Bachs h-moll-Messe - Gipfel oder Absurdität?

  • :wink:

    Danke nochmals, lieber Josquin Dufay, für deine Bemühungen in Sachen h-Moll-Messe.


    Zitat

    Mit Hengelbrock kam als Zweites gleich ein Hochkaräter daher

    Sehe ich ebenso, wobei Hengelbrock bei mir zu DM-Zeiten, ausweislich des noch vorhandenen Preisschildes mit 72,00 DM gelandet ist. Da musste ich mich zu Studentenzeiten echt einschränken. Auch heute vermag ich an dieser Aufnahme nichts Negatives zu finden, jedenfalls bilde ich mir das nach mehrfachem Hören ein.

  • Ich dagegen habe sie doppelt - und für Cent-Beiträge erhalten:

    Und deine Einbildung halte ich für treffend: nichts Negatives vorhanden... :yes:


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Ein paar Worte zu dieser Einspielung:

    (P) 2006 Gala GL 100.661 (4 CDs) [h-moll - 124:58]
    rec. 09. Juni 1955 (Kongreßsaal des Deutschen Museums, München)

    Elisabeth Grümmer (s)
    Gertrude Pitzinger (a)
    Peter Pears (t)
    Hans Braun (b-bt)
    Chor & Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

    D: Eugen Jochum


    Dieses 4-CD-Set enthält auf CDs 3-4 die h-moll-Messe in einer Live-Aufzeichnung, die Jochum 1955 dirigierte. Es ist eine großbesetzte, langsam temporierte Aufführung mit sehr guten Leistungen der Solisten sowie des Chores und des Orchesters. Der Ausdruck ist nicht ohne Pathos, hat aber auch eine klare Linie und schreitet in einem stetigem Duktus fort. Jochum legt Wert auf gutes Handwerk und präzises Timing.

    Die Klangqualität ist schon als sehr gut zu bezeichnen für das Alter: das Grundrauschen ist nicht übermäßig stark, der Baß ist profund, die Mitten präsent, die Höhen sehr klar. Chor und Orchester sind gut eingefangen, die Solisten sehr gut davon abgesetzt. Publikumsgeräusche sind vorhanden, aber eher gering. Die Tracks sind ordentlich editiert worden.

    Insgesamt ein interessantes Dokument von Jochums Qualitäten in den 1950er Jahren, als er in München war. Diese h-moll-Messe finde ich schon sehr angenehm zu hören und braucht sich nicht hinter anderen Aufnahmen zu verstecken.

    Fazit: sehr gut... :thumbup:

    PS: auf dem Set ist auch noch die Aufnahme einer MP drauf, die ich hier besprochen habe.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • einem kleinen Beleg für die frühe Auffassung der "h-Moll-messe" als Messe (worüber hier ausgiebig diskutierte worden ist) möchte ich hier noch festhalten:

    Kirnberger zitiert den Basso ostinato des Crucifixus als "Von J. S. Bach in einer Messe über Crucifixus zehenstimmig [...]"

    in: Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes, Bd. 2 Teil 2, S. 172.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • seit wenigen Tagen ein Video auf yt:

    https://www.youtube.com/watch?v=D5ttwUX4zWg

    Ensemble Pygmalion
    Raphaël Pichon, direction
    Joanne Lunn, soprano
    Lea Desandre, mezzo-soprano
    Lucile Richardot, alto
    Emiliano Gonzalez Toro, ténor
    Christian Immler, basse

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Eine Aufnahme von 1947, angeblich die erste komplette amerikanische Aufnahme der h moll Messe, habe ich nun dank Lionels Link gestern und heute wiederholt hören können.

    So wie es aussieht kann man sich Shaws 1947er Aufnahme der h-moll Messe hier komplett anhören.

