WAGNER: "Lohengrin" - Kommentierte Diskographie

  • Sicherlich finde ich sie auch sehr gut und musikalisch auch nicht unbefriedigend - nur eben nicht aufregend genug. "Referenz" kann ich in dem Sinne verstehen, dass ich hier eine vom Zusammenspiel/-singen eine fast perfekte Version habe und ich dann die diversen Live Aufnahmen daran messen kann. Musikalisch gibt es keine Referenz - da sind wir uns sowieso einig.
    Aber bei Oper ergeben sich durch die räumliche Aufteilung von Bühne und Orchester eigentlich immer Probleme, die man im Studio nicht hat - ganz abgesehen von Tagesform und spontanen Aussetzern und natürlich dem Problem des stimmlichen Durchhaltens, gerade bei Wagner. Ortrud kann eben im Studio frisch am Morgen die letzten Takte eben mal einspielen. Lohengrin kann ausgeruht seinen Schwan begrüssen und verabschieden so oft er will. Die Chöre können schön still hinter dem Orchester stehen und den Dirigenten ungestört ansehen, und es gibt auch keinerlei zeitiche Verschiebung, die ein Dirigent bei Live Aufführungen einplanen muss, wie es zB in Bayreuth so schwierig sein soll.
    Alles selbstverständlich, aber bei mir führen diese Überlegungen dazu, dass ich nicht ganz so viel Respekt vor der Kempe Aufnahme habe wie vor einer wirklich gut gelungenen Live Aufnahme, die mir dann noch dazu ein gewisses Live Feeling in Form von Aufregung bietet. Die Sänger zB können lIve feuriger wirken, oder ein Rubato kann mehr aufdrehen.

    Kann ich deine analytischen Empfindungen hinsichtlich Rubato dahingehend begreifen, dass Leinsdorf im Allgemeinen ein hohes Tempo vorgibt und wenig Tempi in die Breite zieht, wie es andere Dirigenten in den Jahrzehnten später getan haben? Vergleiche die Länge der Aufnahme, die jeweiligen Akte mit anderen Aufnahmen.
    Eine Studioaufnahme ist sicherlich anders zu bewerten als eine Liveaufnahme, da geb ich dir Recht. In der Aufnahme des Lohengrin von Karl Böhm erhält Christa Ludwig für ihr Solo 'Entweihte Götter' spontan tobenden Applaus, womit man auch nicht immer rechnen kann. Ähnlich erging es Leonie Rysanek als Ortrud. Eine Liveaufnahme lebt vom Moment und nicht der dauerhaften Wiederholung bei einer Studioaufnahme.
    In Bayreuth ist selbst für einen Dirigenten schwer, der das schon jahrelang exerziert. Ich kenne kaum eine Lohengrin Aufnahme, die ich nicht gern höre. Auswahl und Konkurrenz sind hier enorm.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

  • Eigentlich muss ich Rosamunde in allem, was sie zur Kempe-Aufnahme geschrieben hat, Recht geben. Natürlich ist sie Referenz, was auch immer das eigentlich heißt. Aber natürlich ist sie weitberühmt und zurecht immer noch eine der Aufnahmen. Mit ihr habe ich vor gefühlten 120 Jahren den Lohengrin kennengelernt und eigentlich liebe ich sie immer noch. Und wenn man sie erwirbt und sie sich anhört, geht man nicht fehl. Man bekommt ein Produkt auf höchstem Niveau.

    Aber sie ist schon ein wenig sehr 'gepflegt', wobei ich da die Ludwig noch am ehesten ausnehmen würde. Das soll auch keine Kritik an den jeweiligen Beteiligten sein, obwohl ich die Bemerkungen von Rosamunde diesbezüglich sehr gut nachvollziehen kann. Es ist ein Gesamteindruck, der wohl ganz stark von Kempe herrührt, vielleicht auch vom Produzenten. Aber ein Gefühl von Biedersinn stellt sich bei mir immer ein. Vielleicht wurde doch zu sehr das Romantische betont und dabei einerseits die Romantik missverstanden und andererseits das Drama, das sich zwischen den handelnden Personen abspielt nicht wagemutig genug durchgespielt.

