Jazz mit Laser und Nadel: Gerade goutiert

  • Heute tagsüber zwischendurch:

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Jetzt mache ich etwas eigentlich, streng genommen, nach den Forenregeln Verbotenes und zitiere music lover aus einer PN an mich:

    Zitat

    Am besten gefällt mir die "One more angel" von John Patitucci. Die CD handelt von der Fehlgeburt, die Patituccis Frau erlitten hat (daher "One more angel"). Sie spielt auf der CD mit, nämlich Cello. Ich habe diese Band auch in Berlin im Quasimodo gesehen, kurz nachdem diese CD herauskam. John und Sachi Patitucci waren sichtlich immer noch geschockt von diesem Verlust eines noch ungeborenen Kindes. Sie spielten sehr getragene Sachen, u.a. ein wunderschönes Duo für Cello und Bass. Es war eins der persönlichsten Konzerte, das ich jemals gesehen habe. John und Sachi lebten ihre Trauer einfach auf der Bühne aus - mit Musik.

    Das ist wirklich eine sehr schöne, getragen stimmungsvolle CD. Andere CDs Patituccis fand ich sehr heterogen, in den Stilistiken, aber auch den Qualitäten des Materials und seinen Verarbeitungen. Diese jedoch ergibt ein Ganzes und ist mit großem Abstand das beste, was ich bislang von seinen eigenen CDs kenne. Besonders Michael Brecker, aber auch Chris Potter und Steve Tavaglione schaffen es, sich mit ihren Saxsoli sehr gut in die Gesamtstimmung einzufügen. Danke, dass du mich auf diese CD gebracht hast.

    Zum Abendausklang lief jetzt Paolo Fresu: Live at Casa Del Jazz 2009 vom 27.10. 2009 aus dem Casa Del Jazz di Roma, mit seinem italienischen Quintett, mit dem er bei Blue Note Italia eine Reihe ganz vorzüglicher, weitgehend am Hardbop, der gekonnt modernisiert wird, orientierte CDs bei Blue Note Italia aufgenommen hat, bestehend aus Fresu (tp, flh), Tino Tracanna (ts,ss), Roberto Cipelli (p), Attilio Zanchi (b), Ettore Fioravanti (dr). Alle sind auch gute Komponisten, von denen allen auch hier Stücke gespielt werden. Außerdem verjazzen sie "Liebeslied" von Kurt Weill und eine Arie von Puccini. Anders als auf der CD-Reihe wird hier jedoch auf z.B. rhythmisch vertraktere Modernisierung und Hardbop verzichtet. Stattdessen liefern sie einen etwas nostalgischen Cool Jazz, der gut zum späten Abend passt. Dazu passt auch, dass sie sich hierfür das Alborado String Quartet dazugeholt haben, mit denen Fresu auch eine sehr gute CD mit Uri Caine aufgenommen hat. Dies ist ein Jazz-Streichquartett, deren Mitglieder auch sehr gute Improvisatoren sind. Insofern ist es etwas schade, dass sie hier doch wieder weitgehend auf eine Hintergrund-Rolle begrenzt wurden, die die hier zumeist eher getragenen Stücke des Quintets weich einhüllt. Das etwas nostalgisch, aber immer knapp am Kitsch vorbei zu machen, ist auch eine Leistung. Und die langen Linien im schönen Ton besonders von Fresus Flügelhorn schweben schon sehr schön auf dem weichen Streichersound. Der Rest des Quintets setzt feine Akzente im Detail und auch Tracanna gelingen sehr schöne Soli.

    Casa Del Jazz ist ein unabhängiger italienischer Jazz-Veranstalter. Die "Live at Casa Del Jazz"-CDs sind immer ausgezeichnet produziert, abgemischt und mit relativ ausführlichen, kompetenten Beiheften versehen und liegen regelmäßig (monatlich eine CD) dem L'Espresso bei. Sie stellen auschließlich Projekte bekannterer italienischer Jazzer vor, aber manchmal auch mit europäischen Gastmusikern in den überwiegend italienischen Bands. So werben sie in hoher Auflage für den italienischen Jazz und dafür, in die Clubs zu gehen. Das sind dafür also keine billigen Promo-Mitschnitte, sondern aufwendig gemachte, immer randvolle Konzert-CDs. Die ganze Reihe, die es jetzt schon seit mehreren Jahren gibt, ist musikalisch auf höchstem Niveau und dokumentiert so sehr gut den Live-Jazz in Italien zumindest der etablierteren Jazzer. Von oder mit Fresu in unterschiedlichen Projekten gibt es inzwischen schon mehrere CDs in der Reihe.

