Eine schöne, differenzierte Besprechung, lieber Alexander!
Wie es der Zufall so will, fiel ebendiese CD mir letzte Woche ins Auge, als ich die Stadtbücherei Heidelberg besuchte und dabei auch die nicht allzu umfangreiche Sammlung von Mahler-Aufnahmen durchsah. Ich nahm sie mit und habe sie jetzt zweimal angehört.
Um es vorwegzunehmen: Ich bin enttäuscht. Im direkten Vergleich mit anderen (kürzlich gehört: Gielen 4x, Jansons, Abbado, Zander) scheint mir das Besondere bei Currentzis zu sein, daß er Einzelstimmen deutlich weniger hervortreten läßt und in einen Gesamtorchesterklang integriert, der die individuellen musikalischen Charaktere mehr oder weniger einebnet. Das Allegro energico kommt noch recht düster und kräftig an, aber schon das Scherzo empfinde ich als blasser. Das Andante moderato fließt recht warm und emotional, das berührt mich schon etwas - im Unterschied zum Finale, in dem ich das Einebnen des Individuellen als besonderen Verlust erlebe, zumal Currentzis große dynamische Kontraste vermeidet und alles irgendwie ins Graue taucht. Die beiden Hammerschläge werden mehr angedeutet als ausgeführt.
Auch mich läßt diese Interpretation kalt, auch ich höre da kaum Aufwühlendes. Mir scheint auch, daß das Orchester mit den Besonderheiten des Mahler-Spaltklangs wenig erfahren ist, aber vielleicht täusche ich mich da, und es liegt nicht an möglichen Defiziten des Orchesters (die ich nicht unterstellen möchte), sondern an der Konzeption des Dirigenten, der es eben so will und nicht anders. Jedenfalls finde ich das bei Gielen, Jansons, Abbado und Zander viel plastischer und differenzierter gestaltet, mit viel mehr Sinn für Details, obwohl die vier sich deutlich voneinander unterscheiden.
Jetzt lasse ich mich mal überraschen, was Currentzis mit Mahler im Dezember macht, wenn er nach Mannheim kommt; da gehts dann allerdings um Nr. 9 und das SWR-Orchester geht da hoffentlich etwas anders dran.