Bach im "Café Zimmermann"

  • Intonatorisch bleiben auch in druckvoller Attacke keinerlei Wünsche offen, dazu gehört die detaillierte und doch in einen übergeordneten Kontext integrierte Artikulation zu den ganz starken Aspekten der Aufnahme: Nichts geschieht da zufällig, nichts scheint vernachlässigt, alle Teile des Stimmengeflechts sind sorgfältig ausgeleuchtet, die pulsierende Basslinie ist perfekt kontrolliert.

    Hallo Andreas,

    wie gesagt, ich habe die CDs nicht vollständig durchgehört, aber mir scheint das von Dir ausgewählte Zitat auch auf die von mir genannten Aufnahmen von Richard Egarr und Reinhold Goebel zu gelten. Bei den Brandenburgischen und Ouvertüren habe ich auch noch Pinnock zu bieten, die ich aber als definitiv nicht mehr 'state-of-the-art' finde. Dein Zitat gibt genau das wieder, was ich als state-of-the-art-HIP empfinde.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Hallo zusammen!

    Ich oute mich hier auch einmal als ein großer Fan der "Zimmermann-Box". Warum? Hatte vorher einige knochentrockene Bacheinspielungen auf Schallplatte, die mir Bach leider als großen Langweiler näherbrachten.

    Seit "Cafe Zimmermann" hat sich diese Einstellung schlagartig geändert. Mir gefallen diese spritzigen Einspielungen einfach, die für mein Empfinden mit großem Esprit vorgetragen werden :thumbup: . Zur musikalischen Qualität kann ich leider nichts sagen.

    Ich würde die Box aber jedem Bacheinsteiger uneingeschränkt weiterempfehlen.

    Liebe Grüße

    Peter

  • Heute nachmittag stieß ich in den WDR-3-Musikpassagen auf Bachs 2. Brandenburgisches, wobei die Interpreten vorab nicht genannt wurden (so daß ich auch keinen Vorurteilen unterliegen konnte).

    Schon nach einem Viertel des ersten Satzes war ich versucht, den Aus-Knopf zu betätigten, da mir die Aufnahme massiv auf den Wecker ging: Motorisches Einerlei ohne erkennbare Spannungsbögen, schwammige, unkonturierte Bläser, konkret: Eine extrem hauchige und permanent etwas durchhängende Blockflöte, eine softe, völlig kernlose Barockoboe und eine Trompete, die passagenweise stark an eine Kirmeströte erinnerte.
    Ansonsten technisch (im Sinne von Präzision) vergleichsweise sehr gut, musikalisch aber abstoßend laff. Besonders übel stieß mir der mit ein paar angedeuteten Seufzern garnierte, aber ansonsten regelrecht herunterbuchstabierte langsame Satz auf - und auch das in einem eher biederen Tempo abgeleierte Schlussallegro vermochte meine grundsätzlich negativen Eindrücke kaum abzumildern.

    Hinterher stellte sich heraus, dass es sich um eine "Café Zimmermann-Aufnahme" gehandelt hatte. Tja.....


    ....völlig jenseits von HIP oder Non-HIP entspricht so etwas ganz und gar nicht meiner Vorstellung von ebenso lebendig wie klangschön gestalteter Musik. Und gerade auch im HIP-Bereich gibt es Alternativen, die auf eine ganz andere Art unmittelbar musikantisch wirken!

    Beste Grüße

    Bernd

  • Des Kaisers neue Kleider?

    Da verfolgen die Kunstsinnigen des Forums mit Faszination und Begeisterung die Aufnahmen des "Café Zimmermann", die Besprechungen überschlagen sich mit Lob, die Rundfunkfeatures analysieren Klang und Interpretation des Ensembles - von einer makellosen Aufführung ist jeweils die Rede, nur einmal (im Rahmen einer vergleichenden Besprechung des 5. Brandenburgischen Konzertes) kommen Zweifel an der Tempowahl auf (allerdings eher allgemein und nicht spezifisch an Hand des Café Zimmermann.

    Und nun kommt unser wackerer Oboist, der mit seinem musikalischen Urteil schon mehrfach überraschte, und zieht uns den Schleier der Täuschung von den Ohren: miserabler Sound, miserable Bläser, miserable Innen-Spannung - ein Häufchen Elend, was da der so klang- und auch sonst empfindliche Fugato da hörte und anpries.

