VERDI: Don Carlos – Die neuen Leiden des jungen Infanten

  • warum aber gefällt mir die italienische Fassung bisher besser als die französische, die ich mir durch Mitschnitte unter de Billy und Metzmacher (Hamburg) reingezogen habe ?

    Hm, weiß ich nicht, versuch's doch mal zu begründen! ;+)

    Ob die Gesangspartien wirklich einen französischen Gesangsstil erfordern, vermag ich nicht zu beurteilen. Ein Thema für unsere Gesangsexperten. Giselher deutete kürzlich in einem anderen Thread etwas in dieser Richtung an.

    Ich erinnere mich in Bezug auf die Wort-Musik-Semantik nur an ein Beispiel aus dem anfänglichen Gesang des Mönchs (Karls V.) im ersten Kloster-Akt - hier kam das Wort "Dieu" auf der höchsten Note der Melodielinie zu liegen, was natürlich ganz gewaltig bedeutungsschwanger ist und in der italienischen Fassung nicht funktioniert. Wahrscheinlich gibt es noch mehr Beispiele, bei denen französischer Text und Musik besser zusammenpassen als bei der italienischen Fassung, die letztlich eben nur eine Übersetzung (wenn auch in Verdis Muttersprache) ist.

    Beim unreflektierten Zuhören ist es mir eigentlich egal, ob italienisch oder französisch - Hauptsache, die Fassung mit komplettem Fontainebleau-Akt.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Verhunzter Schiller

    Ciao ;)


    also, ich muss sagen ich finde die Lobhudeleien auf die dramatischen/dramaturgischen Qualitäten des Werkes immer erstaunlich, wenn man bedenkt wie eine großartige, schwierige, differenzierte Vorlage - ich meine das Stück von Schiller - hier auf simpelste musikfähige Motive heruntergebrochen wurde. Ich finde den Carlos tatsächlich nur einen 'Aufhänger' für großartig komponierte Soli (v. a. Philipp, Elisabeth, Eboli), ein wirkungsvolles Bässe-Duell und einen perfekten, grandiosen Grand-Opéra-Aktschluss (Autodafé). Ich muss zugeben dass ich die hier besprochenen Inszenierungen nicht kenne, habe das Ding nur 2x live in Berlin und einmal in der grauenvollen Aufzeichnung aus Mailand (2008?) gesehen und beide Male hat es mich in meiner Ablehnung bestätigt. Worum GEHT es denn da? Wo ist die politische Analyse hin (bei Schiller in den Händen von Posa und Elisabeth aufgehoben)? Wo die wirklich untergründigen Zweiter-Blick-Beziehungen der Psychologie (Elisabeth-Posa, Carlos-Posa, Philipp-Posa)? Wo die Ambivalenz des Autors Schiller gegenüber dem "politisch Großen"? Wo der wirkliche Konflikt zwischen diesem und dem "Menschlichen" (außer in Phillips Figur, klar; aber auch die anderen Figuren, v. a. Carlos und Posa und Elisabeth, sind doch zwischen ihrem politischen und ihrem privaten Sein zerrissen)? Ich finde bei Verdi ist es ein Melodram (im nicht-musiktheoretischen Sinn) über "große Freundschaft" (finde dieses Carlos-Posa Duett sowas von kitschig und platt!), Eifersucht (Eboli; auch weniger als bei Schiller da die große Konfrontation mit Posa fehlt), "Edelmut" (Elisabeth; :sleeping: wäre nicht die letzte Arie so schön komponiert, was wäre das für eine blasse Figur!!), lauter Klischees... und das Clowneske, Lächerliche der Titelfigur fehlt natürlich völlig, es ist eine Tenor-Partie geworden wie -zig italienische Liebhaber...


    So, jetzt bin ich fertig mit meinem Erguss. ;+)

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    Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi

  • Lieber Bernd!

