Valery Gergiev

  • Lieber Sune,

    vielen Dank für Deinen interessanten Bericht über "Die Nase". Wirst Du auch noch etwas zur Berliner Aufführung schreiben?

    maticus :wink:

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Beim Hören der Aufnahme von Gergiev wird aber genau mein Eindruck aus der Berliner Oper bestätigt. Bei Gergiev wirkt (auf mich) alles eher distanziert, unlebendig, farblos, statisch, trocken

    Aber leider war das ganze auch etwas matt, als spielten Gergiev und sein Orchester noch im Jet-Lag und so mir zu wenig akzentuiert. Die streckenweise etwas schrille Modernität und Aufgedrehtheit des Werks schien so viel harmloser als bei Rozhdestvensky, manches auch etwas verwaschen, unzureichend ausbalanciert.

    Meine Eindrücke zur Berliner "Nase" möchte ich etwas relativieren, denn ich kam erst am Nachmittag der Vorstellung aus Finnland an und bekam meine Karte erst kurz vor Beginn - nicht die besten Vorraussetzungen, um konzentriert zuzuhören. Außerdem war dies meine 3. Mariinsky "Nase" (2x unter Gergiev, 1x unter Pavel Smelkov, der diese Produktion einstudiert hatte, aber nicht mehr als ein bloßer Taktverwalter war).

    Zum vermuteten Jet-Lag auch hier ein Ausschnitt aus Gergievs Terminkalender :
    30.9. Berlin, Pique Dame
    1.10. Berlin, Nase
    2.10. Berlin, Chowanschtschina
    3.10. Wien, Konzert Rotterdam PO
    4.10. Linz, Konzert Rotterdam PO
    5.10. Berlin, Nase
    6.10. Berlin, "Gala"
    7.10. Berlin, Chowanschtschina
    8.10. Berlin, Pique Dame
    9.10. Brüssel, Konzert London SO
    10.10. Rotterdam, Konzert London SO!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1

    Um auf das erste Zitat zurückzukommen : Als "distanziert, unlebendig, farblos" habe ich Gergievs Dirigat nicht empfunden, eher als - wie meistens - energisch, dynamisch. Auch "verwaschen, unzureichend ausbalanciert" kann ich nicht unterstreichen, aber dies war mein subjektiver Eindruck. Man sollte jedoch beachten, daß Gergiev es liebt, die Brillanz seines Orchesters heraus zu streichen, indem er "in die Vollen" geht; Subtilität ist weniger seine Sache. Mir fällt da immer ein Vergleich zwischen Carlos Kleiber und Gergiev ein. Kleiber hatte Mitte der 70er Jahre in Hamburg die "Otello"-Premiere abgesagt, weil man seinem Wunsch nicht nachgekommen war, nur im Orchestergraben der Staatsoper zu proben. Gergiev dagegen findet nichts dabei, in Hallen zu dirigieren, in denen sonst Flugzeugmotoren produziert werden (Bremen), Pferdeauktionen stattfinden (Neumünster) oder Tennis gespielt wird (Lübeck). Oder er führt Berlioz' Mammut-Requiem in einer dafür viel zu kleinen Kirche auf (Mikkeli). Und dies alles nach einer einzigen Probe direkt vor dem Konzert. Anpassung an die gegebenen Verhältnisse ist beim Mariinsky eben alles; darin sind sie Weltmeister! Aber ausbalancierte Klangkultur?

    Zurück zur Berliner "Nase". Die meisten Rollen dieses Viel-Personen-Stücks besetzt das Mariinsky aus dem eigenen Ensemble drei- bis vierfach. So kam ich in den Genuß einiger (in diesen Rollen) neuer Sänger. Für mich herausragende Leistung : Andrei Popov in der irre hoch notierten Partie des Wachtmeisters; vollkommen zu Recht wird Gergiev ihn mit an die Met bringen, wenn dort in dieser Saison die "Nase" gespielt wird. Fast adäquat der bei dem Berliner Gastspiel in vielen (kleinen) Partien eingesetzte Sergei Skorokhodov, ein Tenor, den ich ohne zu zögern in Bayreuth Lohengrin oder Erik singen lassen würde. Mit seinem metallischen Bariton gefiel mir sehr gut Vladislav Sulimski als Kovalev, mit seinem schwarzen Baß ebenfalls Alexei Tanovitski, der in wenigen Jahren einen enormen Aufstieg verzeichnete, vom Akademie-Sänger bis hin zu den großen Aufgaben im Mariinsky-Ensemble. Bis auf den schon etwas abgesungenen Alexander Morozov (Arzt) habe ich eigentlich keinen gehört, den ich als Ausfall bezeichnen würde.

