VERDI: Otello – Drama und Psychologie

  • Gibt es Meinungen zu dieser Aufnahme?

    Ich bin befangen, mag Kaufmanns Stimmtechnik einfach nicht bzw. höre ihm grundsätzlich nicht gern zu (klar, es gibt Ausnahmen, aber wenige). Vor einigen Tagen hat mich diese Aufnahme denn auch kalt gelassen. Das lag aber nicht nur an Kaufmann, sondern es gab mir insgesamt zu wenig Drama.

    Nur eine vorläufige.
    Ich habe mir heute morgen nur den 1. Akt 2 mal angehört und dann zusätzlich noch einzelne Passagen mit anderen Aufnahmen verglichen . Mit 2x Domingo, 1x Solti-Pavarotti. Nur um einfach modernere Top Tenöre zum Vergleich zu nehmen.

    Ich habe Kaufmann 2 mal live in Covent Garden gehört, aber nicht als Otello, sondern in Manon und als Fidelio. Beide Male hat er mir sehr gut gefallen. Als Parsifal in der MET fand ich ihn auch sehr gut (video).

    Hier, im ersten Akt, find ich ihn nicht schlecht, aber nicht überzeugend genug, an manchen Stellen stimmlich unbefriedigend.
    Die Sopranistin gefällt mir gar nicht.
    Mir gefällt auch der Chor zu wenig - teils schlampig oder an der Grenze dazu - ist aber auch haarig (fuoco di gioia usw).
    Der Iago gefällt mir soweit. Cassio nicht so.

    Dramatisch genug finde ich es schon, aber andere Aufnahmen sind es auch, also gibt es für mich keinen Grund deswegen diese Aufnahme zu wählen.

    Aber nun das eigentich Wichtige - für mich auf jeden Fall: Der 1.Akt kulminiert im Liebesduett und das muss einfach für mich die Krönung sein. Wenn es hier stimmt, kann ich auch beim Chor, in der Präzision im Orchester, im bösen Witz der Streitpassage, und insgesamt der stürmischen Dramatik einen Abstrich machen. In keiner der Aufnahmen war aber das Duett auch nur annähernd mein Geschmack, schon gar nicht bei Kaufmann und Lombardi.

    Dann stellte ich Muti an, mit Krassimira Stoyanova und Antonenko, weil Zwielicht davon schwärmte.

    Herrlich ! Gänsehaut und kalte Schauer das gesamte Duett :love: . Stoyanova habe ich als Ariadne live erlebt. Ein absoluter Top Superstar. :verbeugung1:

    das Liebesduett im ersten Akt ist orchestral, dirigentisch, aber auch sängerisch eine Offenbarung - sowas Schönes gibt's nicht nochmal.

    Desdemona muss ja überzeugend sein, als zentraler psychologischer Katalysator (allerdings selbst passiv und unverschuldet) für Otellos Aufstieg und Fall. Seine Psyche (und damit sein Schicksal) arbeitet sich sozusagen an ihr ab, ohne dass sie etwas dafür kann. Sie ist immer unverändert dieselbe, standfest und unerschütterlich. Er aber ist eine Wetterfahne, hoffnungslos den Gezeiten und Naturkräften (inklusive der bösen im Menschen) ausgeliefert, die er dann in sie hineinprojeziert, was aber genau seine Schwäche ist, die er nicht zu bezwingen weiss. Und Desdemonas Liebe schafft es auch nicht.
    Stoyanova hat dieses Unerschütterliche, edel aber gleichzeitig sanft, in ihrer Stimme. Antonenko schwingt von einer Stimmung in eine andere und zurück, auch sehr schön.

    Für mich wäre demnach der Favorit dann wohl diese Aufnahme hier unten, obwohl ich mir die restlichen Akte erst noch anhören muss und erst dann etwas dazu sagen sollte:

  • ah - diese Oper ist fürchterlich - viel schlimmer als Wagners Tristan, weil am Ende nichts übrigbleibt. Keine Hoffnung, keine Vertröstung.
    Ich weiss jetzt wieder, warum ich sie mir nie anhöre und auch in keine Vorstellung gehe.
    EDIT: kenne Otello aber gut, denn habe in Covent Garden unter Solti einstudiert (Domingo/ Te Kanawa/ Leiferkus) .

    Wenn sich jemand einmal etwas wirklich Fürchterliches anhören will, dann meine ich ist Mutis Otello genau passend. Wundervoll in jeder Hinsicht.

    Gänsehaut ab dem Duett am Ende des 1. Akts - bis ans Ende.

    Die Duette Antonenko & Stoyanova sind erschütternd. Der letzte Akt und das Ende bringt ganz nahe an einen Abgrund, in den ich nicht gerne hineinsehe.

    Ich höre mir ihn jetzt nochmal an und packe ihn dann ganz weit weg. Work of the devil.

  • Danke für deine interessante Antworten! Deine Beschreibung der Defizite der Pappano-Aufnahme mit Kaufmann trifft es sehr viel besser, als mein kurzes "kein Drama". In der Oper geht es ja doch zumeist darum, ob die Musiker, insbesondere die Sänger der Hauptrollen einen packen, ob der Funke überspringt. Geschieht dies, verzeihe ich ebenfalls gern diverse sonstige Mängel; ansonsten könnte ich, nebenbei bemerkt, kein Vergnügen mit alten Aufnahmen haben.

