Max Reger - schwere Kost oder einfach nur unverstanden?

  • Ich habe bisher de Groote/Gielen

    Steven de Groote? Der phantastische Pianist aus Südafrika, der leider so früh (1989) verstarb?
    Meine Frau und ich haben ihn in einem denkwürdigen Konzert in Neumünster beim SHMF 1987 oder 1988 gehört. Da brachte er Schuberts D960 zu Gehör.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Ich finde Regers Orchestermusik für seine Zeit sehr modern, komplex und auch nicht einfach zu hören, bzw. durchhörbar. Man muss dafür ein echtes "Händchen" haben als Dirigent, so haben mMn z.B. Horst Stein oder Hermann Scherchen hier einige höchst bemerkenswerte Einspielungen vorgelegt, und nun offenbar Leif Segerstam auch. Er, vielleicht auch, weil er als Komponist genau durch die Partituren schauen kann, scheint da momentan fast alleine zu stehen mit.

    Ich hätte mir z.B. Giuseppe Sinopoli hier auch gut vorstellen können.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Ich kann nicht sagen, ob die neuere CD-Veröffentichung der Klavierkonzerts mit Serkin/Ormandy spürbar besser klingt, als die ältere (gekoppelt mit dem 4. Prokofiev-Konzert). Ich vermute aber, es gibt keinen nennenswerten Unterschied. Ja, die Aufnahme von 1959 rauscht etwas, und wenn man genau hinhört, vernimmt man sogar einen Huster (vermutlich aus dem Orchester), aber...

    ... bei aller Wertschätzung für de Groote/Gielen, und vielleicht etwas weniger für Buchbinder/Stein und Hamelin/Volkov ...

    der Serkin spielt - für mich - in einer ganz anderen Liga!

    Um den unterschiedlichen Aufnahmen gerecht zu werden, müsste man sicherlich eine Detailanalyse machen, was mich bei dem "gigantischen" Werk maßlos überfordern würde. Nur ein paar Eindrücke vom Vergeich des Anfangs in den hier genannten vier Einspielungen:

    Das SWF Sinfonieorchester ist in der Aufnahme von 1987 unter Gielen noch im alten Hans Rosbaud Studio aufgenommen worden, was zu klein war und meistens zu einem zu trockenen und nicht selten auch hässlich harten Klang geführt hat. Das ist hier glücklicherweise ganz anders: Der brutal laute Beginn mit dem sich steigernden Übergang von den Pauken über die Bläser zu den Streichern kommt hier mit aller Gewalt (das Reger-Klavierkonzert ist das einzige, bei dem ich - mehrfach - Krach mit Nachbarn bekommen habe; man muss den Verstärker zurückdrehen!). Das Überraschende und auch sehr Überzeugende an diesem Beginn ist allerdings, wie das Orchester die Klangflächen strukturiert: trotz der Gewalttätigkeit, mit der es loszulärmen scheint, höre ich in dem Verlauf eine Klangfarbenmelodie. Gielen rückt Reger hier in die Nähe von Varèse. Der weitere Verlauf in einem fortwährenden Decrescendo verwischt zwar diesen ersten Eindruck - bis der zweite Schock kommt: der Einsatz des Pianisten. de Groote haut mit noch massiverer Brutalität rein als das Orchester zuvor - man muss hier erschrecken, sonst fehlt das Entscheidende. Der weitere - für mich thematisch kaum fassbare - Verlauf wird von de Groote sehr präzise nachempfunden. Auch hier wieder das langsame Versinken im Decrescendo.
    Im Seitensatz tut sich dann - fast so erschreckend wie die Brutalität des Klaviereinsatzes - eine ganz andere Welt auf: mit unerhörter Zartheit, wie man sie vielleicht noch in einigen Klavierstücken des späten Brahms hört, verliert sich das Klavier, als wolle es mit dem Lärm zuvor gar nichts mehr zu schaffen haben. Die dynamischen wie auch emotionalen Gegensätze, die sich in den ersten 5 oder 6 Minuten diesen Konzerts ereignen, finde ich in keinem anderen Werk mit dieser Intensität wieder. de Groote spielt hier sehr weich, klangvoll, einfach schön.