    Gruß,
    Sune

  • Gergiev scheinbar nicht nur ein Tausendsassa

    Hallo, hier schreibt ein Newbie im Forum(seinen ersten Beitrag)

    .....bisher war ich klar gegen diesen ALLESKÖNNER und TAUSENDSASSA Gergiev, weil er unter anderem aus seiner KRIEG und FRIEDEN-Aufnahme der Prokofieff-Oper die eine große KOTUSOV-Arie, vermutlich wegen des Schmalzverdachts, einfach rausgelassen hat. Das werde ich nie verzeihen können. Und auch wegen der völlig uninspirierten ROMEO und JULIA des gleichen Komponisten noch zu seinen(Gergievs) Philips-Zeiten.
    Inzwischen habe ich aber die Sinfonien Prokofieffs "unter" ihm gehört. Das hat mich überzeugt, vor allem die sechste Sinfonie. Der eigentliche Star dieser Einspielungen sind aber das Orchester und die Aufnahmetechnik.
    Überhaupt: Dieser Ein-Person-Starkult ist mir widerwärtig.

    Trotzdem: Mir fällt auf, dass Gergiev sich einerseits um höchste Genauigkeit und Balance bemüht, andererseits aber dennoch persönlich interpretiert. Es ist also nicht nur farblos etc,, wie hier zu lesen war, es ist nicht nur ein Dynamik- und Genauigkeitsfest, das er hervorbringt, sondern auch sein persönliches Einstehen für die (jeweilige) Musik.(Einschränkend sei gesagt: Ich kenne lediglich seine Prokofieff-Aufnahmen.)

    Liebe Grüße

    Euer CÄCILIUS

    Lb. Gr.

    Cäcilius

    "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"
    (S.J.Lec)

  • Lieber Sune,

    Zitat

    Als "distanziert, unlebendig, farblos" habe ich Gergievs Dirigat nicht empfunden, eher als - wie meistens - energisch, dynamisch. Auch "verwaschen, unzureichend ausbalanciert" kann ich nicht unterstreichen, aber dies war mein subjektiver Eindruck. Man sollte jedoch beachten, daß Gergiev es liebt, die Brillanz seines Orchesters heraus zu streichen, indem er "in die Vollen" geht;

    Es ist schon interessant, wie unterschiedlich man das erleben kann. Ausdrücke wie "energisch, dynamisch" und "in die Vollen gehen", wären mir weder bei der Berliner Aufführung noch bei der CD-Einspielung in den Sinn gekommen. Darf ich fragen, ob Du relativ nah am Geschehen gesessen hast? Kann evtl. sein, dass man das weiter hinten (15. Reihe oder so) etwas weniger direkt empfunden hat. Allerdings kann das für die CD nicht gelten, da finde ich das Klangbild einfach sehr distanziert. Dennoch, rechnet man all dies mit ein, kann ich das mit "in die Vollen gehen" persönlich nicht so ganz nachvollziehen. Aber das sieht wohl jeder subjektiv anders. Ich bin wohl auch ziemlich "vorbelastet" durch die Roshdestvensky Aufnahme, bei der ich den Begriff eher anwenden würde. -- Um nicht missverstanden zu werden, inzwischen finde ich die Gergiev-Aufnahme als Alternative auf ganz andere Weise recht faszinierend.

