BOITO: Mefistofele - Kommentierte Diskographie
Potztausend! Es fehlt ein Thread zu einer meiner liebsten Opern:
Arrigo Boitos Faust-Oper "Mefistofele".
Das kann nicht angehen und so nicht bleiben. Liebt und hört also noch jemand dieses höchst kurzweilige Spektakel? Da kann ich doch nicht vollkommen alleine sein?!
Schließlich gibt es doch eine ganz Reihe von Aufnahmen und vor allem glänzende Charakterstudien der Titelfigur, die eine Reihe großer Bassisten vorgelegt hat:
Christoff, Siepi, Ghiaurov, Ramey und kürzlich auch Furlanetto. Da sollte man wenigstens – so meine ich es zumindest - die ein oder andere erwähnen.
Nun, ich will einfach vorlegen und ein paar Worte über die folgende, kürzlich erworbene Einspielung verlieren, die ja als Klassiker der Diskographie gilt:
Mefistofeles: Nicolai Ghiaurov
Faust: Luciano Pavarotti
Margherita: Mirella Freni
Elena: Montserrat Caballé
Marta: Nucci Condò
Wagner: Piero de Palma
Pantalis: Della Jones
Nereo: Robin Leggate
London Opera Chorus
Trinity Boys’ Choir
National Philharmonic Orchestra
Oliviero de Fabritiis
(1982)
Wenn man sich vier, ach was sage ich: fünf vokale Mercedes’ in die heimatliche CD-Garage stellen möchte, so kaufe man diese Aufnahme. Da hätte man in einem Paket das glänzende Quartett Ghiaurov, Pavarotti, Freni und Caballé und dann als fünften Boliden den ganz exquisiten Chor. Mehr geht kaum, zumal bei dieser Produktion, die 1982 unter der umsichtigen, sängerfreundlichen und höchst sinnlichen Leitung des greisen Oliviero de Fabritiis entstand, wirklich alle genannten Damen und Herren fabelhaft singen. Ich weiß im Grunde überhaupt nicht, wo ich mit dem Lobgesang beginnen soll. Vielleicht am besten beim Teufel selbst.
Nicolai Ghiaurov präsentiert uns einen kraftvollen Mefistofeles, der aber auch so überhaupt nichts für das menschliche Geschlecht über hat. Das ist nicht der listige und elegante Verführer, sondern ein geradezu Kraftpaket, kein Unterteufel, sondern ein saftiger Kraftmeier, der sich nicht nur nicht vor dem Herrn fürchtet, sondern sich in seiner Position als Gegenspieler als vollkommen gleichberechtigt sieht. Trotz seiner ja eher schweren Stimme hat Ghiaurov keine Schwierigkeiten mit der streckenweise bewusst fratzenhaft-karikierenden Stimmführung der Partie, vielmehr kostet er diese weidlich aus und macht das damit, was auch der Mefistofeles tut: Er pfeift sich eins.
Luciano Pavarotti legt den Faust – und das ist vielleicht für den ein oder anderen eine interpretatorische Schwäche – nicht als Grübler an, sondern als unbefriedigten Renaissancemenschen. Sein Faust klingt entschlossen das Unergründliche zu ergründen und er bereut am Ende nichts. Stimmlich ist Pavarotti voll auf der Höhe. Strahlend im Forte, lieblich in den Duetten, bisweilen vollkommen zurückgenommen (besonders sein Resümee "Giunto sul passo estremo").
Und: Ein so herrliches „Lontano, lontano, lontano“ wie hier habe ich noch überhaupt nicht gehört. Was Pavarotti gemeinsam mit der als Margarete schlicht berückenden Mirella Freni aus der (nicht ganz ungetrübten) Naivität dieses Duettes herausholt ist atemberaubend. Doch glänzt die Freni nicht nur hier. Insgesamt trifft sie durchweg den richtigen Ton für das Gretchen und ihre Wahnsinnsarie („L’altra notte in fondo al mare“) ist ein interpretatorisches Meisterstück, ebenso wie ihr endgültiger Abschied von Faust, bis hin zum schaurigen "Enrico...mi fai ribrezzo!"
Und dann Montserrat Caballé als Helena. Obwohl sie in den Achtzigern nicht mehr immer gut war und bisweilen eher gruselige Scheiben eingespielt hat, so ist diese doch auf der Haben-Seite zu verbuchen. Die üppige Sinnlichkeit der Helena ist genau ihre Sache. Allein schon der Beginn des viertes Aktes („La luna immobile“ und dann vorallem „L’aura serena“) klingt so delikat, dass man die Szene vor sich sieht, nein förmlich fühlt (man bedenke, dass Helena mit Panthalis in einer Barke aus Silber und Perlmutt hereinschweben). Und dann die Klangrausch des großen Duetts „O incantesimo! parla! parla!“. Das ist, als wollten sich die Caballé und Pavarotti einen Wettstreit im Schöngesang liefern („Ah! Amore! mistero! celeste, profondo“), wobei zur Freude des Höres lediglich ein Remis dabei herauskommt.
Makellos ist auch der vielfältig zum Einsatz kommende London Opera Chorus, wobei er natürlich gleich den Prolog quasi allein bestreitet. So einen Einstieg in eine Oper hatte ihn Italien bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört und hier wird mir ganz deutlich, wie sich der Zuhörer ehedem gefühlt haben muss. Mir treibt die güldene Archaik dieses Hymnus noch heute Schauer über den Rücken.
Diese Aufnahme gehört in jedes CD-Regal.
Agravain