Sicherlich finde ich sie auch sehr gut und musikalisch auch nicht unbefriedigend - nur eben nicht aufregend genug. "Referenz" kann ich in dem Sinne verstehen, dass ich hier eine vom Zusammenspiel/-singen eine fast perfekte Version habe und ich dann die diversen Live Aufnahmen daran messen kann. Musikalisch gibt es keine Referenz - da sind wir uns sowieso einig.
Aber bei Oper ergeben sich durch die räumliche Aufteilung von Bühne und Orchester eigentlich immer Probleme, die man im Studio nicht hat - ganz abgesehen von Tagesform und spontanen Aussetzern und natürlich dem Problem des stimmlichen Durchhaltens, gerade bei Wagner. Ortrud kann eben im Studio frisch am Morgen die letzten Takte eben mal einspielen. Lohengrin kann ausgeruht seinen Schwan begrüssen und verabschieden so oft er will. Die Chöre können schön still hinter dem Orchester stehen und den Dirigenten ungestört ansehen, und es gibt auch keinerlei zeitiche Verschiebung, die ein Dirigent bei Live Aufführungen einplanen muss, wie es zB in Bayreuth so schwierig sein soll.
Alles selbstverständlich, aber bei mir führen diese Überlegungen dazu, dass ich nicht ganz so viel Respekt vor der Kempe Aufnahme habe wie vor einer wirklich gut gelungenen Live Aufnahme, die mir dann noch dazu ein gewisses Live Feeling in Form von Aufregung bietet. Die Sänger zB können lIve feuriger wirken, oder ein Rubato kann mehr aufdrehen.
Kann ich deine analytischen Empfindungen hinsichtlich Rubato dahingehend begreifen, dass Leinsdorf im Allgemeinen ein hohes Tempo vorgibt und wenig Tempi in die Breite zieht, wie es andere Dirigenten in den Jahrzehnten später getan haben? Vergleiche die Länge der Aufnahme, die jeweiligen Akte mit anderen Aufnahmen.
Eine Studioaufnahme ist sicherlich anders zu bewerten als eine Liveaufnahme, da geb ich dir Recht. In der Aufnahme des Lohengrin von Karl Böhm erhält Christa Ludwig für ihr Solo 'Entweihte Götter' spontan tobenden Applaus, womit man auch nicht immer rechnen kann. Ähnlich erging es Leonie Rysanek als Ortrud. Eine Liveaufnahme lebt vom Moment und nicht der dauerhaften Wiederholung bei einer Studioaufnahme.
In Bayreuth ist selbst für einen Dirigenten schwer, der das schon jahrelang exerziert. Ich kenne kaum eine Lohengrin Aufnahme, die ich nicht gern höre. Auswahl und Konkurrenz sind hier enorm.