    Sie hat eine passable Klangqualität und ist für mich von Interesse, weil sie laut der Bach-Cantatas.com Website eine der ersten Aufnahmen überhaupt ist:. https://www.bach-cantatas.com/Vocal/BWV232-Rec1.htm

    Geleitet wird das Ensemble von Robert Shaw.
    Soprano 1: Anne McKnight
    Soprano 2: June Gardner
    Alto: Lydia Summers
    Tenor: Lucius Metz
    Bass: Paul Matthen
    Chor: RCA Victor Chorale
    Orchester: RCA Victor Orchestra

    Mir gefällt der eher energische und beschwingte Ansatz mit den nicht zu langsamen Tempi. Im Gegensatz zur Aufnahme von 1960 erscheint mir der Fokus generell eher auf das Rhythmische gelenkt als auf das Melodische. Die Chornummern finde ich insgesamt besser gelungen, als die Solo Arien und Duette, in welchen die Solisten einige Schwächen zeigen (Intonation, schnappen nach Luft, schreien ab und zu in der Höhe etwas), allerdings dennoch stimmungsvoll singen. Besonders die beiden Kyrie Chornummern gefallen mir sehr. Bei anderen Aufnahmen komme ich meist nicht weiter als das erste Kyrie, wenn sie mir zu schleppend oder auch maniriert phrasiert erscheinen. Manchmal ist der Chor in dieser Aufnahme, ebenso wie die Solisten, auch etwas "shouty", wie man auf Englisch sagen würde.
    Insgesamt eine Aufnahme mit sehr deutlichem, eigenen Charakter. Mir gefällt sie, und ihr musikalischer Charakter ist, wie oben erwähnt, deutlich anders als der einer späteren unter Robert Shaw von 1960.

  • Robert Shaws Aufnahme von 1962 aus Moskau ist in dieser CD-Box enthalten:

    Eine genaue Auflistung des Inhalts der CD-Box gibt es hier. Das Booklet speziell mit der h-moll Messe gibt es hier.

    Dann habe ich noch diese Seite gefunden, wo man anscheinend die komplette CD-Box bestellen kann. Allerdings habe ich mir nicht genau die Bestell- und Lieferbedingungen auf der betreffenden Seite angesehen.

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Vielen Dank, @Lionel, für Deine Mühe ! Ich werde auch weiter nach der 1962 Aufnahme suchen....falls jemand Zugang dazu hat, wäre ich sehr dankbar....

    Ich höre immer noch Robert Shaw 1947, auch im Vergleich mit anderen, und diese Aufnahme wird für mich jedesmal besser. Ich "verstehe" die Musik dieser Messe immer mehr und finde sie hier sehr gut getroffen.

    Gerade bin ich erstaunt über das Credo in Unum Deum. Wenn ich mich nicht irre, dann ist es eines der überzeugendsten. OK, ein wenig gebrüllt zu Beginn :D , aber das ist mMN vom Ansatz her genau, was hier hingehört. Da muss das Dach von der Kirche fliegen, die Fensterscheiben knacken und die Wände wackeln. CREDO ,......Dieses andächtige Gesäusle und Gezwitscher, was man sonst so hört. Nee, völlig verkehrt.
    Meinetwegen kann es hier noch viel mehr Volumen und Kraft haben, als es Shaw 1974 schafft. Die gesamte h moll Messe ist mMn ein einziges Glaubensbekenntnis. Ich glaube Blomstedt sagte irgendwo irgendwann so etwa, dass diese Messe den Zweifel reflektiert, im Sinne von abstösst oder abwehrt. So habe ich ihn verstanden und ich glaube er hat Recht. Deshalb muss das Credo völlig überwältigen. Es geht einfach nicht mit nur 16 Sängern. Es ist dann schön, ja sicherlich ist es dann dennoch schön und zivilisiert, aber hat es dann die Wirkung, die es im Idealfall haben könnte? Heute erscheint es mir nicht so.
    Nun denn, das CREEEEEEDO ......herrlich getroffen von Shaw in 1947. 1960 macht er es zivilisierter und gesanglicher. Es ist für mich nicht ganz so effektiv, aber es wirkt auch besser als bei anderen, weil er es schneller nimmt und das Volumen zügig aufbaut. Auch Karajan probiert es mit Wucht, aber es ist zu langsam und erreicht dadurch nicht dieselbe stürmische Überzeugung, die jeden Zweifel hinwegfegt.

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