STREAMING-DIENST: Spotify - Schlaraffenland der Musik? Oder vorprogrammierte Langeweile?
Liebe Musikfreunde,
seit ein paar Tagen kann man in der Schweitz und Österreich (aber noch nicht in Deutschland) den Musik-Streaming-Dienst Spotify nutzen. (Siehe entsprechenden Wikipedia-Artikel)
Ein Kollege hat mir das gestern auf seinem i-Phone demonstriert. Er ist Premiummitglied, dass heisst er hat für umgerechnet 10 Euro pro Monat unlimitierten Zugriff auf millionen von Musiktiteln in erhöhter Klangqualität (320 kbps). Ich war zunächst skeptisch. Sicherlich nur Mainstream, und Klassik ist bestimmt stiefmütterlich behandelt. Aber dem ist nicht so. Auch kleinere Labels sind mit ihrem gesamten Sortiment vertreten. Ich machte zwei Stichproben. Ich gab den Klarinettisten Eduard Brunner ein, der viel beim Schweizer Label Tudor veröffentlicht hat. Und sieh da die erhaltene Liste von Alben schien mir sehr vollständig. Jeder Titel sofort abspielbar, das CD-Cover auf dem i-phone sichtbar. Die zweite Stichprobe war Ronald Brautigam. Das Ergebnis erschien mir wieder sehr vollständig, das Label BIS scheint also auch mit seinem ganzen? Sortiment vertreten zu sein.
Das hat mir nun als fleissigen CD-Käufer und Sammler ziemlich zu Denken gegeben. Für eine vergleichsweise lächerliche Geldsumme steht einem hier quasi die ganze Welt der aufgenommen Musik auf Knopfdruck zur Verfügung. Und das in sehr akzeptabler Qualität (Um 320kbps mp3's von CD-Qualität unterscheiden zu können, muss man schon sehr gute Ohren haben.)
Mich persönlich versetzt dies neue Möglichkeit nicht wirklich in Begeisterung. Ich kann mir das nicht vorstellen. Es tönt nach Schlaraffenland, und das stelle ich mir irgendwie auch eher langweilig vor. In der heutigen NZZ beschreibt der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk in der Rubrik "When the music's over", wie er zusammen mit Jugendfreunden damals Geld zusammengekratzt hat, um gemeinsam Hendrix' "Hey Joe"-Album zu kaufen und dieses dann ebenso gemeinsam in endlosen Zusammenkünften auf dem Platteteller kreisen zu lassen bis die Nadel kaum noch die Spur halten konnte. Das ist sicherlich das andere Extrem der Verfügbarkeit. Aber ich frage mich, ob das nicht letztlich ein sehr viel intensiverer, Fantasie beflügelnderer Genuss war als die nun anbrechende Schlaraffenland-Verfügbarkeit aller Musik zu jeder Zeit.
Im Zeitalter der Flatrate, kann (und braucht?) man auch seine Sammelleidenschaft nicht mehr befriedigen. Kein heimlich stolzer Blick mehr auf die CD-Regale, auf das persönliche Reich der Musik. Anderen Musikfreunden zum Geburtstag eine CD zu schenken erübrigt sich zukünftig auch.
Aber wie organisiert man nun seinen Musikgenuss? Im Flatrate-Zeitalter wird die intensive Auseinandersetzung mit einem Stück und einer Interpretation stark nachlassen.
Also mich stimmt diese Entwicklung sehr ambivalent. Die freie Verfügbarkeit aller Musik gerät leicht zur Überdosis. Vielleicht gehe ich dann wieder mehr in Konzerte? Das wäre positiv. Vielleich freundet man sich mit der Flatrate aber auch schneller an als ich es mir gerade vorstellen kann. Die Booklets kann man ja vielleicht auch frei im Netz finden, Libretti sowieso. Und über die Komponisten und Interpreten informiert man sich gar nicht schlecht in der Wikipedia, oder man ist altmodisch und kauft sich eine Biographie, falls es die noch nicht frei zum Download gibt.
Wie sieht's aus? Freut Ihr Euch unbekümmerter als ich auf das bereits angebrochene Flatrate-Zeitalter?
Interessant wäre auch zu wissen, was die Künstler davon halten.
Für die noch verbliebenen CD-Läden ist es sicherlich der Todesstoss. Werden selbst Amazon, JPC, und Co bald ins Straucheln kommen?
Man kann bei Spotify übrigens auch gratis hören. Aber "nur" mit 160 kbps und man muss Werbung über sich ergehen lassen.
Gruss Hudebux