    Grümmer steht für mich eigentlich exemplarisch für das Manko dieser Aufnahme. Anerkanntermaßen in ihrer großen Zeit eine der Elsa überhaupt. Und sie singt es wirklich atemberaubend toll. Aber die Untertöne, dass was eine Silja mit weit weniger Schönheit in der Stimme dieser Figur hinzufügen konnte, fehlt hier. Grümmer ist aber wohl auch sehr Ausdruck ihrer Zeit, halt der bundesrepublikanischen 60iger Jahre. Wenn Silja eher Brandt-Ära in der Stimme hatte, dann die Grümmer eher Adenauer, um es mal überspitzt und plakativ auszudrücken. ^^

    Aber nach Adenauer oder Erhardt oder Kiesinger klingt die ganze Aufnahme. :versteck1: Nein, das ist jetzt sehr gemein, aber trotzdem glaube ich, dass da doch 'was dran ist. :P Und trotzdem ist sie wichtig und immer noch empfehlenswert, weil sie eben so aus einem Guss ist. Eigentlich stimmt ja alles, passt alles zusammen. Mag ein Sänger besser passen, ein anderer weniger. Aber es gibt keinen Ausfall, alles ist auf einem bestimmten Niveau total homogen. Die Frage ist, ob einen dieses Niveau heute noch befriedigt, wenn man andere Seiten des Werks kennenlernen möchte.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Eigentlich muss ich Rosamunde in allem, was sie zur Kempe-Aufnahme geschrieben hat, Recht geben. Natürlich ist sie Referenz, was auch immer das eigentlich heißt. Aber natürlich ist sie weitberühmt und zurecht immer noch eine der Aufnahmen. Mit ihr habe ich vor gefühlten 120 Jahren den Lohengrin kennengelernt und eigentlich liebe ich sie immer noch. Und wenn man sie erwirbt und sie sich anhört, geht man nicht fehl. Man bekommt ein Produkt auf höchstem Niveau.

    Aber sie ist schon ein wenig sehr 'gepflegt', wobei ich da die Ludwig noch am ehesten ausnehmen würde. Das soll auch keine Kritik an den jeweiligen Beteiligten sein, obwohl ich die Bemerkungen von Rosamunde diesbezüglich sehr gut nachvollziehen kann. Es ist ein Gesamteindruck, der wohl ganz stark von Kempe herrührt, vielleicht auch vom Produzenten. Aber ein Gefühl von Biedersinn stellt sich bei mir immer ein. Vielleicht wurde doch zu sehr das Romantische betont und dabei einerseits die Romantik missverstanden und andererseits das Drama, das sich zwischen den handelnden Personen abspielt nicht wagemutig genug durchgespielt.

    Grümmer steht für mich eigentlich exemplarisch für das Manko dieser Aufnahme. Anerkanntermaßen in ihrer großen Zeit eine der Elsa überhaupt. Und sie singt es wirklich atemberaubend toll. Aber die Untertöne, dass was eine Silja mit weit weniger Schönheit in der Stimme dieser Figur hinzufügen konnte, fehlt hier. Grümmer ist aber wohl auch sehr Ausdruck ihrer Zeit, halt der bundesrepublikanischen 60iger Jahre. Wenn Silja eher Brandt-Ära in der Stimme hatte, dann die Grümmer eher Adenauer, um es mal überspitzt und plakativ auszudrücken. ^^

    Aber nach Adenauer oder Erhardt oder Kiesinger klingt die ganze Aufnahme. :versteck1: Nein, das ist jetzt sehr gemein, aber trotzdem glaube ich, dass da doch 'was dran ist. :P Und trotzdem ist sie wichtig und immer noch empfehlenswert, weil sie eben so aus einem Guss ist. Eigentlich stimmt ja alles, passt alles zusammen. Mag ein Sänger besser passen, ein anderer weniger. Aber es gibt keinen Ausfall, alles ist auf einem bestimmten Niveau total homogen. Die Frage ist, ob einen dieses Niveau heute noch befriedigt, wenn man andere Seiten des Werks kennenlernen möchte.