    Die Bamberger Sinfoniker fangen unter Horst Stein wesentlich zivilisierter an, neutraler. Ja, das ist noch laut, aber kein Aufreger. Distanziert, gemäßigt, schönes Spiel der Instrumente, vor allem der Hörner. Buchbinder setzt dann auch wuchtig ein, aber nicht mit dem Schock, den de Groote hier verursacht. Im Seitensatz meine ich, dass Buchbinder sich verzettelt: er versucht, aus der Zartheit Impressionen zu erzeugen, aber das klingt für mich fast wirr. Der überwältigende Gegensatz, den de Groote/Gielen hier vorführen, wird nivelliert.

    Das RSO Berlin unter Ilan Volkov hört man in einer Aufnahme von 2010. Das Label Hyperion ist teilweise für maßstäbliche Klangtechnik bekannt - ich meine hier wird das Notwendige verfehlt. Es klingt noch distanzierter als unter Stein; der Beginn ist fast harmlos. Der Klaviereinsatz ist dann natürlich ein Heimspiel für Hamelin: Fast ebenso gewaltsam, wie bei de Groote, aber strukturierter, beherrschter. Dann der Seitensatz: es tut mir leid, aber hier
    spielt Hamelin für mich schlicht langweilig. Es ist weder schön, noch ein Bemühen um Impressionen, es kommt keine Assoziation zu Brahms auf, sondern da spielt einer nur pflichtbewusst, um es hinter sich zu bringen. Der ganze Beginn des Konzerts, eine - gelungene - Shownummer des Pianisten beim ersten Einsatz, sonst aber sehr enttäuschend.

    Das Philadelphia Orchestra kann oft dicklich klingen, gerade unter Ormandy - aber hier eben nicht. Der Beginn ist ein düster vordingendes Klangfarbenspiel, weniger massiv als beim SWF Orchester, aber viel erregter und dennoch transparenter. Hier assoziiere ich weniger Varèse als Alban Berg. Vielleicht wird der Übergang zum Nullpunkt, an dem das Klavier hervorbricht, zu sehr zelebriert. Serkin antwortet darauf nicht mit brutaler Pranke, sondern mit der erregten Heftigkeit, die bereits beim Orchesterbeginn vorherrschte. Der Schock, der sich hier vielleicht noch stärker einstellt als bei de Groote, hat seine Ursache nicht in der Lautstärke, sondern in der Artikulation: die Musik, die hier gespielt wird, ist chaotisch und unbeherrschbar, aber das Chaos wird nicht nur in der herausbrechenden Kaskade demonstriert, sondern vielmehr in den Nebenstimmen. Das macht das ganze nicht verständlicher oder gar konsumierbarer, sondern "nur" hörbarer und deshalb umso wirkungsvoller. Im Seitensatz sind es ebenfalls die Nebenstimmen, die nicht nur ein sich Verlieren in zarter Schönheit vorführen, sondern Expressivität. Auch bei Serkin hat die Stelle ihr Vorbild im späten Brahms, doch die brahmsische Entrücktheit wird in ein expressionistisches Umfeld gestellt. Die unerhörten Gegensätze, die diesen Beginn ausmachen, sind bei Serkin /Ormandy kein Selbstzweck, sondern das Ergebnis eines unbändigen Ausdruckswillens.

  • Es ist schade, dass es anscheinend keine offizielle Aufnahme mit Peter Serkin gibt, der das Konzert häufig gespielt hat. Ich habe einen Mitschnitt vom NDR, der mir soweit gut gefällt, dass ich gar keine andere Aufnahme besitze.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Regers Klavierkonzert in Kiel am 11. und 12. September

    Hallo,
    falls es interessiert.


