Klaus Tennstedt - ein "High-Voltage-Maestro", in Deutschland verkannt?
Vorstellen möchte ich einen Dirigenten, der mir namentlich zwar schon seit Jahren bekannt ist; auf seine Arbeit aufmerksam geworden bin ich allerdings erst kürzlich, und ich muß einräumen, daß ich bislang nur eine einzige Aufnahme mit ihm kenne. Dabei scheint es sich um einen Künstler zu handeln, den ich möglicherweise lange unterschätzt habe.
Zunächst ein paar Fakten zur Biographie (aus verschiedenen Internet-Quellen - am ausführlichsten hier: http://www.naxos.com/person/Klaus_Tennstedt/30797.htm - Korrekturen und wichtige Ergänzungen sind natürlich willkommen):
- Geboren am 6. Juni 1926 in Merseburg an der Saale
- Erster Violinunterricht bei seinem Vater, dem Orchestermusiker Hermann Tennstedt
- 1942-45 Studium am Leipziger Konservatorium bei Walter Davisson (Violine) und A. Rhoden (Klavier)
- 1948-54 Orchester des Stadttheaters Halle, zunächst Konzertmeister, seit 1952 Chefdirigent (ein Überbein an der linken Hand hatte ihn gezwungen, seine Violinistenkarriere aufzugeben)
- 1954-58 erster Kapellmeister der Chemnitzer Oper
- 1958-62 Generalmusikdirektor der Dresdner Landesoper: Generalmusikdirektor
- 1962-71 Generalmusikdirektor des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin
- 1971 Emigration aus der DDR während einer Konzertreise nach Schweden, dort Asyl: Dirigent am Stora-Theater in Göteborg, Leitung des Symphonieorchesters beim Schwedischen Rundfunk
- 1972-76 Generalmusikdirektor Kieler Oper
- 1974 internationale Erfolge: Auftritte in Nordamerika mit dem Toronto Symphony Orchestra und dem Boston Symphony Orchestra, 1976 erstmals mit dem London Philharmonic Orchestra
- 1979-81 Chefdirigent des Symphonieorchesters des Norddeutschen Rundfunks, gleichzeitig Erster Gastdirigent des Minnesota Orchestra und ab 1980 des London Philharmonic Orchestra
- 1983-87 Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra (Nachfolger von Georg Solti), Aufgabe wegen zunehmender gesundheitlicher Probleme (Krebs)
- 1991 und 1993 weitere Konzerte mit dem London Philharmonic Orchestra (Mahler)
- 1994 Ehrendoktor der Universität Oxford, dort letzter öffentlicher Auftritt
- Tod am 11. Januar 1998 in Heikendorf bei Kiel
Damals schrieb der SPIEGEL in einem Nachruf, daß Tennstedt in der DDR und - nach seiner Flucht in den Westen - in Kiel über den Rang einer geachteten Provinzgröße nicht hinausgekommen sei: "Erst die Engagements in Nordamerika - da war er fast 50 - lifteten den uneitlen Gentleman zum Star der Szene, und seine US-Fans ernannten ihn zum 'High Voltage Maestro'. Bei Londons Philharmonikern stieg er gar in den Rang eines dirigierenden Guru auf. Nur in Deutschland, dessen Kapellmeister-Tradition er glutvoll verkörperte, blieb der unzeitgemäße Phantast verkannt."
Verkannt oder nicht: Immerhin gibt es zahlreiche Aufnahmen mit Klaus Tennstedt. Seinen internationalen Ruhm verdankt er vor allem seinen Aufführungen und Einspielungen der Symphonien Anton Bruckners und Gustav Mahlers. Vor einem Jahr wurden zwei seiner Aufnahmen von Mahlers Achter im FonoForum derart begeistert besprochen, daß ich mir vor kurzem die erst jetzt auf CD herausgekommene Aufnahme (es gab sie bislang auf DVD) zulegte (live aus der Royal Festival Hall, London, am 27.01.1991):
An dieser Aufnahme beeindruckt mich vor allem, wie hier alle Mitwirkenden gleichsam auf einen Punkt hin musizieren, mit ungeheurer Spannung auch in den ruhigen Phasen, beseelt von einem Geist - die etwas plakative Zuschreibung als "High-Voltage-Maestro" trifft es zumindest hier recht gut... doch bevor ich weiter schwärme, bremse ich mich und frage in die Runde:
- Welche Erfahrungen mit Aufnahmen Klaus Tennstedts habt Ihr bislang gemacht?
- Wie würdet Ihr seinen Dirigierstil charakterisieren (in diversen Besprechungen wird das unbedingt Expressive ja immer wieder betont)?
- Welche Aufnahmen verdienen nähere Beachtung?
- ...?