Petrenko, Vasily (2019) – Kathryn Rudge, Royal Liverpool Philharmonic Orchestra: 5:13 / 1:52 / 5:24 / 3:43 / 5:50 [22:02]
Die bisher von Vasily Petrenko in Liverpool produzierten Aufnahmen von Werken Elgars haben mich durchweg nicht überzeugt. Zu stark habe ich beim Hören dieser Einspielungen das Gefühl, Petrenko finde keinen rechten Zugang zum musikalischen Idiom des Komponisten und erfülle mit den vorgelegten Aufnahmen eine Pflichtübung. Dass er Elgars Musik leidenschaftlich vertritt, hörte ich bislang zumindest nicht. Und auch diese Aufnahme der „Sea Pictures“ scheint mit kaum das Plädoyer eines begeisterten Elgarian zu sein. Immerhin ist sie kein kompletter Reinfall, sondern eher – vielleicht ist das überhaupt der schlimmste Vorwurf, den man machen kann – durchweg Mittelmaß. Da gibt es nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten nicht einen Takt, der begeistert. Gleichzeitig gibt es – und ich spreche an dieser Stelle über Petrenkos Interpretationsansatz – kaum etwas, an dem man sich ernsthaft reiben könnte.
Kurz: Hätte ich diese Aufnahme nicht gehört, ich hätte nichts verpasst. Sicher, hier und da gibt es Kleinigkeiten. Der Orchestersatz wird kaum be- bzw. durchleuchtet. Vieles verbleibt im Mulmigen. Elgars Vortragszeichen werden oft nicht berücksichtigt. Was hängt schon an einem Piano, einem Crescendo, einem Accelerando…. Zudem zeigt Petrenko kaum ein Gefühl für das Rubato, das diese Musik fordert. Und schließlich scheint Petrenko kein guter „Begleiter“ zu sein oder sein zu wollen. Auf die Gestaltungsansätze seiner Solistin geht er zumindest kaum ein. Deutlich wird das beispielsweise in den Liedern 3 und 5. Doch selbst, wenn er es getan hätte, so hätte das vermutlich nicht dazu geführt, dass die Aufnahme hörenswerter geworden wäre.
Ich gebe es am besten gleich zu Beginn zu: Mir gefällt Kathryn Rudges Stimme nicht. Zum einen stört mich ihr starkes, schnelles Vibrato. Zum anderen ist das eine sehr füllige Stimme, ein Mezzo mit einer starken Alt-Färbung, die dann aber die hohen Lagen nur mit Kraft erreicht und im tiefen Register einen sehr flachen Ton und kaum Körper mitbringt. Alles in allem klingt die Stimme für mich – dafür, dass die Sängerin zum Aufnahmezeitpunkt erst frische 33 Lenze zählte – alt. Doch nicht genug. Bisweilen kommen störende rhythmische – sagen wir einmal: Freiheiten hinzu, es wird eigentümlich artikuliert (man möge beispielsweise einmal ein wenig über die phonetisch korrekte Realisierung des Wortes commix’d nachdenken), Vokale werden seltsam gefärbt und so weiter. Nicht selten wirkt es auf mich so, als käme die Solistin anders nicht klar.
Nun bin ich einer, der durchaus geneigt ist, über allerhand technische Definzite hinwegzuhören, wenn es denn auf der interpretatorischen Ebene irgendeinen Funken gibt, der überzuspringen in der Lage ist, ein zauberhaftes Etwas, das es schafft, mich zu berühren.
Leider gibt es hier weder das eine noch das andere. Die Solistin müht sich, kommt aber in ihrem Bemühen, den Zyklus zu durchdringen, nirgendwo hin. Zu sehr fehlt es ihrer Herangehensweise meiner Meinung nach an Tiefgang. Die unterschiedlichen inhaltlichen Ebenen und Schwerpunkte der Gedichte sind für mich hier nicht nachvollziehbar. In der Gesamtschau fällt das erste Lied („Sea Slumber Song“) noch recht positiv auf. Aber schon „In Haven“ mangelt es ihr an Leichtigkeit und der überzeugenden Vermittlung des Gefühls, dass diese Leichgtigkeit einzig darauf beruht, das die Liebe das zentrale Element im menschlichen Leben ist. Das metaphyische Erleben des Erhabenen im wichtigen dritten Lied („Sabbath Morning at Sea“) geht beiden Interpreten durchweg ab. Insbesondere die mit dem 66. Takt einsetzende Emphase verpufft vollkommen. Ja, es wird laut und irgendwie nobilmente. Aber mehr ist da – für mich – nicht zu hören. Man höre sich diese Stelle einmal im Vergleich zu der 1986er Aufnahme mit Dame Felicity Palmer und Richard Hickox an. Schnell wird deutlich, welche Aufnahme im Plattenschrank verbleiben und welche zu Momox gehen kann. Danach wird es nicht besser. „Where corals lie“ kommt ohne jegliches Geheimnis und ohne doppelten Boden daher, der manisch-depressive, suizidale Schlussgesang („The Swimmer“) ist als solchen auch kaum zu erkennen.
Für mich: Insgesamt „pretty forgettable“.
Agravain