    So. 11.09. / Mo. 12.09.2016
    Uhrzeit: 11 Uhr / 20 Uhr
    Ort: Konzertsaal Kieler Schloss, Wall 74 in Kiel
    Werke: Reger: Klavierkonzert f-Moll op. 114 u. Brahms Sinfonie Nr. 2
    Mitwirkende: Gerhard Oppitz, Klavier Philharmonisches Orchester Kiel Georg Fritzsch, Dirigent
    Veranstalter: Philharmonisches Orchester Kiel

    Ausstellungen im Herbst:

    http://www.reger-kiel2016.de/max-reger/ausstellung/
    und:

    Sa. 1.10.2016 18:00 St. Ansgarkirche, Holtenauer Str. 91 in Kiel (schräg gegenüber vom Wubbke :D )

    Max Reger: Klavierquintett Nr. 2 c-Moll op. 64
    Johannes Brahms: Klavierquintett f-Moll op. 34
    Maximilian Lohse, Violine
    Katharina Hoffmann, Violine
    Marie Yamanaka, Viola
    Paul Füssinger, Violoncello
    Gerhard Oppitz, Klavier:
    Preise ab 9€

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Gestern und heute in Kiel

    Zitat

    "Auch wenn es Brahms, Grieg oder Rachmaninow zu weit größerer Popularität mit ihren Konzerten für Solo-Klavier und Orchesterwogen gebracht haben: Den einsamen Gipfel, ehern und gewaltig, intelligent durchgestaltet und ausdrucksstark, hat eigentlich Max Reger aufgetürmt. Im Kieler Schloss erweist sich Gerhard Oppitz einmal mehr als Idealinterpret."

    Leider war es ziemlich leer, denn es war schönstes Wetter, der sog. Kiel-lauf fand draussen mit ca. 10.000 Läufern und entsprechend vielen Zuschauern statt.
    So mußten Orchester, Dirigent und Solist vor max. zu 50% gefülltem Saale auftreten. Meine Frau und ich waren zudem entsetzt, in welchem Maße wir das Durchschnittsalter senkten.
    Egal. Zu Reger ist oben alles gesagt worden. Zu Oppitz möchte ich ergänzen, dass ich den 2. Satz von Regers Klavierkonzert noch nie so innig gehört habe (Oppitz in seiner CD Aufnahme kommt da nicht ran). Ein gelungenes Konzert.
    Nach der Pause gab es Brahms 2. Die könnte heute abend besser werden, denn man merkte im 1. Satz etliche Spannungsdurchhänger und dehnte sich (bin ich in einer Zeitschleife?).
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Anlässlich des 100. Todesjahres von Max Reger realisiert die HfM Würzburg eine Veranstaltungsreihe mit Werken des Komponisten mit dem Schwerpunkt Orgelmusik.

    Hier ein Flyer und ein sehr lesenswerter Begleittext von Christoph Bossert zum Thema Das Orgelwerk von Max Reger in neun Konzerten.

  • Es gab ja im Grunde bei Regers Orchesterwerken nur zwei einigermaßen umfangreiche Aufnahmeprojekte. Die von Eterna/Berlin Classics sind, glaube ich, vor einigen Jahren schonmal (teilweise?) in einer Box herausgebracht worden. (Von denen habe ich die "Hiller-Var." und Sinfonietta + An die Hoffnung und Hymnus der Liebe. Und dann eben die von Koch/schwann (bzw. Bayrischer Rundfunk) mit Horst Stein u.a. Die zweitgenannte gab es auch in mindestens zwei unterschiedlichen Auflagen/Covern. Ich habe vor Jahren einige (2,5,9 aus der neuen Box) gekauft, manche waren aber auf dem Gebrauchtmarkt damals unverschämt teuer. Und hat sich mein Interesse an Regers Werken eh meistens recht schnell wieder abgekühlt... :versteck1:

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • rege Regerphase eines Capriccioso

    Max Reger - sicher schwere Kost - aber genau das muss den vielseitigen Musikfreund doch auch reizen :) .

