Thema alles geschrieben, was mir wichtig ist. Wenn Du darauf mal eingehst, können wir auch weiter diskutieren.


    Urheberrechtlich freilicht kommst du damit nie und nimmer durch. Die Konsequenz wäre, daß jemand die übernächste Ausgabe von BILD zun Kunstwerk erklärt, damit Miturheberschaft beansprucht, und daraus finanzielle Ansprüche herleitet.

    Du schreibst es selbst: Beim Urheberrecht einschließlich des Begriffs der "Schöpfungshöhe" geht es im Kern um die Regelung finanzieller Ansprüche. Das Nichtvorhandensein solcher Ansprüche zum Ausschlusskriterium für Kunst zu machen, scheint mir sehr problematisch zu sein. Kunst wäre dann umgekehrt nur das, was sich finanziell vermarkten ließe. Ich glaube nicht, dass Du das meinst.

  • Du schreibst es selbst: Beim Urheberrecht einschließlich des Begriffs der "Schöpfungshöhe" geht es im Kern um die Regelung finanzieller Ansprüche. Das Nichtvorhandensein solcher Ansprüche zum Ausschlusskriterium für Kunst zu machen, scheint mir sehr problematisch zu sein. Kunst wäre dann umgekehrt nur das, was sich finanziell vermarkten ließe. Ich glaube nicht, dass Du das meinst.


    mit dem "Urheberrecht" wollte ich zunächst ergänzend auf einen weiteren, gesellschaftl. relevanten Aspekt aufmerksam machen, und das finanzielle war ein Beispiel wiederum zu den Auswirkungen.

    wobei das Finanzielle keineswegs den "Kern" des Urheberrechts ausmacht - das gehört in die übertragbaren "Nutzungsrechte". Unabdingbare Urheberrechte sind z.B. Schutz gegen Verfälschungen, Bearbeitungen, das Recht des genannt werdens als Urheber.


    Kunst wäre dann umgekehrt nur das, was sich finanziell vermarkten ließe. Ich glaube nicht, dass Du das meinst

    ... deshalb wäre das nicht eine Konsequenz.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • mit dem "Urheberrecht" wollte ich zunächst ergänzend auf einen weiteren, gesellschaftl. relevanten Aspekt aufmerksam machen, und das finanzielle war ein Beispiel wiederum zu den Auswirkungen.

    Natürlich gibt es andere Aspekte, die gesellschaftlich relevant sind. Mit der Festlegung eines Werks als "Kunstwerk" beginnt ja erst die Rezeption und damit auch die Diskussion über seine gesellschaftliche, politische, historische oder ästhetische Relevanz usw.. Gerade deshalb verstehe ich ja nicht, warum statt dessen so oft und so erbittert über den Kunstbegriff selbst diskutiert wird. Bzw. ich verstehe es doch: Hinter dem Kampf um die Definitionsmacht steckt eben doch häufig ein Kampf um die gesellschaftliche Macht, wenn z.B. Konservative gegen progressive Künstler wettern. Und deshalb wundere ich mich auch über Amfortas' Beharren auf der eigenen Definitionshoheit, denn wenn ich seine Beiträge sonst richtig in Erinnerung (und verstanden) habe, ist er doch eher ein Anhänger der Moderne.

  • Und wer "bestimmt"? Entweder der Künstler selbst (was Du ablehnst),

    Wurde nicht abgelehnt, sondern bloß erläutert, dass sowas für die Begriffsbestimmung nicht ausreicht. Falls dir dieser Unterschied bisher überhaupt auffiel.

    oder jemand, der die Macht dazu hat (was in Diktaturen praktiziert wird),

    Was hat Begriffsklärung mit Diktaturen zu tun. Keiner zwingt dich Begriffserklärungen zu übernehmen.
    Nebenbei: Gültigkeit von z.B. Gravitationsgesetzen wird nicht partikular von Diktaturen festgelegt, sondern funzt allgemein, egal ob dir als individuelle Person Gravitationsgesetze passen oder nicht.

    Noch einmal ganz einfach: Die Basis der Kunstfreiheit ist die Freiheit, ein Werk für "Kunst" zu erklären.

    Einfach erwidert: Diese Freiheit besteht unabhängig davon,
    a. ob die Chose als Kunst anerkannt wird oder nicht, sowie
    b. unabhängig davon, ob damit die Chose tatsächlich Kunst ist oder nicht.

