Wege zur Musik von John Cage

  • ...zu den Etüden von John Cage (Etudes boreales, Etudes australes, Freeman Etudes)

    Sie bilden momentan meine John-Cage-Favoriten.

    Allen seien die Cageschen Etüden unbedingt ans Herz gelegt, die an zeitgenössischer Musik interessiert sind oder beginnen möchten, sich mit dieser auseinander zu setzen, wozu alle von euch ermuntert bzw. ermutigt sein mögen.

    Das Risiko, dass diese Etüden zunächst alles andere als die Gestalt eines Ohrwurms annehmen, sei munter ignoriert, denn diese großartigen Stücke können sich dem geneigten Hörer durchaus zum Dauerbrenner wandeln.

    Statt Ohrwürmer wären’ s genussbringende und wunderschöne Blutegel, die sich unwiderruflich in Herz + Hirn untrennbar fest fressen.

    Die Etudes Boreales (1978) sind vier kurze Stücke für Cello solo, Klavier solo oder Cello und Klavier.

    Ich bevorzuge gegenwärtig die Version für Cello und Klavier, gegenüber den Soloversionen, seit einem fetzigen Livemitschnitt vom 07.10.11 mit dem Kammerensemble Neue Musik Berlin. Der Pianopart besteht überwiegend aus perkussiven Elementen/Einschüben.

    Sehr schön auch diese Aufnahme, die man sich über diesen Link legal reinziehn kann:
    "http://www.simfy.de/artists/137510…eales-Harmonies
    Allerdings kommt beim Berliner Radio-Mitschnitt größere Intensität rüber.

    Gemeinsamkeiten zwischen den Etudes australes für Klavier (1975) und den Freeman Etudes für Solo-Violine (1990):

    Einteilung in 4 Bücher, mit jeweils acht Etüden; also insgesamt 32 Stück bzw. zwei Mal 16 Stück.
    Die Tonsprache ist dicht und konzentriert gefügt; in konsequent-strenger sog. Atonalität.

    Unterschiede:
    Die Etudes australes (für Klavier) erscheinen mir vom Klang und in ihrer Wirkung her räumlich gerichtet. Um es in einem Sprachbild versuchen auszudrücken: Der Hörer mag den Eindruck gewinnen, er weilt in erstarrten Felslandschaften, auf einsamen Hochebenen, die sich in einem weiten Horizont erstrecken, ist dabei gebannt und voller Erstaunen über kleine bis größere zufällig sedimentierten Gesteinsschichtungen, geronnenen Formationen.

    Die Freeman Etudes (für Solovioline), überwiegend mit kürzerer Spieldauer, wirken eher plastisch denn räumlich. Dem Hörer könnte sich z.B. der Eindruck von 32 zufällig geworfenen Mikadohäufchen aufdrängen. Er erfreut sich neugierig und lustvoll an deren Vielfalt; ist fasziniert und angerührt über plötzliche Anhäufungen, Schichtungen und zufälligen Verkreuzungen zahlreicher bis unzähliger Mikado-Stäbchen...

    Ich zähle die Freeman Etudes zu den ganz großen Werken für Solovioline; also zur Champions League wie z.B. Bachs Partiten und Sonaten für Solovioline, Luigi Nonos unvergleichlicher La lontananza nostalgica utopica futura (1988–89) (allerdings mit Unterstützung von Live-Elektronik als gleichberechtigten Part) oder Brian Ferneyhoughs fetziger Intermedio alla Ciaccona pour violon...

    Youtube bietet die vollständige Einspielung von Schleiermacher.
    "http://www.youtube.com/watch?v=JohydSPuNkY“ ff
    Bislang ist mir diese Wiedergabe zu nüchtern (obwohl ich ansonsten Schleiermacher tolle Radiomitschnitte verdanke). Der Eindruck kann sich aber durchaus noch ändern. Momentan sind mir Grete Sultans und Sabine Liebners Einspielung sehr viel näher
     

    Die jüngste Einspielung von Sabine Liebner, die sich seit sehr vielen Jahren mit der US-Avantgarde (Schwerpunkt Cage) beschäftigt, kann man sich über dieses Portal legal reinziehn und anschließend entscheiden, ob man sich die CDs zulegt:
    "http://www.simfy.de/artists/944912…tudes-Australes