    Wie Recht Du hast "Don Carlos" ist nur mit dem kompletten Fontainebleau - Akt richtig, denn da erklingt das Liebesmotiv von Elisabeth von Valois und dem Infanten Don Carlos auf,

    sonst weiß man kaum warum es immer ertönt, und hier ist es wirklich egal ob in Französisch oder Italienisch.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus dem frühlinghaften Wien. :wink: :wink:

  • also, ich muss sagen ich finde die Lobhudeleien auf die dramatischen/dramaturgischen Qualitäten des Werkes immer erstaunlich, wenn man bedenkt wie eine großartige, schwierige, differenzierte Vorlage - ich meine das Stück von Schiller - hier auf simpelste musikfähige Motive heruntergebrochen wurde.

    Ja, manche Opern sind wirklich schlechtes Sprechtheater! :D

    Eine Menge von dem, was Du vermißt, finde ich in Verdis Musik wieder, vor allem die "untergründigen Zweiter-Blick-Beziehungen". Ich gebe allerdings zu, daß viele Aufführungen und Aufnahmen ins klischeehafte der italienischen Oper abdriften und dem Stück (ich meine allerdings Verdis Stück!) nicht oder nur teilweise gerecht werden. Ich überlege gerade, ob meine massive Ablehung der italienischsprachigen Fassung sich nicht vor allem in diesem Umstand begründet (mehr als über die oben von Zwielicht erwähnten falschen Wort-Ton-Beziehungen der italienschen Übersetzung); insofern

    hier ist es wirklich egal ob in Französisch oder Italienisch

    ist es vielleicht doch nicht so egal.

    Die von Fairy Queen im OP erwähnte Konwitschny-Inszenierung, der die Pariser Urfassung zugrundeliegt, kann ich da nur empfehlen: da sind die Opernklischees vermieden; und auch musikalisch wird deutlich, daß die Stärke des Stücks weit mehr in den Ensembles als in den - zugegebenermaßen - höchst effektvollen Solonummern liegt.

    Wie Verdi und seine Librettisten hier eine "großartige, schwierige, differenzierte Vorlage" auf die Erfordernisse und Möglichkeiten des Musktheaters heruntergebrochen haben, finde ich übrigens, wie so oft bei Verdi, höchst bewundernswert!

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Danke

    @ Quasimodo: danke, ja, ich werde wohl irgendwann mal versuchen die Konwitschny-Version zu gucken, vielleicht schließt sie mir ja das Werk neu auf. Bin vielleicht auch deshalb kein guter Beurteiler weil ich halt das Schillerstück so liebe. Bei "Othello" gehts mir z. B. grade umgekehrt, da war mir der Shakespeare immer lästig, v. a. diese dumm rasende Titelfigur, und bei Verdi fühlte ich mich auf einmal 'transzendiert'... müsste ich allerdings auch mal wieder hören nach vielen Jahren..

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  • also, ich muss sagen ich finde die Lobhudeleien auf die dramatischen/dramaturgischen Qualitäten des Werkes immer erstaunlich, wenn man bedenkt wie eine großartige, schwierige, differenzierte Vorlage - ich meine das Stück von Schiller - hier auf simpelste musikfähige Motive heruntergebrochen wurde. Ich finde den Carlos tatsächlich nur einen 'Aufhänger' für großartig komponierte Soli (v. a. Philipp, Elisabeth, Eboli), ein wirkungsvolles Bässe-Duell und einen perfekten, grandiosen Grand-Opéra-Aktschluss (Autodafé). Ich muss zugeben dass ich die hier besprochenen Inszenierungen nicht kenne, habe das Ding nur 2x live in Berlin und einmal in der grauenvollen Aufzeichnung aus Mailand (2008?) gesehen und beide Male hat es mich in meiner Ablehnung bestätigt. Worum GEHT es denn da? Wo ist die politische Analyse hin (bei Schiller in den Händen von Posa und Elisabeth aufgehoben)? Wo die wirklich untergründigen Zweiter-Blick-Beziehungen der Psychologie (Elisabeth-Posa, Carlos-Posa, Philipp-Posa)? Wo die Ambivalenz des Autors Schiller gegenüber dem "politisch Großen"? Wo der wirkliche Konflikt zwischen diesem und dem "Menschlichen" (außer in Phillips Figur, klar; aber auch die anderen Figuren, v. a. Carlos und Posa und Elisabeth, sind doch zwischen ihrem politischen und ihrem privaten Sein zerrissen)? Ich finde bei Verdi ist es ein Melodram (im nicht-musiktheoretischen Sinn) über "große Freundschaft" (finde dieses Carlos-Posa Duett sowas von kitschig und platt!), Eifersucht (Eboli; auch weniger als bei Schiller da die große Konfrontation mit Posa fehlt), "Edelmut" (Elisabeth; :sleeping: wäre nicht die letzte Arie so schön komponiert, was wäre das für eine blasse Figur!!), lauter Klischees... und das Clowneske, Lächerliche der Titelfigur fehlt natürlich völlig, es ist eine Tenor-Partie geworden wie -zig italienische Liebhaber...