    Wer dem Künstler dieses Recht abspricht

    Ein Beweis für diese deine Behauptung wirst du nicht liefern, denn das Recht wurde nicht abgestritten.

    plädiert deshalb für eine erhebliche Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit, oder schränkt sie (falls er die Macht dazu hat) selbst ein. Das haben Diktatoren immer getan und tun es bis heute.

    Eine Chose (z.B. Geschäftsbericht eines Vorstandes) die Eigenschaft eines Kunstwerkes abzusprechen, bildet keinesfalls Eingriff in die (künstlerische) Freiheit. Denn der Geschäftsbericht wird dadurch weder zensiert, noch gekürzt, selbst wenn er – zu Recht - nicht als Kunstwerk anerkannt wird.

    Entschuldige, aber so geht das nicht. "Erklärt ihn zu seinem Kunstwerk" war ein Gedanke, den Du selbst in die Diskussion eingebracht und den ich aufgenommen habe. Du liest nicht, was ich geschrieben habe und vergisst, was von Dir selbst stammt, beharrst aber ohne jedes Argument darauf, zu wissen bzw. bestimmen zu dürfen, was Kunst ist und was nicht

    Und ob das geht, weil einzig du das nämlich praktizierst.
    Du schriebst doch selbst in deinem PostingKunst ist das, was der Künstler "Kunst" nennt.“ d.i. nichts anderes als: "erklärt ihn [Gegenstand] zum Kunstwerk". später variiertest du es in: „erklärt ihn zu seinem Kunstwerk.“

    Mir reicht das, ich habe zum Thema alles geschrieben, was mir wichtig ist. Wenn Du darauf mal eingehst, können wir auch weiter diskutieren.

    Wies beliebt. Mir wumpe. Es gibt ja keinerlei Zwang zum Talk.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Hinter dem Kampf um die Definitionsmacht steckt eben doch häufig ein Kampf um die gesellschaftliche Macht, wenn z.B. Konservative gegen progressive Künstler wettern. Und deshalb wundere ich mich auch über Amfortas' Beharren auf der eigenen Definitionshoheit, denn wenn ich seine Beiträge sonst richtig in Erinnerung (und verstanden) habe, ist er doch eher ein Anhänger der Moderne.

    Ich sehe das nicht so streng. Ich bin zB ein großer Anhänger der Klassischen Moderne und der Musik seit 1945, und ich liebe gute "moderne" Inszenierungen, aber ich habe keine Lust, Schmarrn als Kunst anzuerkennen, nur weil er als Kunst ausgegeben wird.
    So wie es früher viel Tolles und viel Mist gegeben hat, gibt es heutzutage auch viel Tolles und viel Mist.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ich bin auch der Überzeugung, dass etwas nicht automatisch Kunst ist, weil es der Schaffende so nennt, und dementsprechend es auch nicht ausreicht, dass ein Schaffender sich Künstler nennt, um Künstler zu sein.

    So wie ein Mensch, der irgendwelche Töne notiert, noch kein Musiker/Komponist ist, auch wenn er sich so nennt. Ein Mensch mit einer abstrusen Fantasie über die Entstehung des Weltalls ist noch kein Physiker, jemand, der mathematische Symbole hinschreibt, noch kein Mathematiker.

    Das ist doch eigentlich so klar, dass es daran keine Zweifel geben sollte. Jetzt könnte man einwenden, Kunst ist generell ein Begriff, der (z. B. im Vergleich zu Musik, Physik, Mathematik) viel weniger greifbar ist. Dennoch zählt hier m. E. nicht die Meinung einer Einzelperson über sich selbst. Ein Künstler kann (und wird) sich natürlich selbst auch als Künstler empfinden, aber die Umkehrung gilt noch lange nicht. Vielmehr hängt Kunst von der Rezeption als solcher ab.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Ich bin auch der Überzeugung, dass etwas nicht automatisch Kunst ist, weil es der Schaffende so nennt, und dementsprechend es auch nicht ausreicht, dass ein Schaffender sich Künstler nennt, um Künstler zu sein.