    Nebenbei: Der volle Terminkalender kann nicht als Argument benutzt werden, wenn es um die Besprechung der Qualität der Musik geht. Wenn die Qualität darunter leiden sollte, dann müsste er eben etwas kürzer treten. Was habe ich als Zuhörer davon, wenn ich mir sagen kann oder muss, dass es (noch) besser gewesen wäre, wenn er nicht so gestresst gewesen wäre? Die Termine bestimmt doch letztlich er selbst.

    maticus :wink:

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Gergiev - der Mann,der nicht Nein sagen konnte

    Lieber Maticus,

    Nebenbei: Der volle Terminkalender kann nicht als Argument benutzt werden, wenn es um die Besprechung der Qualität der Musik geht. Wenn die Qualität darunter leiden sollte, dann müsste er eben etwas kürzer treten. Was habe ich als Zuhörer davon, wenn ich mir sagen kann oder muss, dass es (noch) besser gewesen wäre, wenn er nicht so gestresst gewesen wäre? Die Termine bestimmt doch letztlich er selbst.

    da gebe ich Dir vollkommen Recht. Gergievs übervoller Terminkalender ist von mir auch nicht als Argument gedacht worden, eher als Hintergrundinformation. Ich wurdere mich nur, daß er trotzdem so etwas wie Qualität produziert - jedenfalls meistens.

    Lieber Cäcilius,

    wenn Du - das lese ich jedenfalls aus Deinem Beitrag heraus - die Musik Prokofievs sehr magst, dann wirst Du m.E. viel Freude an Gergiev haben können. Die Prokofiev-Interpretationen gehören für mich zu den Höhepunkten seines Repertoires. Besonders lege ich Dir die Klavierkonzerte mit dem georgischen Pianisten Alexander Toradze ans Herz, die hier in Mikkeli aufgenommen wurden.

    Sune

  • Zur neuen Nase-CD kann ich nichts sagen (ich hoffe auf eine DVD) - aber mir hat die Berliner Aufführung (5.10.) sehr gut gefallen. Ich hatte einen recht guten Platz und habe nichts an musikalischer Wirkung vermisst. Das Orchester wirkte auf mich manchmal wie ein Kammerorchester, aber ich liebe solche nicht zu dick aufgetragenen, aber eindringlichen Darbietungen - besonders, wenn sie so gut zum ja sehr subtilen Stoff passen. Ich finde nicht, dass Gergiev oft in die Vollen gegangen ist, aber distanziert wirkte es auf mich auch nicht, sondern expressiv und direkt. Mich hat auch die große Präzision beeindruckt, mit der das ganze Zusammenspiel v.a. in den eher solistischen Passagen rüberkam.
    Auch sängerisch war das einer der Höhepunkte des letzten Herbstes. Am liebsten hätte ichs mir gleich nochmal angesehen!
    Heike

    „Wahrscheinlich werden künftige Generationen sich erinnern, dass dieses Jahrhundert das ,Century of Recordings’ war, in dem die Menschen auf die seltsame Idee verfielen, man könne Musik in kleine Plastikteile einfrieren. Mich erinnert das an die Idee der Ägypter vom Leben nach dem Tod. Eine ungesunde Idee. Studiomusik ist eine Verirrung des 20. Jahrhunderts. Das wird verschwinden.“ (F. Rzewski, Komponist, in der FAZ vom 21.4.2012)

  • Gergievs "Ein-Person-Starkult"

    Überhaupt: Dieser Ein-Person-Starkult ist mir widerwärtig.

    Lieber Cäcilius!

    Es wäre schade, wenn Dein Beitrag unbeachtet ohne Replik verbliebe. Um darauf näher eingehen zu können, bitte ich um Präzisierung bzw. Beispiele für den Starkult um Gergiev.

    Gruß,
    Sune

  • Starkult - einige, teils polemische Anmerkungen zu einem außermusikalischen Phänomen

