Nielsen: Die sechs Sinfonien - "Kopf und Herz: Er besaß beides im höchsten Ausmaße"

  • Geht die Sinfonie Nr.4 interpretatorisch in etwa so eine wahnsinnige fetzige Richtung, wie die referenzwürdige Aufnahme mit Martinon / Chicago SO (RCA) ??? Oder kann ich mir diese GA nach meinem überzeugenden mit letzten Nielsen-Neuzugang mit Paavo Järvi (siehe 4 Beiträge vorher) sparen ?

    Ich habe sie mir angehört gerade, aber halte sie im Vergleich zu Bernstein, Karajan oder P.Järvi für zu milde. Klanglich ist das sehr gut eingefangen, da gibts nichts zu kritisieren, aber ich hätte mir da weniger "nordische Kühle" oder gar "Neutralität" gewünscht. Vermutlich wäre das nicht in Deinem Sinne gewesen. Damit würdest Du nicht glücklich werden.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Nielsen - Sinfonien mit Alan Gilbert

    Schon wieder eine neue Nielsen - Sinfonien - GA.
    Diesesmal auf SACD zusammen mit den 3 Konzerten (Violine, Flöte, Klarinette).
    Ich hatte die CD-Box für knapp über 10Euro incl. Porto wegen eienes Preisfehlers nach nochmaliger Bestellung des Lieferanten aus den USA für knapp über 10€ incl Porto abstauben können.

    Die Klangqualität ist es denn auch, die zuerst auffällt und für detailgenaue Wiedergaben sorgt. Wer diese Aufnahmen erstmals ohne Vergleich hört, kann nur zufrieden sein !
    An Gilberts Detailarbeit und dem Tempogefühl für die Nielsen-Sinfonien gibt es wenig auszusetzen ... =O aber wo bleibt die Emotion und der Spannungsaufbau ?


    Der Sinfonie Nr.6 bekommt Gilberts modern wirkender Ansatz gut die Expressivität des Werkes herauszustellen.

    Was die Sinfonie Nr.5 angeht, so habe ich da neben vielen anderen Nielsen - GA Bernstein /NewYorker PH (SONY) im Ohr ... und die hat um Längen mehr Gefühl, Emotion und Ausdrucksstärke intus.
    - so auch Roshdestwensky / Stockholm PO (Chandos)
    - von meinen aktuellen Aufnahmen ist es Paavo Järvi / Frankfurter RSO (RCA, 2015), die ungleich mehr fasziniert und richtig Biss hat. Das sind zwar trotz der aktuellen Aufnahmen keine SACD, aber klanglich tatsächlich gleichwertig.

    Ähnliches lässt sich bei der Sinfonie Nr.4 feststellen. Gilbert´s genaue Detailarbeit und die zahlreichen Paukenstellen sind gut disponiert. Aber er bleibt total gelassen auf dem Teppich. Wo sind die Emotionen die die Vierte auslösen kann ?
    :alte1: Man höre hier die Hammeraufnahme mit Jean Martinon / Chicago SO (RCA), was dort eine Gänsehautatmosphäre erzeugt wird ... davon ist Gilbert bei aller klangtechnischen Finesse weit entfernt.
    Ebenfalls Karajan (DG), der die Sinfonie richtig fein dramatisch aufläd; von Barbirolli (EMI) berstender Int erst gar nicht zu reden. Richtig Klasse auch hier Paavo Jävi !


    Nebenbei fand ich das VC in der Gilbert-Aufnahme sehr ansprechend, was auch auf den ausgezeichneten Solisten Nicolai Znaider und seiner fantastisch klingenden Geige zurückzuführen ist.
    Meine Naxos-Aufnahme des VC mit Kees Bakels hat mir vom VC bisher gereicht, da ich das VC ohnehin nie so sehr geschätzt habe ... werde ich noch vergleichen ...


    DACapo, 2015, SACD, DDD



    :!: Wer diese GA ohne Vergleich hört, kann absolut glücklich damit werden. Die ausgezeichnete Klangqualität sorgt für alles Übrige.
    Wer aber Spanung und Emotionen sucht, wird schon etwas enttäuscht werden. Ungleich mehr Hörspass hat mir meine letzte GA mit Paavo Jävi beschert !

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Alan Gilbert

    Mittlerweile habe ich einen Teil der Einspielungen gehört. Sie sind dynamisch hervorragend ausgeleuchtet und es gibt packende Details. Es lässt sich gewiss auch nichts gegen die Klangqualität sagen.

    Aber im Kontext meiner mittlerweile mehr als ein Dutzend Gesamt- oder Teileinspielungen nehmen sie eher doch einen mittleren Platz ein. Die Gründe wurden genannt.

    Zitat von teleton

    Man höre hier die Hammeraufnahme mit Jean Martinon / Chicago SO (RCA) [...]

    In der Tat! Diese Einspielung der Vierten ist herausragend! Ich ziehe sie allen anderen Aufnahmen der vierten Sinfonie vor.

    Das Klarinettenkonzert spricht mich aber sehr an, die anderen beiden Konzerte habe ich noch nicht gehört. Und für zehn Euro gibt es ohnehin nichts zu nörgeln. Bezüglich weiterer Nielsen-Sinfonien werde ich mich jetzt aber wirklich beherrschen ... :P

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich möchte bei der Vierten aber noch unbedingt Leonard Bernsteins Einspielung weitergeben. Ich finde diese ebenfalls ganz großes Kino.

