BOITO: Mefistofele - Kommentierte Diskographie

  • BOITO: Mefistofele - Kommentierte Diskographie

    Potztausend! Es fehlt ein Thread zu einer meiner liebsten Opern:

    Arrigo Boitos Faust-Oper "Mefistofele".

    Das kann nicht angehen und so nicht bleiben. Liebt und hört also noch jemand dieses höchst kurzweilige Spektakel? Da kann ich doch nicht vollkommen alleine sein?!

    Schließlich gibt es doch eine ganz Reihe von Aufnahmen und vor allem glänzende Charakterstudien der Titelfigur, die eine Reihe großer Bassisten vorgelegt hat:

    Christoff, Siepi, Ghiaurov, Ramey und kürzlich auch Furlanetto. Da sollte man wenigstens – so meine ich es zumindest - die ein oder andere erwähnen.

    Nun, ich will einfach vorlegen und ein paar Worte über die folgende, kürzlich erworbene Einspielung verlieren, die ja als Klassiker der Diskographie gilt:

    Mefistofeles: Nicolai Ghiaurov
    Faust: Luciano Pavarotti
    Margherita: Mirella Freni
    Elena: Montserrat Caballé
    Marta: Nucci Condò
    Wagner: Piero de Palma
    Pantalis: Della Jones
    Nereo: Robin Leggate

    London Opera Chorus
    Trinity Boys’ Choir
    National Philharmonic Orchestra

    Oliviero de Fabritiis

    (1982)

    Wenn man sich vier, ach was sage ich: fünf vokale Mercedes’ in die heimatliche CD-Garage stellen möchte, so kaufe man diese Aufnahme. Da hätte man in einem Paket das glänzende Quartett Ghiaurov, Pavarotti, Freni und Caballé und dann als fünften Boliden den ganz exquisiten Chor. Mehr geht kaum, zumal bei dieser Produktion, die 1982 unter der umsichtigen, sängerfreundlichen und höchst sinnlichen Leitung des greisen Oliviero de Fabritiis entstand, wirklich alle genannten Damen und Herren fabelhaft singen. Ich weiß im Grunde überhaupt nicht, wo ich mit dem Lobgesang beginnen soll. Vielleicht am besten beim Teufel selbst.

    Nicolai Ghiaurov präsentiert uns einen kraftvollen Mefistofeles, der aber auch so überhaupt nichts für das menschliche Geschlecht über hat. Das ist nicht der listige und elegante Verführer, sondern ein geradezu Kraftpaket, kein Unterteufel, sondern ein saftiger Kraftmeier, der sich nicht nur nicht vor dem Herrn fürchtet, sondern sich in seiner Position als Gegenspieler als vollkommen gleichberechtigt sieht. Trotz seiner ja eher schweren Stimme hat Ghiaurov keine Schwierigkeiten mit der streckenweise bewusst fratzenhaft-karikierenden Stimmführung der Partie, vielmehr kostet er diese weidlich aus und macht das damit, was auch der Mefistofeles tut: Er pfeift sich eins.

    Luciano Pavarotti legt den Faust – und das ist vielleicht für den ein oder anderen eine interpretatorische Schwäche – nicht als Grübler an, sondern als unbefriedigten Renaissancemenschen. Sein Faust klingt entschlossen das Unergründliche zu ergründen und er bereut am Ende nichts. Stimmlich ist Pavarotti voll auf der Höhe. Strahlend im Forte, lieblich in den Duetten, bisweilen vollkommen zurückgenommen (besonders sein Resümee "Giunto sul passo estremo").

    Und: Ein so herrliches „Lontano, lontano, lontano“ wie hier habe ich noch überhaupt nicht gehört. Was Pavarotti gemeinsam mit der als Margarete schlicht berückenden Mirella Freni aus der (nicht ganz ungetrübten) Naivität dieses Duettes herausholt ist atemberaubend. Doch glänzt die Freni nicht nur hier. Insgesamt trifft sie durchweg den richtigen Ton für das Gretchen und ihre Wahnsinnsarie („L’altra notte in fondo al mare“) ist ein interpretatorisches Meisterstück, ebenso wie ihr endgültiger Abschied von Faust, bis hin zum schaurigen "Enrico...mi fai ribrezzo!"