    Ja, Starkult: lieber Sune,
    ich meinte den Starkult eher allgemein, nicht nur den um Gergiev.
    Starkult gibt's ja allerorten in der Klassikszene(Diven, Virtuosen und Tastenlöwen, wohin man schaut...)
    Auf keinen Fall meine ich damit nur und primär die Person selbst, um die der Kult getrieben wird.
    (Ich kenne ja Gergiev nicht persönlich.....)
    Da werden die Personen nicht gefragt - zuvor. Die werden froh sein zunächst, daß die Karriere überhaupt in Gang kommt.
    Allerdings denke ich schon, daß man -danach- einen gewissen Einfluß nehmen kann, auch als Herr Gergiev.
    Daß auf den CD Covern unbedingt der Name des Dirigenten nicht 3mal so groß wie der des Komponisten stehen muß, das könnte sich Herr Gergiev inzwischen ausbedingen.
    Dazu reicht seine Macht bestimmt inzwischen.
    Daß er das nicht tut, ist schade und schlechter Stil. Ich meine: Es schadet dem Ansehen der Musik, wenn mehr Wind um die Interpreten gemacht wird als um die, denen sie diesen Wind verdanken.
    Daß es auch anders geht, dafür gibt's viele Beispiele.

    Leute wie Gergiev oder der unsägliche Mariss Jansons - da habe ich schon den starken Verdacht, daß die sich an der Reckstange ihres Egos hochziehen.
    Der hochrote Kopf und der Schweiß kommen oft von diesem Kraftakt und nicht von der Arbeit mit Musik.
    Signifikant für diese Spezies: Sie wollen alles und sie können alles. Hier Brahms, dort Bruckner und Strawinski nicht zu vergessen, dann natürlich Oper von Strauss und auch gepflegter Mozart.... alles geht --Mittelmäßigkeit:? ein Fremdwort.
    Daher der dafür treffende Begriff "Tausendsassa" in meiner Thread-Überschrift gestern.

    Daß es da immer noch einen "anderern" Gergiev geben mag. . . muß sich anhand der Interpretation von Musik erst erweisen.
    Wirkliche Dirigenten sind die Diener der Musik und der Komposition. Darüberhinaus wird's lächerlich.

    Gustav Mahler war auch ein "Star-Dirigent" zu seiner Zeit (in Wien und für die großen Metropolen Europas und dann in Amerika) u n d Komponist.
    Ein Spagat über den Abgrund zwischen Interpretation und Komposition.
    Seine Musik war und ist vielen bis heute "Kapellmeistermusk". Warum wohl?
    Kann einer selbst Meister(Komponist) sein, wo er haupamtlich Diener(Dirigent) ist?
    Diese Frage und ihre Umkehrung(Kann ein Dirigent gewissermaßen größer und wissender sein als das Musizierte selbst?) bewegt bis heute.

    Ich würde gern mal von einem heutigen Dirigenten hören, dessen Vorbild n i c h t Furtwängler ist, der überhaupt kein Vorbild hat.
    Nachtigall, Ick hör' dir trapsen: Möchte da einer gern ein Furtwängler werden, gar "wie" Furtwängler sein(sprich wahrgenommen werden)?
    Was wissen denn all diese jungen Möchtegerns von Furtwängler? von Toscanini? von einem Fritz Busch, der seine Lehrjahre mit Vater und Geschwistern in Gaststätten musizierend zugebracht hat? Nichts und nochmal nichts.
    Es ist absurd. apriori. Einen Furtwängler einen Toscanini kann es heute nicht mehr geben. Das mediale Zeitalter und die musikalische Konservenkost haben inzwischen die Macht übernommen.

    Das große "Problem" für heutige Dirigenten besteht größtenteils kurioserweise eher darin, von der "Tonträgermusik" wegzukommen.
    Das Dienen muß erarbeitet werden. Das wird durch ein mediales Bekanntsein höchst schwer werden.
    Wenn also ein Furtwängler heute am Beginn seine Karriere stünde...man kann es zu Ende denken: Das wäre ein ganz anderer...ein schwächerer, womöglich ein kleines Licht.
    Dieser Bitterkeit müssen sich die heutigen Musizierenden und die Klassikkonsumenten stellen.
    ...und das betrifft die ganze Interpretenbranche, nicht nur die Dirigenten.
    Soviele Geigenstars z.B., wie sie derzeit die musikalische Welt unsicher machen, kann es faktisch gar nicht geben; das sind musikalische Neutren, bloße mediale Konstrukte, die jeden Oistrach für immer unter sich begraben haben.
    Einen Oistrach kann es nie wieder geben. So viele nicht.