    Unverstanden - ach, so weit würde ich für mich nicht gehen wollen. Sagen wir, zunächst, also vor vierzig Jahren nur Weniges verstanden, jetzt deutlich mehr. Sagen wir: immer besser verstanden, vor allem im Sinne von: immer mehr besser verstanden. Sagen wir: weitaus mehr zu kauen als bei vielen, vielen anderen in der Musikgeschichte.

    Irgendwie tut es gut, bei zügiger Beschäftigung mit diesem Thread gerade auch von Profis zu lesen, dass sie Probleme mit dem tragischen Workaholic aus der Oberpfalz haben. Letztere Schnell-Charakterisierung findet ihr Abbild ja in dem so simpel genialen Buchtitel "Werk statt Leben". :verbeugung2:

    Es wird ein dickes Körnchen Wahrheit hinter den Klischees stecken vom mäandernden Chromatiker, vom undurchsichtigen Polyphoniker, dessen Musik so dick aufzutragen scheint, wie dies auf Bildern für seine Statur gilt, dessen Schaffen einem apollinischen Ideal so nahe kommt wie der Getränkegenuss des Meisters :P .

    Andererseits erleben wir in der Forschung ebenso wie in der Rezeption erfreut immer wieder, wie Klischees aufgeweicht, neu begründet, dialektisch umgebogen werden können, im Idealfall auch widerlegt oder eben mit Gegenbeispielen präzisiert, getreu dem Motto, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.

    Nach der Orchestermusik, die ich zum Teil seit vielen Jahrzehnten kenne, aber nicht gar so oft höre, wobei das Klavierkonzert bei Weitem am häufigsten erklingt, nach der Kammermusik, die ich weniger vollständig kenne als die Orchesterwerke (Letztere beinahe vollständig), aber mir auch zu großen Teilen erschlossen habe, wobei diesmal das Klarinettenquintett ganz vorne rangiert ... nach all dem wurde es Zeit für die Klaviermusik (nahezu unbekannt bis vor wenigen Wochen - dabei klimpere ich auf dem Klavier immerhin einen Traum am Kamin :sleeping: ) und für die Orgelmusik (über bis zu 45 Jahren hinweg wenige Werke gelegentlich und eher zufällig im Radio gehört oder auf Band bzw. CD vorhanden). Auch ein wenig Vokalmusik ist mir bekannt; leider wie so oft liegt hier der quantitative Schlusspunkt meiner Hörgewohnheiten ... Bei Capriccio gibt es einen Faden zu den Liedern ... 8o

    Opern muss ich immerhin keine anhören.

    Daher habe ich mir vor gar nicht langer Zeit die folgenden CD-Boxen und dann noch die folgende Einzel-CD zugelegt. Markus Becker ist bereits ein konzentriertes Mal durch (meist mit Blick auf die Noten) durch. Die Orgel-Box war zuerst da -- aber Ich habe - Information für Freund Gurnemanz :) - nach dem Hören einer Orgel-CD beschlossen, mir erst das Klavierwerk stärker zu verinnerlichen :versteck1: :) .


    Von der Orchestermusik, vom Klavierkonzert vor allem war in diesem Thread schon viel die Rede und es gibt ja auch noch speziellere zu drei großen Einzelwerken neben einem Thread zur Orgelmusik und dem zum Lied.

    Mal schauen!

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Max Reger - sicher schwere Kost - aber genau das muss den vielseitigen Musikfreund doch auch reizen .

    Unverstanden - ach, so weit würde ich für mich nicht gehen wollen. Sagen wir, zunächst, also vor vierzig Jahren nur Weniges verstanden, jetzt deutlich mehr. Sagen wir: immer besser verstanden, vor allem im Sinne von: immer mehr besser verstanden. Sagen wir: weitaus mehr zu kauen als bei vielen, vielen anderen in der Musikgeschichte.