    Vom gleichen Portal ist auch die Einspielung mit Claudio Crismani verfügbar; allerdings habe ich erst angefangen, mir diese Wiedergabe zu erhören:
    "http://www.simfy.de/artists/831486…tudes-australes

    Erster ganz oberflächlicher Eindruck: Crismanis Herangehensweise ist weit von Sultan, Schleiermacher und Liebner entfernt. Man hat das Gefühl einen anderen Klavier-Zyklus zu begegenen. Wäre im Falle von John Cage ja nicht ungewöhnlich. Zuweilen scheint die Spielweise Crismanis durch die Erfahrung von Debussys oder Chopins Etüden geprägt. Crismanis Spiel wirkt, auf Grund der schnelleren Tempi und des häufigen bis durchgängigen Pedalgebrauchs, kompakter bzw. in sich geschlossener... aber am besten, jeder checkt das selbst....

    Ebenso kann man sich die Freeman-etudes (Book 1 und 2) mit Marco Fusi legal reinziehn:
    "http://www.simfy.de/artists/903197…tudes-Books-1-2

    Z.Zt. bevorzuge ich die Einspielung Irvin Ardittis (Book 1 + 2).

    Glücklicherweise sind vergriffenen Teile (Book 3 + 4) ebenso über diesen legalen Link einhörbar:
    "http://www.simfy.de/artists/42913-…tudes-Books-3-4

    Youtube bietet einige verstreute aus den ersten Teilen sowie Book IV:
    "http://www.youtube.com/watch?v=8s5-qDjJ9mU“ (mit Irvine Arditti)

    Der France Musique-Mitschnitt mit Auszügen aus den Freeman Etudes gespielt von Carolin Widman am 12.12.11 (Paris) hat mich schier überwältigt. Es ist demnach dringend erforderlich, dass zum 100-jährigen Cage-Jubi eine komplette Einspielung des Zyklus mit ihr veröffentlicht wird, möglichst live, also ohne Studio...
    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Die Etudes australes (für Klavier) erscheinen mir vom Klang und in ihrer Wirkung her räumlich gerichtet. Um es in einem Sprachbild versuchen auszudrücken: Der Hörer mag den Eindruck gewinnen, er weilt in erstarrten Felslandschaften, auf einsamen Hochebenen, die sich in einem weiten Horizont erstrecken, ist dabei gebannt und voller Erstaunen über kleine bis größere zufällig sedimentierten Gesteinsschichtungen, geronnenen Formationen.

    Die Freeman Etudes (für Solovioline), überwiegend mit kürzerer Spieldauer, wirken eher plastisch denn räumlich. Dem Hörer könnte sich z.B. der Eindruck von 32 zufällig geworfenen Mikadohäufchen aufdrängen. Er erfreut sich neugierig und lustvoll an deren Vielfalt; ist fasziniert und angerührt über plötzliche Anhäufungen, Schichtungen und zufälligen Verkreuzungen zahlreicher bis unzähliger Mikado-Stäbchen...

    Das sind wunderschöne und sehr passende Bilder! :juhu: :juhu: :juhu:

  • Beim diesjährigen "Klavier-Festival Ruhr" gibt es zum hundertsten Geburtstag einen kleinen Cage-Schwerpunkt:

    Am 24. Mai spielt Margaret Leng Tan Stücke für Spielzeugklavier (nicht nur von Cage) im Folkwang Museum Essen.
    Am 25. Mai ist dieselbe Künstlerin ebendort mit Stücken für präpariertes Klavier zu hören, u.a. die Filmmusiken "Works of Calder" und "Music for Marcel Duchamp" - und zwar mit den dazugehörigen Filmen! Den Einführungsvortrag hält Wulf Herzogenrath.
    Und am 29. Mai spielt Steffen Schleiermacher in Essen-Werden Klavierwerke von Cage. Die Zuschauer dürfen irgendwie bestimmen, welche. Zur Auswahl stehen auch die "Etudes Australes". Komplett?!! Dann lohnt sich das Konzert wirklich, das wären gut und gerne dreieinhalb Stunden Musik! Ich hoffe, die Entscheidung fällt auf sie!

