Leo Fall - Opernkomponist als Operetten-Großmeister
Leo Fall war ein Großmeister der Operette. Selbst die Nationalsozialisten konnten seinen Werken nicht mehr antun, als von 1933 bis 1945 die Aufführungstradition zu unterbrechen. Danach standen „Der fidele Bauer“, „Madame Pompadour“ und „Die Rose von Stambul“ bald wieder auf den Spielplänen – doch nicht lange. Als es in den 70er Jahren Mode wurde, Operette als seichte Unterhaltungskunst verächtlich zu machen, verschwanden Falls Werke allmählich von den Bühnen. Dem harten Kern der Operettenliebhaber waren sie ohnedies zu intellektuell opernhaft, und als E-Musik gingen sie nun einmal nicht durch. Heute ist Fall nahezu verschwunden.
Biografisches
Von ganz ungefähr kommt das nicht. Denn der am 2. Februar 1873 in Olmütz (Mähren) geborene Leo Fall, Sohn eines mährischen Militärkapellmeisters, ist zwischen Oper und Operette hin- und hergerissen. Als er mit 14 Jahren das Konservatorium in Wien besucht, um bei Robert Fuchs Komposition zu studieren, wohnt er im Haus der Eltern von Oscar Straus. Und um Geld zu verdienen, spielt er als Geiger gemeinsam mit Franz Lehár am selben Pult in der Militärkapelle von Lehárs Vater. Aus dieser Zeit stammt auch die Freundschaft mit Robert Stolz, der später den „Fidelen Bauern“ uraufführen und sich Zeit Lebens für Fall einsetzen wird.
Nach der Beendigung seines Studiums geht Fall gemeinsam mit seinem Vater nach Berlin, wo er, wie auch später in Hamburg und Köln, als Kapellmeister arbeitet. 1906 lässt er sich als freier Komponist in Wien nieder.
Falls Liebe gehört der Oper – allein: Sie wird nicht erwidert. „Frau Denise“ fällt 1902 in Berlin mit Bomben und Granaten durch, „Irrlicht“ ergeht es 1905 in Mannheim nicht besser. Fall versucht sich daraufhin an einer Operette – und scheitert abermals: „Der Rebell“ floppt noch im selben Jahr, 1905, im Theater an der Wien, verhilft damit aber einem anderen Komponisten zu einem ersten Erfolg. Denn man braucht schnell ein Stück und setzt in der Eile auf eines, an das niemand so recht glauben will: „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár.
Doch dann glückt Fall der Sensationserfolg: 1907 wird der Komponist mit „Der Fidele Bauer“ über Nacht zum Star unter den Operettenkomponisten. Später im selben Jahr bestätigt er seinen neu erworbenen Ruf mit der „Dollarprinzessin“. 1909 folgt ein Ausflug, der ganz in die Nähe der Oper führt: „Brüderlein fein“ – das Werk kommt bei Fachleuten und Komponistenkollegen allerdings besser an als beim Publikum und kann sich nicht auf Dauer halten.
1912 erfolgt die Ehrenrettung des „Rebellen“ – umgearbeitet zu „Der liebe Augustin“ hat das Werk jetzt Erfolg.
1916 ist Fall wieder in aller Munde mit der „Rose von Stambul“. Und er denkt wieder an die Oper. 1920 ist es so weit. Fall setzt seine Hoffnung auf „Der Goldene Vogel“. Doch die Uraufführung in Dresden ist wieder ein eklatanter Mißerfolg. 1922 glückt ihm seine vielleicht beste Operette, „Madame Pompadour“, eine der besten Werke des gesamten Genres und eigentlich mehr eine Spieloper.
Am 16. September 1925 stirbt Fall nach einer Konzertreise durch Südamerika an einem Gallenleiden. Er wird auf dem israelitischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs beigesetzt.
Kurioses
Fall trat nicht wie ein Starkomponist der Operette auf, sondern kleidete seine ohnedies wenig imposante Erscheinung stets schlicht korrekt. Das trug ihm den Ruf ein, er wirke eher wie ein Bankbeamter als wie ein erfolgreicher Künstler.
