Schoeck: Penthesilea - Oper Frankfurt, 4.9.2011 (Premiere)
Musikalische Leitung: Alexander Liebreich
Regie: Hans Neuenfels
Bühnenbild: Gisbert Jäkel
Kostüme: Elina Schnizler
Penthesilea: Tanja Ariane Baumgartner
Prothoe: Marion Ammann
Meroe: Britta Stallmeister
Oberpriesterin der Diana: Katharina Magiera
Achilles: Simon Neal
Diomedes: Guy Mannheim
Ein Herold / Ein Hauptmann: Dietrich Volle
Oberste: Oda Pretzschner
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Das ist die Übernahme einer vier Jahre alten Baseler Produktion, die Alviano bereits an anderer Stelle rezensiert hatte.
Eine phänomenale Aufführung, die man unbedingt erlebt haben sollte! Mir war Schoecks Oper bisher nur aus dem Salzburger Mitschnitt unter Gerd Albrecht bekannt. Daher hatte ich mir eine gewisse Skepsis gegenüber dem Werk bewahrt, das ich streckenweise faszinierend fand, in den scheinbar immer ähnlich instrumentierten expressionistischen Dauerzuckungen allerdings auch streckenweise etwas ermüdend. Nichts davon in der Frankfurter Aufführung: hier hört man eine großartige Vielfalt von instrumentalen und vokalen Tonfällen und Klangfarben. Das geht zum einen sicherlich auf die Fassung von Mario Venzago zurück, die sich offenbar - darüber muss man sich im klaren sein - weitreichende Eingriffe in das Schoeck'sche Original erlaubt. Zum anderen ist es aber auch ein Verdienst des Dirigenten Alexander Liebreich und des Frankfurter Museumsorchesters: bei ihnen kommt die Partitur nicht mehr primär grell und zuckend zur Geltung wie bei Albrecht, sondern viel differenzierter, dynamisch abgestufter, klangfarbenreicher, spannender - etwa in lang ausgehaltenen Fermaten und Pausen. Die Mischungen der Instrumente, insbesondere der vielfältig eingesetzten zehn Klarinetten, sind wunderbar ausgehört. Großartig!
Das war tatsächlich seit fast dreißig Jahren die erste Inszenierung von Hans Neuenfels an der Frankfurter Oper - Intendant Loebe hat mit seinem sicheren Gespür für begrenztes Risiko und Publikumserfolg die Baseler Produktion eingekauft, die schon von der Zeitschrift "Opernwelt" ausgezeichnet worden war. Und dies war eine richtige Entscheidung: von den vier Neuenfels-Inszenierungen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, ist das die stärkste. Alviano hat das ja im obigen Link beschrieben: Die ständige ungeheure Spannung, unter der die Sänger stehen, die konzentrierte Choreographie, ein enormes Gefühl für das Timing von Auftritten und Abgängen. Einen solch ausgefeilten Spannungsbogen habe ich auf der Opernbüne nur selten erlebt: dazu gehört auch die Entscheidung, den Tod des Achill als szenische "Leerstelle" im Dunkel mit mikrophonverstärkten Stimmen zu inszenieren. Auch die ironischen Brechungen kamen nicht, wie sonst gelegentlich bei Neuenfels, überdimensioniert, sondern genau richtig dosiert: die griechischen Soldaten als Abziehfiguren, Klavier und Schimmel zur zentralen Liebesszene. Die Balance zwischen den antikisierenden und den teils bürgerlichen, teils trashigen Elementen war perfekt.
Im Zentrum Tanja Ariane Baumgartner als Penthesilea. Die Rolle hat sie sichtbar verinnerlicht (Baumgartner war schon in Basel dabei), souverän spielt sie alle Facetten aus, singt und spricht (!) tadellos und äußerst wortverständlich. Die Schlusszene ist eine Klasse für sich. Fast mithalten kann der ebenfalls sehr intensiv agierende und gelegentlich etwas die in der Höhe prunkende Stimme ausstellende Achill von Simon Neal. Extraklasse, wie schon von Alviano aus Basel berichtet, die Schauspielerin Oda Pretzschner in der von Venzago hinzuerfundenen Rolle der Obersten: von hoher körperlicher und szenischer Präsenz und gekonnt die Tonfälle wechselnd - wenn man da an die schultheaterhaften Deklamationskünste von Dernesch, Adam & Co in der Albrecht-Aufnahme denkt, ist man Venzago für die Entscheidung dankbar, große Teile des gesprochenen Textes dieser neuen Rolle anzuvertrauen (ähnlich hat sich ja schon Edwin hier geäußert). Das geht notwendigerweise etwas auf Kosten der Rolle der Prothoe, die viel Text und Aktion verliert, dadurch etwas blass wirkt. Marion Ammann vermag das nicht ganz wettzumachen, schlägt sich aber szenisch und sängerisch achtbar (der gesungene Text bleibt bei ihr aber unverständlich). Solide bis gut der Rest des Ensembles. Vorzüglich der Chor.
Etwas merkwürdig der Einsatz der Übertitelungsanlage: Dass man den gesprochenen Text nicht zeigt, ist klar. Warum und nach welchen Kriterien aber nur etwa ein Fünftel des gesungenen Textes übertitelt wurde, erschloss sich mir nicht. Entweder - oder. Man sollte sich also vor Besuch der Aufführung das Libretto nochmal konzentriert durchlesen (gibt's auch im Internet) bzw. beim Hören einer Aufnahme mitlesen.
Einhelliger Beifall für alle Beteiligten, am stärksten für Frau Baumgartner. Auch Neuenfels, der einige besonders aktive Fans im dritten Rang hatte, dürfte das Frankfurter Opernpublikum von vor dreißig Jahren kaum wiedererkannt haben.
Einen Überblick über kommende Vorstellungstermine sowie einige visuelle Eindrücke von der Aufführung (runterscrollen!) kann man sich hier verschaffen.
Viele Grüße
Bernd