    Welche große deutsche Zeitschriften- und Mediengruppe würde sich auf so eine Zusammenarbeit mit einem unabhängigen Veranstalter einlassen und so die Jazzmusiker des eigenen Landes unterstützen? ;(

    Wer Interesse daran hat, zumindest CDs aus der Reihe von 2006-2008 noch zu bekommen, dazu per PN.

    :wink: Matthias

  • Jetzt mache ich etwas eigentlich, streng genommen, nach den Forenregeln Verbotenes und zitiere music lover aus einer PN an mich

    Meinen Segen hast Du zu diesem "Regelverstoß" :thumbup: Schön, dass Dir die "One more angel" auch so gut gefällt wie mir.

    John Patitucci hat unter eigenem Namen eine ganze Reihe von CDs herausgebracht, welche auch nach meiner Meinung von durchaus unterschiedlicher Qualität sind. Meine persönliche Tendenz: seine Alben sind hervorragend, sofern sie bei Concord erschienen sind. Seine frühen GRP-Alben sind hingegen nicht durchweg gut (die späteren GRP-Alben aber durchaus). Von seinen Concord-Alben ist eins meiner liebsten - neben "One more angel" - die in der Besetzung John Patitucci, Michael Brecker, Chris Potter, John Scofield und Bill Stewart eingespielte CD "Now" aus dem Jahr 1998. Mit einem sehr präsenten Sco, der wie immer glänzt:

    Im Booklet der CD "Now" ist übrigens auf den Innenseiten ein Foto der strahlend glücklichen Eltern John und Sachi Patitucci mit ihrer Tochter Sachi Grace zu sehen, der John dieses Album widmete. Nach der Fehlgeburt vom 28. November 1996 wurde ihnen also am 18. November 1997 doch noch ein Kind geschenkt.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Lieber music lover,

    danke für die Grundorientierung zu Patitucci, was Concord versus GRP angeht. Die "Now" ist zu mir unterwegs.

    Ich such immer noch Versionen von "Autumn Leaves" und dem "September Song" aus meiner Sammlung zusammen. Außerdem habe ich viele Neueingänge in den letzten Tagen gehört, vielleicht komme ich noch dazu, sie nachzutragen. Zuletzt hat mich diese sehr überzeug, die es noch nicht bei unseren Partnern gibt:

    Ellery Eskelin Trio: New York, 2011, Prime Source Recordings

    Ellery Eskelin (ts), Gary Versace (Hammond B 3 organ), Gerald Cleaver (dr)

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Das ist mal ein ganz anderes Orgeltrio, das sich völlig aus der Hardbop/Souljazz/Jimmie Smith-Richtung entfernt, weiter auch und ganz andere Wege einschlagend als die Hammond B 3 -Erneuerer Larry Young oder später John Medeski. Eskelins beide eigene Stücke sind ziemlich "free", aber auch Monks "Off Minor" und die Standards "Lover come back to me" und "How deep is the Ocean" werden sehr frei behandelt und dienen vor allem als Startrampe für fesselnde Trio-Improvisationen. Bei den Standards sorgt Versace mit dem Basspedal zwar noch für durchgehenden Walking Bass Groove, aber die Hände sind auch dazu frei für ungewohnt freie Orgel-Improvisationen weit ab vom üblichen tonalen Akkordspiel. Versace ist wohl der interessanteste Hammond B 3 -Organist der jüngeren US-Avantgarde. Seine Technik ist natürlich erstklassig. Das gilt auch für die Technik Gerald Cleavers, der wohl nie schläft, so viel er auf ausgezeichneten jüngeren Einspielungen meist des experimentelleren Jazz zu finden ist. Stets sorgt Cleaver für mächtig Groove und Intensität, auch noch, wo er taktungebunden zu spielen hat, sorgt ständig quirrlig für neue Taktaufteilungen und Rhythm-Breaks, wo er, wie hier, weitgehend taktgebunden spielen kann, ist aber auch in der Lage, Passagen mit ruhigen Stimmungen klangfarblich fantasievoll zu unterstreichen. Und Eskelin ist hier ganz dicht dran, sich in die Reihe der ganz großen Standards-Improvisatoren aus dem Free-Lager einzureihen und überzeugt mich auch in seinen eigenen Stücken erneut sehr.