    Und dann Montserrat Caballé als Helena. Obwohl sie in den Achtzigern nicht mehr immer gut war und bisweilen eher gruselige Scheiben eingespielt hat, so ist diese doch auf der Haben-Seite zu verbuchen. Die üppige Sinnlichkeit der Helena ist genau ihre Sache. Allein schon der Beginn des viertes Aktes („La luna immobile“ und dann vorallem „L’aura serena“) klingt so delikat, dass man die Szene vor sich sieht, nein förmlich fühlt (man bedenke, dass Helena mit Panthalis in einer Barke aus Silber und Perlmutt hereinschweben). Und dann die Klangrausch des großen Duetts „O incantesimo! parla! parla!“. Das ist, als wollten sich die Caballé und Pavarotti einen Wettstreit im Schöngesang liefern („Ah! Amore! mistero! celeste, profondo“), wobei zur Freude des Höres lediglich ein Remis dabei herauskommt.

    Makellos ist auch der vielfältig zum Einsatz kommende London Opera Chorus, wobei er natürlich gleich den Prolog quasi allein bestreitet. So einen Einstieg in eine Oper hatte ihn Italien bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört und hier wird mir ganz deutlich, wie sich der Zuhörer ehedem gefühlt haben muss. Mir treibt die güldene Archaik dieses Hymnus noch heute Schauer über den Rücken.

    Diese Aufnahme gehört in jedes CD-Regal.

    :wink: Agravain

  • Lieber Agravain,

    hier muß ich unbedingt noch eine andere Aufnahme kurz vorstellen, nämlich

    mit dem wirklich unvergleichlichen Cesare Siepi in der Titelrolle, und zwar von 1958. Siepi sang einen ironischen, eleganten, frechen und irgendwie geradezu noblen Mefistofele mit seiner wunderbaren, im Gegensatz zu slawischen Bässen flexibleren, italienischen Baßstimme. Für mich war und ist er noch immer d e r Mefistofele.

    Renate Tebaldi als Margerita war stimmlich in ihrer besten Zeit und es ist ein Vergnügen ihr zuzuhören.

    Dasselbe trifft auf Mario del Monaco zu, der den Faust für seine Verhältnisse gefühlvoll gestaltete. Für diese Aufnahme war eigentlich Giuseppe di Stefano vorgesehen, der dann aber wegen stimmlichen Problemen abbrach. Es gibt von dem bereits mit ihm Aufgenommenen eine Highlights-Version und ich muß sagen, di Stefano gefiel mir trotzdem sehr viel besser, vor allen in den lyrischen Teilen.


    Liebe Grüße

    Kristin :wink: :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)


  • Siepi sang einen ironischen, eleganten, frechen und irgendwie geradezu noblen Mefistofele mit seiner wunderbaren, im Gegensatz zu slawischen Bässen flexibleren, italienischen Baßstimme.

    Liebe Kristin,

    so ist es!
    Siepi legt den Mefistofeles vollkommen anders an als Ghiaurov. Mefistofele als Gentleman. Der geschmeidige Bösewicht.
    Wir ja gerne gemacht (auch bei Aufführungen des Goetheschen Opus summum) und kann - wie hier - durchaus hinreißend sein.

    :wink: Agravain

  • Mefistofele als Gentleman. Der geschmeidige Bösewicht.

    Lieber Agravain,

    so hat Siepi ja auch seinen Gounod-Teufel angelegt.

    Ich höre mir gerade die Highlights-Version mit Siepi/di Stefano an (danke für die Erinnerung an die Oper). Di Stefano hatte in der Tat schon ein bisserl Probleme mit Kraft und Höhe, aber trotzdem, was für eine Stimme. :juhu: :juhu:

    Man könnte in Trauer verfallen weil ich nicht glaube, daß wir heute noch solche Sänger haben, aber was soll's. Ich bin dankbar, daß ich die Aufnahmen habe, die mit Ghiaurov ürigens auch, muß mal wieder reinhören.