    Hier liegen bei mir Max Reger und Franz Schreker nahezu gleichauf. Beide sind recht "sperrig", nicht mehr "reine Spätromantiker", sondern auf ihre Art "modern und zeitgemäß", nicht mehr nach Hinten schauend, sondern mehr in der zeitgenössischen Musik stehend als andere Kollegen, wie z.B. Alexander vonZemlinsky, der mir da einen Ticken "traditioneller" erscheint noch.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Eben entdeckt:

    Markus Becker ist bereits ein konzentriertes Mal durch (meist mit Blick auf die Noten) durch. Die Orgel-Box war zuerst da -- aber Ich habe - Information für Freund Gurnemanz :) - nach dem Hören einer Orgel-CD beschlossen, mir erst das Klavierwerk stärker zu verinnerlichen :versteck1: :) .

    [...]

    Das finde ich höchst löblich! ^^ :D

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Die Klavierbox wurde, wie gesagt, mittlerweile stärker verinnerlicht.

    Als für mich sehr interessant erwiesen hat sich die Brahms-Nähe etlicher der kurzen Werke, daneben spürbare Einflüsse von Schumann, Grieg oder sogar Chopin. Letztere drei Komponisten haben eher einzelne Zyklen geprägt, aber nicht nur in den Jahren vor - sagen wir - 1905 und auch - von sehr frühen Zyklen einmal abgesehen - ohne eine Verleugnung des Personalstils. Letzterer ist von Wandlungen im Detail keineswegs unabhängig, doch als solcher erkennbar. Hauptkennzeichen sind, wie erwartet, eine komplexe progressive Chromatik und rhythmische Originalität. Immer wieder prägen auch gewaltige Akkordformationen selbst die kleinen Stücke. Meines Erachtens konnte Reger sehr wohl Melodien schreiben, obgleich er lieber über Gassenhauer Variationen geschrieben hat. Man darf nur keine einfachen Melodien erwarten, wenn diese von ihm selbst stammen. Häufiger findet sich in jedem Fall die Entwicklung und Verknüpfung eher fragmenthafter Motive, viel Statik, immer wieder scheinbar Gebrochenes in der Entwicklung - die Betonung liegt auf scheinbar.

    Was mir einleuchtet: Die Bach-Variationen und die Telemann-Variationen gelten als Gipfelwerke; dass sie so unterschiedlich geartet sind - eher spielerisch Erstere, eher gelehrt Letztere -, spricht nur für den Komponisten. Von einzelnen Spätwerken war ich ein klein wenig enttäuscht, so von den Träumen am Kamin - denn hier blieben sowohl reife Komplexität wie ebenso reife Einfachheit aus. Mit anderen Worten: Nichts Neues, nichts Besonderes.

    Sehr prägnant und bedeutend sind auch die beiden originalen Werke für zwei Klaviere, welche ich meines Wissens noch nicht (aufmerksam) gehört hatte, bevor ich mir ebenfalls erst kürzlich die folgende CD gekauft habe:

    Zur Zeit bin ich dabei, die Orchesterwerke in den folgenden beiden Boxen zu vergleichen; Erstere (mit DDR-Orchestern) besitze ich schon lange und insofern sind mir viele der Orchesterwerke auch schon lange (in wenigen Fällen viel länger als die Box) bekannt - geläufig ist noch einmal etwas anderes. Letztere ist ja in dieser gesammelten Gestalt jetzt erst allgemein zugänglich (Aufnahmen mit vor allem den Bamberger Symphonikern unter Horst Stein aus den 1980/ 1990ern). Mir scheint, dass beide Sammlungen bestens nebeneinander bestehen können, klanglich, interpretatorisch. Natürlich ist die neue Sammlung vollständiger; die vokalen Werke mit Orchester machen dabei einen nicht geringen Prozentsatz aus, aber ich freue mich auch und vor allem über die in der älteren Box nicht enthaltene Serenade, op. 95. Wer unbedingt eine nationalistische Pomp-Variante von Brahmsens Akademischer Fest-Ouverture kennenlernen will, wird anderweitig beim Partner fündig oder er probiert es auf yt:

    https://www.youtube.com/watch?v=-EhFo24pr0I

    Einmal habe ich mir obigen Link zu Gemüte geführt. Das reicht; auch die Studenten-Nummer des Hamburgers brauche ich nur einmal im Jahrfünft oder so.