    Dadurch, dass ich vor kurzem den Schillerschen Dom Karlos (in einer Aufführung, die seine Qualitäten nicht recht zu Tag gebracht hat) gesehen habe und im Zuge dessen auch wieder einmal gelesen habe, muss ich da jetzt einmal kräftig dagegen halten: Ich bin der Meinung, dass Verdi und Schiller sich nichts schenken: manche Aspekte sind beim einen gelungener, manche beim anderen. Ideal für mich wäre eine Fassung, die die Vorzüge beider kombiniert. ;+)

    Was mich bei Schiller besonders stört, ist seine Darstellung König Philipps. Der wird von ihm mit Hohn und Verachtung vorgeführt, ein halber Irrer, der unter strenger Observanz im Kloster besser aufgehoben wäre als am Königsthron. Schwach und schwankend führt er sein Königreich in den Abgrund, er ist eine Marionette seines Hofstaats und eigentlich nicht regierungsfähig. Mit Schiller geht da sein Monarchenhass so sehr durch, dass es die Integrität des Stückes gefährdet. Dieser Philipp ist kein würdiger Kontrahent in den Konflikten des Stückes, der ist höchstens zu bemitleiden - und Spanien gleich dazu. Schiller schafft es tatsächlich, Philipp noch dementer und unfähiger zu zeichnen als Karl, und dabei ist der schon reichlich unreif und würdelos. Bei Verdi hingegen ist der König viel edler gezeichnet. Der Konflikt zwischen Privatem und Politischen ist immer noch da, keine Frage (und darum geht es doch eigentlich in diesem Stück), aber es ist jetzt ein Charakter, den man respektieren kann, und ein König, der eine echte Alternative zu einem König Carlos ist.

    Und zweitens finde ich die Platzierung und auch den Inhalt der Großinquisitor-Szene bei Verdi besser, mit allem was daranhängt. Bei Schiller führt die zu einer doch recht abrupten und unausgewogenen Schlussdramaturgie. Außerdem ist die unrühmliche Intrige, die Posa bei Schiller spinnen muss, um sich an Karls Statt zur Zielscheibe des königlichen Zorns zu machen, völlig out of character. Posa ist ein geradliniger und ehrlicher Mann, wird gerade von Schiller sehr so gezeichnet, und es erscheint nur natürlich, dass er in den Intrigen des Hofes letztendlich (wie bei Verdi) untergehen muss. Dass er stattdessen zum Chefintriganten avanciert und alle nach seiner Pfeife tanzen lässt (und seine Klügeleien dann nur posthum durch Karls Charakter vereitelt werden), das ist doch völlig unglaubwürdig!

    Auf der Habenseite bei Schiller stehen dagegen die Schilderung der Zustände am spanischen Hof. Das Intrigenspiel, das Alba und Domingo aufziehen, ist absolut beklemmend, und man fragt sich, ob die quasi völlige Streichung dessen in der Oper wirklich notwendig war. Und damit hängt eigentlich auch die beklagenswerte Schwächung Elisabeths zusammen, deren Handlungsstränge zu einem Großteil mit dem Intrigenspiel zusammenhängen. Auf der Habenseite stehen natürlich auch die politischen Diskussionen, die in der Oper zwangsläufig gekürzt werden mussten.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Ich habe mich jetzt durch diesen hochspannenden Thread gelesen - eine Frage hätte ich aber noch: welche fünfaktige Fassung lässt de Billy spielen? Ist das die Pariser Fassung oder die späte fünfaktige Fassung? Wahrscheintlich habe ich das überlesen. Am Samstag habe ich Don Carlo in Mannheim gesehen, eine neue Inszenierung, gegeben wird in Mannheim allerdings die vieraktige Fassung, wenn ich auch nicht genau feststellen konnte, um welche es sich handelt. Dazu an anderer Stelle mehr.