    Das sehe ich auch so. Der (2016 leider verstorbene) Alfred Šramek hat 2016 ein sehr berührendes Interview gegeben, das folgendermaßen beginnt:


    Das beschreibt es meiner Meinung nach ziemlich gut!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • So wie es früher viel Tolles und viel Mist gegeben hat, gibt es heutzutage auch viel Tolles und viel Mist.

    Es ging in der Diskussion nicht um Qualität sondern um die Definition von Kunst. Thema verfehlt.

    Ich sehe das nicht so streng. Ich bin zB ein großer Anhänger der Klassischen Moderne und der Musik seit 1945, und ich liebe gute "moderne" Inszenierungen, aber ich habe keine Lust, Schmarrn als Kunst anzuerkennen, nur weil er als Kunst ausgegeben wird.

    Du kannst tun und lassen, was Du willst, z.B. ein Kunstwerk als "Schmarrn" abtun. Das ändert nichts daran, dass es ein Kunstwerk bleibt, denn der Künstler hat die Freiheit es zu einem solchen zu erklären. Und das ist auch gut so. Ich frage mich bei denen, die so eifrig darauf beharren, etwas sei keine Kunst, weil sie das so bestimmen, was es denn dann statt dessen ist? Wenn man z.B. Malewitschs "Schwarzes Quadrat" nicht als Kunst anerkennt, was soll es denn dann sein? Ein Putzlappen ist es offensichtlich nicht, eine Schreibunterlage ebensowenig, Selbst "Fountain" ist kein Urinal mehr, weil es dazu im falschen Winkel liegt und um 90 Grad gekippt eben nicht mehr "Fountain" wäre. Wenn keine Kunst (woher habt Ihr das Recht, das zu definieren?), was ist es dann? Es gibt zu allen diesen Widersprüchen nur eine Lösung: Der Künstler entscheidet aufgrund seiner künstlerischen Freiheit, dass sein Werk ein Kunstwerk ist, und der Rezipient kann sich dann wahlweise daran erfreuen, es als "Schmarrn" bezeichnen oder schlichtweg ignorieren. Kunst bleibt es in jedem Fall.

  • Es ging in der Diskussion nicht um Qualität sondern um die Definition von Kunst. Thema verfehlt.

    Der zitierte Satz war ja nur ein Zusatz zu dem, was ich davor geschrieben habe.

    Du kannst tun und lassen, was Du willst, z.B. ein Kunstwerk als "Schmarrn" abtun. Das ändert nichts daran, dass es ein Kunstwerk bleibt, denn der Künstler hat die Freiheit es zu einem solchen zu erklären. Und das ist auch gut so. Ich frage mich bei denen, die so eifrig darauf beharren, etwas sei keine Kunst, weil sie das so bestimmen, was es denn dann statt dessen ist. [...] Es gibt zu allen diesen Widersprüchen nur eine Lösung: Der Künstler entscheidet aufgrund seiner künstlerischen Freiheit, dass sein Werk ein Kunstwerk ist, und der Rezipient kann sich dann wahlweise daran erfreuen, es als "Schmarrn" bezeichnen oder schlichtweg ignorieren. Kunst bleibt es in jedem Fall.

    Das ist ja nur Deine Meinung, ist ja okay.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • [Wann ist man laut Alfred Šramek ein Künstler]

    Šramek gibt hier vielleicht sein Selbstbild als darstellender Künstler wieder (und greift schon deshalb zu kurz, weil nach seiner Definition auch ein völlig unbegabter Darsteller einer Laienbühne, der sich in jeder Rolle unfreiwillig lächerlich macht, Künstler sein könnte), aber zum einen muss das so nicht für jeden Musiker oder Schauspieler gelten, zum anderen ist das ja wohl kaum etwa auf Schriftsteller oder bildende Künstler anwendbar.

    Das ist mein größter Einwand gegen Musik, dass Österreicher darin exzelliert haben.
    (Arno Schmidt: Das steinerne Herz)

  • Ich kann Deinen Einwand verstehen. Aber ich denke schon, dass seine Definition auch auf Schriftsteller oder bildende Künstler angewendet werden kann. Wer wirklich für seine Sache brennt, wer etwas Neues, Eigenes schafft, den würde ich eher für einen Künstler halten als jemanden, der sich nur innerhalb der bestehenden Grenzen bewegt und kein Interesse daran hat, in seine Sache Herzblut zu legen.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • wer etwas Neues, Eigenes schafft,

    Ich finde, Du argumentierst hier nicht sauber, denn das ist nicht das, was Šramek gesagt hat (»weinen, lachen und sich jeden Tag aufs Neue aufgeben können«). Was Šramek sagt das schließlich geht auch, ohne etwas Neues zu schaffen.