    Hier die Boxen:

    [Blockierte Grafik: https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/51XrcMxLCHL.jpg]

    In absehbarer Zeit kommen auch die Orgelwerke an die Reihe. (Ich melde mich bestimmt wieder in diesem Thread oder einem der anderen relevanten.)

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Von einzelnen Spätwerken war ich ein klein wenig enttäuscht, so von den Träumen am Kamin - denn hier blieben sowohl reife Komplexität wie ebenso reife Einfachheit aus. Mit anderen Worten: Nichts Neues, nichts Besonderes.

    Ein paar Worte zu Regers Klavierwerken:

    Reger hat in jeder Schaffensphase Klaviermusik geschrieben. Der vorherrschende Typus ist dabei die kleine Form (es gibt keine Sonaten, lediglich die 4 Sonatinen op.89), und das was für den Heimgebrauch bei mittlerem Schwierigkeitsgrad diente. Die ambitionierteren Werke, wie die Variationen oder die Intermezzi op.45 erfordern jedoch beträchtliches pianistisches Vermögen. Reger war ein ausgezeichneter Pianist, der auch in der Lage war Virtuosenmusik zu schreiben, wie etwa seine Bearbeitungen von Strauss-Walzern zeigen. Aber sein Stil war häufig von der Orgel geprägt, was hauptsächlich in den Werken für Klavier zu 4 Händen oder für 2 Klaviere zu merken ist. Der Klaviersatz ist dabei eher sperrig und vollgriffig, wobei er Brahms sehr ähnlich ist (der aber von den Paganini-Variationen op.35 einmal abgesehen keine eigentliche Virtuosenmusik geschrieben hat).
    Die späteren Zyklen "Aus meinem Tagebuch" op.82 und "Träume am Kamin" op.143 sind eine Kette von Miniaturen, in denen Reger einen sehr intimen Stil pflegt, und die möglicherweise gar nicht zum Konzertvortrag gedacht waren. Als ich die "Träume am Kamin" im letzten Jahr mit Joseph Moog im Konzert hörte, hatte ich diesen Eindruck jedenfalls, obwohl es ein kleiner Saal mit einer intimen Stimmung war.
    Bei alldem, und das gilt für Reger insgesamt, darf man nicht vergessen dass er ein Vielschreiber war. Wenn man bedenkt was er in seinem kurzen Leben alles geschaffen hat, neben seinen Konzert- und Lehrtätigkeiten und seiner umfangreichen Korrespondenz, so kan man nur staunen, das jemand so etwas überhaupt zu Stande bringt. Dann ist es aber auch nicht verwunderlich, dass die Qualität mitunter sehr unterschiedlich ausfällt. Davon bleibt die Klaviermusik nicht verschont. Dennoch ist es für mich fast immer ein großes Vergnügen Klaviermusik von Reger zu hören, und mit Einschränkungen auch zu spielen.

    Es gab übrigens bereits Anfang der 1970er Jahre eine Gesamtaufnahme aller Klavierwerke (wie auch der Kammermusik und Orgelwerke) bei Da Camera Magna. Ich bin mir nicht ganz sicher ob sie vollständig war, denn ich besitze nur die erste der beiden 10 LP Boxen. Ausführende waren u.a. Richard Laugs, Wilfried Kassebaum oder die Gebrüder Kontarsky bei den Werken für 2 Klaviere und Klavier zu 4 Händen. Die Aufnahmen mit Markus Becker sind dieser Ausgabe jedoch sowohl spiel- als auch aufnahmetechnisch überlegen. Unbedingt hörenswert sind auch die Beiträge welche das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen geliefert haben.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • obgleich er lieber über Gassenhauer Variationen geschrieben hat

    Das mit Sicherheit nicht, wenn man z.B. die Themen für die Beethoven, Telemann, Bach oder Mozartvariationen betrachtet. Selbst bei den Hiller-Variationen würde ich das so nicht sehen. Aber was hat er aus den den Themen nicht großartiges gemacht?