    So entzaubert legte ich mir die CD mit dem 2. Brandenburgischen Konzert wieder auf und versuchte, all das nachzuempfinden, was mir die kecke Kritik vorschrieb. Aber auch beim dritten Durchlauf verwandelte sich die Barocktrompete nicht in eine Kirmeströte, das Emsemblespiel ist klar strukturiert und durchhörbar, die Bläser rhythmisch genau. Ich kann es nachempfinden, wenn jemand die Aufnahme nicht mag, aus der Sicht eines Traditionalisten ist sicher eniges einzuwenden - ich kann dieses Urteil allerdings nicht teilen.

    Und so bleibt es beim Rätselraten: lag es vielleicht an dem Empfangsgerät, dass gerade die Vorzüge der Café Zimmermann-Einspielung nicht hörbar waren? Ich kann nur jedem anraten, der wie ich die Einspielung hat, sie in seiner Anlage abzuspielen und die von Bernd genannten Kriterien an das Gehörte anzulegen.

    Bei mir trägt der Kaiser weiterhin Kleider ... Trotz alledem: vielen Dank für den Anstoß, die CD wieder einzulegen. Mir ist eine widerborstige Kritik, gerade wenn ich sie nicht teile, lieber als zehn, die sich nur gleichermaßen nach Mekka verneigen

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Mir ist eine widerborstige Kritik, gerade wenn ich sie nicht teile, lieber als zehn, die sich nur gleichermaßen nach Mekka verneigen


    Da stimme ich gerne zu. Die kritischen Anmerkungen sind mir fast eher Anreiz, mal nachzusehen, ob es irgendwo eine günstige Einzel-CD gäbe, als die Lobpreisungen andernorts.

    Gruß
    MB

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ganz bewusst habe ich mich bei der Formulierung meines Missbehagens nicht gebremst - eine gewisse Provokation war zumindestens im Hintergrund schon intendiert.... :hide:

    Zitat

    ...das Emsemblespiel ist klar strukturiert und durchhörbar...

    Das kann ich aus der Erinnerung nachvollziehen, aber Klarheit und Durchhörbarkeit alleine reichen mir als Kriterien lange nicht aus, wenn es um (scheinbar? :D ) hochrangige Produktionen geht.

    Zitat

    ...die Bläser rhythmisch genau...

    Stimmt! Für meine Begriffe aber deutlich zu genau, halt nicht mehr "Musikschule 3. Jahr", sondern "7. Jahr" :D. Auf mich wirkte das alles kalt und irgendwie klinisch. Auch Barockmusik lebt am Ende von einem freien Umgang mit dem in der Notation fixierten Rhythmus, sprich von einer gewissen "Unschärfe".

    Besonders hervorheben möchte ich noch einmal die auf meine Ohren erschreckend wirkende "Tote Hose" im langsamen Satz, welcher zugegebenermaßen eine große Herausforderung darstellt und schnell ins Statuettenhafte abgleiten kann. Jeder der Solisten muss sich hier besonders um Belebung seines vom Komponisten merkwürdig schlicht gehaltenen Textes bemühen - aber bei den Zimmermännnern habe ich kaum mehr als ein exaktes Abbuchstabieren gehört.

    Beste Grüße

    Bernd

  • ....völlig jenseits von HIP oder Non-HIP entspricht so etwas ganz und gar nicht meiner Vorstellung von ebenso lebendig wie klangschön gestalteter Musik. Und gerade auch im HIP-Bereich gibt es Alternativen, die auf eine ganz andere Art unmittelbar musikantisch wirken!

    Auf diese Anmerkung hin habe ich gestern drei Aufnahmen des 2. Brandenburgischen Konzerts angehört und verglichen: neben der des "Café Zimmermann" eine weitere HIP-Aufnahme mit dem Concerto Italiano, Ltg.: Rinaldo Alessandrini (Naïve, 2005) und eine traditionelle Aufnahme mit dem English Chamber Orchestra, Ltg.: Raymond Leppard (Philips, 1974).