    Das ist mein größter Einwand gegen Musik, dass Österreicher darin exzelliert haben.
    (Arno Schmidt: Das steinerne Herz)

  • Ja schon. Aber "wer mit Herzblut für seine Sache brennt" hat er mit andern Worten gesagt, und das meiner Meinung nach ein Teil dessen, was einen Künstler ausmacht. :) In diesem Interview wurde er ja nicht nach der vollständigen Begriffsdefintion eines Künstlers gefragt, und ich habe seine Antwort zitiert, weil ich denke, dass sie einen zu beachtenden Punkt enthält.
    Ich bin mir zum Beispiel nicht sicher, ob es gerecht ist, einem "völlig unbegabte[n] Darsteller einer Laienbühne, der sich in jeder Rolle unfreiwillig lächerlich macht" das Künstler-Sein abzusprechen, wenn man gleichzeitig C-Promis, die sich stark selbst inszenieren, für Künstler hält (hast du wahrscheinlich nicht gemacht, ich weiß). Ich finde eigentlich, dass jeder das Recht hat, sich als Künstler zu bezeichnen, aber ob ich dem zustimme, bleibt ja mir vorbehalten.
    Möglicherweise sollte man Kunst und Handwerk nicht immer trennen. Aber wir haben nun einmal diese beiden Begriffe, da finde ich es lohnenswert, sich auch damit auseinanderzusetzen, wie sich die beiden voneinander abgrenzen.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Deshalb sage ich: Kunst ist das, was der Künstler "Kunst" nennt.

    Und was ist, wenn der Klempner jetzt sein Urinal Kunst nennt?


    Ich stimme mit Sandra nicht überein.

    Selbstverständlich hat der Klempner das Recht, sein Urinal "Kunst" zu nennen.

    Was aber Kunst ist, entscheidet sich m. E. gesellschaftlich. Der Begriff ist in einer 1-Personen-Gesellschaft unnötig. Die Unterscheidung von "Kunst" und "Nichtkunst" ist erst dann wünschenswert, wenn mehrere Menschen zusammen sind, die bereits Erfahrungen mit Kunstwerken gemacht haben.

    Ein wesentlicher Faktor ist wohl, dass Menschen mit einem Kunstwerk Erfahrungen gemacht haben, die sie als bereichernd empfinden.

    Wenn sich hinreichend viel Menschen durch das Urinal bereichert fühlen, dann ist es (fast) Kunst.

    Das heißt, ohne einen konkreten Zuschreibungsprozess, der in einer konkreten historisch-sozialen Konstellation abläuft, ist ein Gegenstand ein Gegenstand ohne Kunstcharakter. Es muss wenigstens einen Teil einer Gesellschaft geben, der den Gegenstand als Kunstgegenstand erkennt/anerkennt.


    In der Musik gibt es wohl so etwas wie eine Expertokratie - Kunst ist das, was hinreichend viele Experten aufgrund ihres Hintergrundes mit Erfahrungen mit anderen Kunstwerken als Kunst anerkennen.

    Darauf darf man auch vertrauen - ich darf darauf vertrauen, dass Schönbergs 3. Streichquartett Kunst ist, auch, wenn mich seine Oberfläche eventuell abstößt. Dann fehlt mir das Maß an Erfahrung, welches Experten haben, die dieses Werk als Kunst anerkennen.

    (Damit ist die Frage, was Kunst sei, natürlich auf den Begriff des Experten zurückgeführt - was nicht hilft. Aber die Beantwortung der Frage, was Kunst sei, ist wohl ein Konsens- und ein Mehrheitsphänomen. Das Publikum der Uraufführung des Sacre hielt diesen offensichtlich nicht für Kunst. Heute ist der Sacre ein anerkanntes Kunstwerk. Ob etwas Kunst ist, ist also nicht alleine aus dem fraglichen Gegenstand heraus zu erklären, sondern die jeweilige Gesellschaft ist Teil der Antwort.)

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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