    Liebe Grüße

    Kristin :wink: :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • so hat Siepi ja auch seinen Gounod-Teufel angelegt.

    Lieber Kirstin,

    und der ist auch wirklich großartig!

    Man könnte in Trauer verfallen weil ich nicht glaube, daß wir heute noch solche Sänger haben

    Ah, tempi passati! :cry: :cry: :cry:
    Mir würde es jetzt auch schwerfallen, aus dem Stand den Mephisto oder den Faust unserer Tage zu besetzen. :cry: :cry: :cry:
    Gut, dass ich das nicht muss.

    Liebe Grüße

    :wink: Agravain

  • Inspiriert von Agravains Besprechung des "Mefistofele" von de Fabritiis schaute ich nach, was ich so davon vorrätig habe - leider nur diese Aufnahme aus dem Jahr 1974:

    Ich habe sie mir jetzt noch einmal kritisch angehört, und ich muß vorab sagen, daß ich nicht völlig warm mit ihr werde. Eines allerdings dürfte unbestritten sein: die Palme gebührt in dieser Aufnahme dem Ambrosian Opera Chorus, der von einem Knabenchor an den entsprechenden Stellen verstärkt wird: so brilliant gesungen habe ich die -ja sehr umfangreichen!- Chorszenen dieser Oper noch nie gehört. Julius Rudel dirigiert das London Symphony Orchestra fast bedächtig, wenig brilliant, aber immerhin solide - schade, daß das fühlbare Engagement des Chores nicht auch das Orchester ergriffen hat.

    Den Mefistofele gibt Norman Treigle. Ich muß gestehen, daß mir dieser mit einer schönen, wandlungsfähigen Baßstimme begabte Sänger nicht sehr präsent war und ist - eigentlich schade, denn er singt einen wirklich eindrücklichen Mefistofele, der allerdings mit wenig innerer Beteiligung, quasi routinemäßig seine Umgebung in's Verderben stürzt. Er poltert bei "Son lo spirito" nicht so wie andere, aber er moduliert fein und hat auch eine Antenne für den Text. Eine sehr gute Leistung.

    Faust wird von Placido Domingo gesungen. Hier ist er mal sehr elegisch, fast zurückgenommen (wenn man böse wäre, könnte man an manchen Stellen auch das Wort unbeteiligt wählen), aber da er wie immer weiß, was und wovon er singt, ist das vielleicht nicht so schlimm. Allerdings hat er hörbar keine Lust, mit der öden Helena von Josella Ligi im 4. Akt Leidenschaft zu mimen, und das nehme ich schon übel. Etwas mehr Extase hätte er an dieser rauschhaften Stelle schon vermitteln können :evil: .

    Montserrat Caballé wäre ihm da sicher eine bessere Partnerin gewesen, aber die muß nun in dieser Aufnahme ausgerechnet die Marguerite singen, was definitiv nicht paßt: ihre Stimme ist zu rund, zu satt und das Glucksen bisweilen schon zu heftig für diesen mädchenhaften Charakter. Wo sie lyrisch sein will, schafft sie es auch und manchmal sehr schön, aber für sie wäre die Helena wirklich die bessere Partie gewesen.

    Heather Begg (Marta) und Thomas Allen (Wagner) sind in Ordnung.

    Agravain hat recht: diese Musik ist wirklich überwältigend. Dramaturgisch hätte man beim Libretto sicher auch manches ein wenig zusammenhängender gestalten können, aber ich habe keinen Zweifel, daß auf der Bühne, ordentlich ausgeführt, alle Szenen den stärksten Eindruck hinterlassen. Diese Aufnahme allerdings vermittelt davon nur in den Chorszenen mehr als eine Ahnung.

    Grüße!