    :wink: Wolfram

    Ich will andere Aufnahmen nicht Kempe unterordnen. Vielleicht ist Kempes Lohengrin gediegen gemäß der entsprechenden Zeit, missen will ich sie nicht.
    Sie vor dem Hintergrund der politischen Rahmenbedingungen zu messen kann man zweifelsohne tun, nur wie würden dann Leute wie Tietjen, Elmendorff, Iltz, Furtwängler und dergleichen abschneiden? Wagnerei nach national-sozialistischem Schnittmuster?
    Ist die Leinsdorff Aufnahme auch ein Zeugnis der Roosevelt-Ära?
    Ob Silja der Brandt-Ära entspricht, vermag ich nicht zu beurteilen. Alle Aufnahmen haben meiner Auffassung nach ihre Berechtigung, unabhängig, in welcher Zeit sie entstanden ist und wer an ihr beteiligt ist, mit welcher Stimmfarbe und Rollendeutung.
    Erinnere dich an den Tannhäuser mit Wolfgang Windgassen und de los Angeles, war das ein Tannhäuser der entsprechenden politischen Epoche? Da bin ich mir nicht sicher. Vor allem müssten hier im Sinne des Gesamtkunstwerks auch noch die Inszenierungen mit in die Beurteilungen einfließen, die sich über Jahrzehnte stark gewandelt haben und durchaus politischer Veränderung angepasst haben. Im Studio fehlt das, aber die Liveaufnahmen können miteinander verglichen werden.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

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  • Ich glaube, da hast du mich ein wenig missverstanden.

    Natürlich ist jede Aufnahme in ihrer Zeit entstanden, was aber nicht heißt, dass sie immer diese repräsentiert. Neu-Bayreuth entstand in der Adenauer-Ära, war aber nicht 'Adenauer'. Silja sang die Elsa zunächst nicht in einer Zeit, in der Brandt Kanzler war. Darum ging es mir nicht. Ich meinte mit dem Vergleich, weit hergeholt, wie er sicherlich ist, eher, dass Silja eher den Wagemut, den Aufbruch, die Neugierde, das Unbequeme, auch das Unkonventionelle verkörperte, was ich eher mit dieser Zeit verbinden würde, während Kempe eher das 'keine Experimente' der Adenauer-Epoche entspricht. Das Bayreuth, Wieland und Silja in ihrer Zeit da schon viel vorweggenommen haben, etwas symbolisieren, was sich politisch noch nicht durchgesetzt hatte, spricht ja nur für sich.

    Daneben gibt es natürlich immer Aufnahmen, die ihrer Zeit in ganz besonderem Maße huldigen, dem Zeitgeist sich entsprechend verpflichtet fühlen. Aber das ist vielleicht gar nicht einmal die Regel, dieses, jetzt als Beispiel, aus Wagner eine Propagandaveranstaltung machen. Trotzdem sind Aufnahmen, ob im Studio oder live entstanden immer Kind ihrer Zeit.

    :wink: Wolfram

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  • Das Bayreuth, Wieland und Silja in ihrer Zeit da schon viel vorweggenommen haben, etwas symbolisieren, was sich politisch noch nicht durchgesetzt hatte, spricht ja nur für sich..

    :wink: Wolfram

    Was hatte sich politisch noch nicht durchgesetzt?? Man könnte provokant auch formulieren, Wieland hätte mit seiner Bühnenentrümpelung schlicht und einfach gewisse Probleme unter den Teppich gekehrt. Die Sehweise Wielands war für damalige Verhältnisse sicher „revolutionär“, aber wohl auch ein genialer Schachzug um aus dem Nazi-Schlamassel herauszukommen. (Von der Integrität seiner Person war ich übrigens früher sehr überzeugt, bin es jetzt aber nicht mehr so, nach allem, was man inzwischen weiß).
    Auf jeden Fall waren andere Regisseure dann viel revolutionärer im Offenlegen der Brüche und Probleme im Werk Wagners, wie z.B. Melchinger, Herz oder auch Chereau.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Man könnte provokant auch formulieren, Wieland hätte mit seiner Bühnenentrümpelung schlicht und einfach gewisse Probleme unter den Teppich gekehrt.