    Karajan hatte seinerzeit die Zeichen und Stromlinien der Zeit erkannt:und mauserte sich zu einem veritablen Musikpropagandaminister, der voll auf die Vermarktung der Musik und seiner Inszenierungsinstrumente(LP) setzte. Er hatte sehr bald Erfolg und versponn sich alsbald in einem Kokon aus selbstgefälliger Erhabenheit, während ein Celibidache(Karajans Vorgänger bei den Berlinern und ohne NSDAP-Vergangenheit), der sich den Ton-Konserven konsequent verweigert hat, erst mal für lange Zeit in der Versenkung verschwand, allerdings nur um denselben Fehler zu machen. Er wurde zu einem selbstverliebten, unnahbaren Musik-Höchstversteher. Beide Extreme dienen der Musik keineswegs.

    Polemisch-provokant gesagt:
    Irgendwo zwischen dem Selbstdarsteller Karajan und dem ipsistischen Celibidache krebsen heute nahezu all die Schallplatten-Dirigenten herum, die auf den Cd-Covern um unsere Konsumentengunst bitten(müssen).
    Sie nutzen Orchester von nie da gewesenen spieltechnischen Niveau bei den Einspielungen und Aufführungen(wie Gergiev das LSO), aber ob sie Diener an der Musik sind, darf und muß bei vielen bezweifelt werden.

    Nun, nach soviel Schelte muß ja auch ein Lichtblick her: Simon Rattle, Herbert Kegel, Ottmar Suitner und einige andere, und die vielen, die's nicht bis zum Rampenlicht geschafft haben und/oder die dem Trend nicht erlegen sind. Alle die zeichnen sich aus dadurch, daß sie wie gute Handwerker agieren.
    Sie können, was sie tun im Ggs. zu denen, die tun, was sie können.

    (Dazu eine kleine Anektote:
    Bernstein soll anläßlich seines einzigen Dirigats(Mahlers 9te) der Berliner Philharmoniker in den 70er oder 80ern auf die Frage eines Journalisten, was denn der Unterschied zwischen ihm und Karajan sei, geantwortet haben:
    "Karajan tut, was er kann. Ich kann, was ich tue.")


    Lb Gr
    Cäcilius

    Lb. Gr.

    Cäcilius

    "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"
    (S.J.Lec)

  • Liebe Prokofieff sehr !

    Ja, Sune, ich mag Prokofieff: Das ist untertrieben. Prokofieff ist meine letzte, ganz große Entdeckung, die mich seit Jahren immer noch gefangen nimmt.
    Ich suche schon lange nach einem Austausch mit einem Gleichgesinnten oder Gegengesinnten.

    Gergiev war bis vor zwei Wochen eher sehr weit unten auf meiner Dirigentenscala für Prokofieff.
    Wie gesagt: Romeo und Julia: Na Ja, mittelmäßig.
    Der unverzeihliche Fault-Pas: das Weglassen der Kotusov-Arie in KRIEG und FRIEDEN
    Die 2. Sinfonie mit einem Moskauer Orchester, glaube ich: chaotisch, konfus(..ist ja auch schwierig zu machen).

    Nun aber mit dem formidablen LSO: Erstaunlich, auf einmal so etwas wie Interpretation.
    Die Präzision, das Aushorchen des Notentextes und die extrem detailreiche, tontechnische Wiedergabe ist vorbildlich(ich hörte allerdings mit Kopfhörer.)
    Die Nagelprobe war die Verständnisanlage und vor allem der Schluss der 6ten Sinfonie:
    Da gibt es diese zwei großen, unerbittlichen Ausbrüche hintereinader, wie nach einem Atemstillstand zwei Schreie verzweifelter und unversöhnlicher Bitterkeit gefolgt vom grimmig-verzerrten Lustig-Thema des Satzes.
    Da rief ich innerlich aus: Gergiev hat es verstanden, was hier gemeint ist.
    Prokofieffs Musikgesten sind niemals emotional und doch und gerade deswegen offenbaren sie das menschliche Fühlen ganz selbstverständlich wie in einerm fast unpersönlichen Draufschauen.
    Das Werk (6te Sinf.)ist überaus düster, so düster, wie man Prokofieff eigentlich nicht kennt, das Emotionale steht in den ersten beiden Sätzen gleichsam "ante Portas", das Freudige im Schlussatz ist zwar kein Schein, aber wie gehetzt und dann wieder gebremst. All das ist hier bei Gergiev sehr gut vermittelt.
    Ich bin also sehr zufrieden....