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Ich habe mich jetzt durch diesen hochspannenden Thread gelesen - eine Frage hätte ich aber noch: welche fünfaktige Fassung lässt de Billy spielen? Ist das die Pariser Fassung oder die späte fünfaktige Fassung?

    So weit ich weiß - aber auf einer Fahrt nach Italien hat mich der ORF1 mit gerade diesem Thema begleitet - hat Bertrand de Billy die Urfassung uraufgeführt. Das heißt, er hat die Pariser 1867-Fassung spielen lassen und hat dabei vor der Premiere gestrichene Szenen wieder eingesetzt.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Was mich bei Schiller besonders stört, ist seine Darstellung König Philipps. Der wird von ihm mit Hohn und Verachtung vorgeführt, ein halber Irrer, der unter strenger Observanz im Kloster besser aufgehoben wäre als am Königsthron. Schwach und schwankend führt er sein Königreich in den Abgrund, er ist eine Marionette seines Hofstaats und eigentlich nicht regierungsfähig. Mit Schiller geht da sein Monarchenhass so sehr durch, dass es die Integrität des Stückes gefährdet. Dieser Philipp ist kein würdiger Kontrahent in den Konflikten des Stückes, der ist höchstens zu bemitleiden - und Spanien gleich dazu. Schiller schafft es tatsächlich, Philipp noch dementer und unfähiger zu zeichnen als Karl, und dabei ist der schon reichlich unreif und würdelos. Bei Verdi hingegen ist der König viel edler gezeichnet.

    Der Philipp ist m. E. bei Schiller nicht mit "Hass" gezeichnet, sondern mit ärztlich-unerbittlichem Blick und Mitleid. Ein "Fall", eine "Kreatur", ja, aber ein Mensch. Man denke kurz an die Reflexion darüber im naiven Duktus des "Tonio Kröger" ("Der König hat geweint"). "Würde" ist keine Kategorie die Schiller ungebrochen positiv sieht, Gott sei Dank. Auch die "Unreife" und "Würdelosigkeit" Karlos' selber: sind sie nicht lächerlich und rührend im selben Atemzug? Die geradezu somatischen Ausrufe dieses Infanten von Spanien („Ich brauche Liebe!“), seine ungenierten Verstiegenheiten („Dreiundzwanzig Jahre, und nichts für die Unsterblichkeit getan!“), schließlich seine schier grenzenlose Treuherzigkeit: sind sie nicht das fortwährende Skandalon und heimliche Faszinosum eines Stückes, dessen Figuren drumherum mit Zwängen und Verstrickungen behängt sind wie mit schwerem Atlas oder Samt. Die Titelfigur hingegen: ein Clown.
    Man denke, um sich die Natur dieser "Lächerlichkeit" zu vergegenwärtigen, an die Stelle, wo der Marquis seinem Freund ins Gewissen redet, ihn mit dem Egoismus konfrontiert, der in seiner Liebe zu Elisabeth sich äußert. Was tut Karlos? Er „wirft sich in einen Sessel. Nach einer Pause mit kaum unterdrücktem Weinen: ‚Ich weiß, dass du mich nicht mehr achtest.’“ – Das ist lächerlich. Und indem man es sagt, und indem man lacht, wehrt man das Wahre, das Unverstellte in dieser Bewegung ab. Etwas ist hier nicht relativiert, steht über, ist „peinlich“. Die empfindsame Liebe, an der Roland Barthes die "Obszönität" abgelesen hat, ist es ihm zufolge deshalb, weil sich ihr „keine historische, keine polemische Bedeutung unterlegen lässt“ (Fragmente einer Sprache der Liebe). Genauso verhält es sich bei Schiller. Wenig bis nichts lernt man an seinen Dramen über die Zusammenhänge der Realhistorie – im Wallenstein noch am meisten, in der Jungfrau und dem Don Karlos am allerwenigsten. Von Gegengeschichte gar, einer wahreren als der von Nietzsche als „Monumentalhistorie“ klassifzierten, findet sich in all dem kein Gran. Die Verklärung der Mary Stuart, das Liebeshingerissensein der Johanna, das berühmte Weinen des Königs Philipp sind keine Phänomene, die jenseits der offiziellen Geschichte eine zweite erzählten (eine von der Politik der Leiber etwa, von untergründigen Diskursen oder was auch immer). Der, welcher bloß in Schillers Verquickung von Privatem und Politischem seine ‚Modernität’ finden wollte, stieße auf wenig mehr als eine Yellow-Press-Aktualität scheinpersonalisierter Politik. Anstößig und „modern“ sind die Affekte seiner Helden und Heldinnen vielmehr insofern, als sie eine unmoderne Restgröße sind – das, worüber die Geschichte immer hinweggegangen ist, was in ihr keine Funktion gehabt hat außer der von Katalyse des ohnehin Unabwendbaren. Im Ausstellen dieser Restgröße liegt eine skandalisierende Kraft. "Edel" hingegen finde ich einen Klischeebegriff, das mir nichts sagt.

