Pfitzner: Palestrina. Frankfurt. Inszenierung: Harry Kupfer. Generalprobe und Premiere im Juni 2009
Schostakowitsch und Stalin. So lautet der Titel eines Sachbuchs von Solomon Wolkow, das sich spannender liest als jeder fiktive Politthriller. Das unberechenbare Verhältnis zwischen dem Diktator und dem Komponisten würde auch eine gute Vorlage für ein Opernlibretto abgeben. Regiealtmeister Harry Kupfer hat nun an der Oper Frankfurt Hans Pfitzners Oper Palestrina vor diesem Hintergrund inszeniert. Pfitzners musikalischer Legende, die mit den tatsächlichen Vorgängen um die historischen Person Palestrina nur sehr wenig zu tun hat, handelt davon, dass der Papst während des trienter Konzils geneigt ist, die mehrstimmige Kirchenmusik verbieten zu lassen. Kardinal Borromeo möchte den Komponisten Palestrina, der seit dem Tode seiner Frau keine Note mehr geschrieben hat, dazu zwingen, eine Messe zu komponieren, die Papst Paul IV.
davon überzeugen solle, dass die Figuralmusik durchaus der Liturgie dienlich und förderlich, da sehr wohl textverständlich, sei. Pfitzner lässt Palestrina in seinem Libretto durch Borromeo die schlimmsten Strafen und Demütigungen, inklusive der Verbrennung seiner bisherigen Werke androhen. Ein solches Szenario lässt sich recht gut in eine moderne totalitäre Diktatur übertragen.
Hätte Kupfer das Verhältnis Palestrina / Paul IV. an dem Verhältnis zwischen beispielsweise Richard Strauss und Hitler gespiegelt, sähe er sich wahrscheinlich nun mit dem Vorwurf der Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialis-mus konfrontiert. Setzt man Palestrina und Paul IV. mit Schostakowitsch und Stalin gleich, drohen weniger aufgeregte Reaktionen. Und das Regiekonzept geht auch erstaunlich gut auf. Während des Vorspiels sieht man auf Videoeinspielungen, wie die Portraits von Palestrina und Paul IV. buchstäblich ausradiert werden und durch Schostakowitsch und Stalin ersetzt werden. Die geistlichen Herren, die in Pfitzners Palestrina in so großer Anzahl
die Bühne bevölkern, werden in Uniformen sozialistischen Zuschnitts gesteckt. Und wenn dann der ein oder andere Kardinal über seiner stalinistischen Uniform noch eine Stola, ein Pektorale oder einen Pileolus trägt, so ergibt das nur auf
den ersten Blick eine ideologische Unverträglichkeit. Bisher hat sich noch jede Diktatur mit pseudoreligiösen Mitteln inszeniert: sei es im Vokabular, der Ikonographie des Personenkults oder die liturgieähnlichen Vorgänge bei
Propagandaveranstaltungen.
Im Zentrum der Inszenierung, auf der großen Drehbühne, steht die Tribüne des Konzils. An den Seiten- und Rückwänden der Tribünenkonstruktion dieses flexiblen Einheitsbühnenbildes spielt sich das Leben außerhalb des Konzilsgeschehens ab.
An den seitlichen Bühnenrändern werden über die fast gesamte Länge und Höhe Videosequenzen an die Leinwand geworfen, die dann häufig auch noch über eine herabgelassene Spiegelkonstruktion verdoppelt werden. Diese Videoeinspielungen haben eine kommentierende, teils nur ornamentale Funktion, die keinen Einfluss auf das Handeln der Figuren auf der Bühne hat. Wenn etwa Palestrina von Borromeo mit dem Kerker bedroht wird, sieht man im Hintergrund die Dampfzüge schon in den Gulag fahren. Über weite Zeiträume hinweg sieht man aber lediglich das ikonographische Leitmotiv des sich windenden Stacheldrahts. Sillas Sehnsucht, aus dem bedrückenden Rom Richtung Florenz fortzukommen, übersetzt dann die Videoeinspielung mit den Bildern Moskaus und New Yorks. Solche, häufig grellrot gehaltenen, visuellen Kommentare geben manches Mal ein durchaus beeindruckendes Bild ab, können aber auch zunehmend als unnötig bis aufdringlich empfunden werden. Die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ ist für Palestrina und den stalinistischen Terror kein Thema. Ständig können Schergen den Komponisten heimsuchen. Die in Pfitzners Libretto legendenmässig kitschelnde Szene der Eingebung der Missa Pape Marcelli stellt den dramaturgischen Höhepunkt in Kupfers Inszenierung dar. Der Kompositionsprozess erfolgt unter Folter, der erwählte Komponist, Palestrina der Vollender, wird mit einer Dornenkrone aus
Stacheldraht gekrönt und ans Holz des Deckels eines Konzertflügels geschlagen.
Der im letzten Akt passive und gebrochene Komponist ist an den Folgen dieses Martyriums gestorben.
Ab dem zweiten Akt lässt Kupfer die Handlung auf zwei Ebenen spielen. Auf der ersten Ebene spielen die Sänger ihre Rolle, auf der zweiten Ebene treten sie aus ihrer Rolle heraus und singen unbeteiligt aus ihren Noten, die sie in der Hand halten. Der zweite Aktschluss sollte eigentlich eine mörderische Prügelei zwischen den Bediensteten der verschiedenen nationalen Lager sein. Stattdessen steht der Chor um einen einzigen Einpeitscher herum emotionslos da und singt ungerührt
den Text ab. Ein Bild der Manipulation und Aufpeitschung der Massen.
[Oh, stop, Denkfehler, ich muß mich korrigieren und kurz in den Text eingreifen!
Hier werden keine Massen aufgepeischt sondern es wird gezeigt, dass die Massen nur das skandieren, was sie eben skandieren müssen. Aber überzeugt sind sie davon nicht.]
Wie es aber nun zu verstehen ist, dass auch im dritten Akt viele Sänger aus ihrer Rolle heraustreten und mit den Noten in der Hand singen, erschließt sich leider nicht eindeutig.
Die Rolle des Palestrina mit dem amerikanischen Tenor Kurt Streit besetzen zu können war ein Glücksgriff sondergleichen. Streits warm timbrierte Stimme war in allen Lagen in bester Verfassung und der Partie des Palestrina rundum gewachsen. Haudegen Falk Struckmann verkörperte den heiligen Bösewicht Carlo Borromeo in all seiner Bedrohlichkeit ebenfalls rollendeckend, wenn auch bisweilen mit arg knurrigem Unterton. Auch die in dieser Oper besonders vielen weiteren Rollen waren sängerisch und schauspielerisch allesamt gut besetzt, auch wenn Peter Marsh aus dem ansonsten homogenen Ensemble der alten Meister arg hervorragte. Man achte beispielsweise auf das komödiantische Talent des greisen Patriarchen von Assyrien. Auch der Chor war gut aufgelegt, ich unterstelle hiermit zu seinen Gunsten, dass es beabsichtigt war, dass die Spitzentöne im Engelschor etwas nach Alterstremolo klangen. Kirill Petrenko leitete das Museumsorchester mit uneitlen Gesten und flüssigem Schlag und entfachte einen geschmeidigen Klangzauber im Orchestergraben, der auch stets im richtigen Verhältnis zu den Sängern ausgelotet war und diese nie überdeckte.