    Das kann also noch was werden mit diesem Gergiev

    Lb Gr
    Cäcilius

    Lb. Gr.

    Cäcilius

    "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"
    (S.J.Lec)

  • Nun, nach soviel Schelte muß ja auch ein Lichtblick her: Simon Rattle [...]

    Dass Du ausgerechnet Rattle hier als „Lichtblick“ siehst, das passt nicht zu Deiner übrigen „provokanten Polemik“. Wenn es darum geht, wer sich besser vermarkten kann und lässt, um wen mehr Rummel gemacht wird, dann hat - soweit ich das verfolgt habe - gerade Rattle die Nase vorn. Und ehrlich gesagt: Ich meide ihn schon lange, weil mir noch keine seiner Deutungen wirklich zugesagt hat. Von einem „Diener an der Musik“ kann hier jedenfalls m.E. nicht die Rede sein.

    Gruß, Cosima

  • Rattle

    Schade, Cosima, daß Du so "punktuell" mit dem Thema fertig wirst und alles nur auf diesen Rattle zuschneidest.

    Ich sage ja gerade daß keiner es schafft, dem Starkult zu entgehen, auch Rattle nicht. An seinem Umgang mit diesem kann man aber erkennenn, wer einen sekundären Gewinn daraus schmiedet und wer nicht.
    Es ist schon auffällig, wer sich wie präsentiert.
    Mit Lichtblick war weit mehr gemeint als nur Abweenheit von Starkult. Wer Rattle je über Musik hat reden hören im Ggs. zu Gergiev, weiß von was die Rede ist.
    Übrigens: Rattle war ursprünglich Schlagzeuger im Birminghamer Orchester. Er kommt von ganz hinten.
    Daß Du Rattles Interpretationen nicht magst, stehet auf einem ganz anderen Blatt, geht am Thema vorbei.

    Lb. Gr.

    Cäcilius

    "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"
    (S.J.Lec)

  • Und wie er versucht, Musik zu vermitteln, z.B. mit dem "Rythm is it!" Projekt, hat auch einen Wert!

    Matthias

    "Bei Bachs Musik ist uns zumute, als ob wir dabei wären, wie Gott die Welt schuf." (Friedrich Nietzsche)
    "Heutzutage gilt es schon als Musik, wenn jemand über einem Rhythmus hustet." (Wynton Marsalis)
    "Kennen Sie lustige Musik? Ich nicht." (Franz Schubert)
    "Eine Theateraufführung sollte so intensiv und aufregend sein wie ein Stierkampf." (Calixto Bieito)

  • In drer Tat

    ....da sprichst Du mir aus der Seele, Matthias. Danke !

    Lb. Gr.

    Cäcilius

    "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"
    (S.J.Lec)

  • RE: Rattle

    Zitat von Cäcilius

    Wer Rattle je über Musik hat reden hören im Ggs. zu Gergiev, weiß von was die Rede ist.

    Ich denke nicht, dass es die vorrangigste Aufgabe eines Dirigenten ist, über Musik zu reden

    :wink:

  • Aufgabe

    Nun, was ist denn die vorrangige Aufgabe eines Dirigenten, Cosima?

    Mir scheint, Du stellst Dein persönliches Gefallen und Missfallen über das Denken und Fühlen.

    Bitte mal rein gehen ins Thema....

    Lb. Gr.