    Erwartungsgemäß geht Leppard die Ecksätze etwas gemächlicher an, die Streicher mit ordentlich Vibrato, die Bläser klingen teilweise etwas dünn. Dennoch: eine solide Aufnahme. Interessanter der Vergleich Café Zimmermann - Concerto Italiano. Bei diesen fällt mir eine natürliche Räumlichkeit auf, es klingt dynamisch, wobei der Rhythmus etwas flexibler gestaltet wird. Dagegen mögen die "Zimmermänner" steriler klingen ("klinisch" fände ich aber ungerecht), und ich denke, daß die Aufnahmetechniker recht aktiv waren. Nicht ohne Erfolg, denn die drei Bläser, Trompete, Blockflöte und Oboe (eine heikle Mischung!) sind klar und plastisch herausgearbeitet, das ist sehr transparent. Im Unterschied zu den beiden Alternativen überzeugen mich die drei am meisten: zwar ein heller Barockton, der romantischen Erwartungen an einen dunklen, fülligeren Klang nicht gerecht wird, aber musikalisch und gestalterisch bewegt sich das auf hohem Niveau.

    Ich habe viel Sinn für einen derartig klar strukturierten Bach, zumal das hier nie auf Kosten des Elans und der Dynamik geht (ich mag ja auch Glenn Gould ;+) ). Deshalb: rundum überzeugend und beeindruckend, was "Café Zimmermann" hier vorführt. "Exakt" ja, aber ein "Abbuchstabieren" ist das in meinen Ohren überhaupt nicht.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Hallo,

    ich besitze von den Cafe Zimmermann Scheiben diese hier

    Und ich muß gestehen sie gefällt mir überhaupt nicht. Für mich klingt die Musik, wie in ein Korsett gepreßt, all das was gute Barockmusik für mich ausmacht,
    nämlich das tänzerische, die ausstrahlende Fröhlichkeit, das direkt die Emotionen ansprechende fehlt hier. Für mich ist das völlig starres unflexibles
    Musizieren. Mir ist es übrigens egal ob Hip oder nicht Hip musiziert wird, Hauptsache es wird gut musiziert. Und das finde ich hier gar nicht.

    Gruß, HollaD

  • Ich hoppele und hüpfe heute von Link zu Link, und war schon abgemeldet, da lande ich unvermittelt noch im Café Zimmermann!

    Zu Details der Interpretation vermag ich nun nichts zu sagen, aber wer Interesse hat, der kann hier reinhören:

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    Wem's gefällt, der kann's auch kaufen:


    :wink:

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Hier noch was, wasch oisch giabt...

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    :wink:

    amamusica :pfeif:

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Nach sieben Jahren eine kleine Replik in diesem interessanten Faden..

    Ins Detail möchte ich nicht gehen, da der Komplett-Durchgang, den ich in den letzten Tagen durchgeführt habe, nicht immer bei voller Konzentration vor sich ging. Ich besitze die Sammlung schon einige Jahre und habe auch öfters hineingehört - auf jeden Fall jedes Werk mindestens einmal, aber unsystematisch.

    Mein Urteil tendiert zu beiden Parteiungen, die sich herauskristallisiert haben. Am meisten haben mir die vier Ouverturen zugesagt. Eher durchwachsen ist mein Eindruck bei den anderen Kompositionen. Auch wenn mir vieles bezüglich Schwung, Tempo und Prägnanz genau richtig zu liegen scheint, wird der Bogen eben doch gelegentlich überspannt. Da kann ich Bernd - arundo donax -, Peter Brixius oder zuletzt HollaD ganz gut folgen. Die Musik wird dann in rasendem Tempo und leider tendenziell ohne sinnvolle Agogik beinahe maschinenhaft abgespult.

    Alles in allem, hat sich die Anschaffung gelohnt, allein schon wegen des Booklets. Ich bin dennoch für diverse Alternativen, die ich finde, mindestens genauso dankbar. Es ist schön, einige Cembalokonzerte (nur) in verschiedenen - nicht selten rekonstruierten - anderen Fassungen zu finden; meines Erachtens ersetzt es dennoch nicht eine Gesamteinspielung mit einem bis vier Tasteninstrumenten der Zeit. Ich bin übrigens zumeist nicht der Meinung, dass die Cembali klanglich zu sehr in den Hintergrund gedrängt werden.

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

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