    Dieser Aspekt und so manches andere wurde übrigens auch dort schon angesprochen:
    Wieland Wagner – „ Inszenierung ist für mich Interpretation.“

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Keilberth 1953 Live in Bayreuth

    Lohengrin - W Windgassen - sehr schöne Stimme (nur leider fast durchgehend scharf zu tief (für meine Ohren) zu Beginn im 1. Akt.)
    Elsa - Eleanor Steber - herrlich
    Ortrud - Astrid Varnay - super :verbeugung1:
    Telramund - Hermann Uhde - auch richtig gut ! Leider zu weit weg vom Mikrophon am Anfang des 2. Akts, aber er kommt dann vor und die Szene mit ihm und Ortrud entwickelt sich sehr beeindruckend.
    Heinrich - Josef Greindl - gut.

    Astrid Varnay als Ortrud muss man gehört haben. Da wächst kein Grass mehr, und damit meine ich nicht Lautstärke. Telramund passt auch gut zu ihr, und die 1. Szene im 2. Akt wird zur Sternstunde. Ortruds letzter Einwurf am Ende des 3. Akts sollte man auch mal anhören :D - auch das Peitschen der Geigen aus dem Graben herauf.

    Windgassen gefällt mir dann im 3. Akt sehr...allerdings ist für mich immer wieder und auch bei Windgassen das Problem, dass ich im Brautgemach eine bestimmte Stelle zu breit finde. " Atmest du nicht mit mir die süssen Düfte?" usw, bis Elsa einsetzt. Aber ansonsten wird er eigentlich bis zum Ende hin immer besser.

    Bei Keilberths Agogik und Dynamik bin ich geteilter Meinung. Einerseits toll, andererseits habe ich bei leiseren und lyrischeren Stellen oft das Gefühl, dass er die Sänger fast unmerklich abbremst. Aber es ist ein ganz minimales Gefühl....ich glaube der Dirgent muss den Atem und die Agogik des Sängers antizipieren, damit er nicht mental hinterherhinkt und den Sänger unmerklich abbremst. Wie schwieirg das ist....!
    Wenn das Tempo und die Lautstärke anziehen, dann bemerke ich dieses Problem auch nicht mehr. Wie gesagt, es ist minimal.

    BIn froh, dass ich diese Aufnahme angehört habe.

  • Dieser Aspekt und so manches andere wurde übrigens auch dort schon angesprochen:
    Wieland Wagner – „ Inszenierung ist für mich Interpretation.“

    :wink:

    Danke für den Link. Ist manchmal schwierig, hier den Überblick zu behalten :D . Ich habe dort zur Dokumentation noch ein paar Daten zu Wielands Stuttgarter Ring-Inszenierung zusammengetragen...

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Dieser Aspekt und so manches andere wurde übrigens auch dort schon angesprochen:Wieland Wagner – „ Inszenierung ist für mich Interpretation.“

    :wink:

    Dazu gibt es auch ein Buch von Ingrid Kapsamer. Ich glaube, es ist ihre Doktorarbeit.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

  • Die Agogik, zb. Accelerando passt aber gut zum Lohengrin oder allgemein zu Wagner, um das Drama weiter zu spinnen und zu akzentuieren und es schafft auch eine dementsprechende psychologisch aufgeladene Atmosphäre.

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  • Nachtrag: ich sehe gerade, Du hast oben etwas zu Agogik gesagt......das Folgende hat sich damit überschnitten; ich hatte Deins nicht gesehen.

    In der Aufnahme des Lohengrin von Karl Böhm erhält Christa Ludwig für ihr Solo 'Entweihte Götter' spontan tobenden Applaus, womit man auch nicht immer rechnen kann. Ähnlich erging es Leonie Rysanek als Ortrud.

    Interessant.....Kerstin Thorborg bei Leinsdorf an der MET auch - allerdings würde ich den Applaus da nicht tobend nennen. Aber immerhin....war es vielleicht eine Weile lang so üblich an der Stelle ?

    Kann ich deine analytischen Empfindungen hinsichtlich Rubato dahingehend begreifen, dass Leinsdorf im Allgemeinen ein hohes Tempo vorgibt und wenig Tempi in die Breite zieht, wie es andere Dirigenten in den Jahrzehnten später getan haben? Vergleiche die Länge der Aufnahme, die jeweiligen Akte mit anderen Aufnahmen.

    Ja und nein. Sicher gibt es schnellere und langsamere Aufnahmen und selbstverständlich macht sich dies im Gesamteindruck bemerkbar.