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Das mit Sicherheit nicht, wenn man z.B. die Themen für die Beethoven, Telemann, Bach oder Mozartvariationen betrachtet. Selbst bei den Hiller-Variationen würde ich das so nicht sehen. Aber was hat er aus den den Themen nicht großartiges gemacht?

    Peter

    Es sind markante, bequem singbare Melodien (= Gassenhauer), im Gegensatz zu vielen seiner eigenen - nur das habe ich gemeint und Du wirst mir nicht widersprechen wollen. Im Gegenzug widerspreche ich Deiner rhetorischen Frage nicht. :P

    Der vorausgehende Beitrag von Eusebius hat mich hingegen sehr gefreut.

    Beim Duo Tal/ Groethuysen könnte ich mir eine leichte Überlegenheit gegenüber den beiden Solistinnen aus der DDR vorstellen. Ich habe mich in diesem Fall für das günstigere Angebot entschieden; alles kann man nicht kaufen und auch nicht hören.

    Die Musik zu vier Händen an einem Klavier fehlt mir noch. Ich vermute, sie wird nicht ganz an die Zyklen für zwei Klaviere heranreichen - abgesehen davon, dass es ja auch eine Bearbeitung der Mozart-Variationen für diese Besetzung gibt. Ich lasse mich aber gerne belehren, dass man auf keinen Fall auf diese Stücke verzichten kann. :D :)

    Der Becker-Ausgabe fehlen übrigens die 111 Kanons durch alle Dur- und Molltonarten von 1895, welche man offensichtlich auch sonst nicht auf Platte erhält. Sie hätten vermutlich locker 2 weitere CDs gefüllt.

    Zitat von Eusebius

    Dennoch ist es für mich fast immer ein großes Vergnügen Klaviermusik von Reger zu hören, und mit Einschränkungen auch zu spielen.

    Ersteres kann ich mir mittlerweile bezüglich einer Wiederholung gut vorstellen, nicht bei allen Zyklen in gleicher Weise, was vielleicht auf der Hand liegt. Ich habe auch wirklich davon profitiert, einige davon mit Blick auf die Noten stärker zu verinnerlichen.

    Bezüglich Letzterem fürchte ich, dass das Ungewohnte und Heikle mir auch bei den eher leichteren Stücken die Lust zum Üben verhageln könnte. Da habe ich dann ein gehöriges Quäntchen Respekt vor Dir!

    Es grüßt Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Du wirst mir nicht widersprechen wollen.

    .. aber nur weil so schönes Wetter ist, und ich heute Abend in ein interessantes Konzert gehe .. :cincinbier:


    Die Musik zu vier Händen an einem Klavier fehlt mir noch. Ich vermute, sie wird nicht ganz an die Zyklen für zwei Klaviere heranreichen

    Das stimmt bis auf die Bearbeitung der Orgelsuite op.16 "Den Manen Johann Sebasian Bachs". Das ist ein sehr gewichtiges Werk und in der Ausführung mit Tal / Groethuysen kongenial umgesetzt. Ich hörte es mit den Beiden kurz vor deren Plattenveröffentlichung, und Andreas Groethuysen hat einen schönen und sehr erhellenden Kommentar dazu geliefert (wie er das des Öfteren tut).

    Da habe ich dann ein gehöriges Quäntchen Respekt vor Dir!

    Zuviel der Ehre. Bei den vertrackten Sachen lasse ich auch die Finger davon. Aber es gibt genügend Stücke, die man mit etwas Fleiß hinbekommen kann.