    Cäcilius

    "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"
    (S.J.Lec)

  • RE: RE: Rattle

    Ich denke nicht, dass es die vorrangigste Aufgabe eines Dirigenten ist, über Musik zu reden

    :wink:

    Naja, ganz so einfach ist es nicht. Ein Dirigent ist ja nicht irgendein Orchestermusiker aus dem Kollektiv, sondern der der den ganzen Haufen auf Linie bringen soll. So gesehen müsste er (oder sie) etwas mehr zu sagen haben. Drum interviewt man ja auch Dirigenten (bzw. Künstler überhaupt). Dass Dirigent A es ganz toll findet heute die Hinterdumpfler Philharmoniker zu dirigieren und er die Stadt Hinterdumpfl ganz wunderbar findet und das Publikum einzigartig ist, ist zwar nett aber wertlos.
    Es geht ja gar nicht um irgendwelche Musikwissenschaftlichen Monologe, wo das Werk auseinandergennommen wird; aber ein Dirigent sollte (wenn gefragt) doch darüber reden können, warum er dieses und jenes dirigiert, warum dieses und jenes dirigierenswert ist oder ihm am Herzen liegt.
    Und diese Eigenschaft billige ich Sir Simon Rattle in hohem Maße zu. Er sprüht immer vor Begeisterung wenn er Interviews gibt (auch wenn ich diese Begeisterung manchmal in den Interpretationen nicht wiederfinde).

    Das soll jetzt kein Vergleich mit Gergiev sein, den ich zuwenig kenne um über ihn urteilen zu können.

    Aber ein Dirigent, der nicht über das Reden kann was er macht, ist entweder nicht eloquent (glaub ich kaum, immerhin kann er auch mit dem Orchester reden), scheu oder hat nichts zu sagen.

    Lg
    Georg

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

  • Ehrlich gesagt halte ich weder Gergiev noch Rattle für Nr.1-Kandidaten, wenn es um Dirigenten geht, die sich übermäßig produzieren. Mir würden da schon eher einige Maestri der alten Schule einfallen (Maazel z. B., besonders wenn er uns dann auch noch zugeigen muß), sowie von der jüngeren Generation der mir nicht unbedingt symphatische Christian Thielemann. Bei dem sind doch sein preußisch sitzender Seitenscheitel, seine abfälligen Äußerungen zum Regietheater, sein sehr konservativer Stil und das Alter-Fritz-Bild in seinem Büro - kurz: das nationalkonservative Gesamtpaket - allesamt wichtiger als die gespielte Musik. Gergiev habe ich bisher immer in die Kategorie "guter Musiker, aber zum Anschauen wenig geeignet" einsortiert (also zum Starkult nicht gerade prädestiniert), bei Rattle spüre ich aus jeder Pore die Begeisterung für die Musik und die Abenteuerlust.

    :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • RE: ...Beispiel für Starkult....Gergiev

    Hier der Link zum Cover:https://www.capriccio-kulturforum.de/wcf/images/smilies/tongue.png


    oder im AnhangBildschirmfoto 2016-01-27 um 19.56.03.png

    Der Schriftzug Gergievs ist 3mal so groß wie der des Komponisten geschweige des Orchesters.


    Lieber Cäcilius,

    ich halte es ehrlich gesagt für wenig aussagekräftig, wie die Cover von CDs gestaltet sind. Wir alle wissen nicht, wie der Arbeitsprozeß zwischen Gergiev und seiner Plattenfirma im Detail aussieht, und ob nicht Gergiev einfach die Cover seiner CDs fast ohne hinzuschauen abnickt (z. B. weil sie ihn nicht interessieren). Ich achte hier schon eher auf die eigentlichen Aufführungen, und so wie Gergiev da zum Teil rüberkommt (mäßig gut rasiert, übernächtigt), finde ich nicht, daß er wie ein eitler Pultstar wirkt, eher schon wie ein Workaholic, der vielleicht mal ein Päuschen bräuchte.

    :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Zitat

    von Harnoncourt-Fan
    Er [Rattle] sprüht immer vor Begeisterung wenn er Interviews gibt (auch wenn ich diese Begeisterung manchmal in den Interpretationen nicht wiederfinde).

    Dem kann ich voll zustimmen (dem ersten Satz, wie auch dem zweiten in Klammern).

    Zitat

    von Symbol
    so wie Gergiev da zum Teil rüberkommt (mäßig gut rasiert, übernächtigt), finde ich nicht, daß er wie ein eitler Pultstar wirkt, eher schon wie ein Workaholic, der vielleicht mal ein Päuschen bräuchte.

    Das ist auch mein Eindruck. Wobei ich mich frage, ob mit diesem Eindruck nicht ein wenig kokettiert wird.

    maticus :wink:

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!