    Jedoch: Ich hatte es bei Bruckner 6 schon mal erwähnt: Metronomzahlen allein bedeuten nicht alles. Lebhaft ist nicht gleichzusetzten mit lebendig. Auch ein langsamer Satz oder eine langsame Passage, welche grosse Ruhe ausstrahlen sollte, muss für mich auf ihre Art lebendig klingen. Ein Beispiel wäre hier der allererste Anfang der Brautgemachszene. Die Lebendigkeit kommt hier selbstverständlich anders zustande, als bei einer leidenschaftlichen langsamen Passage. Schwierig in Worte zu fassen. Vielleicht meine ich dabei nicht "Lebendigkeit", sondern eher "glaubwürdige Empfindung", die ich mitleben kann - dadurch wird es dann für mich "lebendig". Das kann dann auch eine Abwesenheit von Leidenschaft sein, aber es muss eben ergreifend musiziert sein und mich ansprechen. Am Anfang der Brautgemachszene kann eine Lebendigkeit entstehen durch kleine agogische Momente innerhalb einer Zeile eines Verses. Oder man kann es einfach starr im Tempo durchsingen und dann für mich leblos erschienen lassen.

    Mit Rubati meine ich eben gerade dies: Agogik im kleinen, also in den kurzen bis mittellangen Phrasen, also wie zB zwei Zeilen eines Verses musikalisch agogisch gestaltet werden. Ich meine damit nicht - als Beispiel - die grundliegende Tempowahl für die Gralserzählung oder für das Vorspiel.

    Wichtig: Diese Art von Agogik oder Temposchwankung im Kleinen wirkt sich nicht in der Gesamtlänge einer Aufnahme aus, denn es wird bei einem gut gemachten Rubato insgesamt das Tempo nicht verändert, sondern: was erst schneller gemacht wird, muss dann langsamer wiedergutgemacht werden. Was erst weggenommen wird, wird am Ende der kleinen Phrase wieder dazugerechnet. So erscheint ein Rubato organisch und natürlich. Eine grosse Kunst, aber man denkt nicht darüber nach, oder rechnet gar 'rum, sondern es passiert ganz von alleine, wenn man diese Kunst beherrscht.

    Übrigens erscheint es mir, als ob Windgassen diese Kunst nicht ganz so fein ausgeprägt beherrscht, jedenfals, wenn ich nach der Live Bayreuth Aufnahme 1953 mit Keilberth gehe. Vielleicht hatte er aber nur einen leicht angeschlagenen Tag in der Beziehung.

    Bei Leinsdorf gibt es sehr viele, sehr dem Text und der Musik angemessene Ruhepunkte, zB auch gerade in der 2. Szene zwischen Elsa und Ortrud. Es geht aber insgesamt sehr flexibel zu und dadurch wird es lebendig. Es wird nicht durch ein per se schnelles Tempo lebendig, sondern durch eine grosse Flexibilität. Ich meine hauptsächlich durch das Beachten des Sprachinhalts und -rhythmus...aber ich kann mich darin irren, woran es liegt. Nur, das Ergebnis erscheint mir sehr viel lebendiger als bei Kempe im Studio.

  • Darf ich die Runde fragen.......ich möchte mir als nächstes Furtwängler/Tietjen anhören. Also diese hier:


    Ich habe nur Spotify oder YT zur Verfügung und dort gibt es diese Aufnahme(n), aber ich kann nicht entnehmen, welche Nummer Furtwängler live und welche Tietjen Studio sind. Würde sich jemand erbarmen :rolleyes: und mir mitteilen, was was ist? Oder wo ich etwas dazu finde? Ich habe schon im Netz gesucht, aber nichts gefunden. Eventuell habe ich Tomaten auf den Augen. Vielen Dank !

    BTW - Völker klingt jetzt schon, nach 2 Minuten, überirdisch gut.

  • Lohengrin - Franz Völker - ein Superlativ; stimmlich und musikalisch.
    Elsa - Maria Müller - sehr schön und in herrlicher agogischer Harmonie mit Völker.
    Ortrud - Margarete Klose; hat nur ein paar Takte.
    König - Josef von Manowarda - eine wunderbare Stimme.