    :wink: Matthias

  • Von einem Jazzfreund aus der Türkei erhielt ich diesen privaten Live-Mitschnitt:

    Live at the Kool Jazz Festival, San Francisco, 1983:
    -
    McCoy Tyner (piano);
    Carlos Santana (guitar);
    John Blake (violin);
    Gary Bartz (alto-saxophone)
    John Lee (bass);
    Wally Fletcher (drums);
    Armando Peraza (percussion);
    Orestes Vilato (percussion)

    :juhu: :juhu: :jub: :juhu: :juhu:

    Die TQ ist ziemlich mies: Lautes Grundrauschen, Verzerrung der höheren Töne bis in den Mitten-Bereich, Verschluckung der tieferen Mitten. Aber egal, musikalisch ist das so großartig, dass meine Ohren sich den Gesamtklang irgendwie erschließen. Neben den typischen packenden Tyner-Arpeggios und kräftigen Bassbegleitungen seiner Linken, liefert er auch eine sehr stimmungsvolle, harmonisch sehr interessant aufgelöste Version von "Prelude to a Kiss". Aber es dominiert die Voll-Power. Tyners damaliger Drummer und die jahrzehntelangen superguten Santana-Percussionisten sorgen für ein dichtes Feuerwerk, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, als zusammenzuspielen. Armando Peraza kommt dabei auch hörbar zu Gute, dass er übrigens lange vor seiner Santana-Zeit bereits eine Geschichte im innovativeren Bereich des Soul- und Latin Jazz hatte. Ich habe eine schöne, sehr rare Lp von seinem eigenen, mit prominenten Bläsern besetzten Sextett aus dieser Zeit.
    Santana spielt zur Tyner-Komposition "Senor Carlos" das beste Solo, das ich von ihm je gehört habe, ziemlich hart, mit stärker verzerrtem Sound als sonst und wahnsinnig schnell und dabei noch Jazzakkorde in das hardrockige Solo einbauend, ist aber auch sonst bei jazzigeren wie rockigeren Passagen in Bestform. Ebenso sind Gary Bartz, John Blake und der von Tyner in seinen Ansagen besonders herausgestellte John Lee an E- und Kontrabass solistisch in bester Tagesform und fordern sich gegenseitig zu immer grandioseren Soli heraus. Am Ende beginnt dann Tyner selbst sogar noch heftig zu rocken und so ein abgefahrenes Rockklavier ist wohl sonst auch nie zu hören.

    Ich wußte ja, dass McCoy Tyner und Santana mehrmals live zusammengespielt haben, teils angekündigt, teils aber auch unangekündigt, dass einer beim Konzert des anderen als Gast dazukam, wohl auch, anders als hier, mehrmals spontan. Mir war aber erst ein sehr kurzer Ausschnitt eines anderen Konzerts bekannt geworden. Tyner spielte ja auch auf einer Santana-Scheibe, Santana auf 2 Tyner-LPs. Hier sind aber musikalisch meine höchsten Erwartungen noch übertroffen worden!

    :wink: Matthias

  • Inzwischen zur Einstimmung, auch wenn ich gleich Aki Takase mit ihrem Trio mit dem grandiosen Jan Roder am Bass hören werde, noch etwas aus der:

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Aki Takase & Alexander von Schlippenbach - Pianos

    Das langjärige Paar auch im persönlichen Leben haben sich offenbar immer noch viel zu sagen: Dicht verbunden und mit höchster Responsivität wird hier zwischen freier Improvisation und Kompositionen nah an der 'klassischen' Neuen Musik, eine von Schlippenbach sogar 12-tönig, auf sehr gelungene Weise vermittelt: Monk meets Webern!