    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing." (Busman's Honeymoon)

  • Liebe Honoria,

    Danke für die Besprechung! Ich finde die Aufnahme insgesamt auch nicht so recht befriedigend, obwohl sie für Treigle spricht, den ich sonst nicht weiter kenne, der aber in den USA ein sehr gefragter und aufstrebender Sänger war, bis er leider viel zu jung verstarb.

    Vor ein paar Tagen bin ich auf ein Youtube-Posting der großen Schluss-Arie des Faust "Giunto sul passo estremo" gestolpert. Es singt Pavarotti, hier noch ein Quentchen intensiver als auf der oben genannten Einspielung.

    Wer mag, kann sie hier hören: "

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    "

    :wink: Agravain


  • Die 1955 unter der musikalischen Leitung von Vittorio Gui entstandene Gesamtaufnahme der EMI steht etwas im Schatten der wohl marktführenden Aufnahmen von Serafin, Rudel und De Fabritiis. Das hat gute Gründe; leider ist es eine unebene Einspielung, die aber mit zwei Pfunden wuchern kann.

    Der Mefistofele von Boris Christoff gehört zweifellos dazu. Keine Frage, dass dieser Teufel böse ist! Christoff zieht alle Register des diabolischen Theaterdonners: Grummeln, Grunzen, Poltern, Zischen, Lachen – selbstverständlich! Nein, das ist kein Kavalier und Gentleman, der sich im "Son lo spirito che nega" vorstellt, eher ein in zuckenden Bewegungen wild und leicht irre um das goldene Kalb tanzender Derwisch, ein echter "strano figlio del caos", der aber zu keinem Zeitpunkt Popanz oder Hampelmann wird. Anteil daran hat auch das akustische Arrangement der Aufnahme: Christoff hat direkt vor dem Mikrofon gestanden, so dass seine Stimme besonders präsent eingefangen ist. Zweifel daran, dass dieser Teufel die Fäden in der Hand hält, dürften jedenfalls nicht aufkommen.

    Als Faust steht Giacinto Prandelli dem Mefistofele von Christoff qualitativ in nichts nach. Diesem Sänger könnte ich stundenlang zuhören! Zum Mefistofele von Christoff, der doch eher mit dickem Pinsel aufträgt, bildet Prandellis empfindsamer Faust einen reizvollen Gegenpol. Prandelli hat weder die Prachtstimme von Pavarotti oder Di Stefano noch die vokale Power von Del Monaco oder Domingo, setzt seine vokalen Möglichkeiten aber überaus geschickt ein. Die Stimme ist weich bis wattig, hat wenig Strahl oder Glanz, aber vor allem im piano große Qualitäten. Faust, den vergeistigten Denker im Sinnesrausch, charakterisiert Prandelli mit großer musikalischer Phantasie. Er arbeitet sehr viel mit gemischten Resonanzen, kann seinen Ton bruchlos dynamisch modulieren und hat eine breite Palette von Klangfarben zur Verfügung. Ich finde, das hat einfach Stil.

    Orietta Moscucci als Margherita hält dieses hohe Niveau leider nicht. Ein dünner, stellenweise fast piepsiger Sopran, der so gar nicht zum Objekt für Fausts Altherrenfantasien taugt.

    Und die Elena? Tja, das ist der nächste schwer wiegende Nachteil: In dieser Aufnahme gibt es keine Elena, keine klassische Walpurgisnacht, keinen mondbeschienenen Hain, kein antikes Griechenland und überhaupt keinen vierten Akt. Der wurde komplett gestrichen, ebenso wie die beiden Chöre, die die erste Szene des ersten Akts (Spaziergang am Ostersonntag) flankieren. Zu diesen Strichen hat sich Vittorio Gui – für mich in der Sache nicht recht verständlich – insoweit eingelassen, dass Boito als "brillanter Dilettant" hier, besonders im Hinblick auf die Instrumentation, musikalische Qualität habe vermissen lassen. Im Hintergrund stand vermutlich die Vorgabe, mit der Aufnahme vier LP-Seiten nicht zu überschreiten. So kann man hier ziemlich genau 105 Minuten des Mefistofele hören.