    Hier nun ein Beispiel für den Unterschied, den Live und/oder ein anderer Dirigent machen kann. "Das süsse Lied verhallt" ist für mein Empfinden sehr viel ergreifender live mit Fu als im Studio mit Tietjen, obwohl es bei Tietjen auch wundervoll ist. Aber bei Fu wahrscheinlich die schönste Version, die ich hiervon kenne.
    Ausserdem kann man diese Stelle bei Fu live als eine Studie zum Rubato, zur allerfeinsten Agogik, geniessen. Unbeschreiblich fein und effektiv. Ebenso alle Lohengrin Arien - man beachte die Harmonie von Fu und Völker.
    Das geht nur, wenn alle Beteiligten das entsprechende Feingefühl besitzen.

  • Was hatte sich politisch noch nicht durchgesetzt?? Man könnte provokant auch formulieren, Wieland hätte mit seiner Bühnenentrümpelung schlicht und einfach gewisse Probleme unter den Teppich gekehrt. Die Sehweise Wielands war für damalige Verhältnisse sicher „revolutionär“, aber wohl auch ein genialer Schachzug um aus dem Nazi-Schlamassel herauszukommen. (Von der Integrität seiner Person war ich übrigens früher sehr überzeugt, bin es jetzt aber nicht mehr so, nach allem, was man inzwischen weiß). Auf jeden Fall waren andere Regisseure dann viel revolutionärer im Offenlegen der Brüche und Probleme im Werk Wagners, wie z.B. Melchinger, Herz oder auch Chereau.

    Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, was an meinem Text unverständlich ist. Nimm mal die vorhergehenden Sätze mit hinzu.

    Übrigens geht es doch nicht darum, warum Wieland die Bühne entrümpelt hat, sondern welchen Effekt er mit seiner Art des Theaters langfristig erzielte. Und natürlich waren spätere Regisseure möglicherweise revolutionärer. Da war ja auch ein Stein bereits ins Rollen gebracht und man konnte viel mehr wagen. Wieland steht am Beginn eines bundesrepublikanischen Regietheaters.

    :wink: Wolfram

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  • Ich muss demnach auch noch die Aufnahmen mit Heger 1941 (?) und Völker hören.

    Bin gespannt, was du dann zu Völker sagst. ;)

    :wink: Wolfram

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  • Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, was an meinem Text unverständlich ist. Nimm mal die vorhergehenden Sätze mit hinzu.

    Übrigens geht es doch nicht darum, warum Wieland die Bühne entrümpelt hat, sondern welchen Effekt er mit seiner Art des Theaters langfristig erzielte. Und natürlich waren spätere Regisseure möglicherweise revolutionärer. Da war ja auch ein Stein bereits ins Rollen gebracht und man konnte viel mehr wagen. Wieland steht am Beginn eines bundesrepublikanischen Regietheaters.

    :wink: Wolfram

    Um Deine Sätze noch einmal zu wiederholen:

    [...] dass Silja eher den Wagemut, den Aufbruch, die Neugierde, das Unbequeme, auch das Unkonventionelle verkörperte, was ich eher mit dieser Zeit verbinden würde, während Kempe eher das 'keine Experimente' der Adenauer-Epoche entspricht. Das Bayreuth, Wieland und Silja in ihrer Zeit da schon viel vorweggenommen haben, etwas symbolisieren, was sich politisch noch nicht durchgesetzt hatte, spricht ja nur für sich.

    :wink: Wolfram

    Die Verquickung von „Aufbruch, Neugierde, Unkonventionellem“ mit „politisch noch nicht durchgesetzt“ erscheint mir nicht sehr klar. Man kann es eigentlich nur im Hinblick auf die 68-er-Jahre und danach verstehen, und daher mein Hinweis auf spätere Regisseure.
    Und bei Wieland und genauso bei Richard kann ich für meine Person das „Warum“ und das „Wie“ eben nicht einfach trennen.
    Und Wielands Inszenierungsstil in der Art eines griechischen Theaters war damals zwar neu und ungewohnt, aber ich bezweifle, ob man ihn als Begründer des „bundesrepublikanischen Regietheaters“ bezeichnen kann. Das hat sich eigentlich erst nach seinem Tod und zunächst vornehmlich auf der Theaterbühne entwickelt, bis dann erst später Schauspielregisseure anfingen die Oper zu „erobern“.

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