In Hamburg hatte Leo Fall Eine eine Affaire mit Julie Schrader, die als "Welfischer Schwan" mit naiv-erotischen Dichtungen von unfreiwilliger Komik in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Nachdem Fall die Affaire im Jahre 1907 beendet hatte, dichtete Julie Schrader: „Du heil'ger Geist, du warst mein Fall! / Ach, Leo, komm' zurücke! / Und hol' das Zicklein aus dem Stall, / Damit es mich beglücke!"
Die Musik
Leo Fall ist kein Operettenkomponist, sondern ein Opernkomponist, der das Genre gewechselt hat. Seine Musik kennt weder die Süßlichkeiten noch die Walzer-Routine, die man in den Werken der sogenannten „silbernen Ära“ so oft findet. Fall ist ein glänzender Melodiker, und so merkt man beim genießenden Zuhören oft gar nicht, wie sich seine Melodien durch Tonarten durchmodulieren und scheinbar nebensächliche Wendungen den Impuls zum neu ansetzenden Bogen geben. Das wird gestützt von der raffiniertesten Instrumentation aller Operettenkomponisten außer Oscar Straus und der pikantesten Harmonik aller Operettenkomponisten – auch hier ist wieder nur Oscar Straus ebenbürtig.
Schon „Der fidele Bauer“ ist ein Meisterwerk, denn „bäuerlich“ ist zwar das Milieu, nicht aber die Musik. Selbst eine Nummer wie das bekannte „Heinerle“-Lied ist fern von Simplizität. Einfach ist die Melodik wohl, doch wie die Begleitung mit ihr verfährt, erhebt diese Nummer zu großer Kunst. Glänzend vermag Fall den Unterschied zwischen Land und Stadt zu treffen, indem er für das Land bunte Farben wählt und für die Stadt eine parfümiert weichzeichnende Instrumentierung. Das bäuerliche Milieu stilisiert Falls Musik, ahmt es aber nicht nach. Ein Walzer, der zu einer Rauferei gespielt wird, begibt sich gar in Strawinski-Nähe, so aufgepulvert ist die Harmonik an dieser Stelle.
Auch in „Madame Pompadour“ erweist sich Fall als Meister der musikalischen Stilisierung von Zeit und Stand – so verströmt die höfische Musik einen Duft, der sich von den herberen Konturen der buffonesken Gestalten deutlich abhebt. Ein Kuriosum dürfte der kurze Dritte Akt sein: Hier dunkelt das Intrigengeschehen stark ein, immerhin soll ein Todesurteil unterschrieben werden. Dann wird alles aufgeklärt und löst sich in Wohlgefallen. Fall verzichtet hier fast vollständig auf Musik, erst bei der glücklichen Lösung tritt sie wieder in ihre Rechte. Viele Aufführungen trauten diesem Konzept nicht und brachten zumindest eine Einlagenummer. Wie gut indessen das Original funktioniert, wies das Münchner Gärtnerplatztheater in seiner meilensteinsetzenden Produktion 1996 nach. In dieser Aufführung merkte man auch, wie raffiniert Fall mit dem Orchester umgeht. Fast scheint es, als kenne er Francis Poulencs Satz, demzufolge die Instrumentierung wie eine Sauce sei: Es sei egal, woraus sie gemacht sei, Hauptsache, sie würde den Geschmack des Gerichts heben.
Fazit
Leo Fall ist einer der raffiniertesten und technisch perfektesten Komponisten des Operettengenres. Viele seiner Werke sind auch nur der Bezeichnung nach Operetten, und es stellt sich gerade bei Leo Fall die Frage, ob eine Kategorisierung überhaupt sinnvoll ist, zumal zahlreiche Opern des 20. Jahrhunderts, die sich vom Typus Spieloper ableiten, mit Sprechtexten arbeiten. Rein musikalisch besteht bei Fall zumindest in „Brüderlein fein“ und „Madame Pompadour“ kein wesentlicher Unterschied zum moderneren Spieloperntypus. Falls angebliche Operetten wären auch an Opernhäusern ganz ohne Niveauverlust mühelos spielbar. Auf seine Werke Verzicht zu leisten heißt, das Repertoire einiger Werke berauben, die ebenbürtig neben so mancher Oper bestehen können.