    :wink: Matthias

  • Geoffrey Keezer, Tim Garland, Joe Locke -Storm/Nocturnes
    Habe mir gerade Ihr neues Album "VIA" zugelegt.
    Die Jungs sind einfach unglaublich toll.

    Pianist Keezer habe ich zum ersten mal 1989 in Leverkusen als letzten Pianisten von Art Blakeys Jazz Messengers gesehen, da war er 18 Jahre alt......
    Das Video davon findet man auch auf youtube, der Kerl ist ein Klaviergott.

    Dazu kommt, daß die Jungs unheimlich nett, symphatisch und bescheiden, dabei aber 1000% professionell (ja, ich habe mich nicht verschrieben) sind.
    :juhu:
    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "

    :wink:
    Michael

  • Pianist Keezer habe ich zum ersten mal 1989 in Leverkusen als letzten Pianisten von Art Blakeys Jazz Messengers gesehen, da war er 18 Jahre alt......

    Hallo Michael,

    da war ich mit meinen Eltern auch :prost: :D und wir waren völlig geplättet von diesem damals noch ganz jungen Pianisten. Nicht nur, dass seine Technik schon damals unglaublich war, er war es auch, der die damals etwas museal gewordene Band immer wieder zu neuer Lebendigkeit brachte und in seinen Soli ganz viel Einfallsreichtum erkennen ließ. Besonders gut gefiel mir dann diese eigene frühe Trio-Aufnahme:

    Leider fand ich einige Aufnahmen danach sehr durchwachsener. Sehr gutes stand, bei aller stets großartigen Technik, neben musikalisch Belanglosem und ich verlor ihn aus den Augen bis Miguel hier vor einiger Zeit sehr lobend auf wieder sehr gute CDs von ihm hinwies.

    Ich nehme deine Anregung auf und höre zum Abschluß als wunderbare Nachtmusik unser neues Jahr einleitend jetzt sein wunderbares Hommage-Album für Hank Jones, aufgenommen 2002, auf dem er in zwei Soli und je zwei Klavierduetten mit Kenny Barron, Chick Corea, Benny Green & Mulgrew Miller ausschließlich Kompositionen von Hank Jones spielt.

    Geoff Keezer: Sublime: Honoring the Music of Hank Jones, Telarc 2003

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    :wink: Matthias

  • Geoffrey Keezer, Tim Garland, Joe Locke

    Dazu kommt, daß die Jungs unheimlich nett, symphatisch und bescheiden, dabei aber 1000% professionell (ja, ich habe mich nicht verschrieben) sind.

    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "

    :klatsch: :klatsch: :klatsch: Aber bin ja immer skeptisch bei Jazz mit Symphonieorchestern, aber das klingt sehr gut.

    Sollte dieser Cellist links in der 2.Reihe, der mir irgendwie bekannt vorkommt :D , am Zustandekommen dieses Konzerts etwas gedreht haben?

    :wink: Matthias

  • Lieber Matthias,
    natürlich nicht, das ist ein Ausschnitt aus der Eröffnung des Münsterland-Festivals.
    Unser gesamter Auftritt mit der Gruppe hat etwa eine Stunde gedauert, danach haben wir noch "The Planets" von Holst gespielt........

    :wink:

    Michael

  • Bei mir eine Neuerwerbung

    Kadri Voorand: Tonde kaja

    für mich eher überraschend innerhalb eines Abos bei Zounds, aber es gibt ja immer auch gute Überraschungen

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Bei mir zaubert Melody Gardot ein Lächeln auf die Lippen: obwohl die Scheibe definitiv nicht so viel Streicher und 'Pelzjacke' benötigt, ist die Sängerin, was ihre bezaubernde Ausstrahlung und ihre sängerische Eleganz angeht, derzeit kaum zu toppen - imho. Oder kennt jemand hier Sängerinnen, die soviel Charme hat? Auch ihre Songs sind eigentlich gut geschrieben, im Liveauftritt vor einigen Jahren im Herkulessaal in München durfte man den Eindruck haben, dass sie die 'armes Opfer eines Verkehrsunfalls'-Marketinggeschichte gar nicht nötig hat:

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Auf den 2 tagen, die ich bei den "Three Days of british improvised Music" in Berlin war, hat mir neben dem fantastischen Trevor Watts, einem der alten Saxophonisten dieser Szene, der aber leider nicht immer in den geglücktesten Konstellationen gespielt hat, besonders Orphy Robinson sehr gut gefallen, und besonders in fast der gleichen personellen Konstellation, wie auf dieser CD, die ich mir dort mitgenommen habe, bloß ohne Ashley Wales:

    Tony Bevan (ts, bass-sax), Orphy Robinson (Vibraphone, Marimbula, steel-dr., electronics), John Edwards (b), Mark Sanders (dr, per), Ashley Wales (soundscapes, electronics): bruised, Foghorn Records (UK), 2005, live rec. 2004.

    :juhu: :juhu: :juhu:

    Ich kannte Orphy Robinson nur von wesentlich älteren Aufnahmen mit z.B. Courtney Pine oder den Jazz Warriors oder eher mediokren ACID-Jazz-Aufnahmen aus der Zeit. Zwei eigene CDs aus den frühen 90ern in ACID-Jazz-aufgebrezelter Roy Ayers-Nachfolge fand ich musikalisch sehr schwach, obwohl ein hohes technisches Können als Vibraphonist festzustellen war. Nun war ich sehr angetan, ihn im Kreis der britischen Hardcore-Freie-Improvisationsmusikern anzutreffen. Sein Vibraphon-Spiel war fantastisch: völlig frei, um diverse ungewöhnliche Spieltechniken und perkussive Klangeffekte erweitert, z. B. duch Rütteln und Rühren an diversen in den Röhren steckenden Schlägeln, aber natürlich auch alles ausnutzend, was exzellente Jazz-Vibraphonisten so können, bloß sich eben noch mehr einfallen lassend. Auf der CD spielt er leider eher weitgehend percussiv und viel auf der Marimbula und den Steel Drums. Live in Berlin gefielen mir aber besonders seine atonalen Vibraphonakkorde, aus denen er fantastische 'Soli' - in Anführungszeichen, weil alle spielen weitgehend gleichzeitig kollektiv so, wie sonst in Soli - auf dem Vibraphon entwickelte. Dies kommt mir auf der CD-Dokumentation etwas zu kurz. Edwards/Sanders sind ein Spitzenteam, die in Berlin, wie auf der CD viel taktfreie Power jenseits irgendeines Grooves bilden, in Berlin noch mehr und durchgehender, als auf der CD. Bevan kreischt und growlt in höchsten und tiefsten Lagen, in Berlin auch auf dem Saxello, also dem Sopran mit gebogenem Trichter, und steigert sehr die Intensität. Robinson war in Berlin jedoch auch mit Trevor Watts zu hören und Watts erbaut dann doch weitaus vielschichtigere, nuanciertere Klangkaskaden. Dieses Set mit Watts und Robinson in Berlin war leider nicht nur mit Mark Sanders ergänzt, sondern auch mit einem m.E. ziemlich fehlplatzierten Rhodri Davies, der einer mit diversen Metallteilen präparierten Harfe mit Low-Fi-Electronics Klänge entlockte, die sich nur in Ausnahmefällen, die nicht ihm, sondern nur dem großen Geschick von Robinson und Sanders anzurechnen waren, in den gruppenklang einfügten. Im gegensatz zu der behauptung im harfenthread weiß ich jetzt, dass harfen auch zu laut sein können. :D

    Erst recht skeptisch war ich deswegen gegenüber der Mitwirkung des Elektronikers Wales auf der CD, die ich mir aber dennoch kaufte, weil die besetzung dem interessantesten Set auf den Konzerten in berlin weitgehnd entsprach. Ich bin ja eher nicht so der Electronics-Freund, aber was von Wales auf der CD zu hören ist, finde ich ziemlich gut und äußerst passend. Das ist ganz weit von allen vorgefertigten Digital-Sounds entfernt, erinnert vom Sound gelegentlich allenfalls an stark verzerrte und anschließend weich kompressierte E-Gitarrenklänge, hat schon gar nichts mit Hintergrundteppichen zu tun, sondern erweitert den Gruppensound durch wirklich neue Geräusche und Klangskulpturen.