    Außerdem ist die unrühmliche Intrige, die Posa bei Schiller spinnen muss, um sich an Karls Statt zur Zielscheibe des königlichen Zorns zu machen, völlig out of character. Posa ist ein geradliniger und ehrlicher Mann, wird gerade von Schiller sehr so gezeichnet, und es erscheint nur natürlich, dass er in den Intrigen des Hofes letztendlich (wie bei Verdi) untergehen muss. Dass er stattdessen zum Chefintriganten avanciert und alle nach seiner Pfeife tanzen lässt (und seine Klügeleien dann nur posthum durch Karls Charakter vereitelt werden), das ist doch völlig unglaubwürdig!

    Der Posa ist ein Gesinnungstäter, und zwar ein kluger und wohlmeinender, was ihn sehr gefährlich macht. Er fühlt sich "zur Menschheit berufen" und bringt mit seinem Pathos und Impuls alles in Gang, das Gute wie das Schlimme. Voran geht, wie für Momente spürbar in seinem Warten auf Philipps Audienz, nichts als Schwäche. Seine rhetorischen Künste, seine HYMNEN, sind, wirklichkeitsnah genug, in einen Kontext von Verrat, Ignoranz und widerstandsarmen Illusionen eingelassen; als sie selbst handlungswirksame Kraft erlangen, verfallen sie einer unheilvollen Dialektik von Utopie und Rückfall (dem realen Schicksal aller idealischen Begeisterung). Der Posa ist kein "heldischer", gar "geradliniger", sondern ein problematischer Charkater. Dies hat Schiller natürlich in gewissem Grade (in den "Briefen über Don Karlos") auch selbst reflektiert.

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  • Genauso ist es , wer die Franz. Endfassung mit ausführlichen Erklärungen haben möchte dem sei diese Aufnahme zu Empfehlen!
    Und was dann fehlte ist als Appendix angehängt !
    Beim Textheft sind dann neben dem Text die Erklärungen beschrieben , was wann wo !

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • Zitat

    Der Klang der grossen Arien wie "O don fatale" "Tu sei la vanita" oder "Ella giammai m'amo" ändert sich durch die Sprache. Auch das Freundschaftsduett Carlo/Posa wird im Italeinsichen emphatischer, finde ich.

    Bin aber für Sprachen extrem sensibel und hab da vielleciht einen Tick, den keiner nachvollziehen kann.

    Gerade wenn man für Sprachen empfindlich ist, merkt man, daß Verdis Musik zu den französischen Worten viel besser paßt als zur De Lauzières' schrecklichen "italeinsichen" Übersetzung - ich finde das Wort gut, weil bei ihm die Wörte so gedreht werden, daß es manchmal Mühe macht, die sinnvolle Reihenfolge wiederherzustellen.