    Wer übrigens den Melodiker Reger kennenlernen möchte, dem sei das Studium der "Schlichten Weisen" op.76 ans Herz zu legen, vielleicht in der sehr schönen Einspielung mit Frauke May und Bernhard Renzikowski (Arte Nova). Das sind fast 2 Std. wunderbare Musik, und sie zeigt Reger von einer ganz anderen Seite als man gemeinhin gewohnt ist. Leider sind noch nicht alle Lieder von Max Reger auf Tonträger vorhanden, weshalb sich hier für mich eine Lücke (s. dort) auftut, die hoffentlich bald geschlossen wird.

    Peter

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Jugendstil

    Jugendstil - ein Begriff, den ich zweimal in Konzertführern respektive im Internet bezüglich diverser Klavierminiaturen Regers gefunden habe. Nun ist dieser Terminus rein chronologisch bestens anwendbar, so wie er außerhalb der Bildenden Kunst und des Kunsthandwerks immer umstritten war, in der Musik vielleicht noch mehr als in der Literatur.

    Sujets, die das Körperliche, das Erotische, das naturhaft aufgelöste, Traum und Spiel, Vergänglichkeitssymbolik und Todesmetaphorik betreffen, gehören in diese Zeit des Elfenbeinturms im Fin de Siècle. Opernstoffe, mit denen sich etwa Korngold, Schreker oder Zemlinsky befasst haben, erscheinen repräsentativ - vielfach psychologisch höchst interessant, oder doch primär Kunst um der Kunst willen in einer politisch und wirtschaftlich satten und zunehmend dekadenten Zeit.

    Aber vielleicht kann man als jugendstilnah im engeren ornamentalen Sinn das Wuchernde in der Harmonikprogression verstehen, angewendet dann nicht vor allem in der großen, aufgeladenen, ja überladenen orchestralen Form - wofür gewiss auch Musik von Richard Strauss, vielleicht sogar Mahler stehen kann -, sondern auf Kleinmotivik in überschaubarer Gestalt.

    Ein Aspekt, der mich sehr interessiert und über dessen Problematik ich mir ebenso im Klaren bin.

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Reger - Sinfonietta A-Dur für Orchester op. 90 (1905)

    Max Reger - sicher schwere Kost - aber genau das muss den vielseitigen Musikfreund doch auch reizen.

    Unverstanden - ach, so weit würde ich für mich nicht gehen wollen. Sagen wir, zunächst, also vor vierzig Jahren nur Weniges verstanden, jetzt deutlich mehr. Sagen wir: immer besser verstanden, vor allem im Sinne von: immer mehr besser verstanden. Sagen wir: weitaus mehr zu kauen als bei vielen, vielen anderen in der Musikgeschichte.

    Irgendwie tut es gut, bei zügiger Beschäftigung mit diesem Thread gerade auch von Profis zu lesen, dass sie Probleme mit dem tragischen Workaholic aus der Oberpfalz haben. Letztere Schnell-Charakterisierung findet ihr Abbild ja in dem so simpel genialen Buchtitel "Werk statt Leben".

    Es wird ein dickes Körnchen Wahrheit hinter den Klischees stecken vom mäandernden Chromatiker, vom undurchsichtigen Polyphoniker.....

    heute mal diese Aufnahme:

    Gab es vor nicht allzulanger Zeit auch in einer Reger-Box von edel/BERLIN Classics

    Dresdner Philharmonie - Heinz Bongartz

    (p) 1973 - Sehr gute Aufnahmequalität der VEB Deutsche Schallplatten

    Zum Zitat "... schwere Kost - aber genau das muss den vielseitigen Musikfreund doch auch reizen"

    Teilweise stimme ich hier zu: Über Strecken sehr komplex; also nicht geeignet um nur "darüber zu hören". Aber muss man alles im Detail durchdringen, um daran Freude zu haben? Ich jedenfalls nicht. Die Sinfonietta mit einer Dauer von rd. 50 min. läd zumindest ein, das orchestrale Spätwerk mal "anzutesten" oder wieder zu hören.

    By the Way: Widmung des Werkes an seine Verleger Karl Lauterbach und Max Kuhn.

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