    Eindrucksvoll finde ich, was du zur Wirkung des Werks schreibst. Bei mir hat sich das abgenutzt. Otello war eine der ersten Opern, in die ich vernarrt war und ich habe sie jahrelang als meine Lieblingsoper bezeichnet und dementsprechend oft gehört. Einge Jahre habe ich mich daher auf Live-Aufführungen beschränkt. War eine gute Idee, wenn ich mich auch nicht selten nach der Rückkehr durch meine Lieblingsaufnahmen gehört habe, weil eben doch alltags kein Vinay singt. Es ist aber vor allem die Personendramaturgie Shakespeares, die mich heute weniger überzeugt als früher. Desdemona? Langweiliger geht es nicht, oder? Eine Frau ohne Charakter. Kaum mehr als ein Hascherl. Will nicht sagen, dass sie einem nicht leid tun kann. Die Figur bleibt aber doch eindimensional, wie Iago eindimensional böse ist und Cassio .. Bleibt Otello. Tja. Unendlich dankbar bin ich, wenn es einem Singdarsteller gelingt, Otellos Verhalten differenziert und nachvollziehbar darzustellen. Gelingt die Identifikation des Zuhörers/Zuschauers mit Otello nicht, und denkt man nur: Wie blöd ist der eigentlich, funktioniert das Drama kaum noch. Leider ist Letzteres inzwischen nicht selten bei mir der Fall.

    Die Muti-Aufnahme muss ich mir unbedingt anhören!

  • Danke für Deine Erfahrungen. Ich glaube zu viel Hören ist oft ein Problem, und dann ist eine lange Pause die einzige Medizin.

    Es ist aber vor allem die Personendramaturgie Shakespeares, die mich heute weniger überzeugt als früher. Desdemona? Langweiliger geht es nicht, oder? Eine Frau ohne Charakter. Kaum mehr als ein Hascherl. Will nicht sagen, dass sie einem nicht leid tun kann. Die Figur bleibt aber doch eindimensional, wie Iago eindimensional böse ist und Cassio .. Bleibt Otello. Tja. Unendlich dankbar bin ich, wenn es einem Singdarsteller gelingt, Otellos Verhalten differenziert und nachvollziehbar darzustellen.

    Stimmt schon, meine ich, eben weil das Drama einzig und allein eben bei Otello liegt.

    Ich bin kein Drama Fachmann, aber es scheint mir, dass es bei Shakespeare Tragödien nur wirklich um jeweils eine Person geht. Die anderen Figuren sind statische Elemente, im Grunde schablonenhaft mit bestimmen Eigenschaften behaftet, an denen sich die Hauptfigur reibt und ihr Schicksal manifestiert.

    Es geht glaube ich beim Drama immer um Hybris des Helden und darum, dass er meint er könne sein vorherbestimmtes Schicksal ändern. Dafür wird er von den Göttern bestraft.

    Ich meine, dass das Drama "Otello", bzw "Othello", dadurch heutzutage schon sehr problematisch ist, denn man kommt nicht um die fremde Herkunft des Helden im Bezug auf sein Schicksal herum.
    Man muss dazu Stellung nehmen, denn ein Teil des Dramas ist darin verankert, dass Otello sich selbst als fremd empfindet und zum Teil dort seine psychische Achillessehne sitzt, die ihn dann verleitet, dem Falschen zun trauen, demjenigen, mit dem er aber bezeichnenderweise am meisten harmoniert.
    Dass aber sein Schicksal in dieser Weise vorherbestimmt ist und er für den Versuch es zu ändern bestraft wird, finde ich sehr problematisch.

    Inwieweit ein Sänger das nun speziell hinbekommen kann, weiss ich nicht, aber ein Regisseur muss es wohl irgendwie ansprechen.

    In dieser Hinsicht ist die Figur der Desdemona sehr interessant, aber eben nicht sie selber, sie ist nur eine Statistin. Aber sie ermöglicht die Manifestation von Otellos selbstempfundenen Problemen mit seiner Herkunft und seinem Status und als hilfloses Opfer. Sie ermöglicht ihm zB sich in der Gesellschaft ein sehr hohes Ansehen zu schaffen, was ihm dann geraubt wird, als er meint, sie sei untreu. Er hat also auch sehr ehrgeizige Züge, die nun von den Göttern bestraft werden (siehe klassisches Drama).

    Interessant ist in Hinsicht "Opferstatus", dass so viel Aufhebens gemacht wird um die Liebe aus Mitleid. Otello empfindert sich also von Anfang an als Opfer, welches durch Desdemona gerettet wurde. Diesen Glauben, dass er bösen Gewalten ausgeliefert ist, hat er aber nicht ganz überwunden, sonder er erinnert sich immer wieder daran, wenn er auf Feldzug ist und sie nicht bei sich hat, siehe erstes Duett. Wenn er zuhause bei ihr ist, ist alles gut. Je mehr er aber nun glaubt, ihre Liebe und damit ihren Schutz zu verlieren, je mehr verfällt er zurück in seinen psychologischen Opferstatus, an dem das Böse immer mehr greifen kann. Das Böse - manifestiert durch die statische Figur des Iago. Otello war, ist und bleibt ein Opfer, alles vorherbestimmt innerhalb des Dramas. Problematisch.....