    Zum Beispiel:
    Oh don fatal et détesté, présent du ciel en sa colère !
    O don fatal, o don crudel, che in suo furor mi fece il cielo !

    "Che in suo furor " ist zusammengequetscht und vorübergehend, während der Audruck des Zorns jetzt unter dem Wort "cielo" liegt.

    Oder
    Dieu, tu semas dans nos âmes
    Un rayon des mêmes flammes

    Dio, che nell'alma infondere
    Amor volesti e speme

    Abgesehen davon, daß der italienische Text total verschwurbelt ist (man würde sagen: Dio, che volesti infondere nell'alma amor e speme), fällt die Betonung auf das unbedeutende "infondere" statt auf "nos âmes".

    Der italienische Text ist mehr schlecht als recht auf Verdis Musik rübergestülpt worden
    Ein weiteres Beispiel:
    Succombant dans l'effort / Mon coeur n'a qu'un seul voeu / C'est la paix dans la mort 6+6+6
    Cedendo al duol cruel /Il cor ha un sol desir / la pace dell'avel 7+7+6
    nichts zu sagen von der Aussagekraft von "la mort", verglichen mit "dell'avel" und der hinkenden Betonung von pace.

    Die Verfälschung der Übersetzung von "elle ne m'aime pas" in "ella giammai m'amò" ist schon angesprochen worden. Sogar die Italiener qualifizieren die Übersetzung der Chanson du voile als"disastrosa".

    Verdi hat -bis auf eine kurze Szene für Neapel, die später gestrichen wurde - immer auf dem französischen Text komponiert, den ihm trotz aller Zerwürfnisse Du Locle immer wieder geliefert hat - weil er die Rechte fürs Libretto besaß. Erst nachträglich wurde übersetzt, der Hauptteil von Achille de Lauzières, die neuen Teile von Angelo Zanardini.

    Rigoletto, La Traviata, Il Trovatore ...klingen oft lächerlich auf französisch (die Übersetzung von "La donna è mobile" in "Comme la plume au vent" bringt die gleichen Fehler wie De
    Lauzières' Machwerk, nur in ungekehrter Richtung). Aber auch für Don Carlos kommt die Größe von Verdis Musik am besten in der Originalsprache zu Geltung.

    Genauso ist es , wer die franz. Endfassung mit ausführlichen Erklärungen haben möchte dem sei diese Aufnahme zu Empfehlen!

    Und was dann fehlte ist als Appendix angehängt !

    Beim Textheft sind dann neben dem Text die Erklärungen beschrieben , was wann wo !

    Editorisch ist diese Aufnahme sehr gut gemacht - leider kommen die Wiederveröffentlichungen oft ohne Booklet und ohne Appendix.
    Sängerisch ist es anders: Plácido Domingo und Ruggero Raimondi sind seit Giulinis Aufnahme hörbar älter geworden (15 Jahre immerhin). Katia Ricciarelli und Lucia Valentini-Terrani haben unendlich mehr sex appeal in der Stimme als Karita Mattila und Waltraut Meier aber beide kommen in ihrer jeweiligen zweiten Arie hörbar an ihre Grenzen. Dazu ist offenbar viel phonetisch memorisiert worden.

    Die BBC hatte in den 70er Jahren die 1867-Fassung mit französischen bzw. franko-kanadischen Sängern in den Hauptrollen:

    Am Format der Abbado-Sänger (oder der Giulini- oder der Solti-Sänger) ist hier nicht zu denken, aber es wird gepflegt gesungen und der Text läßt sich nachvollziehen.
    Mit großen französischen Sängern (Xavier Depraz, Alain Vanzo ....) sind nur einzelne Szenen aufgenommen worden.
    Für Philipps Monolog ist Pol Plançon unersetzlich:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ich bin durch die Hamburger Jahre ganz stark durch die italienischen Fassung geprägt worden. In der Regie von Ponnelle gab es zwar einmal die 5 Akte, aber nach einem Bühnenunfall musste das notgedrungen auf 4 reduziert werden und dabei blieb es auch. Von daher habe ich die vor allem im Ohr, wenn es um den Carlos geht. Wobei ich auf Platte natürlich immer die 5 Akte der italienischen Fassung gehört habe und auch wenn der Fontainebleau-Akt mir immer ein wenig fremd geblieben ist, ist er natürlich für die Handlung absolut notwendig.