    Außerdem mitgenommen:

    Trevor Watts (ss) Veryan Weston (p). Duets. Emanem Rec., 2006

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Weston, den ich vor sehr langer Zeit im Duo mit dem grandiosen Vokalkünstler Phil Minton z. B. mit sehr schrägen und dennoch sehr lyrisch-kunstliedhaften Vertonungen der Gedichte Ho Chi Mins kennenlernte, war, anders als Phil Minton, leider nicht mit in Berlin. Ich schätze ihn, ebenso wie Trevor Watts sehr. Ihre Duette sind großartig, wie Lyrik aus einer sehr entfernten Galaxie.

    Emanem ist übrigens das wichtigste Label zur Dokumentation der britischen freien Improvisation. Dort werden inzwischen auch die alten wichtigen Ton-Dokumente dieser Szene seit den frühen 60ern wiederaufgelegt.

    :wink: Matthias

  • Zuletzt mal wieder diese schöne, gegenüber dem vorher gehörten fast schon konventionelle :D Kunstlied-CD des Duos Phil Minton/Veryan Weston, die es sogar mit Klangschnipseln gibt:

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Ich liebe dieses Duo. Auf dieser CD werden den Klassik/Kunstliedfreunden einige Lieder nicht ganz unbekannt vorkommen. So habt ihr sie aber sicherlich noch nicht gehört. :D

    Ganz besonders toll finde ich ihren "Mandelay-Song" oder die schlicht genialste Version von "Over the Rainbow", einem Song, dem es sonst einfach entschieden an Clustern und Tontrauben fehlt. :P Aber sogar "An die Musik" und ein Lied aus dem "Italienischen Liederbuch" haben sie hier bearbeitet.

    Hier noch etwas aus einem Auftritt des Duos im Vortex, einem der wichtigsten Clubs der britischen Improvisationsszene:

    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "
    "
    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "

    Ich denke, hier wird auch hör- und sichtbar, warum ich Veryan Weston für einen der herausragendsten Pianisten unserer Zeit halte.

    :wink: Matthias

  • Zitat von »Michael Schlechtriem«
    Laße mich raten:Charly Antollini(1979: Knock Out (mit Wolfgang Schmid und Nippy Noya) - Jeton Direct-To-Disc (berühmt-berüchtigt als "Boxenkiller")

    (Vinyl)

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Jetzt war sie mal wieder dran. Der Boxen-, bzw HiFi-Test, aber Antolini, Schmid, Noya spielen auch toll!

    Auf CD gibt es sie auch mit digitaler und analoger Überspielung. Sicherlich, so gut gemacht, wie möglich, aber die LP ist hier vom Klangeffekt nicht zu schlagen.

    :wink: Matthias

  • Am 2.10. live gehört und mir dann noch die neue CD mit gleicher Band mitgenommen und gerade erneut gehört:

    Hasse Poulsen’s Progressive Patriots
    Stéphane Payen - saxes / Guillaume Orti - saxes / Hasse Poulsen - guitar / Hendrik Simonsen - bass / Tom Rainey - drums

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Der Veranstalter (der älteste Jazzveranstalter der Stadt aussem Osten) meinte einleitend: "Wie heißt noch gleich dieser komische Feiertag morgen, egal, jedenfalls fand ich es da einfach Klasse, völlig angemessen, eine Band einzuladen, die Progressive Patriots heißt." :D

    Hasse Poulsen erzählte daraufhin, in Frankreich gäbe es ein Ministerium, bei dem man um Förderung nachsuchen könne, dass sei nach den Unterlagen "für Kulturförderung, Europa, Einwanderung und nationale Identität" zuständig. Da hätte er sich gedacht, ideal, er hätte eine kenianisch-dänische Mutter und einen englischen Vater und lebe in Paris und nenne seine dänisch-französisch-brit. Band "National Identity". Die wollten ihn aber trotzdem nicht fördern. Da hätten sie sich lieber "Progressive Patriots" genannt. :D