    Also, Du hast recht, Otello muss eigentlich am meisten "machen" und überzeugen. Die anderen durchgehen keine Entwicklung, sondern sind eindimensional. Schöne Stimmen sollen sie aber haben, besonders Desdemona, sonst glaubt man Otello ja nicht.

  • Ich persönlich finde nicht, dass die Herkunft bzw das Äußere Otellos eine so große Rolle spielt. Ich würde niemandem die alleinige Schuld an der Tragödie zuschreiben. Jago ist unglaublich eifersüchtig (also es gibt Gründe für seine Bösartigkeit, schon allein daher ist er für mich keine Personifikation des Bösen) und will Otello ins Verderben stürzen, was ihm dank Kenntnis der Schwächen Otellos auch gelingt. Ich glaube, diese Geschichte funktioniert auch, wenn man die schwarze Hautfarbe Otellos außer acht lässt, denn manipulative, unsichere und gewalttätige Leute gibt es überall.
    Dass das Schicksal Otellos vorherbestimmt ist und er für den Versuch, es zu ändern, bestraft wird, sehe ich außerdem überhaupt nicht. Wir sind ja nicht in Vergils Aeneis oder in einem Werk mit ähnlichen Schicksalsvorstellungen.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • ...
    Es ist aber vor allem die Personendramaturgie Shakespeares, die mich heute weniger überzeugt als früher. Desdemona? Langweiliger geht es nicht, oder? Eine Frau ohne Charakter. Kaum mehr als ein Hascherl. Will nicht sagen, dass sie einem nicht leid tun kann. Die Figur bleibt aber doch eindimensional, wie Iago eindimensional böse ist und Cassio .. Bleibt Otello. Tja. Unendlich dankbar bin ich, wenn es einem Singdarsteller gelingt, Otellos Verhalten differenziert und nachvollziehbar darzustellen. Gelingt die Identifikation des Zuhörers/Zuschauers mit Otello nicht, und denkt man nur: Wie blöd ist der eigentlich, funktioniert das Drama kaum noch. Leider ist Letzteres inzwischen nicht selten bei mir der Fall.
    ...


    Ich bin hier nur zufällig hineingestolpert und kann/will mich nicht im Detail an der Diskussion beteiligen. Aber wenn man über die Oper von Verdi redet, dann sollte man nicht Shakespeare etwas über die „Personendramaturgie“ vorwerfen. Ich habe jetzt das Shakespearesche Original nicht völlig drauf um Argumente aufzutischen, aber definitiv ist Verdis Oper eine Bearbeitung und auch Verkürzung des Dramentextes, daher finde ich es nicht schlüssig an dieser Stelle Shakespeare zu kritisieren. Man müsste dazu beide Stücke genau vergleichen und dann in erster Linie beim Original mit einer Diskussion und Kritik ansetzen.

    -----------------------------------------------------------------------------------------------
    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Mein Sohn schreibt wie seine Mitschüler regelmäßig Deutsch-Klausuren über Bücher, die er nicht gelesen hat. Daran erinnert mich dein Beitrag.

    Ich kenne Shakespeares Drama wie die Bearbeitung. Und nun? Nimmst du an, dass die Bearbeitung dramaturgisch besser gearbeitet ist als Shakespeares Werk? Sicherlich nicht. Wenn also schon Shakespeares Werk ...

  • Besonders bei "Romeo und Julia".

    genau .....ich meine der Protagonist ist Romeo. Nicht Julia. Er ist derjenige mit dem Flaw of Character und fordert sein Schicksal aktiv heraus. Sie ist passiver und ihre Tendenz ist zu reagieren, nicht zu ageiren, obwohl das nicht 100% so ist, nur tendenzmässig.

    Übrigens.....man weiss ja gar nicht, wieviel und was davon wirklich von Shakespeare ist. Aber das ist wohl sowieso strittig bei ihm.

  • Eine Knaller am Sonntag Mittag - von Anfang an:!!

    Zitat aus einer Amazon Rezension - der ich mich ganz einfach nur anschließen möchte:

    "In 1968 EMI recorded an "Otello" that I've always rated very highly. James McCracken has the ideal Otello voice and Gwyneth Jones gives one of her finest recorded performances as Desdemona. My favourite baritone Dietrich Fisher-Dieskau is a sinister Iago and it is amazing how he adapts his voice over to a different tone for Italian opera. Sir John Barbirolli conducts the New Philharmonia Orchestra superbly and special mention must be made of the Ambrosian Opera Chorus who are involved a great deal in this opera - They are simply fantastic!!!!!!!!! - The re-mastering of the 1968 recording is amazing and EMI Classics are to be congratulated in making this version of "Otello" available once again. BRAVO TO ALL CONCERNED!!!!"

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!