    Die französische Version habe ich erstmals in der Konwitschny-Inszenierung kennengelernt. Allerdings muss ich sagen, dass sie mir durch das uninteressante Dirigat von Metzmacher und die für mich unsägliche Regie (aber das ist ein anderes Thema) ziemlich verleidet wurde. Ich habe damals die Premiere in Hamburg gesehen, aber vielleicht gab es ja Änderungen für Wien (was ich aber bezweifle).

    Von daher bin ich für den BBC-Tipp sehr dankbar. Den könnte ich hören, ohne von irgendwelchen Bildern belästigt zu werden. ^^

    Gibt es sonst wirklich keine andere französische Einspielung, auch nicht aus vergangenen Jahrzehnten? Schon bedauernswert.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Genauso ist es , wer die Franz. Endfassung mit ausführlichen Erklärungen haben möchte dem sei diese Aufnahme zu Empfehlen!
    Und was dann fehlte ist als Appendix angehängt !
    Beim Textheft sind dann neben dem Text die Erklärungen beschrieben , was wann wo !

    Das ist schon ein ehrenwertes Unternehmen. Aber letztlich ist es doch auch eine Art Zwitterwesen. Man bekommt die französische Endfassung, aber leider mit italienisch geschulten Sängern. Wichtig für die Vollständigkeit, aber doch irgendwie unbefriedigend, oder?

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Irgendwie kam ich nie auf die Idee, Schiller mit Verdi zu vergleichen. Ebenso wenig Shakespeare mit ihm. Das sind zwei verschiedene Schuhe. Eine Oper folgt ganz eigenen und anderen Gesetzen. Hier muss gerafft und dramaturgisch gebündelt werden, weil ja einzelne Nummern mit ihrer entsprechenden Länge viel stärker im Vordergrund stehen.

    Was mich bei Verdi immer vor allem interessiert und fasziniert hat, war die Personenkonstellation, weniger das politische Drama. Also letztlich, wie menschlich er seine Protagonisten trotz aller ihrer Verwerfungen zeigt. Dabei ging, verglichen mit Schiller, viel verloren. Aber andererseits war er in der Lage, den menschlichen, leidenden Kern seiner Figuren viel stärker in den Vordergrund zu rücken.

    Beispielhaft ist es für mich der Philipp (aber auch für Eboli oder Elisabetta gilt das). Es gibt von Christoff unter HvK eine Aufnahme seiner großen Arie leider auf gut 4 Minuten zusammengekürzt), die so richtig die Einsamkeit, Verzweiflung, Unsicherheit, Verletzlichkeit des Königs zeigt. Ok, Schiller braucht dafür nur 'Der König hat geweint'. Aber durch die Ausführlichkeit der Oper an dieser Stelle (und hier ist weniger mal nicht mehr) und v.a. durch die Musik trifft es uns doch noch ganz anders. Aber wie gesagt, ich empfinde Verdi wesentlich stärker als ein menschliches Drama als ein politisches.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Eine im eigentlichen Sinn italienische Fassung der Oper gibt es nicht; auch die Mailänder Fassung wurde von Verdi auf das französische Libretto komponiert. Dramaturgisch gesehen ist die vieraktige Fassung darüberhinaus einfach nur ein Torso; ich finde sie inakzeptabel. Sie enthält allerdings einiges an neuer, großartiger Musik, inklusive eines Umgehens des wenig gelungenen Balletts im dritten Akt (OK, das wirft wieder neue dramaturgische Probleme auf...). Aber auch die fünfaktige Modena-Fassung ist problematisch, da auch hier die Anfangsszene des ersten Aktes gestrichen ist, die Elisabeths Verhalten erst eigentlich verständlich macht. Antonio Pappano und Luc Bondy bauen für ihre Produktion (Paris 1996) eine irgendwie auch nicht voll überzeugende Mischfassung zusammen, immerhin ein nicht gänzlich misslungener Versuch.