    Chor und Orchester der Römischen Oper leisten gute, aber nicht unbedingt herausragende Arbeit. Klanglich ist die Aufnahme in Ordnung, nur eben in Mono, was gerade für die Chorszenen nicht unbedingt von Vorteil ist.

    Insgesamt würde ich diese Einspielung wegen Christoff und Prandelli, falls man so etwas denn braucht, als Zweit- oder Drittaufnahme empfehlen. Die besten vollständigen Gesamtaufnahmen sind für mich die von De Fabritiis und Serafin.

  • Die Treigle/Domingo/Caballe-Einspielung unter Rudel hab ich auch. Hat mit bisher eigentlich immer recht gut gefallen. Insbesondere Treigle in der Hauptrolle fand ich bisher ziemlich überzeugend, weil er die Rolle eben nicht monströs, sondern fein verführerisch anlegt. Das Dirigat von Rudel habe ich als recht kraftvoll und schillernd in Erinnerung. Die angemerkten Abstriche hinsichtlich Domingo und insbesondere der doch tendenziellen Fehlbesetzung von Caballe teile ich.

    Daneben besitze ich noch diese:

    Hier gibt Samuel Ramey den Mefistofele als rechten Finsterling, der sich von jovial bis zuckersüß zu präsentieren versteht, wobei alles stets mit einer sublimen schwarzen Boshaftigkeit eingefärbt ist. Das finde ich schon sehr gelungen. Mit Domingos Heldenhaftigkeit kann ich auch hier nicht so viel anfangen. Eva Marton ist sicher auch nicht unbedingt die ideale Marguerite, füllt die Rolle IMO aber erheblich angemessener aus als Caballe in der Vergleicheinspielung. Patanés Dirigat ist recht energetisch und ausdrucksstark, leuchtet die Farben von Boitos Musik dabei aber sehr schön aus. Chor und Orchester leisten hier sehr gute Arbeit.

    Gefällt mir ziemlich gut!

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Liebe Capricciosi,

    ich möchte noch kurz auf eine Aufnahme verweisen, die hier noch nicht vorgestellt wurde.

    Es handelt sich um diese:

    Es handelt sich um die erste Gesamteinspielung dieser Oper überhaupt, im November und Dezember 1931 von der Italian Columbia in der Scala aufgenommen, und sehr gut restauriert bei Naxos zu haben.

    Nazzareno de Angelis singt einen sehr polterigen und draufgängerischen Teufel, er betont eher die rüpelhaften und lauten Seiten dieser Figur als die wirklich gefährlichen oder subtil-scheinheiligen.Mir ist das ein bisschen zu einseitig, allerdings hat es auch etwas für sich und macht Mefistofele noch sympathischer als er durch die Komposition ohnehin schon ist. Nur, es klingt eher wie ein sizilianischer Dorffleischer als wie der Leibhaftige. Antonio Melandri singt einen klangschönen und edel gefärbten Faust, ein bisschen lässt er den Helden aufblitzen, bleibt aber im großen und ganzen eher zurückhaltend. Mafalda Favero ist eine schon fast zu reif klingende Margherita, die aber ihrer Rolle wirklich eindrucksvolle und berührende Facetten abgewinnt, und vor allem in ihren beiden Arien im dritten Akt wirklich Profil zeigt. Giannina Arrangi-Lombardi gibt eine edle, mezzogetönte Elena mit luxoriöser Tiefe und leuchtender Höhe. Lobend erwährnt werden müssen die Leistungen vom Chor und Orchester der Scala, die unter der Leitung von Lorenzo Molajoli ein wahres Theaterspektakel (vor allem in der Walpurgisnacht-Szene) entfachen und zu einer schlüssigen und dramaturgisch straffen Interpretation beitragen.