    Die CD hält jedenfalls, was das ausgezeichnete Konzert versprach: Dichte Interaktion in hoher Intensität mit viel freier Improvisation, aber auch sehr schönen Ruhepunkten, besonders wenn die beiden Saxophonisten, überwiegend beide am Alt, im dicht verzahnten Duo sich Zeit für lange improvisierte Entwicklungen nehmen, bevor die gesamte Gruppe wieder in die allgemeine Steigerung einfällt. Poulsen sorgt an der elektrisch verstärkten und mit viel Electronics erweiterten akustischen Gitarre für ganz eigene Sounds, ist aber auch in seiner Spielweise ganz unverkennbar, besonders wenn er die Gitarrenseiten mit Schlagzeugbesen bespielt.

    Außerdem mitgenommen, das Folgewerk seiner Gruppe Das Kapital mit Daniel Erdmann (ts), Edward Perraud (dr), wie auf ihrer letzten CD, auschließlich mit ihren schrägen Vertonungen der Lieder von Hanns Eisler.

    Das Kapital plays Hanns Eisler: Conflicts & Conclusions, 2011 Das Kapital Records

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Das geht gleich los mit "Auferstanden aus Ruinen" und schließt mit der "Hollywood Elegie". Jetzt, auf ihrem neugegründetetn Eigenlabel, nehmen sie sich für einige der Songs mehr Zeit, als auf dem Vorgängeralbum und spielen ähnlich frei und intensiv, wie sie mich schon live begeistert haben. Alle drei sind exzellente Musiker.

    Schräg und schön ist dennoch aber auch ihre erste Eisler-CD, die ich auch gleich wieder gehört habe:

    :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    :wink: Matthias

  • Mit Jazz kenne ich mich nicht so gut aus, weshalb ich auch nicht viel Jazz höre aber heute Abend war mir mal danach:

    Buddy Rich Quintet & Max Roach Quintet (Aufnahmen von 1959)

    Wer auf geile Schlagzeugsoli steht, kommt hier voll auf seine Kosten.

    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Matana Roberts: Coin Coin chapter one (gens de couleur libres)

    Diese CD höre ich seit etwa dreieinhalb Monaten wieder und wieder. Sie enthält eine live in Toronto eingespielte mehrteilige Komposition, die eine Hommage an Roberts Ahnin Marie Thérèze Coincoin darstellt. Coincoin lebte im 18. Jahrhundert im Süden Louisianas und konnte sich als eine der wenigen schwarzen Frauen der damaligen Zeit aus ihrem Sklavinnendasein befreien. Matana Roberts Musik geht von unterschiedlichsten älteren Stilen aus (zu hören ist u. a. Blues, Jahrmarktsmusik, eine Art mittlerer Coltrane, Volksliedhaftes), die aber in aller Regel nach einer Weile dekonstruiert werden und (meistens) in freie Improvisation oder (seltener) in andere Genres überführt werden. Das Ausdrucksspektrum reicht vom zarten, anrührenden Wiegenlied bis zu gestammelten und geschrieenen Exorzismen. Im Netz und auf der CD sind ein paar Partiturausschnitte zu sehen, die relativ große Anteile an graphischer Notation aufweisen. Für die vorliegende Aufnahme steht Roberts neben ihrer/m eigens gespielten Klarinette/Altsaxophon eine 15köpfige Gruppe zur Verfügung, die neben jazztypischen Instrumenten auch eine singende Säge, vier Streicher, eine präparierte Gitarre und eine Duduk aufweist. Offenbar sind weitere Teile geplant, in denen sich Roberts mit anderen Mitgliedern ihrer Sippe beschäftigen will und die auch für andere Instrumentalensembles komponiert sind. Schon die vorliegende CD ist aber in ihrer Fülle kaum zu fassen. Ich habe sie sicherlich schon fünfzigmal gehört und finde sie immer noch so spannend wie beim ersten Mal. Meine Empfehlung.

    Tharon.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!