    Ich stimme Dir zu, dass die Oper im Vergleich zu Schillers Drama weit stärker "ein menschliches Drama als ein politisches" ist; das stellt doch z. B. die Konwitschny-Inszenierung ganz besonders heraus (sie enthält ja auch die o.g. Anfangsszene, bleibt dann allerdings komplett bei der Urfassung). Diese Inszenierung kenne ich allerdings nur von DVD - aber das wird sich mittelfristig ändern: die Hamburgische Staatsoper nimmt just zu meinem Hamburg-Besuch nächstes Jahr die Produktion wieder auf! (Das wird dann Teil 2 der Bekehrung eines forumsbekannten Verdi-Verächters. :D ) Auf der DVD dirigiert Bertrand de Billy, gefällt mir ziemlich gut. Bei den Sängern überzeugt vor allem Iano Tamar als Elisabeth.

    À propos Elisabeth: Meta Seinemeyers Aufnahme der Arie kennst Du? Leider auch in der falschen Sprache. Für eine in der richtigen gebe ich mal eine Empfehlung von Calisto weiter: Françoise Pollet! :verbeugung1: (War - nicht nur bei dieser Arie - für mich eine echte Entdeckung!)

    Derzeit bei den Werbepartnern offenbar nicht zu bekommen, aber z. B. hier: https://www.amazon.fr/LOpera-Francais-Verdi/dp/B00002MXFJ

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Gibt es sonst wirklich keine andere französische Einspielung, auch nicht aus vergangenen Jahrzehnten? Schon bedauernswert

    Pappano, Alagna, Meier, van Dam, Hampson, Mattila

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Die vieraktige Mailänder Fassung...

    ... enthält allerdings einiges an neuer, großartiger Musik

    Ja, z.B. bei der Philipp-Posa-Szene im zweiten (resp. ersten) Akt. Wie schwach die in der Pariser "Urfassung" ist, wurde mir neulich wieder schmerzlich bewusst, als ich die Pariser Aufführung unter Philippe Jordan (mit Yoncheva, Garanca, Kaufmann, Tézier, Abdrazakov) im Fernsehen gesehen habe.

    Ich bin inzwischen so weit, eine Mischfassung zu bevorzugen...

    :wink:

    .

  • Auf der DVD dirigiert Bertrand de Billy, gefällt mir ziemlich gut. Bei den Sängern überzeugt vor allem Iano Tamar als Elisabeth.

    Ich weiß spontan nicht mehr, wer in HH die Premiere gesungen hat. Dirigiert hat halt Metzmacher. Richtig, das Politische nimmt in der Konwitschny-Inszenierung einen großen Raum ein. Das war es gar nicht einmal so sehr was mich (unter anderem) störte, sondern diese Oberlehrerhaltung, der erhobene Zeigefinger, das Belehrenwollen, seine Meinung absolut zu setzen. Und da war er immer sehr groß drin. Aber ich bin da auch ein wenig geschädigt. :S

    À propos Elisabeth: Meta Seinemeyers Aufnahme der Arie kennst Du? Leider auch in der falschen Sprache. Für eine in der richtigen gebe ich mal eine Empfehlung von Calisto weiter: Françoise Pollet! (War - nicht nur bei dieser Arie - für mich eine echte Entdeckung!)

    Seinemeyer ist eine Sternstunde. Pollet habe ich damit noch nicht gehört. Aber sie ist auf YouTube vorhanden und ich werde nachher mal reinhören.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Pappano, Alagna, Meier, van Dam, Hampson, Mattila

    Ja, die kenne ich natürlich. Aber bis auf Alagna und van Dam finde ich die anderen nicht so überzeugen, was den Stil angeht. Mattila vielleicht noch am ehesten.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Für eine in der richtigen gebe ich mal eine Empfehlung von Calisto weiter: Françoise Pollet!

    Bislang habe ich nur eine in Italienisch bei YouTube gefunden. Von daher muss ich noch mal weitersuchen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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