    Diese Aufnahme hat mir persönlich den Mefistofele viel näher gebracht als die klassische Decca-Produktion mit Ghiaurov und Pavarotti; hier klingt diese Oper nach echtem italienischen Theater, spannungsreich und glaubwürdig, während die Decca-Aufnahme eher nach glänzender Studio-Arbeit und schönen Sängerleistungen klingt (mit Ausnahme von Caballé's Elena, die der Höhepunkt dieser Aufnahme für mich ist).

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."

    Max Bruch (1838-1920)

  • Oje, Mefistofele ist mir nie so richtig an's Herz gewachsen. Ich habe sie einmal live erlebt, allerdings nur konzertant. Und ich wurde dadurch nicht unbedingt angefixt. ^^

    Aber sie ist doch irgendwie auf meiner Liste der Opern, mit denen ich mich näher beschäftigen möchte. Einen ersten Schritt habe ich getan mit diesen Ausschnitten:

    Di Stefano war gecastet, verkrachte sich dann mit Serafin und wurde dann durch del Monaco ersetzt. Aber immerhin war schon ein Teil aufgenommen worden. Und das liegt hier vor. Und ich kann mir nicht helfen, ich liebe di Stefano einfach. Unabhängig davon ob er die Partie hätte singen sollen oder können, unabhängig von stilistischen Fragen, unabhängig von seinen stimmlichen Problemen. Aber für mich füllt er diese Partie wieder einmal total aus und kriegt mich irgendwie. Und ich bedauere es schon sehr, dass es nicht zur vollständigen GA gekommen ist.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Es gibt auch noch die hier, die ich allerdings auch nicht habe. Nur die heute etwas in Vergessenheit geratene, großartige Marcella Pobbe kann man mit einem herrlichen "L'altra notte" auch auf Youtube genießen:

    Bei der Aufnahme von Patané gefällt mir Samuel Rameys energetischer Mefistofele auch sehr gut, die übrigen Gesangsleistungen finde ich eher langweilig (und das Stentorgretchen von Eva Marton eine ziemliche Fehlbesetzung).

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.


  • Und dann Montserrat Caballé als Helena. Obwohl sie in den Achtzigern nicht mehr immer gut war und bisweilen eher gruselige Scheiben eingespielt hat, so ist diese doch auf der Haben-Seite zu verbuchen. Die üppige Sinnlichkeit der Helena ist genau ihre Sache. Allein schon der Beginn des viertes Aktes („La luna immobile“ und dann vorallem „L’aura serena“) klingt so delikat, dass man die Szene vor sich sieht, nein förmlich fühlt (man bedenke, dass Helena mit Panthalis in einer Barke aus Silber und Perlmutt hereinschweben). Und dann die Klangrausch des großen Duetts „O incantesimo! parla! parla!“. Das ist, als wollten sich die Caballé und Pavarotti einen Wettstreit im Schöngesang liefern („Ah! Amore! mistero! celeste, profondo“), wobei zur Freude des Höres lediglich ein Remis dabei herauskommt.

    Ein großer Pluspunkt von Caballés Elena, den du noch nicht genannt hast, ist auch ihre lyrische Interpretation von Elenas "Wahnsinnsarie" (oder besser "Trauma-Arie"?) "Notte, cupa, truce". Obwohl die Elena saftige dramatische Stimmen viel besser verträgt als die Margherita, ist sie doch auch noch viel überzeugender, wenn sie so delikat genommen wird wie hier. Ich finde Caballés zerbrechliches Pianissimo-Grauen beim gestammelten Einstieg in die Arie überwältigend. Später, wo es nötig wird, attackiert sie freilich dann auch. Aber sie stellt hier wirklich nachvollziehbar eine Überlebende eines Kriegsinfernos auf die Bühne, und ich glaube, so ist diese Arie, in der Boito mit vergleichsweise ökonomischen Mittel (die Sekundtriller der Streicher und die instrumentalen Choreinwürfe) ein für die italienische Oper der Zeit unglaublich expressives Klangbild erzeugt, auch gemeint.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

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