    Ebenfalls empfehle ich die GE des jungen Salonen. Sollte die mal günstig zu kriegen sein, nur zu. Dazu auch das Violinkonzert zusätzlich. Ich kaufe mir jede erschwingliche Nielsen-GE, weil ich einfach die Musik so hammerhart finde.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Diese eine Bernstein-Scheibe mit Nielsen besitze ich auch und finde sie sehr gut. Trotzdem: Martinon gefällt mir noch besser.

    Und meine Bronzemedaille für die Nummer vier ginge dann wohl an Järvi in Göteborg:

    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Gold für Gilbert, um eine weitere Meinung einzubringen. Immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Sachen so ankommen.

    Ich habe nun gestern ein wenig quer gehört, vorwiegend die Nr. 4. Am krassesten fand ich den Unterschied zwischen der alten und neuen New Yorker Aufnahme. Ich fand die Gilbert-Aufnahme ehrlich gesagt in allen Belangen um Klassen besser. Tempowahl, Tempokontinuität (bspw. wird in der Bernstein-Aufnahme bei der ersten Fugato-Passage im Finalsatz das Tempo herausgenommen, meinem Eindruck nach allerdings nicht aus interpretatorischem Kalkül, sondern schlicht, weil sonst das ganze auseinander gefallen wäre), Präzision in den Instrumentengruppen, Präzision im Zusammenspiel. Aufnahmetechnisch fand ich Bernstein zeitbezogen okay, aber in den Passagen mit den Paukensoli entsteht bei Gilbert so etwas wie der Eindruck einer Melodie, bei Bernstein klingt es für mich nach Tumult.

    Apropos Aufnahmeklang. Allein die Streicher-Solopassagen im ersten und im dritten Satz haben doch bei Gilbert eine unglaubliche Präsenz und Klangschönheit. Einfach fabelhaft. Aber okay, Vergleiche mit 50, 60 Jahre älteren Aufnahmen sind ungerecht, und Vater/Sohn Järvi, Salonen, Schønwandt und andere Kandidaten dieser Kategorie habe ich gestern nicht gehört. Sie sind für später vorgemerkt.

    Martinon geht für mich in eine ähnliche Richtung wie Blomstedt mit dem SFSO. Beeindruckende Präzision, Brillanz und hohes Tempo, Martinon sogar noch schneller als Blomstedt. Fand ich unter rein technischen Aspekten bei ebenfalls ausgezeichneter Klangtechnik ausgesprochen stark. Ob mich das nun "emotional" mehr packt, ist sicher tagesformabhängig. Gestern ging es mir nicht so. Gilbert und seine New Yorker klangen für mich irgendwie beseelter, wobei die Nr. 4 ja über weite Strecken leicht zum Showpiece geraten kann und der Drive und die Klangmacht der Ecksätze dann alle Zwischentöne niederwalzen.

    Mit von der Partie war gestern noch Roschdestwenski mit den Stockholmern. Die haben mich diesmal - das macht mich bei meiner früheren auch in diesem Faden dokumentierte Eingenommenheit für diese Aufnaghmen natürlich schon stutzig - überhaupt nicht angefixt.

    Für die Fünfte habe ich gestern nur die Allegro-Passage zu Beginn des zweiten Satzes in ein paar Aufnahmen verglichen. Gerade das,was teleton bei Gilbert vermisst, nämlich einen überzeugenden Spannungsaufbau, fand ich in der neuen New Yorker Aufnahme sehr gut umgesetzt. Im zweiten Satz der Fünften werden ja wiederholt Idyllen zerstört, und das Verstörende und Beklemmende kommt bei mir in der Gilbert-Aufnahme ausgesprochen intensiv an. Überhaupt finde ich seinen Ansatz überaus lebendig und - da bin ich mir mit teleton sogar einig - im Detail sehr fein ausgehört.

    Nun ja, soweit meine Momentaufnahmen. Was ich für mich überhaupt noch nicht beantworten kann, ist die Frage, die hier im Thread schon vorkam: wie idiomatisch ist eine Darstellung? Hiezu muss ich mir mal die dänischen Aufnahmen aus den Fünfzigern anhören. Die harren noch der Entdeckung.

  • Zitat von Braccio

    [...] wobei die Nr. 4 ja über weite Strecken leicht zum Showpiece geraten kann und der Drive und die Klangmacht der Ecksätze dann alle Zwischentöne niederwalzen.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass man darauf bisweilen hereinzufallen droht und dass ich gewiss nicht frei davon bin. Hinzu kommt, dass die Aufnahmetechnik dem Vorschub leisten kann.

    Mein banales Fazit (wieder einmal): Es gibt sehr viele Interpretationsvarianten und sehr viele Kriterien. Offenheit heißt für mich auch Offenheit für viele Varianten. Hin und wieder heißt es aber auch Verzicht auf Doppelungen oder Mehrfachangebote, um möglichst viele verschiedene Musik unterschiedlichster Genres kennenzulernen. Ich habe mich dann an die eine Version gewöhnt und das reicht mir.

    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Das Dänische Nationalorchester hat jetzt alle Nielsen Symphonien mit seinem Chefdirigenten Fabio Luisi eingespielt.

    ( Diese Woche kann man auf BBC 3, jeweils um 15 Uhr, Luisi und sein Dänisches Orchester mit Werken Nielsens hören (u.a. die Sinfonien 1, 3, 4 und 6, so wie das Violinkonzert mit der mitreissend spielenden Bomsori Kim. Die Aufnahmen kann man noch eine zeitlang auf BBC 3 nachhören.)

    BBC Radio 3 - Schedules, Wednesday 25 October 2023

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