    Grüße
    vom Don

  • Zur Auswahl stehen auch die "Etudes Australes". Komplett?!! Dann lohnt sich das Konzert wirklich, das wären gut und gerne dreieinhalb Stunden Musik! Ich hoffe, die Entscheidung fällt auf sie!

    Geile Message. Da tut sich ja einiges für den Cage-Junkie.

    Etudes Australes wünsche ich mir auch, natürlich komplett, natürlich mit Radioübertragung. Vielleicht modifiziert Schleiermacher seine Lesart der Etudes und es ergäbe eine eigene Alternative zu seiner Einspielung.
    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Für die Hardliner....

    Das Programm der "AchtBrücken 2012" ist veröffentlicht. Schwerpunkt bildet dieses Jahr die Musik von John Cage. Am 2. und 3. Mai werden im Palladium die Europeras 3 & 4 & 5 aufgeführt. Und wer dann Feuer gefangen hat kann ja im Herbst zur Ruhrtriennale nach Bochum.

    Das komplette Programm hier "http://www.achtbruecken.de/programm/"

  • Wer sich für John Cage interessiert und wem das südliche Hessen erreichbar ist: Das Museum "Mathildenhöhe Darmstadt" präsentiert zum 100. Geburtstag des Komponisten am 05.09.2012 eine Ausstellung (13.05.-09.09.2012):

    A HOUSE FULL OF MUSIC
    Strategien in Musik und Kunst

    Näheres hier: "http://www.mathildenhoehe.info/www/ausstellungen.html

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • @Zwölftonapostel
    "Beide Werke sind größtenteils eher von Stille dominiert, wobei Four6 mir eher liegt als One7. Da mag ich andere Cage-Werke schon lieber."

    Lieber Zwölftonapostel,

    ja, beide Number-Pieces sind buchstäblich von Stille dominiert, während Stille bei den Etudes Australes sich als mal mehr oder weniger latente Basis im musikalischen „Verlauf“grundiert..

    Nachvollziehbar, dass u.U. sich bei One7 zunächst sich der Eindruck des Monotonen aufdrängen mag.

    Es sei mal versucht, diese Befürchtung wie folgt zu entkräften:

    Auch in dieser Wiedergabe vermag Sabine Liebner meisterhaft bei beiden Number-Stücken so etwas wie eine „Aura“ mitzugestalten bzw. zum Ereignis werden zu lassen, so dass einen der Funke unmittelbar beim ersten Reinziehn rübersprang; dabei wird Stille/Schweigen im Verlauf mehr als gleichberechtigt mitvollzogen.

    Außerdem kommen einen beide Number.Pieces beim Reinziehn vor, wie irre Stretch-Versionen bizarrer Klanglandschaften der Etudes Australes, was geiles Cage-Feeling dabei zusätzlich verstärkt.

    Ferner, wie fetzig die Ton-Askese mit ihrem Schweigen in beide Lauscherchen sirenenartig-lockend-sacht reinträufelt, ist es einen gewiss, dass sie gesättigt/getränkt ist, mit Cages kompositorischen Erfahrungen….

    Dazu kommt noch, wenn sich ein Komponist, ob seiner tollen Mucke, hinzuaddiert zu den eigenen Lieblingen, doch allen seinen Werke von vorne herein wohlgesonnener sich stellt … :D

    Ja zugegeben, bevorzugt (gegenüber den Number-Pieces) werden weiterhin seine Etudes Australes.
    Jedoch die Etudes werden nach der Begegnung mit One 7/Four 6 neue Facetten aufweisen.
    Aber umgekehrt gilt es auch….

    Und eingeräumt, bei seinen Sonatas and Interludes besteht weiterhin sehr große Reserviertheit.

    Warum aber keine Distanz zu seinem "String Quartet in 4 Parts"; sogar wenn die später entstandene Mucke der „Four for String Quartet“ und „Thirty Pieces for String Quartet“ sehr viel stärker gemocht/bevorzugt wird ?(

    http://www.youtube.com/watch?v=QiUvHzNoSKU“
    http://www.youtube.com/watch?v=uEOgdLhQQ4U“
    http://www.youtube.com/watch?v=OFmQNCqDO0g“

    Werde bei Gelegenheit versuchen, den Sonatas and Interludes eine erneute Chance zu geben…..

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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